TE Vwgh Erkenntnis 2002/10/3 97/08/0626

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Veröffentlicht am 03.10.2002
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ABGB §1333;
ASVG §69 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Dr. H, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 13. Mai 1997, Zl. Vd-4462/2/Kn, betreffend Ablehnung eines Zinsenbegehrens (mitbeteiligte Partei: Tiroler Gebietskrankenkasse, Klara-Pölt-Weg 2, 6020 Innsbruck), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-

- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenbegehren der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 29. Mai 1989 wurde der Beschwerdeführer auf Grund von Beitragsprüfungen am 6. Dezember 1988 und am 27. Februar 1989 zur Zahlung von S 187.201,87 an Sozialversicherungsbeiträgen und Umlagen verpflichtet. Die belangte Behörde gab dem dagegen erhobenen Einspruch mit Bescheid vom 5. August 1992 teilweise Folge und setzte den Nachverrechnungsbetrag auf S 120.050,58 herab. Nach Aufhebung dieses Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 14. November 1995, Zl. 93/09/0127, gab die belangte Behörde mit Ersatzbescheid vom 11. Oktober 1996 dem Einspruch Folge und behob den angefochtenen Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 29. Mai 1989 ersatzlos.

Mit Schreiben vom 25. Oktober 1996 ersuchte der Beschwerdeführer die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse, die zu Ungebühr entrichteten Beiträge samt "Zinsenschaden bzw. Zinsenersatz" zurückzubezahlen. Er führte aus, er habe zumindest für den Zeitraum vom 23. April 1991 bis zum 2. Oktober 1995 einen Zinsschaden von mindestens 19 % pro Jahr erlitten, wobei er unter anderem auf ein gegen ihn eingeleitetes Versteigerungsverfahren zur Hereinbringung einer vollstreckbaren Forderung von S 3.901.777,66 samt mindestens 19 % Zinsen jährlich verwies. Auf Grund seiner gegebenen Bankverpflichtungen sei der Zinsschaden für die Zeit vor dem 23. April 1991 und für die Zeit nach dem 2. Oktober 1995 mit mindestens 10 % (jährlich) anzusetzen.

Mit Schreiben vom 7. November 1996 teilte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse mit, dass sie Beiträge in Höhe von S 120.050,58, Verzugszinsen auf Grund der Beitragsprüfung von S 49.144,66 und Vergütungszinsen in der Höhe von 4 % im Betrag von S 34.220,97 an den Beschwerdeführer überweise.

Mit dem antragsgemäß im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 13. Mai 1997 wurde festgestellt, dass die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse verpflichtet ist, dem Beschwerdeführer für die vom 7. Dezember 1989 bis zum 3. August 1992 ratenweise bezahlten Beiträge 4 % Zinsen zu leisten. Das darüber hinausgehende Zinsenbegehren wurde als unbegründet abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde - soweit für das vorliegende Verfahren noch von Bedeutung - aus, § 69 Abs. ASVG enthalte hinsichtlich der Frage der Verzinsung eine Lücke, die nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 13.796/1994, durch Analogie zu schließen sei. Demnach seien für eine zurückzuerstattende Geldsumme Vergütungszinsen, denen bereicherungsrechtlicher Charakter zukomme, in Höhe der gesetzlichen Zinsen zu leisten. Das über den gesetzlichen Zinssatz hinausgehende Zinsenbegehren sei unbegründet.

Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben. Dieser hat mit Beschluss vom 29. September 1997, B 1454/97, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend gemacht. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtig Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Auch die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat eine Gegenschrift erstattet, in der ebenfalls die kostenpflichtige Abweisung des Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 59 Abs. 1 und § 69 Abs. 1 ASVG lauten samt Überschrift:

"Verzugszinsen

§ 59. (1) Werden Beiträge nicht innerhalb von elf Tagen nach der Fälligkeit eingezahlt, so sind von diesen rückständigen Beiträgen, wenn nicht gemäß § 113 Abs. 1 ein Beitragszuschlag vorgeschrieben wird, Verzugszinsen in einem Hundertsatz der rückständigen Beiträge zu entrichten. Der Hundertsatz darf 8,5 v. H. nicht unterschreiten und 14 v.H. nicht überschreiten und ist innerhalb dieses Rahmens durch Verordnung unter Bedachtnahme auf den jeweiligen Nominalzinssatz für Bundesanleihen festzusetzen. Für rückständige Beiträge aus Beitragszeiträumen, die vor dem Wirksamkeitsbeginn einer Festsetzung des Hundertsatzes liegen, sind die Verzugszinsen, soweit sie in diesem Zeitpunkt nicht bereits vorgeschrieben sind, mit dem jeweils neu festgesetzten Hundertsatz zu berechnen. § 108 Abs. 3 der Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961, gilt entsprechend. Für die Berechnung der Verzugszinsen können die rückständigen Beiträge auf volle 10 S abgerundet werden.

Rückforderung ungebührlich entrichteter Beiträge

§ 69. (1) Zu Ungebühr entrichtete Beiträge können, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt wird, zurückgefordert werden. Das Recht auf Rückforderung verjährt nach Ablauf von fünf Jahren nach deren Zahlung. Der Lauf der Verjährung des Rückforderungsrechtes wird durch Einleitung eines Verwaltungsverfahrens zur Herbeiführung einer Entscheidung, aus der sich die Ungebührlichkeit der Beitragsentrichtung ergibt, bis zu einem Anerkenntnis durch den Versicherungsträger bzw. bis zum Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung im Verwaltungsverfahren unterbrochen."

In dem bereits erwähnten Erkenntnis VfSlg. 13.796/1994, hat der Verfassungsgerichtshof § 69 Abs. 1 ASVG in der Fassung BGBl. Nr. 676/1991 nicht als verfassungswidrig aufgehoben. Er ging davon aus, dass § 69 Abs. 1 ASVG hinsichtlich der Frage der Verzinsung eine Lücke enthalte, die durch Analogie zu schließen sei. Demnach seien im Falle der Verpflichtung zur Rückleistung zu Unrecht vereinnahmter Beiträge für die wegen mangelnden Rechtsgrundes zurückzuerstattenden Geldsummen Vergütungszinsen, denen bereicherungsrechtlicher Charakter zukomme, in Höhe der gesetzlichen Zinsen zu leisten. Damit erübrige sich eine analoge Heranziehung des § 59 ASVG.

Im Erkenntnis vom gleichen Tag, VfSlg 13.786/1994, hob der Verfassungsgerichtshof einen die Zahlung von Vergütungszinsen abweisenden Bescheid auf, weil die belangte Behörde durch ihre verfassungswidrige Auslegung des § 69 Abs. 1 ASVG das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt habe. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem - in derselben Sache ergangenen - Erkenntnis vom 24. Juni 1997, Zl. 95/08/0083, über eine Beschwerde gegen den lediglich 4 % Vergütungszinsen zusprechenden Ersatzbescheid zunächst klargestellt, dass er in dieser Beschwerdesache gemäß § 63 Abs. 1 VwGG an die Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes gebunden sei. Die (oben erwähnten) Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes im Gesetzesprüfungs- und im Beschwerdeverfahren enthielten keine Erwähnung der Rechtsvorschrift, durch deren analoge Anwendung die "Lücke", die § 69 Abs. 1 ASVG nach der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes "hinsichtlich der Frage der Verzinsung" enthalte, zu schließen sei. Der angenommene Regelungsinhalt entspräche in der Rechtsfolge (Zinsen "in Höhe der gesetzlichen Zinsen") dem § 1333 ABGB, doch komme diese Bestimmung trotz des Umstandes, dass der Verfassungsgerichtshof die "Lücke" aus dem Vergleich mit einer Vorschrift über Verzugszinsen ableitet und Verzugszinsen in einem anderen Erkenntnis auf bereicherungsrechtliche Gedanken zurückgeführt habe, als positivrechtlicher Anknüpfungspunkt des Analogieschlusses mangels Verzuges nicht in Betracht. Das Kondiktionsrecht des ABGB enthalte keine vergleichbare Vorschrift über einen Anspruch auf "gesetzliche Zinsen". Diese seien nur ein Anhaltspunkt bei der Bestimmung des konkreten Nutzens, den der redliche Bereicherte zu vergüten habe. Es stehe aber beiden Teilen frei, darzutun, dass der Vorteil geringer sei oder dass er die gesetzlichen Zinsen übersteige. Der Verfassungsgerichtshof gehe aber weder davon aus, dass die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr redlich gewesen sei, noch stelle der für das vorliegende Verfahren bindend bejahte Anspruch auf das Ausmaß des konkreten Nutzens ab.

Durch die Bejahung eines Anspruch auf "Vergütungszinsen in Höhe der gesetzlichen Zinsen" und durch die Berufung auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 24. April 1991, EvBl. 1991/138, die ihrerseits auf eine Entscheidung zu § 17 Abs. 2 Mietengesetz verweise, ziehe der Verfassungsgerichtshof einen Analogieschluss nicht zum Bereicherungsrecht des ABGB, sondern zu sondergesetzlichen Bestimmungen, nach denen das Empfangene "samt gesetzlichen Zinsen" zurückzuzahlen sei. Soweit der (damalige) Beschwerdeführer sein über den gesetzlichen Zinssatz hinausgehendes Begehren auf die Behauptung eines konkreten Nutzens der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse stütze, verweise der Verwaltungsgerichtshof auf die Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes, wonach § 69 Abs. 1 ASVG nur insoweit nicht "abschließend" sei, als der Gleichheitssatz die Annahme einer Lücke gebiete. Wenn der Verfassungsgerichtshof Vergütungszinsen "in der Höhe der gesetzlichen Zinsen" als ausreichend erachtet habe, um die von ihm angenommene Gleichheitswidrigkeit im Verhältnis zu Verzugszinsen zwischen 8,5 und 14 % (§ 59 Abs. 1 ASVG) zu beseitigen, so entspräche die Einräumung darüber hinausgehender Ansprüche nicht der für den Verwaltungsgerichtshof bindenden Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes.

Im vorliegenden Fall kann die im genannten Erkenntnis problematisierte Frage, ob die in verfassungskonformer Auslegung in § 69 Abs. 1 ASVG zu schließende Lücke nicht - wie der Verfassungsgerichtshof meint - nach sondergesetzlichen Bestimmungen (in der festen Grenzen der "gesetzlichen Zinsen"), sondern nach einem Analogieschluss zum Bereicherungsrecht des ABGB (mit der Möglichkeit, auf den konkreten Nutzen für den Empfänger abzustellen) zu schließen wäre, auf sich beruhen. Denn der Beschwerdeführer stützt seinen Anspruch auf die über den gesetzlichen Zinssatz hinausgehenden Zinsen auf keine der genannten, für die Schließung der Lücke allein in Frage kommenden Methoden, sondern auf das auf zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen deutende Vorbringen, ihm sei durch die Zahlung von Zinsen für aufgenommene Kredite ein von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse zu ersetzender Schaden entstanden. Der Verwaltungsgerichtshof ist aber nicht der Auffassung, dass eine verfassungskonforme Auslegung des § 69 Abs. 1 ASVG - über seine oben wiedergegebenen Überlegungen hinaus - auch die analoge Anwendung schadenersatzrechtlicher Bestimmungen erfordere.

Da der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid nicht in subjektiven Rechten verletzt wurde, war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das Kostenbegehren der nicht durch einen Rechtsanwalt vertretenen Gebietskrankenkasse war abzuweisen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 1998, Zl. 94/17/0385).

Wien, am 3. Oktober 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1997080626.X00

Im RIS seit

20.01.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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