TE Vwgh Erkenntnis 2002/9/23 2000/05/0171

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Veröffentlicht am 23.09.2002
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Index

L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Niederösterreich;
L82000 Bauordnung;
L82003 Bauordnung Niederösterreich;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §415;
ABGB §416;
ABGB §418;
AVG §38;
BauO NÖ 1996 §13 Abs1;
BauO NÖ 1996 §33 Abs1;
BauRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde der Mag. Anna Sperl-Zacharias in Wien, vertreten durch Dr. Ernst Schmerschneider em., Dr. Hilbert Aubauer, Dr. Peter Berethalmy, Dr. Karl Fritsche, Dr. Christiane Berethalmy-Deuretzbacher, Rechtsanwälte in Wien I, Rosenbursenstraße 8, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 16. Juni 2000, Zl. RU1-V-00003/00, betreffend einen baupolizeilichen Auftrag (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde Perchtoldsdorf, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in Höhe von EUR 1089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin des Grundstückes Nr. 8/1, KG Perchtoldsdorf, mit der Adresse Hochstraße 7. Dieses Grundstück grenzt in einem Teilbereich nordost- bzw. südostseitig (Ecke) an das Grundstück Nr. 3033, Hochstraße 3, das im Eigentum der Ehegatten E steht. (Das letztgenannte Grundstück umschließt Lförmig die Liegenschaft Hochstraße 5, ein Schenkel erreicht die Grenze zum Grundstück der Beschwerdeführerin). An dieser Grenze befindet sich eine aus dem Mittelalter stammende Mauer, bestehend aus mit Kalkhydrat gemauertem Bruchsteinmauerwerk. Auf dem Grundstück Nr. 3033 ist direkt an diese Mauer ein Wohngebäude angebaut, während auf dem Grundstück Nr. 8/1 an die Mauer eine höher gelegene unbebaute Fläche (Garten) anschließt. Aus dem vorgelegten Bauakt Hochstraße 3 ergibt sich, dass mit Bescheid vom 31. Oktober 1892 die Demolierung eines bestehenden Stallgebäudes und Neuerrichtung eines Stallgebäudes samt Schupfen an der gegenständlichen Mauer bewilligt worden war. In einem "Commissions-Protokoll" vom 25. November 1892 wird die konsensgemäße Ausführung beurkundet. Mit Bescheid vom 4. Juli 1971 wurde die Baubewilligung für den Umbau des Stallgebäudes in ein Wohngebäude erteilt.

Mit rechtskräftigem Versäumungsurteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 5. Dezember 1997, GZ. 22 Cg 373/97x-3, wurde die Beschwerdeführerin als beklagte Partei gegenüber den klagenden Parteien E schuldig erkannt, bei sonstiger Exekution binnen Monatsfrist dafür zu sorgen, dass von der in ihrem Eigentum stehenden Mauer auf ihrer Liegenschaft keinerlei Feuchtigkeit mehr in das ebenerdig gelegene nördlich situierte Wohnzimmer des von vom Eingang der Hochstraße 3 aus gesehenen rechts gelegenen Hauses eindringt. Dieses Urteil erwies sich in der Folge mangels Bestimmtheit des Titels als nicht exekutierbar.

Anlässlich einer von einem Organ der mitbeteiligten Marktgemeinde durchgeführten baubehördlichen Überprüfung am 9. Dezember 1998, bei der die Beschwerdeführerin trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht anwesend war, wurde festgestellt, dass bedingt durch den Niveauunterschied des angrenzenden, zur Liegenschaft der Beschwerdeführerin gehörenden, Innenhofes und der an die Grenzmauer angebauten Räume im Gebäude Hochstraße 3 (Aufenthaltsraum, Rauchküche und Keller) in Verbindung mit einer mangelnden oder fehlerhaften Feuchtigkeitsisolierung in den angrenzenden Räumen die Durchfeuchtung der Mauer augenscheinlich erkennbar sei. Auf Grund leichten Beklopfens sei ein Teil des Mauerwerks zu Boden gestürzt.

