TE Vwgh Erkenntnis 2002/10/3 98/08/0067

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Veröffentlicht am 03.10.2002
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Index

60/03 Kollektives Arbeitsrecht;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §49 Abs1;
AZG §10 Abs2 idF 1971/238;
AZG §10;
KollV eisen- und metallverarbeitende Industrie Pkt7 Z13;
KollV eisen- und metallverarbeitende Industrie Pkt7;

Beachte

Abweichende Rechtsprechung eines anderen Tribunal: mittlerweile gegenteilig OGH Urteil 27. Juni 2007, 8 ObA 82/06a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der M Aktiengesellschaft in W, vertreten durch Putz & Partner Rechtsanwälte (OEG) in 1030 Wien, Reisnerstraße 12/22, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 15. Jänner 1998, Zl. MA 15-II-M 35/97, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1103 Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) Aufwendungen von EUR 41,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenbegehren der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Einspruch der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 2. Juli 1997 abgewiesen und die Beschwerdeführerin damit verpflichtet, für die in der Anlage zum Bescheid der Gebietskrankenkasse genannten Dienstnehmer für die Zeit (von deren Beschäftigung) vom 1. Jänner 1993 bis 31. Dezember 1995 Beiträge und Umlagen in der Gesamthöhe von S 124.953,11 an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse nachzuentrichten.

Zwischen der Gebietskrankenkasse und der Beschwerdeführerin besteht Streit in der Frage der Einbeziehung von Montage-Zulagen in die Berechnungsgrundlage für Überstundenzuschläge. Während die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse davon ausgeht, dass die nach Punkt VII. des Kollektivvertrages für die eisen- und metallerzeugende und -verarbeitende Industrie vorgesehenen Montagezulagen Teil des "Normallohns" im Sinne des § 10 Abs. 2 AZG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 238/1971 und daher in die Berechnung des 50 %igen Überstundenzuschlages einzurechnen sind, beruft sich die Beschwerdeführerin auf Punkt XIV. Z. 13 dieses Kollektivvertrages. Danach beträgt die Überstundengrundvergütung und die Grundlage für die Berechnung (u.a.) der Überstundenzuschläge 1/143stel des monatlichen Lohns (Stundenlohn mal 167) ohne Zulagen und Zuschläge (ausgenommen der Vorarbeiterzuschlag).

Die belangte Behörde schloss sich der Rechtsauffassung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse an und begründete ihren Bescheid wie folgt:

"Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits mehrmals mit dem Begriff 'Normallohn' auseinandergesetzt. So hat er z.B. mit Erkenntnis vom 16.12.1987, 9 ObA 147/87, festgestellt, dass der Normallohn im Sinne des § 10 Abs. 2 erster Satz den Anspruch auf alle Entgeltsbestandteile (Zulagen, Zuschläge, Prämien, etc.) einschließt, die der Arbeitnehmer für die betreffende Arbeitsleistung zu erhalten hat, fielen sie in die normale Arbeitszeit im Sinne des AZG.

In diesem Erkenntnis hat er sich auch für eine enge Interpretation des Begriffes 'Berechnungsart' ausgesprochen und daher festgestellt, dass sich die in § 10 Abs. 2 dritter Satz AZG den Kollektivvertragspartnern eingeräumte Regelungsbefugnis nur auf die in § 10 Abs. 2 zweiter Satz AZG für Leistungslöhne bestimmte Berechnungsart bezieht.

Durch Kollektivvertrag kann daher wegen des unabdingbaren Inhalts des Begriffes 'Normallohn' weder der Anspruch als solcher ausgeschlossen werden, noch bestimmte Entgeltsbestandteile von der Einbeziehung in die Berechnungsgrundlage für den Überstundenzuschlag ausgeschlossen werden, noch kann die Höhe des Überstundenzuschlages unter den gesetzlichen Prozentsatz herabgesetzt werden (vgl. Erkenntnis vom 14.3.1990, Zl. 9 ObA 60/90).

Eine abweichende Regelung durch Kollektivvertrag ist somit nur bezüglich der in § 10 Abs. 2 Satz 2 AZG genannten Berechnungsart zulässig, nicht aber bezüglich der Berechnungsgrundlage. Es ist aber bei der Entscheidung darauf Bedacht zu nehmen, dass in den Fällen, in denen z.B. ein mehr als 100 %iger Zuschlag für bestimmte Überstunden vorgesehen ist, ein Verstoß gegen § 10 Abs. 2 Satz 1 AZG wegen der im Kollektivvertrag mit einem geringeren als dem Normallohn festgelegte Berechnungsgrundlage (nur Grundstundenlohn ohne Zulage und Zuschläge) für die Dienstnehmer günstiger sein kann (Zl. 9 ObA 147/87).

