TE Vfgh Erkenntnis 1999/10/1 G73/99

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Veröffentlicht am 01.10.1999
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
Tir BauO 1998 §25 Abs2

Leitsatz

Aufhebung einer Bestimmung der Tir BauO 1998 über die Einschränkung der Nachbarrechte auf die Geltendmachung von Abstandsvorschriften mangels sachlicher Rechtfertigung

Spruch

§25 Abs2 letzter Satz des Gesetzes vom 11. Dezember 1997, mit dem eine Bauordnung für Tirol erlassen wird (Tiroler Bauordnung 1998), LGBl. Nr. 15/1998, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2000 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

Der Landeshauptmann von Tirol ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B2126/98 eine Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

Mit Bescheid vom 9. Juni 1998 erteilte der Stadtmagistrat Innsbruck der R Gesellschaft mbH. gemäß §26 Abs7 der Tiroler Bauordnung 1998 (im folgenden: TBO 1998) die Baubewilligung zur Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses mit zweigeschossiger Tiefgarage auf dem Grundstück Innrain 17 und 19 unter verschiedenen Auflagen unter der aufschiebenden Bedingung der grundbücherlichen Durchführung der genehmigten Grenzänderung. Gemäß §40 Abs3 TBO 1998 wurde die Zulässigkeit des Abbruchs der Bestandsobjekte auf dem Grundstück unter verschiedenen Auflagen festgestellt. Die Einwendungen der Nachbarn wurden teils zurückgewiesen und teils als unbegründet abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid erhoben u.a. die Beschwerdeführer im Verfahren B2126/98 Berufung, die mit Bescheid des Stadtmagistrats vom 1. Oktober 1998 gemäß §66 Abs4 AVG als unbegründet abgewiesen wurde. In der Begründung dieses Bescheides wurde darauf hingewiesen, daß sich die Berufungsbehörde in der Beurteilung der "Sache" einzig mit dem Berufungsvorbringen auseinanderzusetzen habe, durch das Bauvorhaben würden Abstandsbestimmungen verletzt. Hinsichtlich der umfangreichen Beschwerdevorbringen bezüglich der Unvereinbarkeit des Vorhabens mit Zielen der örtlichen Raumordnung sei festzuhalten, daß den Berufungswerbern als Nachbarn im Bauverfahren "subjektiv öffentlich-rechtliche Einspruchsberechtigungen" nicht zustünden.

2. Aus Anlaß dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am 27. Februar 1999 gemäß Art140 Abs1 B-VG beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit des §25 Abs2 letzter Satz der Tiroler Bauordnung 1998, LGBl. Nr. 15/1998, von Amts wegen zu prüfen.

2.1. §25 TBO 1998 lautet (der in Prüfung gezogene Satz ist hervorgehoben):

"§25

Parteien

(1) Parteien im Bauverfahren sind der Bauwerber und die Nachbarn.

(2) Nachbarn sind die Eigentümer der Grundstücke, die unmittelbar an den Bauplatz angrenzen oder die von diesem nur durch eine private Straße, die nicht dem öffentlichen Verkehr im Sinne der straßenpolizeilichen Vorschriften dient und die nicht von den in einem Bebauungsplan festgelegten Straßenfluchtlinien umfaßt ist, oder ein anderes Grundstück als ein Straßengrundstück mit einer Breite von höchstens 5 m getrennt sind, sowie jene Personen, denen an einem solchen Grundstück ein Baurecht zukommt. Sie sind berechtigt, in Ansehung des jeweiligen Grundstückes die Verletzung der Abstandsbestimmungen nach §6 geltend zu machen.

(3) Findet eine Bauverhandlung nicht statt, so kann eine Anhörung der Nachbarn vor der Erteilung der Baubewilligung unterbleiben.

(4) Werden in der Bauverhandlung privatrechtliche Einwendungen erhoben, so hat die Behörde möglichst auf eine Einigung hinzuwirken. Kommt eine Einigung zustande, so ist diese in der Verhandlungsschrift zu beurkunden. Kommt eine Einigung nicht zustande, so ist der Nachbar mit seinen Einwendungen auf den ordentlichen Rechtsweg zu verweisen. Die Einwendungen sind in der Baubewilligung ausdrücklich anzuführen.

(5) Mit dem Ablauf von zwei Jahren nach dem Zeitpunkt des letztmöglichen Baubeginns (§27) erlangt die Baubewilligung auch gegenüber Nachbarn Rechtskraft, denen die Baubewilligung nicht zugestellt worden ist und die ihre Parteistellung bis dahin bei der Behörde nicht geltend gemacht haben."

Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage beschreiben die Motive der Regelung folgendermaßen:

"Zu §25:

Nach §30 Abs1 der geltenden Tiroler Bauordnung ist der Nachbarbegriff nicht auf die Eigentümer der unmittelbar angrenzenden Grundstücke beschränkt. Nachbarn sind demnach alle Eigentümer von Grundstücken, die zu dem zur Bebauung vorgesehenen Grundstück in einem solchen räumlichen Naheverhältnis stehen, daß durch die bauliche Anlage oder durch deren Benützung hinsichtlich der durch dieses Gesetz geschützten Interessen mit Rückwirkungen auf ihr Grundstück oder die darauf errichtete bauliche Anlage zu rechnen ist, wobei dem Grundeigentümer der Bauberechtigte gleichgestellt ist. Diesem Nachbarbegriff entsprechen auch die dem Nachbarn nach §30 Abs4 der geltenden Tiroler Bauordnung zukommenden subjektiven Rechte, die vor allem in den Bereichen Brandschutz und Immissionsschutz über den unmittelbar angrenzenden Nachbarn hinausgehen.

§25 Abs2 zweiter Satz des vorliegenden Entwurfes schränkt den Kreis der Nachbarrechte dagegen auf die Einhaltung der Abstandsbestimmungen des §6 ein. Korrespondierend dazu sollen künftig nur mehr die Eigentümer der unmittelbar an den Bauplatz angrenzenden Grundstücke sowie jene Personen, denen an einem solchen Grundstück ein Baurecht zukommt, als Nachbarn gelten. Eine Verletzung der Abstandsbestimmungen kann auch nach der geltenden Tiroler Bauordnung naturgemäß nur von den unmittelbar an den Bauplatz angrenzenden Nachbarn geltend gemacht werden, und zwar hinsichtlich der Abstände zum betreffenden Grundstück hin.

Die Einschränkung des Nachbarbegriffes geht auf die bei der Vollziehung der Tiroler Bauordnung gewonnenen praktischen Erfahrungen zurück. Danach hat sich der bisherige weite Nachbarbegriff in der Praxis als nachteilig erwiesen. Es hat sich nämlich gezeigt, daß das Bauverfahren dadurch erheblich verkompliziert wird, was nicht nur zu einer erheblichen Mehrbelastung der Baubehörden, sondern vielfach auch zu unzumutbaren Verfahrensverzögerungen für den Bauwerber führt. Dabei mußte die Erfahrung gemacht werden, daß das Nachbarrecht nur allzu oft aus sachfremden Gründen als Mittel zur Verfahrensverzögerung eingesetzt wird, indem ohne erkennbares Schutzinteresse eine Vielzahl von Einwendungen erhoben wird. Dabei ist der Nachbar der Baubehörde und dem Bauwerber gegenüber insofern im Vorteil, als er eine Verletzung seiner Rechte nur behaupten, nicht jedoch nachweisen muß. Die Baubehörde muß demgegenüber in einem entsprechend aufwendig geführten Ermittlungsverfahren jeder einzelnen Einwendung nachgehen und diese gegebenenfalls widerlegen. Diese Problematik wird noch dadurch verschärft, daß bei den geschilderten nachbarrechtlichen Auseinandersetzungen vielfach ohne Rücksicht auf die Erfolgsaussichten der Rechtsweg bis hin zur Vorstellungsbehörde und zu den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes beschritten wird. Insgesamt hat sich gezeigt, daß das Nachbarrecht der Tiroler Bauordnung zu einer Überbetonung des Rechtsschutzes des Nachbarn zu Lasten berechtigter Interessen des Bauwerbers führt.

Dazu kommt, daß das Nachbarrecht der Tiroler Bauordnung im Bereich des Immissionsschutzes keinen Ersatz für das Nachbarrecht etwa nach den gewerberechtlichen Vorschriften bieten kann. Dieser ergibt sich nämlich nur indirekt aus den raumordnungsrechtlichen Vorschriften über die widmungsgemäße Verwendung von Grundstücken, denen dem Wesen des Raumordnungsrechtes entsprechend eine typisierende Betrachtungsweise zugrundeliegt. Die Baubehörde kann daher nur abstrakt prüfen, ob ein Bauvorhaben einem im Hinblick auf die jeweilige Widmung zulässigen 'Betriebstyp' entspricht, weshalb es ihr bei einem vom Typ zulässigen Betrieb nicht gestattet ist, projektändernde Auflagen zum Zwecke der Emissionsminderung vorzuschreiben.

Der Entwurf geht weiters davon aus, daß Nachbarrechte dort nicht notwendig sind, wo klare und eindeutige raumordnungsrechtliche Vorgaben bestehen, wie dies beim heutigen Stand der Flächenwidmungsplanung und Bebauungsplanung hinsichtlich der Zulässigkeit und der Art der Bebauung der Fall ist.

Auf Grund dieser Erwägungen schränkt der vorliegende Entwurf die in Betracht kommenden nachbarrechtlichen Einwendungen auf die den Nachbarn unmittelbar tangierenden Abstandsbestimmungen des §6 ein. Der Nachbar ist sohin nicht nur berechtigt, eine Verletzung der Mindestabstände zu seinem Grundstück hin geltend zu machen, sondern es steht ihm darüberhinaus auch ein Mitspracherecht hinsichtlich der im Bereich der Mindestabstandsflächen zulässigen baulichen Anlagen und des Ausmaßes ihrer Verbauung zu."

