TE Vwgh Erkenntnis 2002/11/21 2000/20/0273

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.11.2002
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §7;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde 1. der S Y M, geboren am 19. April 1967, und 2. des mj. F M, geboren am 2. April 1997, beide in H, beide vertreten durch Mag. Regina Erlacher, Rechtsanwältin in 8230 Hartberg, Bahnhofstraße 21, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. März 2000, Zl. 214.919/0-IV/29/00, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Afghanistan, reiste am 16. September 1999 mit dem Zweitbeschwerdeführer in das Bundesgebiet ein und beantragte am 17. September 1999 für sich und den Zweitbeschwerdeführer Asyl. Bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 20. Oktober 1999 gab die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen an, dass sie keiner Verfolgungshandlung durch die Behörden ihres Heimatlandes ausgesetzt gewesen sei und auch auf Grund der strafbaren Handlung ihres Mannes (der Herstellung und dem Verkauf von Alkohol) nicht mit einer Bestrafung habe rechnen müssen. Ob sie auch in irgendeiner Weise, vielleicht als Mitwisserin, bestraft worden wäre, wisse sie nicht. Da ihr Mann habe flüchten müssen, sei sie natürlich mit ihm gegangen. Im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan hätte sie mit keinen Sanktionen zu rechnen, man würde sie aber sicher nach dem Verbleib ihres Mannes fragen.

Das Bundesasylamt wies die Asylanträge mit Bescheid vom 28. Dezember 1999 gemäß § 7 AsylG 1997 ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG 1997 für zulässig.

In der Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes führte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass sie aus Afghanistan geflohen sei, da ihr Mann entgegen den islamischen Gesetzen Alkohol hergestellt habe und deshalb entgegen den Bestimmungen der MRK unmenschlich hart oder mit dem Tode bestraft worden wäre. Da sie seine Frau sei, habe sie auch um sich und das gemeinsame Kind begründete Furcht vor Verfolgung gehabt. Als Frau eines Rechtsbrechers laufe sie selbst Gefahr, misshandelt und verfolgt zu werden. Die Situation in Afghanistan werde in - beispielsweise in der Berufung aufgezählten - internationalen Menschenrechtsberichten einhellig als äußerst schlecht beschrieben. Das Regime der Taliban zeichne sich durch massenhafte willkürliche Verhaftungen, Folterungen von Gefangenen, unfaire Gerichtsverfahren und die Verhängung unmenschlicher Strafen aus. Die Todesstrafe werde exzessiv angewandt, extralegale Hinrichtungen seien ebenso häufig. Eine Rückkehr sei für sie als Frau mit einem Kind besonders gefährlich. Man würde sie auf Grund der Sippenhaftung in ihrem Heimatland an Stelle ihres Mannes bestrafen, da dieser nicht greifbar wäre, und sie wäre massivem Druck ausgesetzt, damit auch ihr Mann wieder zurückkomme. Zudem habe sie in ihrem Heimatland keine Existenzgrundlage und als Frau eines Rechtsbrechers auch keine Chance, eine Arbeit zu finden und eine neue Existenz für sich und ihr Kind aufzubauen.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. In der Begründung hielt die belangte Behörde fest, dass die Erstbeschwerdeführerin keinerlei Verfolgungshandlungen durch die Behörden ihres Heimatlandes ausgesetzt gewesen sei und Afghanistan aus dem alleinigen Grund verlassen habe, um mit ihrem Ehemann und Vater des Zweitbeschwerdeführers zusammenbleiben zu können. Dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin sei keinerlei gegen sie selbst oder gegen ihr Kind gerichtete Verfolgungshandlung zu entnehmen. Voraussetzung für die Gewährung von Asyl wäre aber, dass die Erstbeschwerdeführerin individuell gegen sie selbst gerichtete staatliche Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes oder die Gefahr solcher Verfolgung befürchten müsste. Anhaltspunkte für konkrete, gegen sie gerichtete oder geplante Verfolgungshandlungen aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention würden auch in der Berufung nicht vorgebracht. Zu dem Berufungsvorbringen, wonach dem Ehemann der Erstbeschwerdeführerin auf Grund der Begehung eines strafbaren Deliktes, dem Herstellen und dem Verkauf von Alkohol, nach den islamischen Gesetzen eine unmenschliche Strafe gedroht habe, er daher aus Afghanistan geflüchtet sei und die Erstbeschwerdeführerin nun befürchte, auf Grund der Sippenhaftung in ihrer Heimat an Stelle ihres Mannes bestraft zu werden, sei zu bemerken, dass es sich bei einem Verfolgungstatbestand im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention um Nachteile des Asylwerbers selbst handeln müsse und nicht etwa um Nachteile betreffend seine Angehörigen, sowie dass es sich bei den Verfolgungshandlungen um eine dem Staat zurechenbare Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe handeln müsse. Ein Durchschlagen der einen Angehörigen treffenden asylrechtlich relevanten Verfolgung könne nur dann angenommen werden, wenn auf Grund der im Verwaltungsverfahren dargelegten konkreten Situation glaubhaft wäre, dass gegen ein Familienmitglied gesetzte oder von diesem zu befürchtende Verfolgungshandlungen auch zu - die Intensität asylrechtlich relevanter Verfolgungshandlungen erreichenden - Maßnahmen gegen andere Familienmitglieder führen würden. Der bezüglich des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin vorgebrachte Verfolgungstatbestand enthalte keinen Zusammenhang mit einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe. Weiters habe die Erstbeschwerdeführerin in ihrer niederschriftlichen Einvernahme vom 20. Oktober 1999 ausdrücklich angegeben, auf Grund der strafbaren Handlungen ihres Ehemannes selbst nicht mit einer Bestrafung rechnen zu müssen. Auch enthalte ihr Vorbringen keinen konkreten Hinweis auf tatsächlich in ihrer Heimat vorgekommene Fälle einer Sippenhaftung. Sohin sei ihre subjektive Befürchtung, als Frau eines Rechtsbrechers Gefahr zu laufen, selbst misshandelt und verfolgt zu werden, nicht objektiv nachvollziehbar und reiche nicht aus, um eine wohlbegründete Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, darzutun. Es ergäben sich auch weder aus dem Vorbringen in der Berufung noch sonst irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Afghanistan sie einem tatsächlichen Risiko unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung bzw. Strafe oder der Todesstrafe aussetzen würde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Erstbeschwerdeführerin hat in ihrer Berufung unter anderem vorgebracht, dass sie als - im Fall ihrer Abschiebung:

alleinstehende - Frau, im Besonderen aber als Ehefrau eines Rechtsbrechers und als Mutter eines Kleinkindes besonders gefährdet sei. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang in seinem Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0483, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausgesprochen, dass die seitens der Taliban gegen die Frauen insgesamt oder gegen bestimmte Gruppen der weiblichen Bevölkerung gerichteten Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt der drohenden Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu würdigen sind (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 2002, Zl. 99/20/0172). Die Behandlung des Berufungsvorbringens der Erstbeschwerdeführerin hätte daher eine Bedachtnahme auf die Gesamtheit der Maßnahmen der Taliban gegen Frauen erfordert. Indem die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Im Übrigen wurde erstmals in der Berufung vorgebracht, dass den beschwerdeführenden Parteien auf Grund der Situation in Afghanistan Misshandlungen und Verfolgung, Bestrafung anstelle des Ehemannes bzw. des Vaters und massive Unter-Druck-Setzung zwecks Erreichung der Rückkehr desselben drohten, es keine Arbeit für die Erstbeschwerdeführerin (vgl. dazu das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 16. April 2002) und damit für sie und den Zweitbeschwerdeführer keine Existenzgrundlage gäbe. Dazu hat die belangte Behörde jegliche Ermittlungen unterlassen und ihren Bescheid im Wesentlichen nur auf das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin bei ihrer erstinstanzlichen Einvernahme vom 20. Oktober 1999 gestützt. Sie hätte sich aber mit diesem Berufungsvorbringen auseinander setzen und insbesondere auch eine mündliche Verhandlung durchführen müssen (vgl. dazu z.B. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2001, Zl. 98/20/0312).

Der angefochtene Bescheid war aus den dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 21. November 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000200273.X00

Im RIS seit

18.02.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten