TE Vwgh Erkenntnis 2002/10/3 97/08/0640

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Veröffentlicht am 03.10.2002
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ABGB §1409 Abs1;
ASVG §67 Abs6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der Tiroler Gebietskrankenkasse in Innsbruck, vertreten durch Dr. Hans-Peter Ullmann und Dr. Stefan Geiler, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Andreas-Hofer-Straße 6, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 28. Oktober 1997, Zl. Vd-4293/8/Kn, betreffend Haftung gemäß § 67 Abs. 6 ASVG (mitbeteiligte Partei: S in R), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 15. Februar 1995 sprach die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse aus, dass die mitbeteiligte Partei gemäß § 67 Abs. 6 Z. 1 ASVG als Nachfolgerin in der Führung des Omnibusbetriebes ihres Ehemanns, Winfried K., verpflichtet sei, rückständige Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von S 632.078,57 zu bezahlen. In dem dagegen erhobenen Einspruch führte die mitbeteiligte Partei aus, Winfried K. sei Eigentümer des nichtprotokollierten Einzelunternehmens "Winfried K., Autoreisen, Reisebüro, Handel mit Kfz-Ersatzteilen" in R. Er habe dieses Unternehmen bis zum 20. Juni 1994 betrieben. Zum Pachtvertrag mit der Mitbeteiligten sei es gekommen, weil ein über das Vermögen ihres Ehemannes im Juni 1994 eingebrachter Konkursantrag mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 23. August 1994 mangels Vermögens abgewiesen worden sei. Da nach den Bestimmungen der Gewerbeordnung damit auch die Gewerbeberechtigungen zu entziehen gewesen seien, habe sie sich entschlossen, das Unternehmen ab dem 20. Juni 1994 für die Dauer von drei Monaten zu pachten, um die Existenz ihrer Familie sicherzustellen. Sie habe im Zuge von Versteigerungsverfahren einige Fahrzeuge ersteigert und führe mit diesen das Unternehmen weiter. Der Pachtvertrag sei immer wieder verlängert worden.

Die Beitragsschulden ihres Mannes habe sie nicht gekannt und trotz ihrer Stellung im Betrieb ihres Mannes auch nicht kennen können. Sie habe nur gewusst, dass die allgemeine Situation des Betriebes sehr schlecht gewesen sei und dass ihr Mann hohe Schulden gehabt habe, ohne jedoch Details zu kennen. Sie habe das kundenorientierte Tagesgeschäft im Reisebüro abgewickelt, sei aber für das EDV-geführte Rechnungswesen nicht zuständig gewesen und habe auch nicht mit Computern umgehen können. So sei sie auf die Angaben ihres Ehemannes über seine Schulden angewiesen gewesen. Ihr Mann habe ihr im Frühjahr 1994 erklärt, dass er rund S 300.000,-- an die Gebietskrankenkasse bezahlt habe und daher von dieser Seite jetzt endlich Ruhe sei. Sie habe daher gar nicht auf die Idee kommen können, dass bei der Gebietskrankenkasse noch hohe Außenstände offen seien. Sie habe auch nie mit Vertretern der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse gesprochen. Das tatsächliche Ausmaß der Beitragsschulden sei ihr erst lange nach Beginn ihrer selbständigen Tätigkeit anlässlich der Zustellung einer Lohnexekution der Gebietskrankenkasse an ihren Ehemann bekannt geworden.

Sie habe wesentliche Teile des Unternehmens - die für ein Autobusunternehmen entscheidenden Betriebsmittel, nämlich Autobusse - im Zuge von Vollstreckungsverfahren erworben. Auch aus diesem Grunde sei die Betriebsnachfolge ausgeschlossen.

Der von der belangten Behörde vernommene Steuerberater des Mannes der mitbeteiligten Partei, Dkfm. Erwin B., gab an, Winfried K. sei im März 1994 mit dem Ersuchen an ihn herangetreten, die Steuerberatung für seinen Betrieb zu übernehmen und die Geschäftsbilanz für das Jahr 1992 zu erstellen. Er habe den Eindruck gewonnen, dass eine Sanierung des Betriebes nicht mehr möglich sei. Er habe die Bilanzen für das Jahr 1992 und 1993 nicht gemacht, weil er gesehen habe, "dass jeder Schilling für diesen Betrieb verloren ist". Auf seine dringende Empfehlung habe K. am 26. Juni 1994 einen Konkursantrag eingebracht. Um die laufenden Geschäfte abwickeln zu können, sei ein Pachtvertrag mit der mitbeteiligten Partei abgeschlossen worden. Nach seinem Wissenstand sei bei Abschluss des Pachtvertrages von der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse "keine wesentliche Forderung zu erwarten" gewesen. Zum damaligen Zeitpunkt habe er nicht angenommen, "dass Haftungsforderungen von Seiten der Gebietskrankenkasse gegenüber Frau K. geltend gemacht werden."