2.2. In seinem Einleitungsbeschluß ging der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, daß die Beschwerde zulässig ist und er bei seiner Entscheidung darüber §25 Abs2 letzter Satz der TBO 1998 anzuwenden hätte.

3. Nach einer Darstellung der Judikatur zur Regelung der Parteirechte legte der Verfassungsgerichtshof seine Bedenken wie folgt dar:

"Der Verfassungsgerichtshof geht zunächst davon aus, daß es sachlich gerechtfertigt ist, dem Nachbarn im Bauverfahren ein durchsetzbares Mitspracherecht nur dort einzuräumen, wo seine durch die raumordnungsrechtlichen und baurechtlichen Bestimmungen geschützte Rechtssphäre bei Verwirklichung des Bauvorhabens beeinträchtigt werden könnte, d.h. dem Nachbarn ein Mitspracherecht nur hinsichtlich der Einhaltung jener raumordnungsrechtlichen und baurechtlichen Bestimmungen einzuräumen, die nicht nur dem öffentlichen, sondern auch dem besonderen Interesse der Nachbarschaft dienen.

Der Verfassungsgerichtshof vermeint aber - aus dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes - vorläufig, daß der Gesetzgeber dann, wenn er den besonderen Interessenlagen der Nachbarn dienende raumordnungsrechtliche oder baurechtliche Regelungen erläßt, diese Interessenlagen auch bei der Einräumung des Mitspracherechts der Nachbarn im Bauverfahren entsprechend berücksichtigen muß. Oder anders ausgedrückt: Beschränkt der Gesetzgeber das Mitspracherecht im Baubewilligungsverfahren auf die Möglichkeit, nur bestimmte Interessenlagen geltend zu machen, so muß ein sachlicher Grund dafür gegeben sein, daß der Nachbar nur diese bestimmten Interessenlagen im Bauverfahren rechtswirksam durchsetzen kann.

(...) §25 Abs2 letzter Satz TBO 1998 räumt dem Nachbarn als einziges subjektives öffentlichen Recht im Bauverfahren das Recht auf die Geltendmachung der Abstandsbestimmungen des §6 leg. cit. ein. Eine sachliche Rechtfertigung, die es dem Baurechtsgesetzgeber erlaubt, einzig die Interessenlage bezüglich der Abstände gemäß §6 leg. cit. bei der Regelung des Mitspracherechts des Nachbarn zu berücksichtigen, könnte - so meint der Verfassungsgerichtshof vorläufig - nur darin liegen, daß die Abstandsbestimmungen zu einem solch erheblichen Teil die Interessenssphäre des Nachbarn gegenüber dem Bauwerber ausmachen, daß die anderen Interessen des Nachbarn im Vergleich zu den Abstandsvorschriften in den Hintergrund treten.

Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage führen als allgemeines Argument für die Einschränkung der subjektiven öffentlichen Nachbarrechte ins Treffen, die Erfahrung habe gezeigt, daß das Nachbarrecht nur allzuoft aus sachfremden Gründen als Mittel zur Verfahrensverzögerung eingesetzt wird, indem ohne erkennbares Schutzinteresse eine Vielzahl von Einwendungen erhoben wird. Die Baubehörde müsse in einem entsprechend aufwendig geführten Ermittlungsverfahren jeder einzelnen Einwendung nachgehen und diese gegebenenfalls widerlegen.

Weder die Tatsache, daß in der Praxis eine Vielzahl von Einwendungen erhoben wird, denen die Behörde nachgehen muß, noch der Hinweis darauf, daß vielfach 'ohne Rücksicht auf die Erfolgsaussichten der Rechtsweg bis hin zur Vorstellungsbehörde und zu den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes beschritten wird', scheint es zu rechtfertigen, die möglichen Einwendungen auf eine einzige zu reduzieren. Denn einerseits dürfte damit nicht dargetan werden, daß allein die Abstandsbestimmungen die Sphäre des Nachbarn in einer Weise berühren, daß sie mit anderen im Interesse des Nachbarn getroffenen baurechtlichen Bestimmungen nicht vergleichbar sind. Andererseits würde die Ansicht der Tiroler Landesregierung - überspitzt formuliert - in die unhaltbare Aussage münden, daß der Rechtsschutz des Nachbarn dort eingeschränkt werden müsse, wo die Gefahr einer erhöhten Inanspruchnahme dieses Rechtsschutzes durch Beschwerden bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts besteht.

(...) Vergleicht man die durch die Abstandsbestimmungen der TBO 1998 geregelte Interessenlage des Nachbarn mit der durch die raumordnungsrechtlichen Bestimmungen - beispielsweise hinsichtlich des Schutzes vor Beeinträchtigungen des Nachbargrundstücks durch Immissionen - geschaffenen, so vermag der Verfassungsgerichtshof vorläufig keinen sachlichen Grund zu erkennen, weshalb die Interessenlage, die Einhaltung eines Abstandes zum Nachbargrundstück zu verlangen, wesentlich höher einzuschätzen ist als die Interessenlage, einen Bau auf einem Grundstück wegen Widerspruchs zum Flächenwidmungsplan überhaupt zu verhindern.

Das Fehlen des nach der früheren Rechtslage zulässigen Mitspracherechts des Nachbarn, es bestehe infolge Widerspruchs zum Flächenwidmungsplan die Gefahr von Immissionen, begründet die Tiroler Landesregierung mit dem Hinweis auf die zivilrechtlichen Abwehrmöglichkeiten des Nachbarn gemäß §364 Abs2 ABGB. Der Verfassungsgerichtshof nimmt vorläufig an, daß der bestehende zivilrechtliche Rechtsschutz den Entfall der Geltendmachung des raumordnungsrechtlichen Immissionsschutzes im Baubewilligungsverfahren nicht zu rechtfertigen vermag. Denn der zivilrechtliche Anspruch des Nachbarn auf Schutz vor Immissionen dürfte durch die nachbarschützenden Regelungen des Flächenwidmungsplans letztendlich beeinflußt werden.

Wenn die Erläuterungen als Begründung für die Einschränkung des Mitspracherechtes des Nachbarn hinsichtlich des Immissionsschutzes ins Treffen führen, daß das Nachbarrecht der Tiroler Bauordnung kein Ersatz für das Nachbarrecht nach den gewerberechtlichen Vorschriften bieten kann, so ist dem folgendes zu entgegnen:

Die Erläuterungen geben zwar richtig wieder, daß die Baubehörde nur abstrakt prüfen kann, ob ein Bauvorhaben einem im Hinblick auf die jeweilige Widmung zulässigen 'Betriebstyp' entspricht, sie dürften aber außer acht lassen, daß die Geltendmachung eines Widerspruches zum Flächenwidmungsplan, beispielsweise hinsichtlich der Immissionslage, im gewerbebehördlichen Verfahren nicht zum Erfolg führen kann, weil ein solcher Widerspruch mangels Anwendbarkeit der raumordnungsrechtlichen Vorschriften im Betriebsanlagengenehmigungsverfahren (gemäß §§74 ff Gewerbeordnung) nicht zur Versagung der Bewilligung führt.

Das Argument in den Erläuterungen, daß Nachbarrechte dort nicht notwendig sind, wo klare und eindeutige raumordnungsrechtliche Vorgaben bestehen, wie dies beim heutigen Stand der Flächenwidmungsplanung und Bebauuungsplanung hinsichtlich der Zulässigkeit und Art der Bebauung der Fall ist, scheint ebenfalls die vorgenommene Differenzierung nicht zu rechtfertigen. Denn das Bestehen klarer und eindeutiger Rechtsvorschriften dürfte keinen sachlichen Grund darstellen, dem Nachbarn in diesem Bereich das Mitspracherecht zu verweigern. Schließlich sind auch die Abstandsvorschriften im §6 TBO 1998 klar und eindeutig definiert; trotzdem darf der Nachbar deren Verletzung geltend machen.

Aus all diesen Gründen hegt der Verfassungsgerichtshof vorläufig das Bedenken, daß die in den Flächenwidmungsplänen festgelegten einzelnen Widmungs- und Nutzungsarten dann, wenn diese einen Immissionsschutz gewährleisten, die Rechtssphäre des Nachbarn in zumindest gleicher Weise berühren wie die Abstandsvorschriften des §6 der TBO 1998, weshalb die Einschränkung des Mitspracherechts des Nachbarn auf diese gleichheitswidrig sein dürfte.

(...) Der Verfassungsgerichtshof kann aber vorläufig auch keine sachliche Rechtfertigung für die Differenzierung finden, daß der Nachbar zwar die Verletzung der Abstandsbestimmungen, nicht aber die Verletzung der Bestimmungen über die Bauweise und die Bauhöhe einwenden darf. Dem Verfassungsgerichtshof scheint nämlich das Interesse an der Einhaltung der durch die Bauordnung oder den Bebauungsplan vorgegebenen Bauweise oder Gebäudehöhe - zumindest soweit sich diese auf das Nachbargrundstück auswirken - nicht geringer zu wiegen als das Interesse an der Einhaltung des Abstandes zum Nachbargrundstück. Im Gesetzesprüfungsverfahren wird zu klären sein, ob die mit den Bestimmungen über die Bauhöhe und die Bauweise verbundenen Interessen des Nachbarn mit jenen über die Abstandsbestimmungen des §6 leg. cit. ident sind, oder ob über die Abstandsbestimmungen hinausgehende besondere Interessen des Nachbarn an der Einhaltung der Bauhöhe und der Bauweise bestehen.

(...) Der Verfassungsgerichtshof kann schließlich aber vorläufig auch keine sachliche Rechtfertigung für die Differenzierung finden, daß der Nachbar zwar die Verletzung der Abstandsbestimmungen, nicht aber der Bestimmungen über die Beschaffenheit des Bauplatzes und den Brandschutz, soweit diese Bestimmungen im Interesse des Nachbarschutzes getroffen sind, einwenden darf.

Die Tiroler Landesregierung gibt zwar in ihrer Stellungnahme zu, daß die Beschaffenheit des Bauplatzes ebenso wie der Brandschutz auch aus Nachbarsicht von Interesse sei, vermeint aber, daß nicht jede Art der Betroffenheit die Einräumung von Parteistellung in einem Genehmigungsverfahren erfordere. Die Interessen des Nachbarn seien einerseits durch technische Vorschriften und andererseits durch die - unter der Sanktion der Vernichtbarkeit des Baubewilligungsbescheides stehende - Verpflichtung, Sachverständige beizuziehen sowie durch die Bauaufsicht und die Möglichkeit, nachträgliche Auflagen vorzuschreiben, ausreichend abgesichert. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, daß diese Gründe allein die dargestellte Differenzierung nicht zu rechtfertigen vermögen, denn sie treffen ebenso auf die Abstandsbestimmungen zu.

Der Verfassungsgerichtshof vermag vorläufig einen gravierenden Unterschied zwischen dem Interesse des Nachbarn, den Widerspruch zu den Bestimmungen über die Beschaffenheit des Bauplatzes und über den Brandschutz geltend zu machen, und der durch die Abstandsvorschriften gegebenen Interessenlage nicht zu erkennen.

(...) Es scheint also eine sachliche Rechtfertigung dafür zu fehlen, daß der Nachbar ausschließlich einen Widerspruch zu den Abstandsbestimmungen des §6 TBO 1998 einzuwenden befugt ist."

4. Die Tiroler Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes entgegentritt und beantragt, die in Prüfung gezogene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Für den Fall der Aufhebung wird beantragt, daß der Verfassungsgerichtshof die nach Art140 Abs5 letzter Satz B-VG höchstzulässige Frist festsetzen möge.

4.1. Die Tiroler Landesregierung führt in ihrer Äußerung ua. aus, daß dem Landesgesetzgeber bei der Abgrenzung der nachbarrechtlichen Ansprüche ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukomme und weist auf das Erkenntnis VfSlg. 10844/1986 (zu §7 Abs1 Z1 lita Sbg. BaupolG) hin.

Die in Prüfung gezogene Bestimmung sei nicht unsachlich; es sei dem Gesetzgeber nicht etwa darum gegangen, berechtigte Rechtsschutzinteressen zu negieren, sondern dem Rechtsmißbrauch des Einsetzens von Nachbarrechten zur Verfahrensverzögerung zu begegnen.

Wie in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage festgestellt werde, habe das Nachbarrecht der vormaligen TBO zu einer Überbetonung des Rechtsschutzes des Nachbarn zu Lasten berechtigter Interessen des Bauwerbers geführt.

4.2. Über die zivilrechtlichen Abwehrmöglichkeiten des Nachbarn gemäß §364 Abs2 ABGB und das Nachbarrecht nach den gewerberechtlichen Vorschriften stehe ein zur Wahrung berechtigter Nachbarinteressen ausreichendes rechtliches Instrumentarium zur Verfügung. Dies sei hinsichtlich der baurechtlichen Abstandsbestimmungen nicht der Fall, woraus sich die Notwendigkeit eines baurechtlichen Nachbarschutzes ergebe.

Nach Auffassung der Landesregierung dienten die Abstandsbestimmungen in einem weit größeren Ausmaß dem Schutz spezifischer Nachbarinteressen, als dies im Prüfungsbeschluß des Verfassungsgerichtshofes gesehen werde. In diesem Bereich bestehe kein ersatzweiser Schutz im Rahmen anderer Rechtsbereiche.

4.3. Zur Frage des Immissionsschutzes räumt die Landesregierung ein, daß der zivilrechtliche bzw. der gewerberechtliche Immissionsschutz zwar jenem des Bau- und Raumordnungsrechtes nicht vollständig entspreche, der Flächenwidmungsplan jedoch auf die bestehenden Verhältnisse Rücksicht nehmen müsse. Damit stehe das Tiroler Raumordnungsgesetz 1997 Widmungsfestlegungen entgegen, die die Immissionslage in einem bestimmten Gebiet negieren und die eine Belastung ermöglichen, die zu einer im Vergleich dazu erheblich abweichenden Immissionsbelastung führen würde.

4.4. Auch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Frage der "heranrückenden Wohnbebauung" zeige, daß es dem Flächenwidmungsplangeber nicht freistehe, das zulässige Immissionsniveau durch Änderungen des Flächenwidmungsplanes im Vergleich zum Iststand erheblich einzuschränken.

