TE Vfgh Erkenntnis 1999/10/6 B434/98, 442/98

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Veröffentlicht am 06.10.1999
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
RAO §2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und der Berufsausbildung durch Nichtanrechnung einer Teilzeitbeschäftigung bei einem Rechtsanwalt auf die zwingend vorgeschriebene Verwendungspraxis für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft; Analogieschluß im Sinne des Gebots der verfassungskonformen Interpretation zur Schließung der bezüglich der Anrechnung von Teilverwendungen vorliegenden planwidrigen Gesetzeslücke geboten

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und der Berufsausbildung verletzt worden.

Die Bescheide werden daher aufgehoben.

Die Rechtsanwaltskammer Wien ist schuldig, den Beschwerdeführern jeweils die mit S 29.500,-- bestimmten Kosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.1. Mit Schreiben vom 3. September 1996 stellte Mag. G S (der Beschwerdeführer der zu B434/98 im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof protokollierten Beschwerde) den Antrag auf Anrechnung seiner (Teilzeit-)Beschäftigung als Rechtsanwaltsanwärter im Ausmaß von 20 Stunden pro Woche bei Rechtsanwalt Dr. T H vom 27. November 1995 bis zum 31. August 1996 auf die zwingend bei einem Rechtsanwalt im Inland zu erwerbende Verwendungspraxis gemäß §2 Abs1 RAO idF BGBl. 1985/556; eventualiter stellte er den Antrag, ihm die bezeichnete Beschäftigung als Alternativ- oder Ersatzpraxis anzurechnen.

1.2. Mit Schreiben vom 22. Jänner 1997 beantragte Dr. I U (die Beschwerdeführerin der zu B442/98 im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof protokollierten Beschwerde) bei der Rechtsanwaltskammer Wien, ihr neben anderen Tätigkeiten auch die elfmonatige Verwendung bei Rechtsanwalt Dr. W V im Ausmaß von 20 Wochenstunden zur Hälfte und die achtmonatige Verwendung bei Rechtsanwalt Dr. H S im Ausmaß von drei Tagen pro Woche auf die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung zu zwei Drittel gemäß §2 Abs1 RAO idF BGBl. 1985/556 anzurechnen.

2. In beiden Beschwerdefällen wurde das Begehren, die Teilzeitbeschäftigung bei einem Rechtsanwalt gemäß §2 Abs1 RAO idF BGBl. 1985/556 aliquot anzurechnen, jeweils mit Beschluß der Abteilung II des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien abgewiesen. Es wurde in der Folge auch in beiden Fällen der Vorstellung mit Beschluß des Plenums des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien keine Folge gegeben.

3. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) und stellten darin den Antrag, die angefochtenen Beschlüsse aufzuheben bzw. dahingehend abzuändern, daß ihre in Teilzeitbeschäftigung absolvierte praktische Verwendung bei Rechtsanwälten zumindest als Alternativ- oder Ersatzpraxis gemäß §2 Abs1 erster Satz zweiter Halbsatz RAO aliquot angerechnet werde. Diesen Berufungen wurde mit Bescheiden der OBDK vom jeweils 12. Dezember 1997 keine Folge gegeben. In beiden Fällen begründete die OBDK ihre Entscheidung damit, daß nach §2 Abs1 dritter Satz RAO die Anrechnung der praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt eine hauptberufliche Tätigkeit bei dem betreffenden Rechtsanwalt voraussetze. Eine derartige hauptberufliche Verwendung könne bei einer Teilzeitbeschäftigung im Ausmaß von zwanzig Wochenstunden bzw. von drei Tagen pro Woche nicht angenommen werden. Die begehrte Anrechnung der Beschäftigung der Berufungswerber als Alternativ- oder Ersatzpraxis komme deshalb nicht in Betracht, weil die zitierte Bestimmung nur auf eine praktische Verwendung anwendbar sei, die nicht bei einem Rechtsanwalt, sondern bei einer der dort taxativ aufgezählten Institutionen bzw. Berufsgruppen zu absolvieren sei, was in den konkreten Fällen auch eine Prüfung der Frage der Dienlichkeit der Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft entbehrlich mache.

4. Gegen diese Bescheide der OBDK wenden sich die

vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden, in welchen die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und der Berufsausbildung bzw. die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt wird.

5. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, verzichtete jedoch auf die Erstattung einer Gegenschrift.

II.Der Verfassungsgerichtshof hat die Verfahren über die beiden Beschwerden in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm.

§35 VerfGG 1953 zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbunden.

III.Der Verfassungsgerichtshof

hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:

1.1. Die angefochtenen Bescheide stützen sich insbesondere auf §2 Abs1 RAO idF des Bundesgesetzes BGBl. 1985/556; diese Bestimmung (die für die vorliegenden Beschwerdefälle nicht maßgebliche Fassung der RAO-Novelle BGBl. I 1999/71 ist hier nicht berücksichtigt - es wird auch in weiterer Folge von dieser und nicht von der derzeit geltenden Rechtslage ausgegangen) sowie deren Abs2 und 3 idF des Bundesgesetzes BGBl. 1992/176 lauten:

"§2

(1) Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; sie kann außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bestehen. Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur ist der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten. Die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt ist nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird.

(2) Die praktische Verwendung im Sinn des Abs1 hat fünf Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen.

(3) Auf die Dauer der praktischen Verwendung, die nicht zwingend bei Gericht oder einem Rechtsanwalt im Inland zu verbringen ist, sind auch anzurechnen:

1. Zeiten des Doktoratsstudiums bis zum Höchstausmaß von sechs Monaten, wenn an einer inländischen Universität der akademische Grad eines Doktors der Rechtswissenschaften nach dem Bundesgesetz vom 2. März 1978, BGBl. Nr. 140, über das Studium der Rechtswissenschaften erlangt wurde;

2. eine im Sinn des Abs1 gleichartige praktische Verwendung im Ausland, wenn diese Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich gewesen ist."

1.2.1. In der zu B434/98 vor dem Verfassungsgerichtshof protokollierten Beschwerde anerkennt der Beschwerdeführer zunächst die Rechtsauffassung der belangten Behörde, wonach die Anrechnung der Tätigkeit als Rechtsanwaltsanwärter auf die zwingend bei einem Rechtsanwalt zu absolvierende dreijährige Ausbildungszeit (§2 Abs2 zweiter Satz RAO) nur bei hauptberuflicher Beschäftigung bei einem Rechtsanwalt im Sinne der täglichen Normalarbeitszeit von 40 Wochenstunden möglich sei. Wenn die belangte Behörde die Teilzeitbeschäftigung bei einem Rechtsanwalt auch hinsichtlich der im Höchstausmaß von 15 Monaten anrechenbaren Ausbildungszeit, die nicht zwingend bei Gericht oder einem Rechtsanwalt im Inland zu verbringen sei (sog. Alternativ- oder Ersatzpraxis), gänzlich unberücksichtigt lasse, unterstelle sie dem §2 Abs1 erster Satz zweiter Halbsatz RAO iVm. §2 Abs1 dritter Satz RAO einen verfassungswidrigen Inhalt. Es könne keinen sachlich gerechtfertigten Grund dafür geben, daß etwa die Tätigkeit als Vertragsassistent an einem Universitätsinstitut im Ausmaß von 20 Wochenstunden als Alternativ- oder Ersatzpraxis aliquot angerechnet werden könne, die (Teilzeit-)Verwendung bei einem Rechtsanwalt hingegen nicht. Die Auslegung des Gesetzes dahingehend, bei einem Rechtsanwalt könnten einrechenbare Ausbildungszeiten nur bei Vollbeschäftigung im Ausmaß von 40 Wochenstunden gewonnen werden, bei den anderen in §2 Abs1 erster Satz zweiter Halbsatz RAO genannten Ausbildungsstellen bei Teilzeitbeschäftigung hingegen auch anteilig, verletze ihn in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Freiheit der Erwerbsbetätigung, Freiheit der Berufsausbildung und Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz.

Die Nichtanrechnung dieser Ausbildungszeit auf anrechenbare Zeiten der Alternativ- oder Ersatzpraxis im Höchstausmaß von 15 Monaten stelle ihn schlechter als einen Absolventen dieser Alternativ- oder Ersatzpraxis, dem seine Teilzeitbeschäftigung nach der Rechtsprechung der OBDK aliquot angerechnet werde. Es gebe keine sachliche Rechtfertigung dafür, daß eine Halbtagsbeschäftigung bei einem Rechtsanwalt für die spätere Ausübung der Rechtsanwaltschaft weniger dienlich sein könne als etwa eine Halbtagsbeschäftigung bei einer Verwaltungsbehörde, bei einem Steuerberater oder an einer Hochschule. Aufgrund des persönlichen Kontakts zum Rechtsanwalt sei die Auseinandersetzung mit dem späteren Beruf viel intensiver als bei jenen, die etwa halbtags bei einer der in §2 Abs1 erster Satz zweiter Halbsatz RAO genannten Einrichtungen tätig seien. Für den Fall, daß die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Bestimmung des §2 Abs1 RAO idF BGBl. 1985/556 einer verfassungskonformen Auslegung nicht zugänglich sei, stütze sich der angefochtene Bescheid auf ein verfassungswidriges Gesetz.

1.2.2. Die zu B442/98 vor dem Verfassungsgerichtshof protokollierte Beschwerde unterscheidet sich in ihrer Argumentation nur unwesentlich von der Beschwerde B434/98. Im Gegensatz zu dieser Beschwerde vermeint die Beschwerdeführerin, daß die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes sowie des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und Berufsausbildung primär im Gesetz selbst - nämlich in §2 Abs1 dritter Satz RAO - liege.

2.1. Zur behaupteten Verfassungswidrigkeit des §2 Abs1 RAO idF BGBl. 1985/556:

Der Verfassungsgerichtshof sieht sich aufgrund der Beschwerdevorbringen nicht dazu veranlaßt, ein Gesetzesprüfungsverfahren in bezug auf die den Bescheiden zugrunde liegenden Bestimmungen des §2 Abs1 RAO idF BGBl. 1985/556 einzuleiten. Der Gerichtshof hegte schon bislang gegen §2 Abs1 RAO idF BGBl. 1985/556, der im Zusammenhalt mit den Absätzen 2 und 3 dieser Vorschrift anordnet, daß angehende Rechtsanwälte Rechtskenntnisse und sonst für den Beruf des Rechtsanwaltes erforderliche Kenntnisse und Fähigkeiten vornehmlich bei einem inländischen Rechtsanwalt und bei Gericht zu erwerben haben, wobei in eingeschränktem Maße eine Ausbildung in anderen Berufen - bei denen eine fachspezifische Aus- und Weiterbildung gesichert ist - für zulässig erklärt wird, keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. VfSlg. 12337/1990, 12670/1991, 12700/1991, 13560/1993, 14205/1995, 14410/1996; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des §2 Abs1 dritter Satz RAO - vgl. zuletzt VfSlg. 14873/1997).

2.2.1. Die Beschwerden sind jedoch - soweit sie eine verfassungswidrige Interpretation der den Bescheiden zugrunde liegenden Rechtsvorschriften durch die belangte Behörde behaupten - im Recht: Die gänzliche Nichtanrechnung der (rechtsberuflichen) Teilzeitbeschäftigung bei einem Rechtsanwalt auf die Ausbildungszeiten, die nicht zwingend bei einem Gericht oder bei einem Rechtsanwalt im Inland zu verbringen sind, würde zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führen und läge auch nicht in der Intention des Gesetzgebers.

2.2.2. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschrift kann eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 12670/1991) nur vorliegen, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hätte.

Eine Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und der Berufsausbildung läge diesfalls nur vor, wenn die Behörde das Gesetz denkunmöglich angewendet hätte (vgl. VfSlg. 10413/1985, 12700/1991).

Nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes verbietet es der Gleichheitsgrundsatz dem Gesetzgeber, andere als sachlich begründbare Differenzierungen zu schaffen (VfSlg. 8169/1977). Gesetzliche Differenzierungen müssen aus Unterschieden im Tatsächlichen ableitbar sein (VfSlg. 4392/1963), die darüber hinaus wesentlich sein müssen (VfSlg. 11190/1986).

2.2.3. Nach erfolgreichem Abschluß des nach §1 Abs2 RAO erforderlichen Studiums hat die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung insgesamt fünf Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens drei Jahre hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit bei einem Rechtsanwalt zu verbringen. (Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur wird der Tätigkeit bei einem Rechtsanwalt uneingeschränkt gleichgesetzt). Die Anrechnung einer in §2 Abs1 erster Satz zweiter Halbsatz RAO (rechtsberuflichen) Alternativ- oder Ersatzpraxis bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde (wobei der Begriff der Verwaltungsbehörde extensiv zu interpretieren ist - vgl. VfSlg. 13560/1993), einer Hochschule oder bei einem beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater ist mit maximal fünfzehn Monaten begrenzt.

§2 Abs1 RAO idF BGBl. 1985/556 läßt für diese Tätigkeiten die Anrechnung einer Teilzeitbeschäftigung zu: So ist - wie die OBDK bereits mehrfach ausgesprochen hat - für die Alternativ- oder Ersatzpraxis auch eine Halbtagsbeschäftigung bis zum gesetzlichen Höchstmaß von fünfzehn Monaten (aliquot) anrechenbar (vgl. etwa OBDK 1.2.1993, Bkv 8/91). Die Anrechnung einer Teilzeitverwendung bei einem Rechtsanwalt ist im Gesetz (in der hier maßgeblichen Fassung vor der RAO-Novelle BGBl. I 1999/71) nicht ausdrücklich vorgesehen.

Die gänzliche Nichtanrechnung einer Teilzeitbeschäftigung bei einem Rechtsanwalt wäre daher nur bei strikter Wortinterpretation des §2 Abs1 dritter Satz RAO möglich; ein derartiges Ergebnis unterstellt jedoch dem verfassungsrechtlich unbedenklichen §2 Abs1 RAO idF BGBl. 1985/556 einen gleichheitswidrigen Inhalt, weil es jene Rechtsanwaltsanwärter, die - wie in den vorliegenden Beschwerdefällen - nur halbtags oder drei Tage pro Woche bei einem Rechtsanwalt beschäftigt sind, gegenüber jenen, die eine - weniger berufsspezifische - Alternativ- oder Ersatzpraxis in Teilzeitverwendung in 20 Stunden pro Woche absolvieren, ohne sachlich gerechtfertigten Grund diskriminiert. Die Teilzeitbeschäftigung bei einem Rechtsanwalt kann hinsichtlich ihrer Anrechenbarkeit keinesfalls anders bewertet werden als eine Teilzeitbeschäftigung im Rahmen der für die Anrechenbarkeit zulässigen Alternativ- oder Ersatzpraxis.

Wenn die belangte Behörde nun argumentiert, §2 Abs1 dritter Satz RAO schließe bereits die Anrechenbarkeit einer rechtsberuflichen Teilzeitbeschäftigung bei einem Rechtsanwalt aus, ist ihr entgegenzuhalten, daß sich diese Bestimmung nur auf die zwingend erforderliche dreijährige Tätigkeit bei einem Rechtsanwalt bezieht. Nur für diese dreijährige Praxis ist eine Anrechnung einer Teilzeitbeschäftigung bei einem Rechtsanwalt ausgeschlossen. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg. 14873/1997 ausgeführt hat, ist diese dreijährige hauptberufliche Tätigkeit bei einem Rechtsanwalt sachlich gerechtfertigt,

"weil durch eine solche Tätigkeit gewährleistet ist, daß der Rechtsanwaltsanwärter umfassend mit allen Facetten des Berufsbildes des Rechtsanwaltes vertraut gemacht werden kann. Darüber hinaus wird dem ausbildenden Rechtsanwalt durch den mit der hauptberuflichen Beschäftigung des Rechtsanwaltsanwärters verbundenen intensiven persönlichen Kontakt die Möglichkeit eingeräumt, sich umfassend Kenntnis von den einzelnen Fähigkeiten des Rechtsanwaltsanwärters zu verschaffen und die Ausbildung entsprechend zu gestalten".

Es fehlt jedoch (in der hier maßgeblichen Fassung des §2 Abs1 RAO vor der RAO Novelle BGBl. I 1999/71) eine Regelung, die eine (aliquote) Anrechnung für eine rechtsberufliche Teilzeitverwendung bei einem Rechtsanwalt auf die - für die Anrechnung nur in Betracht kommende - fünfzehnmonatige Ausbildungszeit, die nicht zwingend bei Gericht oder einem Rechtsanwalt im Inland zu verbringen ist, vorsieht. So läßt sich unter dem Wortlaut der Bestimmung des §2 Abs1 erster Satz zweiter Halbsatz RAO die (aliquote) Anrechnung einer Teilzeitbeschäftigung bei einem Rechtsanwalt nicht subsumieren, weil diese Bestimmung nur Alternativ- oder Ersatztätigkeiten erfaßt - also jene Tätigkeiten, die nicht bei Gericht oder bei einem Rechtsanwalt im Inland zu verbringen sind. Es geht jedoch weder aus diesem Wortlaut noch aus dem Sinn des §2 RAO idF BGBl. 1985/556 noch aus den Gesetzesmaterialien zu den Novellen 1973 (BGBl. 1973/570) und 1985 (BGBl. 1985/556) des §2 Abs1 RAO die Absicht des Gesetzgebers hervor, die Anrechnung einer (rechtsberuflichen) Teilzeitbeschäftigung bei einem Rechtsanwalt zur Gänze unberücksichtigt zu lassen. Aus dem offenkundigen Zweck des Gesetzes, die Ausbildung bei einem Rechtsanwalt in den Mittelpunkt der Ausbildung eines Rechtsanwaltsanwärters zu stellen, kann dagegen geschlossen werden, daß hier eine planwidrige Gesetzeslücke vorliegt, die im Hinblick auf das Gebot der verfassungskonformen Interpretation im Wege der analogen Anwendung des §2 Abs1 erster Satz zweiter Halbsatz RAO iVm. §2 Abs2 RAO zu schließen ist.

2.2.4. Die für die Anrechnung relevanten Zeiten einer Halbtagsbeschäftigung bzw. einer Beschäftigung von drei Tagen pro Woche bei den in den Anträgen im Verfahren vor dem Kammerausschuß genannten Rechtsanwälten hätten daher aliquot angerechnet und der Berufung durch die OBDK Folge gegeben werden müssen. Durch deren gänzliche Nichtanrechnung wurde dem Gesetz fälschlich ein gleichheitswidriger Inhalt unterstellt und wurden die Beschwerdeführer dadurch im Gleichheitsrecht verletzt. Damit steht zugleich fest, daß die belangte Behörde das Gesetz denkunmöglich ausgelegt und die Beschwerdeführer durch die Nichtanrechnung einer Teilzeitbeschäftigung bei einem Rechtsanwalt im Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und der Berufsausbildung verletzt hat.

Die Bescheide waren daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer (jeweils) in der Höhe von S 4.500,-- enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte Berufsrecht, Auslegung verfassungskonforme, Analogie, Rechtsanwälte Ausbildung, Erwerbsausübungsfreiheit, Berufsausbildungsfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B434.1998

Dokumentnummer

JFT_10008994_98B00434_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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