In den Fällen aber, in denen ausschließlich Normalüberstunden geleistet werden, wird der Dienstnehmer von der Begünstigung des Kollektivvertrages für höherwertige Überstunden ausgeschlossen, sodass durch die kollektivvertragliche Regelung eine Verschlechterung gegenüber den günstigeren Ansprüchen gemäß § 10 AZG eintritt, sodass die kollektivvertragliche Regelung unzulässig ist (vgl. auch Erkenntnis vom 14.3.1990, Zl. 9 ObA 60/90).

Mit Erkenntnis vom 6.4.1994, Zl. 9 ObA 604/93, hat der Oberste Gerichtshof bezüglich des Rahmenkollektivvertrages für die Arbeiter und Arbeiterinnen der chemischen Industrie, in dem ebenfalls ein privilegierter Teiler (1/165) vorgesehen ist, wieder entschieden, dass Zulagen, die einen Teil des Normallohnes bilden, der Disposition der Kollektivvertragsparteien hinsichtlich der Berechnungsgrundlage für die Überstunden nicht mehr zugänglich sind. Nur für den Fall, dass im Kollektivvertrag über § 10 AZG hinaus Ansprüche festgelegt werden, wie etwa der Anspruch auf einen 100 %igen Überstundenzuschlag für bestimmte Überstunden ist die Regelungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien nicht beschränkt. In diesem Umfang ist es auch zulässig, eine von § 10 Abs. 2 AZG abweichende Berechnungsgrundlage für die Ermittlung des Überstundenzuschlages zu statuieren, sofern der gesetzliche Mindestanspruch dadurch nicht unterschritten wird. Daraus folgt aber, dass Arbeitnehmer grundsätzlich Anspruch auf Einbeziehung der Zulagen in die Berechnung des Überstundenentgeltes haben, soweit im Kollektivvertrag nicht ohnehin ein höherer Zuschlag als 50 % vorgesehen ist.

Im gegenständlichen Fall kommt unbestritten der Kollektivvertrag für die eisen- und metallerzeugende und - verarbeitende Industrie zur Anwendung. Ebenso blieb unbestritten, dass es sich bei der laut Kollektivvertrag zu gewährenden Montagezulage, um einen Entgeltsbestandteil handelt.

Von der Einspruchswerberin wurde hingegen nicht vorgebracht, dass es sich um Überstunden handelt, für die den Dienstnehmern laut Kollektivvertrag ein höherer als in § 10 Abs. 1 AZG vorgesehener Zuschlag zu gewähren ist, sondern lediglich, dass die im Kollektivvertrag vorgesehene Berechnung des Überstundenzuschlages trotz Außerachtlassung der den Dienstnehmern zustehenden Montagezulage durch Anwendung eines kleineren Divisors (1/143) für die Dienstnehmer günstiger ist.

Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits festgestellt, dass selbst bei einem privilegierten Teiler, der günstiger ist als der in § 10 Abs. 2 zweiter Satz vorgesehene Durchschnitt der letzten 13 Wochen, nur in den Fällen, in denen auch ein höherer als in § 10 Abs. 1 AZG vorgesehener Zuschlag gewährt wird, die Außerachtlassung der Zulagen bei der Berechnungszulage für den Dienstnehmer günstiger sein kann, keinesfalls aber in den Fällen in denen bloß Normalüberstunden (d.h. mit nur 50 %igem Zuschlag) geleistet werden. Die im anzuwendenden Kollektivvertrag vorgesehene Berechnung der Überstunden ohne Berücksichtigung der Zulagen ist in diesen Fällen als eine für die Dienstnehmer ungünstigere Regelung nichtig. Zum Vorbringen, durch den privilegierten Teiler seien bestimmte Überstunden pauschal abgegolten, wird bemerkt, dass dies aus dem Kollektivvertrag nicht hervorgeht (zu den Voraussetzungen für eine wirksame Vereinbarung von Überstundenpauschalen (siehe auch Erkenntnis vom 1.7.1987, Zl. 9 ObA 36/87).

Wie oben bereits ausgeführt, erwies sich die Bestimmung des anzuwendenden Kollektivvertrages bezüglich Normalüberstunden (Berechnung ohne Einbeziehung der Zulagen) als unzulässig. Die Wiener Gebietskrankenkasse hat daher zu Recht die Montagezulagen in die Bemessungsgrundlage einbezogen, sodass der Einspruch abzuweisen war."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und erklärt, von der Erstattung einer Gegenschrift abzusehen. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ob ein Anspruch auf einen Geld- oder Sachbezug (worunter nach dem hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1959, Slg. Nr. 5144/A, auch das Überstundenentgelt zu verstehen ist) besteht, ist - wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat - nach zivilrechtlichen (arbeitsrechtlichen) Grundsätzen zu beurteilen. Danach bleibt die Regelung der Frage, ob ein Dienstnehmer überhaupt einen arbeitsrechtlichen Anspruch hat, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen und in welchem Umfang er besteht und wann er fällig ist, sofern keine gesetzliche Grundlage besteht (hier aber: § 10 Arbeitszeitgesetz), einer Vereinbarung (Einzel- oder Kollektivvertrag), mangels einer solchen (vgl. die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes ArbSlg. 10.086) dem Ortsgebrauch überlassen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 1984, Zl. 81/08/0211 mit zahlreichen Hinweisen, und jenes vom 22. Jänner 1991, Zl. 89/08/0279).

Gemäß § 10 AZG gebührt für Überstunden ein Zuschlag von 50 %, wobei der Berechnung des Zuschlages gemäß § 10 Abs. 2 AZG (in der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Fassung vor der Novelle zum AZG BGBl. I Nr. 46/1997; seither inhaltlich unverändert § 10 Abs. 3 AZG) der auf die einzelne Arbeitsstunde entfallende Normallohn zugrunde zu legen ist. Bei der Auslegung des Begriffes Normallohn ist nach herrschender Lehre und der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (zum Folgenden vgl. OGH 14. März 1990, 9 ObA 60/90 mit Literaturhinweisen; ebenso OGH 6. April 1994, 9 ObA 604/93) davon auszugehen, dass die Überstundenarbeit regelmäßig eine Fortsetzung jener Tätigkeit ist, die der Dienstnehmer in der Normalarbeitszeit verrichtet. Basis für die Berechnung ist also jenes Entgelt, das er zu bekommen hätte, wenn die Arbeitsleistung in der Normalarbeitszeit erbracht worden wäre. Wohl kann nach § 10 Abs. 2 letzter Satz AZG durch Kollektivvertrag eine andere Berechnungsart vereinbart werden. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift spricht jedoch für ein enges Verständnis der kollektivvertraglichen Regelungsbefugnis. Nach der ursprünglichen Fassung des § 10 AZG konnte durch Kollektivvertrag nämlich sowohl der prozentmäßige Zuschlag beliebig geregelt als auch eine andere Berechnungsart vereinbart werden. Seit der Novelle 1971 kann der 50 %ige Zuschlag durch Kollektivvertrag nicht mehr zu Lasten der Arbeitnehmer verändert werden. Wollte man den Begriff "Berechnungsart" weit auslegen, so käme dem Kollektivvertrag jedenfalls im Ergebnis wieder ein ganz erheblicher Einfluss auf die Höhe der Überstundenvergütung zu. Dies ist mit der Zweckbestimmung des Gesetzes aber nicht vereinbar. Durch Kollektivvertrag kann weder die Berechnungsgrundlage abweichend vom Gesetz geregelt werden (es können also zB nicht bestimmte Entgeltbestandteile von der Einbeziehung in die Berechnungsgrundlage für den Überstundenzuschlag ausgeschlossen werden) noch kann die Höhe des Überstundenzuschlags unter den gesetzlichen Prozentsatz herabgesetzt werden. Mit diesen Grundsätzen steht eine kollektivvertragliche Regelung, derzufolge der Überstundenzuschlag im Fall einer überkollektivvertraglichen Entlohnung auf der Basis des kollektivvertraglichen Normalstundenlohnes zu leisten ist, in Widerspruch. Normallohn im Sinne des § 10 Abs. 2 AZG ist das gesamte Entgelt einschließlich aller Bestandteile. Eine Überzahlung gegenüber dem kollektivvertraglichen Lohn ist ein Teil des Normallohnes im Sinne dieser Bestimmung und bei der Ermittlung des Überstundenzuschlages zu berücksichtigen. Soweit der Kollektivvertrag in diesem Zusammenhang Bestimmungen enthält, welche die Rechtsstellung der Dienstnehmer gegenüber der gesetzlichen Norm des § 10 AZG verschlechtern, ist er nichtig. Den Dienstnehmern stehen jedenfalls die Ansprüche auf Grund der zitierten gesetzlichen Bestimmung zu. Nur soweit im Kollektivvertrag über § 10 AZG hinaus Ansprüche festgelegt werden, etwa der Anspruch auf einen 100 %igen Überstundenzuschlag für bestimmte Überstunden, ist seine Regelungsbefugnis nicht beschränkt.