4.5. Schließlich führt die Landesregierung noch aus, daß §25 Abs2 letzter Satz TBO 1998 entgegen der Annahme des Verfassungsgerichtshofes dahingehend auszulegen sei, daß den Nachbarn ein subjektiv-öffentliches Recht auch auf Einhaltung der in einem Bebauungsplan festgelegten Bauweise zukomme. Es sei nach Ansicht der Landesregierung nicht zweifelhaft, daß die Festlegungen hinsichtlich Bauweise und Baugrenzlinien zu den Abstandsbestimmungen nach §6 TBO 1998 zählen, an die die in Prüfung gezogene Bestimmung anknüpfe.

4.6. Hinsichtlich der Bauhöhe sei es sachlich gerechtfertigt, dem Nachbarn kein Mitspracherecht einzuräumen, zumal sich aus §7 Abs1 und Abs2 TBO 1998 klar ergebe, daß Bauhöhenfestlegungen dem Schutz des Orts-, Straßen- und Landschaftsbildes dienen, wobei es sich ausschließlich um einen im öffentlichen Interesse gelegenen Schutzzweck handle.

Auch in den Bauordnungen anderer Bundesländer würden die Bestimmungen über die Beschaffenheit des Bauplatzes und den Brandschutz nicht durchgängig subjektiv öffentliche Nachbarrechte begründen. Die Abstandsbestimmungen stünden darüber hinaus wesentlich im Interesse des Brandschutzes.

Es sei daher im Rahmen des rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers gelegen, hinsichtlich der Beschaffenheit des Bauplatzes und des Brandschutzes keine speziellen Nachbarrechte vorzusehen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die vorläufigen Annahmen, daß das Beschwerdeverfahren, das Anlaß zur Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gegeben hat, zulässig ist und daß der Verfassungsgerichtshof bei seiner Entscheidung über die Beschwerde §25 Abs2 letzter Satz TBO 1998 anzuwenden hätte, haben sich als zutreffend erwiesen.

2. Auch die im Prüfungsbeschluß dargelegten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmung treffen zu:

2.1. Die Tiroler Landesregierung beruft sich darauf, daß dem Landesgesetzgeber bei der Abgrenzung der nachbarrechtlichen Ansprüche ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukomme.

Zur Regelung der Parteistellung durch den Materiengesetzgeber ist zunächst auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu verweisen:

Im Erkenntnis VfSlg. 6664/1972 hat der Verfassungsgerichtshof zur Frage der Regelung der Parteistellung durch den einfachen Gesetzgeber ausgesprochen:

"Es besteht, abgesehen von Einzelfällen wie Art119a Abs9 B-VG (...) keine Verfassungsnorm, die Parteienrechte in einem Verfahren überhaupt oder in einem bestimmten Umfang garantiert. Den Umfang der Parteienrechte in einem Verwaltungsverfahren bestimmt der einfache Gesetzgeber. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter scheidet als Maßstab hiefür aus; dieses Recht kann durch eine gesetzliche Regelung der Parteistellung deshalb nicht verletzt werden, weil eben die durch Gesetz bestimmte Behörde gegenüber den durch Gesetz mit Parteirechten ausgestatteten Personen der 'gesetzliche Richter' ist (vgl. Erk. Slg. Nr. 3085/1956). Das die Parteienrechte bestimmende Gesetz könnte allerdings aus einem anderen Grund, etwa wegen mangelnder Determinierung (Art18 B-VG) oder wegen Verstoßes gegen das Gleichheitsgebot (Art7 B-VG, Art2 StGG) verfassungswidrig sein."

Diese Aussage hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 6808/1972 wiederholt.

Im Bereich des Baurechtes wurde der Verfassungsgerichtshof erstmals im Erkenntnis VfSlg. 8279/1978 mit der Frage der sachlichen Abgrenzung der Parteirechte konfrontiert und zwar zur taxativen Aufzählung der subjektiven öffentlichen Rechte im §30 des Vorarlberger Baugesetzes. Er knüpfte an die bisherige Rechtsprechung an und fuhr fort, er lehne die Meinung ab, das rechtsstaatliche Prinzip verlange eine bestimmte Ausgestaltung der Parteirechte in einem Verwaltungsverfahren in der Weise, daß dem Gesetzgeber eine nähere Festlegung dieser Rechte überhaupt verboten sei. Im Erkenntnis VfSlg. 2929/1955 habe der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, der Sinn des rechtsstaatlichen Prinzips gipfle darin, daß alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und mittelbar letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen und ein System von Rechtsschutzeinrichtungen die Gewähr dafür biete, daß nur solche Akte in ihrer rechtlichen Existenz dauernd gesichert erscheinen, die in Übereinstimmung mit den sie bedingenden Akten höherer Stufe erlassen wurden. So verstanden könne das rechtsstaatliche Prinzip kein Argument für die vom Beschwerdeführer geforderte Beschränkung des Gesetzgebers liefern. Die vom Beschwerdeführer erörterte Problematik münde in die Frage, welche Forderungen an den Gesetzgeber bei der Festlegung von Parteirechten in einem Verwaltungsverfahren unter dem Blickpunkt des auch ihn bindenden Gleichheitsgebotes zu richten seien. Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung betont habe, verbiete das Gleichheitsgebot dem Gesetzgeber nicht bloß, sachlich nicht begründbare Differenzierungen vorzunehmen, sondern auch Ungleiches gleich zu behandeln, wobei allerdings die Ungleichheit in bezug auf die Regelung wesentlich sein müsse (Hinweis auf VfSlg. 5397/1966). Dies bedeute für gewisse, dem Beschwerdeführer anscheinend vorschwebende besondere Fälle, daß der Gesetzgeber im Hinblick auf seine Pflicht zu differenzierter Behandlung bei verschiedenen tatsächlichen Gegebenheiten gegen das Gleichheitsgebot verstoße, wenn er Parteirechte unterschiedslos nicht einräume. Solches sei ihm aber bei §30 Vorarlberger Baugesetz in Ansehung der in §22 Abs1 leg. cit. festgelegten Pflichten des Bauwerbers in bezug auf das Landschafts- und Ortsbild jedoch keinesfalls unterlaufen. Es genüge der Hinweis, daß der im Falle einer Beeinträchtigung des Schutzobjektes betroffene Personenkreis nicht spezifisch aus Liegenschaftseigentümern im örtlichen Nahebereich, sondern auch aus zahlreichen anderen Personengruppen (zB bloßen Bewohnern dieses Bereiches) bestehe.

Im Erkenntnis VfSlg. 10844/1986 - zu §7 Abs1 Z1 lita des Salzburger Baupolizeigesetzes - knüpfte der Verfassungsgerichtshof an die bisherige Rechtsprechung an und führte aus:

"Der Verfassungsgerichtshof vermag keine Verfassungsbestimmung zu finden, nach der es dem Gesetzgeber verwehrt wäre, die Parteistellung für Nachbarn im Baubewilligungsverfahren, in dem es (bloß) auf die Wahrung baurechtlicher Interessen - nicht aber sonstiger, in anderen, insbesondere im gewerberechtlichen Verfahren zu wahrender Belange - ankommt, auf Personen zu beschränken, bei denen nach einer Durchschnittsbetrachtung der typischerweise vom Bauwerk selbst ausgehenden Gefahren durch eine Bauführung Nachbarinteressen betroffen werden. Wenn der Gesetzgeber unter diesem Gesichtspunkt die Parteistellung als Nachbar den Personen einräumt, deren Grundstücke von den Fronten des Baues nicht weiter entfernt sind, als im §7 Abs1 Z1 lita festgelegt ist, kann ihm ebensowenig vorgeworfen werden, eine unsachliche Abgrenzung unter den als Nachbarn in Betracht kommenden Personen vorgenommen zu haben, wie es ihm unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes verwehrt wäre, im Hinblick auf die Besonderheiten der Gefährdungen bei Bauten mit erhöhten Anforderungen den Kreis der Personen, denen als Nachbarn Parteistellung zukommt, auszudehnen. Der Umstand, daß von den Beschwerdeführern eine Regelung als rechtspolitisch wünschenswert erachtet wird, wonach bei Bauten mit erhöhten Anforderungen auch Eigentümern, deren Grundstücke von der Front des Baues weiter als 15 Meter entfernt sind, Parteistellung einzuräumen wäre (vgl. die Ausführungen bei Hauer, Der Nachbar im Baurecht, Eisenstadt 1980, Seiten 138, 241), begründet keine Bedenken dahin, daß die geltende Bestimmung des §7 Abs1 Z1 lita BauPolG als eine gegen das Gleichheitsgebot verstoßende Regelung zu qualifizieren wäre."

Der Verfassungsgerichtshof hat also in seiner Vorjudikatur stets im Einzelfall geprüft, ob die Differenzierung der Parteirechte einerseits in bezug auf die Regelung wesentlich und andererseits im Hinblick auf die im jeweiligen Verwaltungsverfahren zu berücksichtigenden Interessen durch Unterschiede im Tatsächlichen begründet ist.

2.2. Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht die Gefahr der mißbräuchlichen Inanspruchnahme von umfassend ausgestalteten Nachbarrechten, die oftmals zu einer nicht gerechtfertigten Verzögerung des Baubeginns führen können. Die Tiroler Landesregierung stellt diese Problematik umfassend dar, kann jedoch nicht ausreichend begründen, weshalb gerade die Einschränkung auf die Geltendmachung von Abstandsvorschriften sachlich gerechtfertigt ist.