Winfried K. gab vor der belangten Behörde an, dass er seiner Frau mitgeteilt habe, einen größeren Betrag (S 240.000,-- oder S 300.000,--) an die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse bezahlt zu haben und dass er daher annehme, jetzt längere Zeit von der Gebietskrankenkasse Ruhe zu haben. Seine Frau habe bei Abschluss des Pachtvertrages nur von großen Bankenforderungen, nicht jedoch von den Beitragsforderungen der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse gewusst. Sie habe erst nach dem Abschluss des Pachtvertrages anlässlich einer gegen ihn geführten Lohnexekution der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse von den Beitragsforderungen erfahren. Von den Schulden seines Betriebes sei bei Abschluss des Pachtvertrages "nur im Globalen" gesprochen worden, "aber nicht im Detail".

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch der mitbeteiligten Partei Folge und sprach aus, dass diese die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von S 632.078,52 nicht zu bezahlen habe.

Sie stellte folgenden Sachverhalt fest:

"Winfried K. betrieb bis 20. 6. 1994 ein Omnibusunternehmen mit Reisebüro und Handel mit Kfz-Ersatzteilen in R. Aus dieser Betriebsführung schuldet Winfried K. der Tiroler Gebietskrankenkasse bis 20. 6. 1994 Sozialversicherungsbeiträge für die Monate Dezember 1993 bis einschließlich Juni 1994, sowie einen Teil aus der Prüfungsnachrechnung vom 7. 12. 1994 in der Höhe von S 632.078,57 samt Nebengebühren. Dieser Betrieb wurde von der Einspruchswerberin (der mitbeteiligten Partei) ab 21. 6. 1994 auf Grund des Pachtvertrages vom 20. 6. 1994 weitergeführt. Der Antrag auf Konkurseröffnung über das Vermögen dieses Unternehmens vom 9. 6. 1994 wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 23. 8. 1994 mangels hinreichenden Vermögens abgewiesen. Da die Sozialversicherungsbeiträge bei Winfried K. nicht einbringlich waren, wurde die Einspruchswerberin als Betriebsnachfolgerin mit dem angefochtenen Bescheid verpflichtet, die Sozialversicherungsbeiträge in der oben angeführten Höhe zu entrichten.

Dieser aushaftende Betrag verringert sich jedoch um S 219.089,08. Dieser Betrag wurde nämlich an die Tiroler Gebietskrankenkasse vom Insolvenzausgleichsfond erstattet, sodaß nur mehr ein Betrag in der Höhe von S 412.989,49 aushaftet.

Aus der Prüfungsnachrechnung vom 7. 12. 1994, bei der Sozialversicherungsbeiträge in der Höhe von S 132.188,77 nachverrechnet wurden, sind im oben angeführten Haftungsbetrag nur der für den Zeitraum vom 21. 6. 1993 bis 21.6.1994 nachverrechnete Teilbetrag in der Höhe von S 48.781,77 enthalten.

(...)

Die Einspruchswerberin war bis zum Abschluß des Pachtvertrages im Betrieb ihres Ehegatten und zwar stundenweise im Reisebüro und in der restlichen Zeit als Verkäuferin und Fakturantin beim Handel mit Kfz-Ersatzteilen beschäftigt. Mit der Buchhaltung und Lohnverrechnung war sie nicht befaßt. Die Buchhaltungsarbeiten erledigte bis Ende Feber 1994 Frau Andrea B. und in der Folgezeit Herr Gerhard B. Die Lohnverrechnung wurde zuerst von Gerhard B., in späterer Folge von Frau Bor. und anschließend im Steuerberatungsbüro des Dkfm Erwin B. durchgeführt.

