TE Vwgh Erkenntnis 2002/10/22 2001/11/0245

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.10.2002
beobachten
merken

Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein;

Norm

ImpfSchG §1;
ImpfSchG §1a;
ImpfSchG §1b Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. Michael Franz Sauerzopf, Rechtsanwalt in 7000 Eisenstadt, Neusiedler Straße 24-26, gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen vom 15. März 2001, Zl. 141.895/1-8/01, betreffend Entschädigung nach dem Impfschadengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben an das Bundessozialamt Wien Niederösterreich Burgenland vom 27. April 1998 stellten die Eltern als gesetzliche Vertreter des am 28. Dezember 1992 geborenen Beschwerdeführers den Antrag auf Entschädigung nach dem Impfschadengesetz mit der Begründung, der Beschwerdeführer sei ein gesundes Kind gewesen, habe im Alter von 13 Monaten kurz nach einer Impfung einen starken Krampfanfall erlitten und sei seither schwerst behindert.

Die Erstbehörde holte ein Gutachten des Sachverständigen Univ. Prof. Dr. G. ein. Dieser kam in seinem Gutachten vom 19. November 1998 zu dem Ergebnis, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer Impfung und der beim Beschwerdeführer aufgetretenen Erkrankung nicht gegeben sei, weil kein enger zeitlicher Zusammenhang mit einer Impfung bestehe und die genau dokumentierte Symptomatik des "Schadensereignisses" nicht mit einer Polio-Impfung in Konnex zu bringen sei. Die unbefriedigende Tatsache, dass die Ätiologie der Erkrankung des Beschwerdeführers nicht endgültig habe geklärt werden können, reiche für die Anerkennung eines Impfschadens nicht aus.

Mit Bescheid vom 23. April 1999 wies die Erstbehörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 27. April 1998 gemäß § 1b Abs. 2 und 3 Impfschadengesetz ab und stützte sich in der Begründung im Wesentlichen auf das Gutachten des Sachverständigen Univ. Prof. Dr. G.

In der dagegen erhobenen Berufung wurde geltend gemacht, es sei nicht überprüft worden, welcher Impfstoff verwendet worden sei, sodass nicht gesagt werden könne, ob eine Kontraindikation gegeben gewesen wäre. Wenn der Beschwerdeführer an "latenter Leukodystrophie" gelitten haben sollte, hätte er nicht geimpft werden dürfen. Aus den Aufzeichnungen des Kinderarztes ergebe sich, dass ca. vier Wochen nach der Impfung ein Strabismus links festgestellt worden sei. Dieser sei als negative Erstreaktion auf die Impfung anzusehen und liege noch innerhalb der so genannten Inkubationszeit.

In dem von der belangten Behörde eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr. W. vom 1. Oktober 1999 wurde nach Darstellung der Vorgeschichte, der Angaben der Eltern bei der Untersuchung am 26. August 1999 sowie dem objektiven neurologischen und psychiatrischen Befund Folgendes ausgeführt:

"DIAGNOSE

1.) neurologisch

Hochgradig ausgebildete Tetraspastik mit athetoiden Hyperkinesen an den oberen Extremitäten, Astasie und Abasie bei zerebral-organischem Prozess, entsprechend den bisher durchgeführten Untersuchungen auf Basis einer zerebralen Leukodystrophie.

2.) psychiatrisch

Höhergradige organische Demenz mit fehlender Sprachentwicklung auf Basis eines, im 2. Lebensjahr abgelaufenen, zerebralorganischen Prozesses.

BEURTEILUNG

Eine familiäre Belastung mit organneurologischen Erkrankungen konnte beim Betroffenen nicht erhoben werden. Außenanamnestisch wird von den Angehörigen und vom behandelnden Kinderarzt mitgeteilt, dass gravierende Erkrankungen vor der akut einsetzenden neurologischen Symptomatik am 25. Jänner 1994 nie bestanden hätten. Ab dem 4. Lebensmonat sind die üblichen Impfungen, wie im Karteiauszug Dris. P. vom 6. Oktober 1997 aufgelistet, verabfolgt worden, zuletzt am 6. (richtig: 16.) November 1993 Polio III im 11. Lebensmonat. Nebenwirkungen oder Komplikationen sind nach den Impfungen im 4., 5., 6. und 11. Lebensmonat nicht aufgetreten. Die neurologische Symptomatik begann nach einem Intervall von 9 Wochen ab der letzten Polio-Impfung und hat eine eingehende stationäre Durchuntersuchung und Behandlung an der Kinderabteilung des AÖ KH Wiener Neustadt und anschließend an der Universitätskinderklinik in Wien erfordert. Von wesentlicher Bedeutung erscheint bei Studium der Befunde, welche im akuten Stadium der Erkrankung erhoben wurden, dass ein entzündliches Geschehen des Liquors und des Zentralnervensystems ausgeschlossen werden konnte. Die an der Univ. Kinderklinik in Wien erhobenen chemischen und Laborbefunde haben eine weitere spezielle Einordnung der akut aufgetretenen Erkrankung, welche im cranialen Computertomogramm und dem Magnetresonanz-Tomogramm des Schädels als Leukodystrophie diagnostiziert werden konnte, nicht möglich gemacht.