Die Behauptung, daß den Abstandsbestimmungen "in gewisser Hinsicht auch die Funktion von Immissionsschutzbestimmungen" und von Brandschutznormen zukomme, vermag nicht zu überzeugen. Schon ein Blick auf die Abstandsbestimmungen des §6 leg. cit. zeigt, daß diese eine Immissionsschutzfunktion nicht zu erfüllen vermögen. So ist der Abstand gemäß §6 Abs1 lita leg. cit. zB. für Bauten im Gewerbe- und Industriegebiet zum Bauland-Wohngebiet gleich hoch wie der in §6 Abs1 litb leg. cit. geregelte Abstand von Bauten im Bauland-Wohngebiet (nämlich das 0,6fache des lotrechten Abstandes zwischen dem betreffenden Punkt und dem Geländeniveau darunter, jedenfalls aber vier Meter). Der Abstand für Bauten innerhalb des Kerngebietes, in dem Betriebe gemäß §38 Abs2 TROG zulässig sind, (das 0,4fache dieses Abstandes, jedenfalls aber drei Meter) ist sogar geringer als für Bauten innerhalb des Baulandes-Wohngebiet.

Die Landesregierung versucht, das Recht auf Einhaltung der Abstandsbestimmungen so auszulegen, als umfasse es verschiedenste Nachbarrechte (Immissionsschutz, Brandschutz, Belichtung und Belüftung). Gerade damit gesteht sie aber zu, daß auch diesen Nachbarrechten eine erhebliche Bedeutung zukommt, und rechtfertigt die Beschränkung auf die Geltendmachung der Abstandsbestimmungen als einziges schützenswertes Nachbarrecht nicht.

2.3. Die Landesregierung räumt weiters ein, daß der zivilrechtliche und der im gewerblichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren bestehende Immissionsschutz jenem des Bau- und Raumordnungsrechts nicht vollständig entspricht. Sie weist darauf hin, daß der Flächenwidmungsplan auf die bestehenden Verhältnisse Rücksicht zu nehmen hat und eine dem TROG 1997 widersprechende Widmung zu einer Immissionsbelastung führen würde, die auf zivilrechtlichem Weg oder im gewerblichen Betriebsanlagenverfahren bekämpft werden könne.

Der Nachbar kann vielleicht in einem Verfahren gemäß §364 Abs2 ABGB die Unterlassung unzulässiger Eingriffe oder in einem gewerbebehördlichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren erreichen, daß Emissionen durch Auflagen beschränkt werden. Er kann aber die im Sinne des rechtsstaatlichen Prinzips gebotene Beseitigung eines gesetzwidrigen Flächenwidmungsplanes aus der Rechtsordnung und damit die Beseitigung der Rechtsgrundlagen für den emittierenden Bau in diesem Verfahren nicht erreichen. Denn der Nachbar hat mangels Anwendbarkeit der raumordnungsrechtlichen Vorschriften weder im Verfahren nach §364 Abs2 ABGB noch im gewerbebehördlichen Betriebsanlagenverfahren die Möglichkeit, die Gesetzwidrigkeit des Flächenwidmungsplanes geltend zu machen.

2.4. Das Argument der Landesregierung, daß die Bauhöhenfestlegung ausschließlich einen im öffentlichen Interesse gelegenen Schutzzweck verfolge, überzeugt ebenfalls nicht, da die Bestimmungen über die Bauhöhe auch einen Einfluß auf die Belichtung haben.

Im übrigen sprechen auch die Erläuternden Bemerkungen zu §25 Abs2 letzter Satz TBO 1998, wonach die Einschränkung der Nachbarrechte ausschließlich auf die Geltendmachung der Verletzung von Abstandsbestimmungen abzielt, gegen die von der Tiroler Landesregierung vorgenommene Interpretation.

3. Es ist der Tiroler Landesregierung nicht gelungen, die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes gegen §25 Abs2 letzter Satz leg. cit. zu zerstreuen.

Der Verfassungsgerichtshof vermag keine sachliche Rechtfertigung dafür zu erkennen, daß der Nachbar ausschließlich einen Widerspruch zu den Abstandsbestimmungen des §6 TBO 1998 einwenden darf. Die in §25 Abs2 letzter Satz leg. cit. vorgenommene Differenzierung der Nachbarrechte entbehrt sohin einer sachlichen Rechtfertigung.

§25 Abs2 letzter Satz TBO 1998 war daher als verfassungswidrig aufzuheben.

4. Um allfällige legistische Vorkehrungen zu ermöglichen, hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs5 B-VG für das Außerkrafttreten der als verfassungswidrig erkannten Gesetzesbestimmung den Ablauf des 31. Dezember 2000 bestimmt.

Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Tirol zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aufhebung ergibt sich aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 abgesehen werden.

Schlagworte

Baurecht, Nachbarrechte, Rechtsstaatsprinzip

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:G73.1999

Dokumentnummer

JFT_10008999_99G00073_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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