Die Einspruchswerberin hat nur bei Geschäften, die sie mit Kunden, insbesonders Reiseveranstaltern, abgewickelt hat, Korrespondenzarbeiten erledigt. Ansonsten hat sie keine Korrespondenzarbeiten durchgeführt. Sie nahm die Postsendungen entgegen, öffnete sie - mit Ausnahme jener Poststücke, die persönlich an ihren Ehegatten adressiert waren - und brachte die Postsendungen zum Postamt.

Bei der Exekutionsmaßnahme des Bezirksgerichtes R. vom 1. 12. 1993 (betreibende Partei: die Tiroler Gebietskrankenkasse; verpflichtete Partei: Winfried K.) war laut Vollzugsbericht die Einspruchswerberin anwesend, bei den nachfolgenden Exekutionsmaßnahmen war stets Winfried K. anwesend.

Im Frühjahr 1994 hat Winfried K. der Einspruchswerberin mitgeteilt, daß er einen größeren Betrag (ca. S 300.000,-- an die Einspruchsgegnerin (die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse)) gezahlt hat und nun ein großer 'Brocken' den Betrieb nicht mehr belaste. Winfried K. hat am 4. 2. 1994 und am 25. 3. 1994 Zahlungen an die Einspruchsgegnerin in der Höhe von ca. S 300.000,-

- geleistet.

Bei Abschluß des Pachtvertrages hatte die Einspruchswerberin nur Kenntnis von Bankschulden und von Forderungen der Wiener Allianz. Von Beitragsforderungen der Einspruchsgegnerin hatte sie jedoch keine Kenntnis. Auf Grund der oben angeführten Zahlungen nahm die Einspruchsgegnerin an, dass ihr Gatte gegenüber der Einspruchsgegnerin keine Verbindlichkeiten mehr hatte."

Rechtlich folgerte die belangte Behörde, es sei der Nachweis erbracht, dass die mitbeteiligte Partei die Beitragsschulden ihres Ehegatten nicht kannte und "auch als Ehegattin nicht kennen konnte". Der Haftungsausschlusstatbestand des § 67 Abs. 6 letzter Halbsatz ASVG sei erfüllt.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 67 ASVG in der Fassung der 41. Novelle, BGBl. Nr. 111/1986,

lautet auszugsweise:

"(4) Wird ein Betrieb übereignet, so haftet der Erwerber für Beiträge, die sein Vorgänger zu zahlen gehabt hätte, unbeschadet der fortdauernden Haftung des Vorgängers sowie der Haftung des Betriebsnachfolgers nach § 1409 ABGB unter Bedachtnahme auf § 1409a ABGB und der Haftung des Erwerbers nach § 25 des Handelsgesetzbuches für die Zeit von höchstens zwölf Monaten vom Tag des Erwerbes zurückgerechnet. Im Fall einer Anfrage beim Versicherungsträger haftet er jedoch nur mit dem Betrag, der ihm als Rückstand ausgewiesen worden ist.

(5) Abs. 4 gilt nicht bei einem Erwerb aus einer Konkursmasse oder im Zuge eines Vollstreckungsverfahrens.

(6) Geht der Betrieb auf

1.

einen Angehörigen des Betriebsvorgängers gemäß Abs. 7,

2.

eine am Betrieb des Vorgängers wesentlich beteiligte Person gemäß Abs. 8 oder

              3.              eine Person mit wesentlichem Einfluß auf die Geschäftsführung des Betriebsvorgängers (zB Geschäftsführer, leitender Angestellter, Prokurist)

über, so haftet dieser Betriebsnachfolger ohne Rücksicht auf das dem Betriebsübergang zugrunde liegende Rechtsgeschäft wie ein Erwerber gemäß Abs. 4, solange er nicht nachweist, daß er die Beitragsschulden nicht kannte bzw. trotz seiner Stellung im Betrieb des Vorgängers nicht kennen konnte.

(7) Angehörige gemäß Abs. 6 Z. 1 sind:

1.

der Ehegatte;

2.

die Verwandten in gerader Linie und die Verwandten zweiten und dritten Grades in der Seitenlinie, und zwar auch dann, wenn die Verwandtschaft auf einer unehelichen Geburt beruht;

..."

Wie sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 67 Abs. 6 ASVG ergibt, regelt diese Bestimmung nicht wie § 67 Abs. 4 ASVG eine Erwerberhaftung, sondern eine Betriebsnachfolgehaftung "ohne Rücksicht auf das dem Betriebsübergang zugrunde liegende Rechtsgeschäft". Der Erwerber haftet bei einem solchen "Betriebsübergang" wie ein Erwerber gemäß Abs. 4. Für die Haftung nach § 67 Abs. 6 ASVG kommt es daher auf das Vorliegen eines Veräußerungsgeschäftes nicht an.

Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, dass die Verpachtung des vom Ehemann der mitbeteiligten Partei geführten Einzelunternehmens an die mitbeteiligte Partei nach § 67 Abs. 6 ASVG - bei Erfüllung der weiteren dort genannten Voraussetzungen - eine Beitragshaftung begründet (vgl. zu den allgemeinen Voraussetzungen einer solchen Haftung das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1991, Zl. 89/08/0211).

Die belangte Behörde hat die Haftung der mitbeteiligten Partei schon deshalb verneint, weil sie zur Auffassung gelangte, dass es dieser gelungen sei nachzuweisen, dass sie die Beitragsschulden ihres Mannes nicht kannte und gar nicht kennen konnte.

Gegen diese Feststellung wendet sich die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse mit dem Vorwurf, die belangte Behörde habe aktenwidrige Feststellungen getroffen und ihre Feststellungen unzureichend bzw. überhaupt nicht begründet. Aber auch auf der Grundlage der von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen ergebe sich, dass die mitbeteiligte Partei entsprechende Erkundigungen hätte einziehen müssen, was ihr sowohl möglich als auch zumutbar gewesen wäre. Eine einfache Rückfrage beim Steuerberater des Ehemannes der mitbeteiligten Partei bzw. eine einfache Einsicht in die zur Verfügung gestandene Saldenliste hätte zu Tage gebracht, dass rückständige Beitragsverbindlichkeiten gegenüber der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse bestanden hätten. Sollte die mitbeteiligte Partei die Beitragsschulden nicht ohnedies gekannt haben, so sei ihre Unkenntnis darauf zurückzuführen, dass sie es fahrlässig unterlassen habe, entsprechende Erkundigungen einzuziehen. Sie hätte nicht nur ihren Ehemann (detailliert) über den Stand der Verbindlichkeiten befragen müssen, sondern sie hätte auch in die Bücher Einsicht nehmen müssen, Geschäftsaufzeichnungen prüfen und die letzten Prüfungs- und Rückstandsbescheide abverlangen müssen.

Bereits die Rechtsrüge führt die Beschwerde zum Erfolg.

Nach den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zur 41. Novelle des ASVG (774 Blg. NR. XVI. GP. 27 f) sollte mit der Neufassung unter anderem der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Rechnung getragen werden, wonach unter dem Betriebsnachfolger jene Person zu verstehen sei, die den Betrieb ... auf Grund eines Veräußerungsgeschäftes mit dem Betriebsvorgänger erworben habe. Der neue Abs. 6 sollte die missbräuchliche Umgehung der Erwerberhaftung nach Abs. 4 verhindern. Das Naheverhältnis der in Abs. 6 aufgezählten Personen zum Betriebsvorgänger erleichtere nämlich den Abschluss von anderen Rechtsgeschäften als Veräußerungsgeschäften (z.B. Pacht), die die Erwerberhaftung nach Abs. 4 nicht eintreten lassen. In manchen Fällen könnten derartige Rechtsgeschäfte auch nur zum Schein abgeschlossen werden, um ein tatsächlich vorliegendes Veräußerungsgeschäft zu verdecken. Die in Abs. 6 aufgezählten Personen sollten aber die Möglichkeit haben, sich durch den Nachweis, dass sie die Beitragsschulden nicht kannten bzw. trotz ihrer Stellung im Betrieb des Vorgängers nicht kennen konnten (Beweislastumkehr gemäß § 67 Abs. 6 letzter Halbsatz ASVG), von der Haftung zu befreien.

Die Einschränkung der Haftung durch die genannte Gesetzesstelle auf jene Schulden, die der Betriebsnachfolger (bei der Übergabe) kannte oder kennen musste, ist dem § 1409 Abs. 1 ABGB nachgebildet (allerdings durch die erwähnte Beweislastumkehr erschwert worden), zu der die ordentlichen Gerichte in ständiger Rechtsprechung die Auffassung entwickelt haben, dass der Sorgfaltspflicht des Erwerbers etwa durch Einsichtnahme in die Geschäftsbücher, Befragung des Vorgängers über den Stand der Passiven und genaue Prüfung der auf diese Weise hervorgekommenen oder sonst bekannten Schulden entsprochen werde. Die bloße Befragung des Veräußerers (bzw. Betriebsvorgängers) befreie nicht von der Pflicht zur Einsichtnahme in die Geschäftsbücher. Gerade ein Unternehmensübergang erfordere besondere Sorgfalt, sodass die Haftung nach § 1409 ABGB bereits dann eintrete, wenn den Übernehmer an der mangelhaften Klärung der Schuldenlast des Übergebers auch nur ein leichtes Verschulden treffe. Der Pflicht, den Gesamtschuldenstand des Betriebsvorgängers sorgfältig zu überprüfen, könne auch nicht (allein) dadurch nachgekommen werden, dass der Betriebsnachfolger eine Auskunft des Steuerberaters des Betriebsvorgängers einhole (OGH 29. Juni 1982, 5Ob 647/82 = GesRZ 1982, 321; Schwimann, Praxiskommentar zum ABGB2, RZ 29 zu § 1409).

Nach den Feststellungen war der mitbeteiligten Partei bekannt, dass ihr Ehemann schwer verschuldet war. Am 9. Juni 1994 war ein Konkursantrag über das Vermögen des Ehemannes gestellt worden. Durch den Abschluss eines Pachtvertrages sollte die Fortführung des Unternehmens - zumindest für einen gewissen Zeitraum - sicher gestellt werden. Bereits am 1. Dezember 1993 fand in Anwesenheit der mitbeteiligten Partei eine Exekutionsmaßnahme zur Hereinbringung der Beitragsforderungen der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse gegen den Ehemann der mitbeteiligten Partei statt. Unter diesen Umständen hätte sich die mitbeteiligten Partei nicht mit der Auskunft ihres Ehemannes im Frühjahr 1994 begnügen dürfen, dass er einen größeren Betrag (S 300.000,--) an die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse gezahlt habe und nun ein großer "Brocken" den Betrieb nicht mehr belaste. Sie hätte sich vielmehr - im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung - einen Überblick über sämtliche aushaftende Forderungen, insbesondere die nach der behaupteten Zahlung des erwähnten Betrages noch offenen Forderungen der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse verschaffen müssen, etwa durch Einsichtnahme in die Geschäftsbücher, zielgerichtete Fragen an ihren Ehemann sowie an ihren Steuerberater bzw. an die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse selbst. Es kann somit aus rechtlicher Sicht keine Rede davon sein, dass der mitbeteiligten Partei der Nachweis gelungen sei, sie habe ohne ihr Verschulden von den Verbindlichkeiten ihres Ehemannes gegenüber der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse keine Kenntnis gehabt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde zu berücksichtigen haben, dass eine zusätzliche Voraussetzung für Erwerberhaftung nach § 67 Abs. 6 iVm Abs. 4 ASVG darin besteht, dass der mitbeteiligten Partei auf Grund des eingegangenen Pachtverhältnisses jene Betriebsmittel zugekommen sein müssen, die die wesentliche Grundlage des Betriebes des Betriebsvorgängers gebildet haben und sie in die Lage versetzen, den Betrieb fortzuführen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 1. Dezember 1992, Zl. 88/08/0078). Obgleich der im Verwaltungsakt erliegende Pachtvertrag zwischen der mitbeteiligten Partei und ihrem Ehemann Anhaltspunkte in diese Richtung liefert, hat die belangte Behörde hiezu keine Feststellungen getroffen und ist insbesondere dem Einspruchsvorbringen der mitbeteiligten Partei nicht nachgegangen, wonach sie "wesentliche Teile des Unternehmens" im Zuge eines Vollstreckungsverfahrens erworben habe. Diesem Umstand könnte im Hinblick auf den Haftungsausschluss des § 67 Abs. 5 ASVG Bedeutung zukommen (vgl. zur Anwendung des § 67 Abs. 5 ASVG auch in den Fällen des § 67 Abs. 6 ASVG die hg. Erkenntnisse vom 7. April 1992, Zl. 91/08/0041, und vom 28. April 1992, Zl. 90/08/0168).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 3. Oktober 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1997080640.X00

Im RIS seit

20.01.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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