Bei der ätiologischen Einordnung einer Leukodystrophie muss zwischen genetischen, metabolischen, neuroimmunologischen und entzündlichen Faktoren unterschieden werden. Im speziellen Falle kann aus der Entwicklung ein entzündliches Geschehen, aus den oben angeführten Gründen, ausgeschlossen werden, ein genetischer Faktor ist aus der berichteten Familienanamnese nicht bekannt und aus den vorliegenden Unterlagen ein metabolisches Geschehen nicht ausreichend tragfähig belegbar. In der wissenschaftlichen Literatur konnte nun keine Publikation gefunden werden, welche auf einen Kausalzusammenhang zwischen Polio-Immunisierung und Manifestation einer Leukodystrophie hinweisen würde. Ein solcher Konnex ist auch von theoretisch-pathophysiologischer Seite aus als extrem schwer vorstellbar zu bezeichnen, weil die Poliomyelitis ausschließlich die graue Substanz des Nervensystems befällt und die vorliegende Leukodystrophie ausschließlich zur Demyelinisierung, das heißt zur Erkrankung der weißen Substanz des Nervensystems, führt. Als neurologische Komplikation der Polio-Impfung sind bekannt und beschrieben: am häufigsten die so genannte vaccine assoziierte paralytische Poliomyelitis (VAPP), die Querschnittsmyelitis, das Guillain-Barre-Syndrom und die periphere Facialisparese. Einer der wesentlichsten Faktoren, die gegen einen Kausalkonnex der Polio-Impfung mit der aufgetretenen neurologischen Erkrankung sprechen ist das lange latente Intervall von 9 Wochen zwischen Impfung und Einsetzen der neurologischen Akutsymptomatik. Die Konsiliarbesprechungen mit den oben angeführten neurologischen und Impf-Fachleuten haben übereinstimmend ergeben, dass in der Literatur ein vergleichbarer Fall, wie gegenständlich zu beurteilen, nicht beschrieben ist, aus theoretischen neuropathophysiologischen Gründen eine Impfkomplikation im Sinne der Auslösung einer Leukodystrophie extrem schwer vorstellbar ist und die lange Dauer der Latenzfrist zwischen Impfung und Auftreten der massiven Demyelinisierung im Bereich der Großhirnhemisphären einen solchen Konnex praktisch ausschließt.

Bei der Beurteilung von unerwünschten Nebenwirkungen von Arzneimitteln im weitesten Sinne des Wortes bezüglich eines Kausalkonnexes ist die Einstufung nach folgender Skala durchzuführen:

Der Zusammenhang kann:

erwiesen

wahrscheinlich

möglich

unwahrscheinlich

ausschließbar

oder auf Grund mangelnder Unterlagen nicht beurteilbar sein.

Im gutachterlichen Sinne wird zur Anerkennung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen der Anwendung eines Heilmittels oder einer Impfung mit aufgetretenen Nebenwirkungen ein zumindest wahrscheinlicher Konnex gefordert.

Im speziellen Falle ist aber der Kausalkonnex als unwahrscheinlich zu bezeichnen, weil

1.)

der zeitliche Zusammenhang nicht gegeben ist

2.)

ein entsprechender pathophysiologischer Mechanismus wissenschaftlich nicht vorstellbar ist und

              3.)              in der wissenschaftlichen Literatur einschlägige Arbeiten zu dieser Problematik nicht publiziert worden sind.

Aus diesem Grund können die speziellen an den gefertigten Gutachter gestellten Fragen wie folgt beantwortet werden:

1.) Bei Mario P. besteht eine organische Erkrankung des Gehirnes im Sinne der oben angeführten Diagnose.

2.) Die an Mario P. verabreichten Impfungen haben bei ihm keine Gesundheitsschädigungen verursacht. Die vorliegende neurologische Erkrankung ist akausaler Natur.

3.) Die verabfolgten Impfungen können auch nicht als Teilkausalfaktoren für die Auslösung oder Entwicklung des vorliegenden neurologischen Leidenszustandes aufgefasst werden.

4.)

Bei Mario P. bestehen keine kausalen Gesundheitsschädigungen.

5.)

Entfällt, da keine kausale Gesundheitsschädigung.

6.)

Mario P. ist auf Grund der akausalen Gesundheits-schädigung so hilflos, dass er für die lebensnotwendigen Verrichtungen der Hilfe einer anderen Person bedarf.

7.)

Entfällt, da keine kausale Gesundheitsschädigung vorliegt.

8.)

Entfällt, da keine kausale Gesundheitsschädigung vorliegt. zu a) Es gibt keinen Zustand einer 'latenten

Leukodystrophie'. M. P. war entsprechend der Aktenlage, den Angaben der Angehörigen und den Mitteilungen des behandelnden Kinderarztes bis zum 25. Jänner 1994 in der Entwicklung unauffällig und gesund, außerdem war eine einschlägige familiäre Belastung nicht bekannt, weshalb keinerlei Kontraindikation zur erfolgten Immunisierung gegeben war.

zu b) Die Leukodystrophie ist nicht erst durch die Impfung zum Ausbruch gekommen. Der bei der kinderfachärztlichen Kontrolluntersuchung am 17. Dezember 1993 beschriebene Strabismus links wurde schon 'seit längerem' mit einer Brille korrigiert (s. ABl. 44), sodass ein Zusammenhang dieser Bulbusmotilitätsstörung mit der zur Debatte stehenden Impfung ebenfalls als hochgradig unwahrscheinlich zu bezeichnen wäre. Die beschriebene Koordinationsstörung der Motilität der Augäpfel kann nicht als Brückensymptom zwischen Impfung und Ausbruch der Symptomatik der Leukodystrophie aufgefasst werden."

Der Ärztliche Dienst der belangten Behörde stimmte in seiner Stellungnahme vom 16. Dezember 1999 den Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. vollinhaltlich zu.

Mit Schreiben vom 28. Mai 2000 nahm der Vater des Beschwerdeführers als dessen gesetzlicher Vertreter zum Gutachten Stellung und brachte unter anderem vor, es sei nicht erhoben worden, mit welchem Impfstoff geimpft worden sei. Es bestehe die Möglichkeit, dass der Impfstoff kontaminiert gewesen sei. Er verweise auf den ca. vier Wochen nach der Impfung festgestellten Strabismus, sodass der zeitliche Zusammenhang zur Polio-Impfung bestehe. Dem Schreiben war unter anderem ein im Auftrag der Eltern des Beschwerdeführers erstattetes Gutachten des Facharztes für Kinderheilkunde, Kinder- und Jugendneuropsychiatrie Dr. Ge. vom 5. März 2000 angeschlossen, in dem der Nachweis eines Zusammenhanges zwischen der beim Beschwerdeführer aufgetretenen Erkrankung mit einer Impfung als unmöglich bezeichnet wird.

Die belangte Behörde erhob beim Kinderfacharzt Dr. P. und der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung, dass bei der am 16. November 1993 verabreichten Polio III-Impfung der Impfstoff Polio-Sabin (oral) "SB"-Tropfen verwendet wurde. Die Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung legte der belangten Behörde auch den Lieferschein der Firma H. Apotheker AG vom 2. November 1993 vor, in dem die Chargennummern des gelieferten Impfstoffes aufscheinen. Im Zusammenhang mit dem von der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung laut Lieferschein bezogenen Impfstoff wurden der belangten Behörde keinerlei Nebenwirkungen oder Qualitätsmängel gemeldet.

Der Ärztliche Dienst der belangten Behörde führte in seiner Stellungnahme vom 18. Jänner 2001 zum Vorbringen des Vaters des Beschwerdeführers und den von ihm vorgelegten Unterlagen aus, dass diese keine neuen Erkenntnisquellen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit einer Impfkomplikation enthielten. Für die Entstehung einer Augenmuskellähmung wäre im gegenständlichen Fall das Vorliegen eines entzündlichen Geschehens, d.h. eine Encephalitis, erforderlich gewesen. Wie aus sämtlichen im Akt vorhandenen Unterlagen, einschließlich der Sachverständigengutachten Dris. W. und des Privatgutachtens Dris. Ge. hervorgehe, hätten sich beim Beschwerdeführer bei sämtlichen Untersuchungen keine Hinweise für das Vorliegen eines entzündlichen Geschehens ergeben. Die vorgelegten Unterlagen betreffend Polyoma- und Papova-Viren hätten keine Relevanz, da sie nicht Erreger der Poliomyelitis seien. Das weiters als Auslöser einer eventuellen Impfkomplikation bezeichnete Thiomersal sei in einem oralen Impfstoff nicht enthalten. Das vorliegende Privatgutachten Dris. Ge. bestätige ebenfalls, dass ein Zusammenhang zwischen der Impfung und der nach neun Wochen aufgetretenen Leukodystrophie nicht hergestellt werden könne und dass diese zudem nach dem heutigen Wissensstand nicht durch Impfungen ausgelöst werden könne.

Diese Stellungnahme wurde den Eltern des Beschwerdeführers unter Setzung einer Frist von vier Wochen zur allfälligen Äußerung zugestellt. Diese Frist verstrich ungenützt.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundessozialamtes Wien Niederösterreich Burgenland vom 23. April 1999 keine Folge und bestätigte diesen Bescheid. In der Begründung führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Verfahrensganges, insbesondere des wesentlichen Inhaltes des Gutachtens Dris. W. aus, sie erachte dieses Gutachten und die Stellungnahmen ihres Ärztlichen Dienstes vom 16. Dezember 1999 und vom 18. Jänner 2001 für schlüssig und lege sie im Rahmen der freien Beweiswürdigung ihrer Entscheidung zu Grunde. In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, Voraussetzung für eine Entschädigung gemäß § 2 Impfschadengesetz sei, dass durch eine verabreichte Impfung (§ 1b Impfschadengesetz) eine Gesundheitsschädigung verursacht worden sei. Die bloße Möglichkeit eines Zusammenhanges mit einer Impfung genüge nicht, ein solcher Zusammenhang müsse vielmehr festgestellt sein. Das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung als Impfschaden nicht vorlägen. Insbesondere sei festzuhalten, dass das Intervall zwischen der letzten verabreichten (Polio-)Impfung am 16. November 1993 und dem Auftreten der akuten Erkrankung mehr als 2 Monate betragen habe und damit mehr als doppelt so hoch gewesen sei wie die Obergrenze der Inkubationszeit nach Polio-Impfungen. Bei der ebenfalls als möglicher Auslöser in Betracht kommenden Keuchhustenkomponente betrage die Inkubationszeit überhaupt nur 6 bis 72 Stunden, sodass eine Schädigung durch diese Impfung (zuletzt am 17. Juni 1993) nicht in Betracht komme. Beim Beschwerdeführer seien sowohl ein Immungeschehen als auch eine entzündliche Reaktion (Encephalitis) auszuschließen. Daraus folge, dass der Strabismus eindeutig nicht als negative Erstreaktion auf die Polio-Impfung am 16. November 1993 angesehen werden könne. Eine Leukodystrophie könne weiters nicht durch eine Impfung ausgelöst werden. Die Symptome des Beschwerdeführers könnten mit Impfkomplikationen im Sinne einer Impfpoliomyelitis (paralytische Poliomyelitis, Guillain-Barre-Syndrom, Querschnittsmyelitis, periphere Facialisparese) nicht in Einklang gebracht werden. Schließlich sei auch anzumerken, dass beim Beschwerdeführer spastische Lähmungen aufgetreten und ausschließlich die weiße Hirnsubstanz betroffen sei, was eindeutig gegen eine impfbedingte Schädigung spreche.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der für den Beschwerdefall maßgebende § 1b Impfschadengesetz

lautet:

"§ 1b. (1) Der Bund hat ferner für Schäden nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes Entschädigung zu leisten, die durch eine Impfung verursacht worden sind, die nach einer gemäß Abs. 2 erlassenen Verordnung zur Abwehr einer Gefahr für den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung im Interesse der Volksgesundheit empfohlen ist.

(2) Der Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz hat durch Verordnung jene Impfungen zu bezeichnen, die nach dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft zur Abwehr einer Gefahr für den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung im Interesse der Volksgesundheit empfohlen sind.

(3) Nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes ist Entschädigung jedenfalls für Schäden zu leisten, die durch im jeweils ausgestellten Mutter-Kind-Paß genannte Impfungen verursacht worden sind."

Die im Impfschadengesetz näher genannten Ersatzpflichten treten nur dann ein, wenn ein durch eine Impfung verursachter Schaden vorliegt. Die bloße Möglichkeit eines Ursachenzusammenhanges genügt nicht, dieser muss vielmehr festgestellt werden (siehe dazu u.a. die hg. Erkenntnisse vom 21. September 1999, Zl. 96/08/0219, und vom 23. Jänner 2001, Zl. 2000/11/0263).

Die belangte Behörde hat auf Grund des Sachverständigengutachtens Dris. W. und der Stellungnahmen eines ärztlichen Dienstes den beschriebenen Zusammenhang im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) verneint. Der Beschwerdeführer führt dagegen als Verfahrensmangel ins Treffen, die belangte Behörde habe es unterlassen festzustellen, mit welcher Impfstoffcharge er geimpft worden sei, ob diese Impfstoffcharge aus der von der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung genannten Lieferung stamme und ob die Impfstoffcharge mangelhaft gewesen sei.

Dem ist zu erwidern, dass das von der belangten Behörde durchgeführte Ermittlungsverfahren keinerlei Hinweis auf einen Mangel des verwendeten Impfstoffes ergeben hat. Der die Impfung seinerzeit durchführende Arzt Dr. P. hat der belangten Behörde mit Schreiben vom 11. Juli 2000 mitgeteilt, dass er die Polio III-Imfpung am 16. November 1993 mit einem im Zuge der Impfaktion vom Gesundheitsamt Eisenstadt-Umgebung bezogenen Impfstoff (1 Dosis von Polio Sabin(oral) "SB"-Tropfen) durchgeführt habe, die genaue Chargennummer sei ihm nicht bekannt. Die belangte Behörde hat ferner den Lieferschein Nr. 2298 der H. Apotheken AG vom 2. November 1993 betreffend die Lieferung von Polio-Impfstoff an die BH Eisenstadt-Umgebung beigeschafft, in dem die Chargennummern der Impfstoffe angeführt werden, und erhoben, dass im Zusammenhang mit diesen Chargen keine Nebenwirkungen oder Qualitätsmängel gemeldet worden seien. Die belangte Behörde hat somit das ihr im Ermittlungsverfahren Mögliche und Zumutbare unternommen, um einen allfälligen Mangel des verwendeten Impfstoffes festzustellen. Die Ermittlungen haben keinerlei Hinweis auf einen solchen Mangel ergeben. In der Beschwerde wird nicht dargetan, welche weiteren Ermittlungsschritte die belangte Behörde in diesem Zusammenhang noch hätte unternehmen müssen und zu welchem konkreten Ergebnis sie im Falle weiterer Ermittlungen gelangt wäre. Ein relevanter Verfahrensmangel wurde somit in diesem Zusammenhang nicht dargetan.

Der Beschwerdeführer meint, die belangte Behörde habe sich nicht ausreichend mit seiner Behauptung, die bei ihm festgestellte Augenmuskellähmung stehe in einem zeitlichen Zusammenhang mit der letzten Polio-Impfung, und den dazu vorgelegten Unterlagen auseinander gesetzt. Außerdem bestehe ein Widerspruch zwischen dem Gutachten Dris. W. und der Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes der belangten Behörde, weil die für eine impfbedingte Schädigung vorausgesetzte Encephalitis im Gutachten Drs. W. nicht erwähnt werde.

Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, dass der Sachverständige Dr. W. auf der letzten Seite seines Gutachtens vom 1. Oktober 1999 zu dem am 17. Dezember 1993 festgestellten Strabismus links Stellung genommen und einen Zusammenhang dieser Bulbusmotilitätsstörung mit der Impfung als hochgradig unwahrscheinlich bezeichnet hat. Die Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes der belangten Behörde vom 18. Jänner 2001, zu der sich der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht geäußert hat, steht dazu nicht in Widerspruch. Auch der Sachverständige Dr. W. hat (auf Seite 7 seines Gutachtens) dem Ausschluss eines entzündlichen Geschehens des Liquors und des Zentralnervensystems besondere Bedeutung beigemessen. Dies gilt auch für das vom Beschwerdeführer vorgelegte Privatgutachten Dris. Ge. vom 5. März 2000. Aus welchen vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen - es handelt sich dabei im Wesentlichen um Kopien aus medizinischer Fachliteratur - sich konkret Gegenteiliges ergeben könnte, wird in der Beschwerde nicht dargelegt.