Der Verwaltungsgerichtshof teilt die dargelegte Rechtsansicht des OGH. Punkt XIV. 13. des KV für die eisen- und metallerzeugende und -verarbeitende Industrie schließt dementgegen Zulagen und Zuschläge von der Berücksichtigung bei der Berechnung des Überstundenzuschlages aus. Die beschwerdeführende Gesellschaft übersieht dies nicht, vertritt jedoch die Auffassung, dass die Regelung des Kollektivvertrages deshalb wirksam wäre, weil sie günstiger sei als jene des Gesetzes: Die Bemessungsbasis für den 50 %igen Überstundenzuschlag sei im Kollektivvertrag nämlich insoweit günstiger geregelt, als Grundlage für die Berechnung des Überstundenzuschlages die Überstundengrundvergütung sei, die (aus dem Monatsbezug) mittels eines Teilers von 1/143 ermittelt werde (gemeint: günstiger gegenüber einem sich bei einer 40-Stundenwoche auf den Monat bezogen rechnerisch ergebenden "Normalteiler" von ca. 1/171, wie er § 10 Abs. 2 AZG dieser Auffassung zufolge als stillschweigend zugrundegelegt zu unterstellen wäre). Die sich daraus ergebende höhere Ausgangsgröße für den Zuschlag von 50 % führe zu einem höheren Überstundenentgelt, als sich im Falle der Einbeziehung der Montagezulage ohne Anwendung des günstigeren Teilungsfaktors ergäbe. Die Beschwerdeführerin beruft sich zur Stützung ihrer Rechtsauffassung auf eine zum Kollektivvertrag für das eisen- und metallverarbeitende Gewerbe (der im Wesentlichen im Verhältnis zum Industriekollektivvertrag gleichlautende Regelungen enthielt) ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 16. Dezember 1987, 9 ObA 147/87, in der dieser unter inhaltlicher Bezugnahme auf den in diesem Kollektivvertrag vorgesehenen Teilungsfaktor von 1/160 (ab 1. Jänner 1987), bzw. 1/155 (ab 1. Jänner 1988) sowie 1/150 (ab 1. Jänner 1989) u.a. ausgeführt hatte:

"Geht man von einem auch durch kollektivvertragliche Normen nicht abdingbaren Inhalt des Begriffes 'Normallohn' aus, kommt die kollektivvertragliche Regelung nur so weit zum Tragen, als sie für den Arbeitnehmer günstiger ist. Wird der durch Anwendung eines kleineren Divisors (Überstundenteilers) gewährte Vorteil geringer als die durch die Herabsetzung der Berechungsgrundlage auf den bloßen Grundstundenlohn verursachten Nachteile, gilt die gesetzliche Regelung."

Die belangte Behörde tritt dieser Auffassung mit dem Argument entgegen, der OGH sei in seiner Entscheidung vom 6. April 1994, 9 ObA 604/93, (wohl gemeint: implizit) nicht von der Zulässigkeit eines solchen Günstigkeitsvergleiches ausgegangen, obwohl auch der damals anzuwendende Kollektivvertrag für die Arbeiter und Arbeiterinnen in der chemischen Industrie einen "privilegierten Teiler" (1/165) vorgesehen habe.

Gegen dieses Argument lässt sich zunächst - anders als es die Beschwerdeführerin sieht - nicht von vornherein einwenden, der privilegierte Teiler im hier anzuwendenden Kollektivvertrag (1/143) sei deutlich günstiger als jener des KV der chemischen Industrie (1/160), sodass die spätere Rechtsprechung der früheren schon deshalb nicht widerspreche, da es auf diesen Unterschied bei einem rein rechnerisch vorzunehmenden Günstigkeitsvergleich, wie ihn die Beschwerdeführerin anstellen möchte, nicht ankommen kann:

Dieser Unterschied hätte nur zur Konsequenz, dass bei einem höheren Teilungsfaktor die Grenze der Gesetzwidrigkeit eben früher erreicht wäre.

Es ist vielmehr der Rechtsauffassung der belangten Behörde (und jener des OGH, die sich allerdings bloß implizit aus dessen jüngerer Rechtsprechung ergibt, ohne dass das hier zu behandelnde Problem erörtert worden wäre) beizupflichten. Der Verwaltungsgerichtshof vermag sich nämlich der dem Standpunkt der Beschwerdeführerin Rechnung tragenden Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 16. Dezember 1987 aus folgenden Gründen nicht anzuschließen:

Abgesehen davon, dass diese Rechtsauffassung - wie der darauf bezughabende, oben vollständig wiedergegebene Teil der Entscheidungsgründe zeigt - ohne weitere Begründung vertreten wurde, wird damit übersehen, dass der "privilegierte Teiler" nach dem klaren Wortlaut der Kollektivvertragsbestimmung für die Berechnung der Überstundengrundvergütung keinesfalls nur dann gelten soll, wenn im Normallohn iS des § 10 Abs. 2 AZG Zulagen und Zuschläge enthalten sind (an deren Stelle zu treten er danach bestimmt wäre). Dieser "Teiler" kommt vielmehr in ganz gleicher Weise jenen Arbeitnehmern zugute, in deren Normallohn solche Zulagen und Zuschläge gar nicht enthalten sind. Während somit der günstigere Teilungsfaktor allen Dienstnehmern zugute kommt, trifft die ungünstigere Regelung über die Nichteinbeziehung der Zulagen und Zuschläge in die Berechnungsbasis naturgemäß nur jene Dienstnehmer, die über solche Entgeltbestandteile verfügen. Der Teilungsfaktor hätte im Günstigkeitsvergleich also verschiedene Funktionen zu erfüllen, je nachdem auf welchen Dienstnehmer er anzuwenden ist. Es kann daher nicht gesagt werden, dass der Teilungsfaktor und die Nichtberücksichtigung der Zulagen und Zuschläge miteinander in einem solchen systematischen Zusammenhang stehen, der den von der Beschwerdeführerin befürworteten Günstigkeitsvergleich rechtlich zu tragen vermöchte. Viel näher liegt vielmehr die Annahme, dass die erforderliche Anpassung der (bis dahin zulässigen) Kollektivvertragsbestimmung an § 10 Abs. 2 AZG in der Fassung der AZG-Novelle 1971 unterlassen wurde.

Die untersuchte kollektivvertragliche Regelung führt aber auch zu nicht unbeträchtlichen Verzerrungen bei der Berechnung des Überstundenzuschlages, da dieser - sieht man vom Vorarbeiterzuschlag einmal ab - bei gleichem Grundgehalt für Dienstnehmer mit und für Dienstnehmer ohne Zulagen und Zuschläge stets gleich hoch wäre. Gerade ein solches Ergebnis will § 10 Abs. 2 AZG in der Fassung der erwähnten Novelle aber vermeiden:

Durch das (auch durch Kollektivvertrag nicht abdingbare) Abstellen auf den Normallohn soll gerade sichergestellt werden, dass Unterschiede desselben auch bei der Verrichtung von Überstunden in deren Entlohnung ihren Niederschlag finden.

Auch vor dem Hintergrund des sozialpolitischen Zwecks des § 10 Abs. 2 AZG (zur Maßgeblichkeit des sozialpolitischen Zwecks der Norm im Rahmen eines Günstigkeitsvergleichs vgl. Spielbüchler, Arbeitsrecht I4, 101) geht daher der von der Beschwerdeführerin angestellte Günstigkeitsvergleich schon im Ansatz fehl.

Die den Ausschluss der Berücksichtigung von Zulagen und Zuschlägen bewirkende Norm des Kollektivvertrages verstößt aus den dargelegten Gründen gegen § 10 Abs. 2 AZG und ist daher nichtig.

Da sich der angefochtene Bescheid somit als frei von Rechtsirrtum erweist, war die Beschwerde gem. § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das Kostenersatzbegehren der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse war abzuweisen, weil deren Gegenschrift nicht durch einen Rechtsanwalt eingebracht wurde.

Wien, am 3. Oktober 2002

Schlagworte

Entgelt Begriff Überstunden Kollektivvertrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1998080067.X00

Im RIS seit

03.02.2003

Zuletzt aktualisiert am

22.09.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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