Der bautechnische Amtssachverständige erstattete am 17. März 1999 ein Gutachten, wonach die Mauer zwar im Zeitpunkt der Beurteilung standsicher und tragfähig gewesen sei, es lasse sich allerdings nicht vorausschauend abschätzen, wie lange diese Standsicherheit unter Berücksichtigung weiterer Durchfeuchtung noch gegeben sein werde, da die Stärke und der genaue Materialaufbau der Mauer (Baubestand aus dem Mittelalter) nicht ausreichend bekannt sei. Zusätzlich zur Problematik der Nässe müsste aber auch die Verminderung des tragenden Querschnittes durch ausbrechendes Mauerwerk in die Überlegungen mit einbezogen werden. Der Zeitpunkt eines möglichen Versagens könne daher nicht angegeben werden. Jedenfalls werde Mauerwerk raumseitig so lange nachbrechen, bis die Ursache dafür, nämlich die vorhandene und nachströmende Vernässung, beseitigt sei. Besondere Gefahrenmomente würden sich aus der Tatsache ergeben, dass ein Nachbrechen des Mauerwerks ohne vorherige Anzeichen plötzlich erfolge und zwar so lange, bis der minimale tragende Querschnitt erreicht sei. Danach sei mit einem Totalversagen jederzeit zu rechnen.

In ihrer Äußerung vom 6. Mai 1999 lehnte die Beschwerdeführerin zunächst jegliche Bedeutung des Urteiles vom 5. Dezember 1997 für das nunmehrige Verfahren ab. Die Mauer stehe weder auf ihrem Grund noch gehöre sie ihr und falle auch nicht in ihren Verantwortungsbereich. Sie sei vielmehr Bestandteil des Hauses Hochstraße 3. Das Haus müsse den natürlichen Verhältnissen entsprechend schon immer feucht gewesen sein. Von ihrem Grund trete nicht widerrechtlich Feuchtigkeit in den Wohnraum des Nachbarhauses ein. Auf Grund der natürlichen Situation hätten dessen Inhaber auf jeden Fall immer mit dem Eindringen von Feuchtigkeit rechnen müssen.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 27. Mai 1999 wurde gemäß § 33 Abs. 2 BO der Beschwerdeführerin der baupolizeiliche Auftrag erteilt, binnen acht Wochen nach Rechtskraft dieses Bescheides die Mauer zum Grundstück Nr. 3033 im Bereich der darunter liegenden Aufenthaltsräume trocken zu legen und anschließend gegen Feuchtigkeit abzudichten. Die Trockenlegung und Abdichtung habe entsprechend dem Stand der Technik so zu erfolgen, dass eine künftige neuerliche Durchfeuchtung der oben genannten Mauer wirksam vermieden werde. Weiters wurden Verfahrenskosten vorgeschrieben. In der Begründung stützte sich der Bürgermeister auf das bautechnischen Gutachten vom 17. März 1999 sowie hinsichtlich der Feststellung der Eigentumsverhältnisse auf das Urteil vom 5. Dezember 1997.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Sie betonte erneut, dass die Mauer nicht auf ihrem Grundstück sondern auf dem Nachbargrundstück Nr. 3033 errichtet sei. Die Frage des Eigentums sei eine von der Behörde selbstständig zu lösende Vorfrage, das Versäumungsurteil vom 5. Dezember 1997 könne hiefür nicht herangezogen werden, weil die klagenden Parteien eine solche Behauptung im Klagebegehren ohne jeglichen Beweis aufgestellt hätten. Außerdem habe sich das Versäumungsurteil als inhaltlich viel zu unbestimmt erwiesen, sodass ein Exekutionsantrag der klagenden Parteien letztinstanzlich abgewiesen worden sei.

Vom Bauamt der mitbeteiligten Marktgemeinde wurde daraufhin bei DI Dr. M, Ingenieurkonsulent für Vermessungswesen, die Feststellung der Grenze zwischen den Grundstücken Nr. 8/1 und 3033 in Auftrag gegeben. Dieser führte nach Einsichtnahme in Anmeldungsbögen bzw. Katastralmappen, welche bis ins Jahr 1817 zurückreichten ("Urmappe"), am 30. November 1999 einen Lokalaugenschein samt Vermessungsarbeiten durch, bei dem auch die Beschwerdeführerin sowie ihr Rechtsbeistand anwesend waren. In dem am 6. Dezember 1999 erstatteten Gutachten führte DI Dr. M aus, dass die Grundstücksgrenze seit der Urmappe nicht verändert worden sei. Die Einpassung über das amtliche Koordinatensystem und die Festpunkte im System Gauß-Krüger und auch die grafische Einpassung der Naturaufnahme über die Urmappe und die davon abgeleiteten Folgemappen würden die Grundstücksgrenze zwischen den beiden Grundstücken an der nordöstlichen Seite der Mauer zeigen. Auf Grund der Einmessung der Naturaufnahme in die Anmeldungsbögen bzw. Katastralmappen befinde sich die alte Mauer auf dem Grundstück der Beschwerdeführerin. Dieses Gutachten wurde der Beschwerdeführerin zunächst nicht übermittelt.

Mit dem Berufungsbescheid vom 16. Dezember 1999 wies der Gemeinderat der mitbeteiligten Marktgemeinde die Berufung als unbegründet ab, wobei er auf Grund des im Gutachten vom 6. Dezember 1999 festgestellten Grenzverlaufes vom Eigentum der Beschwerdeführerin an der Mauer ausging. Gegen das schlüssige bautechnische Gutachten sei von der Beschwerdeführerin kein Vorbringen erstattet worden. Es sei durchaus nachvollziehbar, dass eine offensichtliche Durchfeuchtung der Mauer in absehbarer Zeit die Standsicherheit des Bauwerks in Frage stellen werde.

In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung machte die Beschwerdeführerin geltend, der im Gutachten vom 6. Dezember 1999 festgestellte Grenzverlauf sei nicht mehr aktuell. Die Mauer sei im Mittelalter von den Rechtsvorgängern der nunmehrigen Nachbarn E als vierte Mauer des Gebäudes Hochstraße 3 verwendet worden. Sie sei mit dem Dach des Hauses und dem dort eingearbeiteten und ausgebildeten Giebel überbaut worden und bilde auch die Mauer der im Dach eingelassenen Loggia. Überhaupt sei das ganze Haus Hochstraße 3 in die gegenständliche Mauer hineingebaut und eingearbeitet worden bzw. die Mauer mit dem Haus zu einer Einheit verarbeitet und verschmolzen worden, sohin eine einzige Gebäudeeinheit hergestellt worden. Da es sich somit um einen unselbstständigen Bestandteil der Hauptsache, nämlich des Hauses Hochstraße 3, handle, folge die Mauer dessen Schicksal und sei sonderrechtsunfähig. An Bestandteilen eines Gebäudes gebe es kein Sondereigentum. Somit sei die Beschwerdeführerin längst nicht mehr Eigentümerin des Grundstreifens mit der überbauten und verarbeiteten Hausmauer des Nachbargebäudes.

Die Beschwerdeführerin bestritt in ihrer Äußerung vom 27. April 2000 nicht die Richtigkeit des vermessungstechnischen Gutachtens, betonte jedoch, dass das Gutachten schon auf Grund der Aufgabenstellung am Kern der Sache vorbei gehe. Der formelle Grenzverlauf könne mit der baupolizeilichen Pflicht zur Erhaltung einer Baulichkeit in keinem rechtlichen Zusammenhang stehen, da eine Grundgrenze und das Eigentum an den Grenzgrundstücken bzw. Grenzbaulichkeiten nicht übereinstimmen müssten. Anhand eines vermessungstechnischen Gutachtens könne niemals die Rechtsfrage geklärt werden, wer Eigentümer eines Bauwerks im Sinne des § 33 NÖ BauO sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangt Behörde die Vorstellung der Beschwerdeführer als unbegründet ab. Die gemeindebehördliche Beurteilung, dass auf Grund der Beeinträchtigung der Standsicherheit und der Sicherheit von Personen und Sachen hinsichtlich der Mauer ein Baugebrechen im Sinne des § 33 BO vorliege, wurde nicht in Zweifel gezogen.

Bei der Frage des Eigentums an der Mauer handle es sich um eine zivilrechtliche Vorfrage nach § 38 AVG. Das Versäumungsurteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 5. Dezember 1997 stelle keine bindende Vorfragenentscheidung dar, da dessen Spruch der Beschwerdeführerin lediglich ein bestimmtes Verhalten, nämlich die Verhinderung des Eindringens von Feuchtigkeit in das Wohnzimmer der Ehegatten E auferlegt habe. Somit sei über die Eigentumsfrage nicht als Hauptfrage in einer der Rechtskraft fähigen Form abgesprochen worden. Daran ändere auch nichts, dass in diesem Urteil vom Eigentum der Vorstellungswerberin an dieser Mauer ausgegangen werde. Somit habe der Gemeinderat zu Recht die privatrechtliche Vorfrage nach eigener Anschauung beurteilt.

Es sei unbestritten, dass die Mauer und das Gebäude der Ehegatten E an dieser Mauer wie auch das in diesem Verfahren nicht zu beurteilende Gebäude der Beschwerdeführerin im Mittelalter errichtet worden und hierüber keine Aufzeichnungen mehr vorhanden seien. Hinsichtlich dieser Bauwerke sei schon im Hinblick auf diesen lange zurück liegenden Errichtungszeitpunkt vermuteter Konsens anzunehmen. Eine Klärung, welche Bauwerke zuerst auf welchen Grundstücken und von wem im Mittelalter errichtet worden seien sei auf Grund fehlender Unterlagen nicht möglich. Die von der Beschwerdeführerin diesbezüglich getätigten Überlegungen beruhten nur auf Mutmaßungen und würden daher für einen Beweis ihrer Ausführungen nicht genügen. Zur Beurteilung des Eigentums sei der laut vermessungstechnischem Gutachten seit 1817 unveränderte Grenzverlauf heranzuziehen. Diese Grundstücksgrenze sei durch die in diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Bauwerke hindurch festgelegt worden, sodass zumindest seit dem Jahre 1817 ohne Zweifel klargestellt sei, dass sich die vom baupolizeilichen Auftrag betroffene Mauer auf dem Grundstück Nr. 8/1 der Beschwerdeführerin befinde.

Nach der zwingenden Bestimmung des § 297 ABGB würden auf Dauer bestimmte Bauwerke unselbstständige Bestandteile des Grundstückes. Da es sich nicht um ein Superädifikat handle, gehe die Vorstellungsbehörde im Sinne des § 297 ABGB davon aus, dass die zu beurteilende Mauer durch die Grenzfestlegung des Jahres 1817 unselbstständiger Bestandteil des Grundstückes Nr. 8/1 geworden sei und diese somit in ihrem Eigentum stehe, da gemäß dem in § 431 ABGB und im Allgemeinen Grundbuchsgesetz verankerten Eintragungsgrundsatz die Erwerbung, Übertragung, Beschränkung und Aufhebung bücherlicher Rechte in der Regel nur durch die Eintragung im Grundbuch bewirkt werden könne. Anhaltspunkte dafür, dass ein außerbücherlicher Eigentumserwerb an der Mauer durch die Ehegatten E stattgefunden hätte, hätten sich im Verwaltungsverfahren nicht ergeben und hätte auch die Beschwerdeführerin eine diesbezügliche Vereinbarung nicht behauptet. Die Ehegatten E hätten einen derartigen Erwerb bestritten, sodass ein gutgläubiger Eigentumserwerb schon mangels eines diesbezüglichen Willens auszuschließen sei. Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte "Verarbeitung und Vereinigung" habe nicht nach der Grenzfestlegung im Jahre 1817 stattgefunden. Somit sei die Regel "superficies solo cedit" anzuwenden, derzufolge das Eigentum an einem Bauwerk dem Eigentum am Grundstück folge, weshalb davon auszugehen sei, dass die Beschwerdeführerin Eigentümerin der Mauer sei. Daran vermöge auch der Umstand dass die Mauer bereits seit dem Mittelalter als Außenwand des Gebäudes der Ehegatten E benutzt werde, nichts zu ändern. Dadurch sei von diesen lediglich eine Servitut ersessen worden, wodurch jedoch die Eigentumsverhältnisse nicht verändert würden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Feststellung der wahren Eigentumsverhältnisse an der Mauer, welche Gegenstand des Verwaltungsverfahrens war, im Zusammenhang mit der Anwendung des § 33 BO verletzt und macht darüber hinaus Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Marktgemeinde eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 33 Abs. 1 der Niederösterreichischen Bauordnung 1996 (BO) hat der Eigentümer eines Bauwerks dafür zu sorgen, dass dieses in einem der Bewilligung (§ 23) oder der Anzeige entsprechenden Zustand ausgeführt und erhalten wird. Er hat Baugebrechen, durch welche die Standsicherheit, die äußere Gestaltung, der Brandschutz, die Sicherheit von Personen und Sachen beeinträchtigt werden oder die zu unzumutbaren Belästigungen (§ 48) führen können, zu beheben. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung hat die Baubehörde nach Überprüfung des Bauwerks unter Gewährung einer angemessenen Frist die Behebung des Baugebrechens zu verfügen, wenn der Eigentümer seiner Verpflichtung nach Abs. 1 nicht nachkommt. Die Baubehörde darf in diesem Fall die Überprüfung durch Sachverständige durchführen lassen, die Vornahme von Untersuchungen und die Vorlage von Gutachten anordnen.

Zunächst ist festzuhalten, dass für den Verwaltungsgerichtshof kein Grund erkennbar ist, am Vorliegen eines Baugebrechens im Sinne des § 33 BO an der mittelalterlichen Mauer, die gleichzeitig einen Teil der Außenmauer des auf dem Grundstück Nr. 3033 errichteten Wohngebäudes bildet, zu zweifeln. Dies wurde bereits im Verfahren erster Instanz auf Grundlage des bautechnischen Gutachtens vom 17. März 1999, das in schlüssiger Art und Weise eine infolge Durchfeuchtung bevorstehende Beeinträchtigung der Standsicherheit sowie der Sicherheit von Personen und Sachen als gegeben erachtete, unbedenklich festgestellt. Die Beschwerdeführerin ist den gutachterlichen Ausführungen nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen getreten, sondern hat lediglich mit Bezugnahme auf die Entstehung des Gebäudes im Mittelalter behauptet, dieses sei schon immer feucht gewesen und es seien bisher keine wesentlichen oder erheblichen Schäden aufgetreten. Damit vermag die Beschwerdeführerin eine Unschlüssigkeit dieses Gutachtens nicht aufzuzeigen. Daraus, dass es noch nicht zum tatsächlichen Eintritt eines Schadens gekommen ist, kann keinesfalls auf das Nichtvorliegen der in § 33 Abs. 1 BO genannten Beeinträchtigungen geschlossen werden. Die Instandhaltungsverpflichtung nach § 33 Abs. 1 BO ist im Übrigen auch für ein im Zeitpunkt seiner Errichtung nicht bewilligungspflichtiges Bauwerk gegeben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1995, Zl. 95/05/0128). In einem solchen Fall kann zwar klarerweise ein konsentierter Zustand als Maßstab für die Qualität der Instandhaltung nicht herangezogen werden, dieser ist jedoch unmittelbar aus § 33 Abs. 1 BO zu erschließen, weshalb die dort angeführten Beeinträchtigungen vom Eigentümer jedenfalls zu beseitigen sind.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid zutreffend erkannt, dass die Frage, wer Eigentümer eines Bauwerkes ist, die Baubehörde als zivilrechtliche Vorfrage (§ 38 AVG) zu prüfen hat (vgl. das soeben zitierte Erkenntnis vom 10. Oktober 1995 m. w. H.). Sie führt weiters zutreffend aus, dass eine bindende Entscheidung dieser Vorfrage durch die hiefür zuständigen Zivilgerichte nicht erfolgt ist. Insbesondere kann im Versäumungsurteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 5. Dezember 1997 eine derartige, die Baubehörde bindende Entscheidung nicht erblickt werden. Ungeachtet dessen, dass in dessen Spruch auch von der "in ihrem Eigentum stehenden" Mauer die Rede ist, wollten die klagenden Ehegatten E die Beschwerdeführerin zu einem gewissen Verhalten verpflichten. Alleine dieses Klagebegehren wurde auch Inhalt des nach § 396 ZPO erlassenen Versäumungsurteiles. Die Klage und in der Folge das Versäumungsurteil war also auf eine Leistung der Beschwerdeführerin und nicht auf eine Feststellung des Eigentums an der Mauer gerichtet. Für die Beurteilung dieser privatrechtlichen Leistungsverpflichtung bildete das Eigentum der Beschwerdeführerin vielmehr wiederum nur eine Vorfrage, die infolge Fällung eines Versäumungsurteiles in der gerichtlichen Entscheidung gar nicht explizit behandelt wurde. Die in einem gerichtlichen Urteil vorgenommene Beurteilung einer Vorfrage für das Urteil entfaltet jedoch keine Bindungswirkung (Walter/Mayer, Verwaltungsverfahren7 (1999), Rz. 306, 309 und 311). Damit waren die Baubehörden ebenso wie die belangte Behörde nach § 38 AVG zur selbstständigen Beurteilung dieser Vorfrage angehalten.

Der vermessungstechnische Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass nach sämtlichen Katastralmappen die Grenze zwischen den Grundstücken Nr. 3033 und 8/1 nordöstlich der Mauer verlaufe, die Mauer also zum Grundstück Nr. 8/1 gehöre. Die belangte Behörde ist auf dieser Grundlage in Anwendung des sich aus § 297 ABGB ergebenden Grundsatzes "superficies solo cedit" in Verbindung mit dem in § 431 ABGB sowie § 4 des Allgemeinen Grundbuchsgesetzes verankerten Eintragungsgrundsatz zu dem Ergebnis gelangt, dass die Mauer im Eigentum der Beschwerdeführerin stehe.

Dabei übersieht die belangte Behörde jedoch, dass der Oberste Gerichtshof in seinem Beschluss vom 23. September 1997, Zl. 4 Ob 266/97i (SZ 70/185), den dort zitierten Auffassungen von Jabornegg, Der Grenzüberbau im österreichischen Recht, FS Eichler, S. 295 ff und Spielbüchler in Rummel, ABGB2, § 418, Rz 4 und 10, folgend, deutlich ausgesprochen hat, dass aus dem Rechtsgedanken des § 418 Satz 3 ABGB für bestimmte Fälle des Grenzüberbaues sowohl eine Durchbrechung des Grundsatzes "superficies solo cedit" als auch - damit verbunden - des Eintragungsgrundsatzes abzuleiten ist. Im Konfliktfall geht das Postulat korrespondierender Eigentumsverhältnisse an Grund und unteilbarem Gebäude dem Eintragungsgrundsatz vor. Derartige Schwierigkeiten treten dann auf, wenn das Gesetz ausnahmsweise dem Gebäudeeigentümer eine Eigentumsposition am überbauten Grundstück einräumt (vgl. auch ausführlich Mader, Der Grenzüberbau in der neueren Judikatur, bbl 1998, 111).

Dem Postulat korrespondierender Eigentumsverhältnisse an Grund und unteilbarem Gebäude entspricht wohl auch § 13 Abs 1 BO, wonach dann, wenn zwei Gebäude an einer Grundstücksgrenze eine gemeinsame Wand aufweisen und eines dieser Gebäude abgebrochen wird, die Baubehörde die Verlegung der Grundstücksgrenze zwischen den beiden Gebäuden zu verfügen hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom 25. Oktober 1994, Zl. 92/05/0122, unter Hinweis auf die jüngere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes die Auffassung vertreten, dass der Grenzüberbau zum Eigentumserwerb am Nachbargrundstück führen kann und zwar je nach den Umständen des Einzelfalles entweder nach § 418 dritter Satz ABGB oder analog zu den Vorschriften der §§ 415, 416 ABGB.

Im vorliegenden Fall ist die mittelalterliche Mauer (nach Demolierung des Altbestandes) mit dem Anbau des 1892 bewilligten Stallgebäudes, welches später in ein Wohngebäude umgebaut worden war, ein untrennbarer Bestandteil, nämlich eine Außenmauer dieses Gebäudes geworden. Somit liegt - ex post betrachtet - ein Grenzüberbau vor, wobei sich lediglich eine Mauer, also nur ein verhältnismäßig geringer Teil des Hauses, jenseits der Grenze befindet. Der Oberste Gerichtshof hat im soeben zitierten Beschluss den Fall, dass nur ein Randstreifen für das Nachbargebäude in Anspruch genommen wird, dem § 416 ABGB unterstellt, wonach dann, wenn fremde Materialien nur zur Ausbesserung einer Sache verwendet werden, die fremde Materie dem Eigentümer der Hauptsache zufällt. Diese Regelung passt nach der Anschauung des OGH nicht nur für die Ausbesserung, sondern auf jede Verbindung sehr ungleichwertiger Sachen.

Dieser Auffassung kann im gegebenen Fall bedenkenlos gefolgt werden, da die Beschwerdeführerin als (frühere) Eigentümerin der Nebensache dem Eigentumserwerb durch die Eigentümer der Hauptsache zugestimmt hat.

Der Verwaltungsgerichtshof verkennt nicht die Gefahr, dass bei Heranziehung der Rechtsprechung des OGH in der oben wiedergegebenen allgemeinen Form die Gefahr besteht, dass durch eine konsenslose Bauführung über der Grenze, den damit verbundenen Eigentumserwerb, und schließlich durch nachträgliche Baubewilligung das Erfordernis der Eigentümerzustimmung zum Nachteil des Eigentums des im Wege des Überbaus in Anspruch genommenen Nachbarn umgangen werden könnte, weil § 416 ABGB hinsichtlich der Eigentümerposition weder auf den Willen noch auf einen guten Glauben des Eigentümers der höherwertigen Sache abstellt. Darauf ist aber hier nicht weiter einzugehen, weil im vorliegenden Fall ein derartiger Missbrauch nicht zu befürchten ist, da sich die Beschwerdeführerin durch den Eigentumsübergang nicht beschwert erachtet.

In Fortführung des Gedankens des § 416 ABGB ist es auch einleuchtend, dass es für den Eigentumserwerb der Ehegatten E bzw. ihrer Rechtsvorgänger an der Mauer ohne Bedeutung ist, dass sich die Mauer schon lange Zeit zuvor an derselben Stelle befunden hat. Denn § 416 ABGB setzt stets zunächst abgesondertes Eigentum an Haupt- und Nebensache voraus. Erst eine Betrachtung der Funktion der Nebensache im Rahmen der verbundenen Sache führt zu dem Ergebnis, dass die Verbindung als untrennbar in dem Sinn anzusehen ist, dass eine Trennung wirtschaftlich unvernünftig (untunlich) wäre. Diese Voraussetzung ist auf Grund der nunmehrigen Verwendung des Mauerwerks als Außenmauer jedenfalls zu bejahen.

Dementsprechend ist davon auszugehen, dass der von der Mauer überbaute Teil des Grundstückes Nr. 8/1 und damit auch die Mauer selbst nicht im Eigentum der Beschwerdeführerin sondern in jenem der Ehegatten E steht. Die Erteilung des baubehördlichen Auftrages an die Beschwerdeführerin erweist sich somit gegenüber der Beschwerdeführerin als rechtsverletzend, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 23. September 2002

Schlagworte

Baupolizei Baupolizeiliche Aufträge Baustrafrecht Kosten Baugebrechen Instandhaltungspflicht Instandsetzungspflicht BauRallg9/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000050171.X00

Im RIS seit

29.11.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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