Hinsichtlich der Beschwerdeausführungen, bei Schädigungen des Immunsystems sei eine Impfung kontraindiziert gewesen, ist der Beschwerdeführer auf das Gutachten Dris. W. zu verweisen, wonach es keinen Zustand "latenter Dystrophie" gebe, sodass insoweit keine Kontraindikation gegeben gewesen sei. Im Übrigen hat der Sachverständige nachvollziehbar begründet, warum ein Konnex zwischen der Impfung und der aufgetretenen Erkrankung unwahrscheinlich ist.

Der Beschwerdeführer rügt, die belangte Behörde habe sich mit den Ausführungen im Privatgutachten Dris. Ge. nicht auseinander gesetzt, es sei ungewöhnlich, dass die Symptome einer Leukodystrophie oder einer anderen neurodegenerativen Erkrankung dermaßen eruptiv beginnen. Es seien daher Fragezeichen zu setzen, die mit dem derzeitigen Wissensstand über Neuropathologie und Kausalität vermutlich nicht so genügend beantwortet werden könnten, dass der Impfschaden aus Ausschlussdiagnose bestätigt werden könne.

Der Beschwerdeführer zeigt mit diesen Ausführungen keinen relevanten Verfahrensmangel auf, weil auch den Ausführungen im Privatgutachten Dris. Ge. nicht zu entnehmen ist, welche medizinischen Erkenntnisse für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und der Leukodystrophie sprechen könnten. Dass für die Ursache dieser Erkrankung nach dem Inhalt sämtlicher vorliegender Gutachten keine schlüssige Erklärung gefunden wurde, stellt keinen ausreichenden Grund für die Feststellung eines ursächlichen Zusammenhanges mit der am 16. November 1993 erfolgten Poliomyelitits-Impfung dar.

Der Beschwerdeführer erblickt einen Mangel des Sachverständigengutachtens Dris. W. darin, dass dieser zwar am Beginn seiner Ausführungen darüber informiert habe, dass er mit mehreren einschlägig kompetenten Fachleuten die spezielle Fragestellung des Falles konsiliarmäßig besprochen habe, im Folgenden aber nicht angegeben habe, inwieweit die von ihm konsultierten Fachärzte seiner Beurteilung zustimmen bzw. ob diese Beurteilung seiner eigenen Beurteilung entspreche. Durch die Art der Gutachtenerstattung sei nicht überprüfbar, wie der Gutachter zu seinen Schlussfolgerungen gelangt sei sowie ob und inwiefern die allenfalls konsultierten Ärzte bei der Gutachtenerstattung mitgewirkt haben.

Dem Beschwerdeführer ist in diesem Zusammenhang entgegenzuhalten, dass er derartiges Vorbringen im Verwaltungsverfahren nicht erstattet hat, obwohl ihm nach der Erstattung des Gutachtens Dris. W. wiederholt Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden war. Im Übrigen ist es einem Sachverständigen im Rahmen der Befundaufnahme nicht verwehrt, andere sachverständige Personen zu befragen, ebenso wie es ihm gestattet ist, einschlägige Fachliteratur zu Rate zu ziehen. Eine genaue Wiedergabe der Erklärungen der vom Sachverständigen befragten Fachleute ist nicht erforderlich, wenn diese, wie es im Gutachten Dris. W. mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommt, keine vom Inhalt des Gutachtens abweichende Auffassung vertreten haben. Der Sachverständige Dr. W. hat in dem oben wörtlich wiedergegebenen Teil seines Gutachtens ausdrücklich ausgeführt, die Konsiliarbesprechungen mit den angeführten neurologischen und Impf-Fachleuten hätten "übereinstimmend" das im Folgenden beschriebene Ergebnis erbracht. Das Gutachten des Sachverständigen Dris. W. ist daher entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht "zweideutig", sondern schlüssig. Es war daher nicht rechtswidrig, wenn die belangte Behörde u.a. dieses Gutachten den Sachverhaltsfeststellungen zu Grunde gelegt hat.

Soweit der Beschwerdeführer im Rahmen der Rechtsrüge behauptet, die Impfung sei als ursächlich für die bei ihm aufgetretene Leukodystrophie anzusehen, entfernt er sich von den durch Sachverständigengutachten untermauerten unbedenklichen Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde. Sein Vorbringen ist daher nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.

Aus den dargelegten Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 22. Oktober 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001110245.X00

Im RIS seit

09.01.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten