TE Vfgh Erkenntnis 1999/10/15 KII-1/98

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Veröffentlicht am 15.10.1999
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8240 Abfall, Müll

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z12
B-VG Art15 Abs1
B-VG Art138 Abs2
Nö AbfallwirtschaftsG
VfGG §54
VfGG §56 Abs4

Leitsatz

Feststellung der Zuständigkeit des Landesgesetzgebers zur Erlassung landesrechtlicher Regelungen betreffend die Abfallwirtschaft mit Ausnahme von Regelungen für gefährliche Abfälle sowie für andere, mittels einheitlicher bundesrechtlicher Vorschriften geregelter Abfälle; keine Aussagen zum Umfang der Bedarfsgesetzgebung des Bundes in Sachen Abfallwirtschaft

Spruch

I. Die Erlassung eines Gesetzes, das dem von der Niederösterreichischen Landesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes über die Änderung des NÖ Abfallwirtschaftsgesetzes 1992 entspricht, fällt gemäß Art15 Abs1 B-VG in die Zuständigkeit der Länder.

II. Rechtssatz:

Die Erlassung gesetzlicher abfallwirtschaftlicher Regelungen fällt in die Zuständigkeit der Länder, wenn sie weder für gefährliche Abfälle noch für andere Abfälle, soweit für diese einheitliche bundesrechtliche Vorschriften bestehen, gelten.

III. Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diesen Rechtssatz unverzüglich im Bundesgesetzblatt I kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.1. Die Niederösterreichische Landesregierung (im folgenden NÖ Landesregierung) stellt auf Grund ihres Beschlusses vom 30. Juni 1998 den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle gemäß Art138 Abs2 B-VG feststellen, ob die Erlassung eines Gesetzes entsprechend dem beiliegenden Entwurf eines Gesetzes über die Änderung des NÖ Abfallwirtschaftsgesetzes 1992 (wiedergegeben unter 1.2.) in die Zuständigkeit des Bundes oder der Länder fällt.

1.2. Der dem Verfassungsgerichtshof vorgelegte Gesetzesentwurf hat folgenden Wortlaut:

"Änderung des NÖ Abfallwirtschaftsgesetzes 1992

Artikel I

Das NÖ Abfallwirtschaftsgesetz 1992, LGBl. 8240, wird wie folgt geändert:

1. Nach dem §8 wird folgender §8a eingefügt:

'§8a

Behandlung von Abfällen

(1) Die Gemeinden sind verpflichtet, den zu erfassenden Restmüll thermisch oder so zu behandeln, daß die behandelten Abfälle einen Anteil an organischem Kohlenstoff (TOC) von nicht mehr als 5 Masseprozent aufweisen.

(2) Betriebsinhaber sind verpflichtet, betrieblichen Restmüll, der nicht bundesgesetzlich geregelt ist, thermisch oder so zu behandeln, daß die behandelten Abfälle einen Anteil an organischem Kohlenstoff (TOC) von nicht mehr als 5 Masseprozent aufweisen.'

2. Nach dem §14 wird folgender §14a eingefügt:

'§14a

Ablagerungsverbot

In Niederösterreich dürfen

Restmüll und

betrieblicher Restmüll, der nicht bundesgesetzlich geregelt

ist,

nur abgelagert werden, wenn der Anteil an organischem Kohlenstoff (TOC) nicht mehr als 5 Masseprozent beträgt.'

Artikel II

Die Bestimmungen des Artikels I Z. 1, 2 treten am 1. Jänner 2004 in Kraft."

II.1.1. Zur Zulässigkeit des Antrages führt die NÖ Landesregierung aus, der dem Antrag beigelegte Gesetzesentwurf enthalte eine hoheitliche Regelung der Frage der Behandlung von Abfällen (Restmüll) sowie ein Ablagerungsverbot von Restmüll und betrieblichem Restmüll, der nicht bundesgesetzlich geregelt ist. Der Landtag von Niederösterreich habe noch keinen Gesetzesbeschluß bezüglich der genannten Regelungen gefaßt.

1.2. Die Bundesregierung hält den Antrag der NÖ Landesregierung für zulässig.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit des Antrages erwogen:

2.1. Gemäß Art138 Abs2 B-VG stellt der Verfassungsgerichtshof u.a. auf Antrag einer Landesregierung fest, ob ein Akt der Gesetzgebung oder Vollziehung in die Zuständigkeit des Bundes oder der Länder fällt.

Gemäß §53 VerfGG hat der Antrag im Sinne des Art138 Abs2 B-VG die Feststellung zu begehren, ob eine Angelegenheit nach Gesetzgebung oder Vollziehung in die Zuständigkeit des Bundes oder der Länder fällt.

Handelt es sich um die Zuständigkeit der Gesetzgebung, dann hat der Antrag gemäß §54 VerfGG einen Gesetzesentwurf zu enthalten, der den Gegenstand der Beschlußfassung in einer gesetzgebenden Körperschaft bilden soll.

2.2. Der vorgelegte Gesetzesentwurf mit hoheitlichen Regelungen einer Behandlung von Abfällen (§8a) und eines Ablagerungsverbotes (§14a) ist an sich geeignet, Gegenstand der Beschlußfassung in einer gesetzgebenden Körperschaft zu sein. Ein Gesetzesbeschluß einer gesetzgebenden Körperschaft über den vorgelegten Gesetzesentwurf wurde noch nicht gefaßt.

Da auch die Formerfordernisse des §53 VerfGG erfüllt sind, ist der Antrag zulässig.

III.1.1. Gemäß Art10 Abs1

Z12 B-VG (in der Fassung der Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1988, BGBl. 685) ist die "Abfallwirtschaft hinsichtlich gefährlicher Abfälle, hinsichtlich anderer Abfälle nur soweit ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften vorhanden ist", Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung.

Zu diesem Kompetenztatbestand hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 13019/1992 ausgeführt:

"Den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur B-VG-Novelle 1988 (607 BlgNR 17. GP, S. 8) ist zu entnehmen, 'daß der Begriff der Abfallwirtschaft in einem umfassenden Sinne als die Summe aller Maßnahmen zur Vermeidung, Verminderung, Verwertung und schadlosen Behandlung sowie Beseitigung von Abfällen (aller Art) zu verstehen ist'. Neben der Zuständigkeit für die Abfallwirtschaft hinsichtlich gefährlicher Abfälle soll eine Zuständigkeit des Bundes für sonstige, also nicht gefährliche Abfälle nur insoweit bestehen, als 'ein - objektives - Bedürfnis nach einer bundeseinheitlichen Regelung besteht'.

(...)

In den zitierten Erläuterungen (S. 9) ist weiter ausgeführt:

'Die Bedarfsregelungen in Art10 Abs1 Z12 und Art11 Abs5 sind an das Vorliegen eines objektiven Bedarfes gebunden, der nach den Erfordernissen einer zweckentsprechenden Gestaltung der Rechtslage aus umweltpolitischer Sicht zu beurteilen ist. Ein solcher Bedarf kann sich ... etwa daraus (ergeben), daß die aus der derzeitigen terminologischen und begrifflichen Vielfalt im Bereich der Abfallregelungen sich ergebenden Probleme durch einheitliche Bestimmungen bereinigt werden sollen oder in sonstiger Weise einheitliche Standards (insbesondere im Hinblick auf die Umwelterfordernisse) erforderlich sind. Ein sachliches Erfordernis zur Erlassung einheitlicher Vorschriften wird etwa auch bezüglich der Abfallvermeidungsproblematik gegeben sein.'

Im Bericht des Verfassungsausschusses (817 BlgNR 17. GP, S. 2) heißt es:

'Ein 'Bedürfnis' im Sinne des 'Abfallwirtschaftstatbestandes' wird jedenfalls anzunehmen sein, wenn die Situation auf dem Gebiet der Abfallwirtschaft in mehreren Bundesländern eine einheitliche Regelung nahelegt.'

Dem Verfassungsgesetzgeber zufolge soll es sohin für die Inanspruchnahme der Bedarfskompetenz hinsichtlich anderer (also nicht gefährlicher) Abfälle durch den Bundesgesetzgeber nach Art10 Abs1 Z12 B-VG nicht - allein - auf dessen Gutdünken ankommen, sondern auf das objektive Bedürfnis nach zweckentsprechenden bundeseinheitlichen Regelungen, insbesondere aus umweltpolitischer Sicht.

Gleichwohl macht das Erfordernis eines objektiven Bedürfnisses nach Erlassung einheitlicher Vorschriften gemäß Art10 Abs1 Z12 B-VG die Auffassung des - einfachen - Bundesgesetzgebers darüber, ob die Abfallwirtschaft auch hinsichtlich nicht gefährlicher Abfälle einheitlicher Vorschriften bedarf, verfassungsrechtlich nicht unerheblich. Nur daraus, daß der Bundesgesetzgeber ein entsprechendes Bedürfnis nach einheitlichen Vorschriften im Wege ihrer Erlassung erst wahrnehmen muß, läßt sich nämlich umgekehrt ableiten, daß die Gesetzgebungskompetenz der Länder für die Abfallwirtschaft kraft Art15 Abs1 B-VG in Verbindung mit Art10 Abs1 Z12 B-VG hinsichtlich anderer (sohin nicht gefährlicher) Abfälle soweit aufrecht bleibt, als von der Bedarfskompetenz vom Bundesgesetzgeber kein Gebrauch gemacht wurde. Wäre die Bedarfskompetenz gemäß Art10 Abs1 Z12 B-VG ausschließlich objektiv zu verstehen, so wäre eine entsprechende Gesetzgebungskompetenz der Länder nicht nur bei Inanspruchnahme durch den Bundesgesetzgeber, sondern auch dann ausgeschlossen, wenn sie vom Bundesgesetzgeber nicht wahrgenommen wird. Eine derartige Deutung des Art10 Abs1 Z12 B-VG widerspräche aber nicht nur dem herkömmlichen Verständnis einer Bedarfskompetenz als konkurrierender Zuständigkeit (des Bundes und der Länder), sondern auch dem Grundsatz einer föderalistischen Auslegung der Kompetenzverteilung (vgl. VfSlg. 2977/1956).

Für die Interpretation des Art10 Abs1 Z12 B-VG und die daraus sich ergebende Reichweite der Regelungszuständigkeit des Bundesgesetzgebers für die Abfallwirtschaft hinsichtlich nicht gefährlicher Abfälle kommt es sohin darauf an, daß der Bundesgesetzgeber für seine Regelung objektive, mithin sachlich nachvollziehbare Gründe ins Treffen führen kann, die seine Annahme eines Bedürfnisses 'nach Erlassung einheitlicher Vorschriften' hinsichtlich anderer (als gefährlicher) Abfälle rechtfertigen. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn derartige Gründe für eine gleiche rechtliche Behandlung gefährlicher und nicht gefährlicher Abfälle sprechen."

1.2. Der Entwurf sieht einerseits eine Verpflichtung der Gemeinden und der Betriebsinhaber vor, Restmüll in einer bestimmten Weise zu behandeln, und enthält andererseits ein Verbot der Ablagerung von Restmüll, der bestimmten Anforderungen nicht entspricht. Die Regelungen stellen sich daher im Hinblick auf das unter Punkt 1.1. Gesagte als abfallwirtschaftliche Regelungen dar.

Bei der Beurteilung, ob die Erlassung eines Gesetzes gemäß dem von der NÖ Landesregierung vorgelegten Gesetzesentwurf in die Zuständigkeit der Länder fällt, ist zunächst zu prüfen, ob sich die abfallwirtschaftliche Regelung auf gefährlichen Abfall bezieht.

Bei dem vorgelegten Gesetzesentwurf handelt es sich um eine Novelle zum bestehenden NÖ Abfallwirtschaftsgesetz 1992, LGBl. 8240-0. Der Geltungsbereich dieses Gesetzes ist im §2 wie folgt umschrieben:

"Dieses Gesetz gilt - unbeschadet der Bestimmung des §25 Abs2 - nicht

für gefährliche Abfälle und

für andere Abfälle, soweit einheitliche bundesrechtliche

Vorschriften bestehen."

Die Verweisung auf §25 Abs2 NÖ AWG geht insofern ins Leere, als §25 nur einen Absatz hat. Im Gesetzesbeschluß des Landtages von Niederösterreich vom 19. Dezember 1991 war im §25 Abs2 die Standortabgabe geregelt. Diese bezog sich auch auf gefährliche Abfälle. Auf Grund eines Einspruchs der Bundesregierung gegen diesen Gesetzesbeschluß vom 11. Februar 1992 wurde die Standortabgabe fallen gelassen und auf Grund eines Initiativantrages ein neuer Gesetzesbeschluß gefaßt. Dabei wurde offenbar übersehen, den Verweis auf §25 Abs2 zu streichen.

Die im vorgelegten Entwurf enthaltenen Regelungen betreffen daher jedenfalls nicht gefährliche Abfälle.

1.3. Es ist weiters zu prüfen, ob die im Entwurf enthaltenen Regelungen Angelegenheiten betreffen, für die der Bund die Bedarfsgesetzgebung gemäß Art10 Abs1 Z12 B-VG in Anspruch genommen hat.

Aus den im Entwurf enthaltenen Regelungen ergibt sich im Zusammenhang mit dem im §2 leg. cit. geregelten Geltungsbereich, daß sich die Ausnahmeregelung des zweiten Punktes des §2 leg. cit auch auf die im Entwurf enthaltenen Regelungen der §§8a und 14a erstreckt. Daher beziehen sich auch die §§8a und 14a nicht auf Abfälle, soweit für diese einheitliche bundesrechtliche Vorschriften bestehen.

Schon aus diesem Grunde können sich die im Entwurf enthaltenen Regelungen nicht auf Abfälle beziehen, für die der Bund die Bedarfsgesetzgebung gemäß Art10 Abs1 Z12 B-VG in Anspruch genommen hat. Bei diesem Ergebnis kann es dahingestellt bleiben, ob und in welchem Umfang der Bund einheitliche abfallwirtschaftliche Regelungen auch in Angelegenheiten nicht gefährlicher Abfälle erlassen hat. Für die Frage der Zuständigkeit zur Gesetzgebung spielt es auch keine Rolle, ob und in welchem Umfang - im Hinblick auf den durch §2 leg. cit. eingeschränkten Anwendungsbereich - die in Aussicht genommenen Regelungen überhaupt vollzogen werden könnten.

2. Auf Grund der im Entwurf enthaltenen Regelungen im Zusammenhang mit dem im §2 leg. cit. festgesetzten Geltungsbereich muß man zwangsläufig zu dem Ergebnis kommen, daß die Erlassung eines Gesetzes, das dem von der NÖ Landesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes über die Änderung des NÖ Abfallwirtschaftsgesetzes 1992 entspricht, gemäß Art15 Abs1 B-VG in die Zuständigkeit der Länder fällt.

3. Gemäß §56 Abs4 VerfGG hatte der Verfassungsgerichtshof seine Feststellung in dem im Spruch formulierten Rechtssatz zusammenzufassen. Im Hinblick auf das unter Punkt 2 dargestellte Ergebnis sieht sich der Verfassungsgerichtshof zu der Bemerkung veranlaßt, daß mit dem Rechtssatz Aussagen zur Reichweite der Kompetenz des Bundes gemäß Art10 Abs1 Z12 B-VG hinsichtlich anderer als gefährlicher Abfälle (soweit ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften vorhanden ist) nicht getroffen werden.

Aus derselben Gesetzesbestimmung ergibt sich die Verpflichtung des Bundeskanzlers, diesen Rechtssatz unverzüglich im Bundesgesetzblatt I kundzumachen.

Schlagworte

Abfallwirtschaft, VfGH / Kompetenzfeststellung, Kompetenz Bund - Länder, Bedarfskompetenz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:KII1.1998

Dokumentnummer

JFT_10008985_98K0II01_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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