TE Vfgh Erkenntnis 1999/10/16 V74/98, V94/98, V41/99, V42/99, V43/99, V44/99, V51/99

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Veröffentlicht am 16.10.1999
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art18 Abs2
FahrverbotsV der BH Eisenstadt-Umgebung vom 30.09.93
StVO 1960 §43 Abs1 litb
StVO 1960 §43 Abs2
StVO 1960 §94f

Leitsatz

Aufhebung eines Teils der FahrverbotsV der BH Eisenstadt-Umgebung vom 30.09.93 wegen Gesetzwidrigkeit mangels Durchführung eines Ermittlungs- und Anhörungsverfahrens sowie wegen gleichheitswidriger Ausnahme aller Bewohner der betreffenden Gemeinden (und nicht bloß der Anrainer) vom Fahrverbot

Spruch

Punkt 5. der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung vom 30. September 1993, Z10/03/13/15, kundgemacht durch Anbringung der Vorschriftszeichen gemäß §52 lita Z1 StVO 1960 am 19. Oktober 1993, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Burgenländische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.1. Die Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung erließ am 30. September 1993 zur Zahl 10/03/13/15 folgende Verordnung:

"V e r o r d n u n g

Gemäß §43 Abs1 litb i.V.m. §94 b litb StVO 1960 i.d.g.F. wird hinsichtlich des Orts- bzw. Gemeindegebietes von Siegendorf verordnet:

1.

Die ha. Verordnung vom 20.10.1986, Zl. 10/03/80.252/18, lita, mit der die auf der Eisenstädter Straße nach der Hauseinfahrt des Hauses Eisenstädter Straße 52 bis zum Rathausplatz 1 befindliche Parkfläche zur Kurzparkzone erklärt wurde, wird aufgehoben.

2.

Es haben die von der Feldgasse in die Badgasse einfahrenden Fahrzeuglenker den auf der Badgasse fahrenden Fahrzeuglenkern den Vorrang zu geben (§52 litc Z. 23 StVO 1960).

3.

Es haben die von der

a)

Flurgasse und

b)

Kapellengasse

in die Schaftriebgasse einfahrenden Fahrzeuglenker vor der Kreuzung mit der Schaftriebgasse anzuhalten (§52 litc Z. 24 StVO 1960).

4.

Die ha. Verordnung vom 10.2.1993, Zl. 10/03/13/3-4, Punkt 3

              1.              Absatz, mit der das Befahren des Güterweges Siegendorf - St. Margarethen mit Fahrzeugen mit über 12 t Gesamtgewicht und mit Lastkraftfahrzeugen mit Anhängern, ausgenommen die Zufahrt zur Deponie, verboten wurde, wird aufgehoben.

5.

Das Befahren des Güterweges Siegendorf - St. Margarethen ist ab der Einmündung des Güterweges zum Schuschenwald bis zur Hottergrenze KG Siegendorf/KG St. Margarethen in beiden Richtungen verboten (§52 lita Z. 1 StVO 1960). Hievon ausgenommen sind Anrainer, Radfahrer, landwirtschaftliche Fahrzeuge, Deponiebenützer, Bewohner von Siegendorf und St. Margarethen.

Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 tritt diese Verordnung mit der Aufstellung der entsprechenden Verkehrszeichen in Kraft. Zuwiderhandlungen gegen diese Verordnung werden als Verwaltungsübertretungen gemäß §99 StVO 1960 geahndet.

Ergeht an:

1.

die Gemeinde 7011 Siegendorf,

2.

das Straßenbauamt 7000 Eisenstadt,

3.

den Gendarmerieposten 7011 Siegendorf.

Der Bezirkshauptmann:

..."

1.2. Dem vorliegenden Verordnungsakt ist zu entnehmen, daß die Verordnung hinsichtlich ihres Punktes 5. (im folgenden kurz: Fahrverbotsverordnung) durch Anbringung der Vorschriftszeichen "Fahrverbot (in beide Richtungen)" mit Zusatztafel am 19. Oktober 1993 kundgemacht wurde.

2.1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat Burgenland sind mehrere Berufungsverfahren gegen Bescheide der Bundespolizeidirektion Eisenstadt (V94/98, V41-44/99, V51/99) und gegen einen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung (V74/98) wegen Verwaltungsübertretungen gemäß §52 lita Z1 StVO 1960 anhängig, mit denen die Berufungswerber jeweils bestraft wurden, weil sie ein Kraftfahrzeug auf dem Güterweg Siegendorf - St. Margarethen gelenkt und dabei das dort deutlich sichtbar angebrachte Vorschriftszeichen "Fahrverbot in beide Richtungen" mißachtet hatten.

Gestützt auf Art129a Abs3 B-VG beantragt der Unabhängige Verwaltungssenat Burgenland mit den beim Verfassungsgerichtshof zu V74/98, V94/98, V41-44/99 und V51/99 protokollierten Anträgen gemäß Art139 Abs1 B-VG die Aufhebung des Punktes 5. der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung vom 30. September 1993, Z10/03/13/15, als gesetzwidrig.

2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat Burgenland begründet die Gesetzwidrigkeit der Fahrverbotsverordnung zum einen mit der Verletzung von Verfahrensvorschriften im Verordnungserlassungsverfahren. Die Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung habe die ihr zwingend obliegende gesetzliche Anhörungspflicht verletzt und daher die Fahrverbotsverordnung in einem nicht den Bestimmungen des §94f Abs1 lita Z3 StVO 1960 entsprechenden Verfahren erlassen. Der Güterweg Siegendorf - St. Margarethen führe durch ein nahezu ausschließlich landwirtschaftlich genutztes Gebiet. Da auch Arbeitnehmer landwirtschaftlicher Betriebe mit einem Wohnsitz außerhalb der Gemeinden Siegendorf oder St. Margarethen von der Fahrverbotsverordnung betroffen seien, soweit sie bei der Verrichtung von Tätigkeiten auf den genannten Liegenschaften keine landwirtschaftlichen Fahrzeuge benutzten, seien jedenfalls die Interessen von Mitgliedern der Landwirtschaftskammer in spezifischer Weise unmittelbar betroffen. Auf das Vorliegen von Gefahr im Verzuge, das der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung erlaubt hätte, von einer Anhörung der gesetzlichen Interessenvertretungen abzusehen, finde sich im Verordnungsakt kein Hinweis. Dasselbe gelte sinngemäß auch für die in den Gemeinden Siegendorf und St. Margarethen ansässigen Mitglieder der Wirtschaftskammer, die auch Arbeitnehmer mit einem Wohnsitz außerhalb der genannten Gemeinden beschäftigten. In einer nachträglich eingeholten Stellungnahme der Wirtschaftskammer Burgenland vom 15. März 1994 habe sich diese gegen das Fahrverbot ausgesprochen. Daß auch Interessen der Gewerbetreibenden in den beiden Gemeinden betroffen sein könnten, gehe aus einer Petition des Tourismusverbandes vom Mai 1996 an die Bezirkshauptmannschaft hervor.

2.3. Die Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung habe es zudem unterlassen, vor Erlassung der Verordnung die sachlichen Entscheidungsgrundlagen hinreichend zu ermitteln und die Erforderlichkeit der Verkehrsbeschränkung in nachvollziehbarer Weise darzulegen. Die spezifisch örtlichen Verkehrsgegebenheiten seien lediglich auf Grundlage von Behauptungen in Eingaben der Gemeinden Siegendorf und St. Margarethen vom 15. Juli 1993 und vom 22. Juli 1993 bei der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung "festgestellt" worden. Demnach seien diese beiden Gemeinden übereingekommen, für den Verbindungsweg zwischen Siegendorf und St. Margarethen ein allgemeines Fahrverbot mit Ausnahmen für die in den beiden Gemeinden ansässige Bevölkerung und für landwirtschaftliche Fahrzeuge "zu erlassen", weil (so die Gemeinde Siegendorf) dieser Güterweg in immer stärkerem Ausmaß von Schwerkraftfahrzeugen (Lkw-Zügen), Omnibussen und Pkw befahren werde und (so die Gemeinde St. Margarethen) der Güterweg als reiner Interessentenweg für das seit der Öffnung der Ostgrenzen enorm gestiegene Verkehrsaufkommen nicht geeignet sei. Hierüber habe am 11. August 1993 eine Besprechung unter der Leitung des Bezirkshauptmannes und in Anwesenheit der Bürgermeister der Gemeinden Siegendorf und St. Margarethen sowie des Bezirksgendarmeriekommandanten stattgefunden. Letzterer habe sich gegen die geplante Sperre ausgesprochen und darauf verwiesen, daß die Hauptinitiative für die Sperre lediglich von den Bewohnern der Siegendorfer- und der St. Margarethener-Straße ausgegangen sei. Es sei offensichtlich, daß die Bürgermeister der Gemeinden Siegendorf und St. Margarethen mit der gegenständlichen Verordnung den Schutz der in den Gemeinden lebenden Anrainer vor der in Folge der Ostöffnung durch erhöhtes Verkehrsaufkommen verstärkten Lärmbelästigung und den sonstigen Gefahren des Straßenverkehrs bezweckten. Auch diesbezüglich habe es keine konkreten Erhebungen hinsichtlich des Verkehrsaufkommens oder der Unfallhäufigkeit gegeben. Das vom Bürgermeister der Gemeinde Siegendorf bei der Besprechung am 11. August 1993 für die Fahrverbotsverordnung ins Treffen geführte Argument, daß sich im räumlichen Geltungsbereich der Verordnung auch die Volks- und Hauptschule sowie der Kindergarten befänden, sei unrichtig, die genannten Einrichtungen lägen nicht im Bereich des Güterweges und sei daher die Fahrverbotsverordnung als Mittel zur Verkehrsberuhigung im Bereich vor diesen Einrichtungen nicht geeignet. Gerade die Ausnahmeregelung der Fahrverbotsverordnung zeige deutlich, daß offenbar aus Gründen, die nicht in §43 Abs1 litb StVO 1960 dargelegt seien, der jahrzehntelange "Schleichweg" zwischen Siegendorf und St. Margarethen, der insbesondere auch für den Nahverkehr zwischen Wulkaprodersdorf, Siegendorf, Mörbisch und Rust von Bedeutung sei, ausschließlich der Ortsbevölkerung von Siegendorf und St. Margarethen vorbehalten bleiben solle. Dafür fehle jedoch jegliche sachliche Rechtfertigung. Daß das Verkehrsaufkommen nach der Ostöffnung auf allen burgenländischen Straßen gestiegen sei, liege auf der Hand, könne aber die Erforderlichkeit der Verkehrsbeschränkung nicht begründen und sei als sachliche Rechtfertigung für die Fahrverbotsverordnung nicht spezifisch.

2.4. Weiters stelle die dargestellte Ausnahmeregelung insofern auch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes dar, als sachlich nicht erkennbar sei, warum und inwieweit jener Verkehr, der nicht von den Ausnahmen der Verordnung erfaßt werde, spezifische Gefahrensituationen für die betroffenen Straßen herbeiführe und sich von der allgemeinen, auf Straßen typischen Gefahrenlage unterscheide. Ein Vergleich mit besonderen Umständen, die für andere Straßen gerade nicht zutreffen würden, sei von der Bezirkshauptmannschaft nicht hergestellt worden. Durch die gegenständliche Verordnung komme es lediglich zu einer Verlagerung der Gefährdung von Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs auf andere gleichwertige Straßen.

3. Die burgenländische Landesregierung schloß sich in ihrer Äußerung den Anträgen des Unabhängigen Verwaltungssenates Burgenland an.

4. Die Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung legte die Verordnungsakten vor und äußerte sich zu den Anträgen des Unabhängigen Verwaltungssenates Burgenland im wesentlichen wie folgt:

4.1. Der Güterweg zwischen den Gemeinden Siegendorf und St. Margarethen sei in den Jahren 1964 bis 1965 mit Mitteln aus dem Güterwegebauprogramm des Landes Burgenland und unter Finanzierung durch die Wegebaugemeinschaften und die beteiligten Gemeinden asphaltiert worden. Zweck dieser Ausbaumaßnahme sei ausschließlich die Verbesserung der Befahrbarkeit des bestehenden Verkehrsweges bzw. der Zufahrt zu den dort gelegenen landwirtschaftlichen Grundstücken gewesen, keineswegs jedoch die Herstellung einer Verkehrsverbindung mit überörtlicher Bedeutung. Die in der Folge angefallenen Erhaltungsmaßnahmen seien von den beiden Gemeinden getragen worden.

Während der folgenden Jahre sei der Güterweg in zunehmendem Maße als direkte Verbindung zwischen den Gemeinden am Westufer des Neusiedler Sees und als Zufahrt zum Grenzübergang Klingenbach genutzt worden, wodurch es auf den an den Güterweg angrenzenden Einfahrtsstraßen in die Gemeinden Siegendorf und St. Margarethen zu erhöhtem Verkehrsaufkommen durch Pkw und insbesondere Lkw-Schwerverkehr gekommen sei. Mit der Fahrverbotsverordnung sollte daher der ursprüngliche Zweck des Güterweges als Aufschließungsweg für im unmittelbaren Nahebereich der genannten Gemeinden gelegene landwirtschaftliche Grundstücke und als Verbindungsweg für die Ortsbevölkerung wiederhergestellt werden. Die verordnungserlassende Behörde habe dabei einerseits die ursprüngliche Widmung der Straße und anderseits seine Pflege und Erhaltung durch die beteiligten Gemeinden mit dem Interesse einer "unbegrenzten" Zahl von Verkehrsteilnehmern, die abseits des überregionalen (für diese Zwecke konzipierten) Verkehrsnetzes "abgekürzte Wege" benützen wollten, abzuwägen gehabt.

Die straßenbaulichen Verhältnisse des Güterweges und die besonderen Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden Siegendorf und St. Margarethen seien den Vertretern der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung und dem verkehrstechnischen Amtssachverständigen aus eigenen Wahrnehmungen bekannt gewesen. Auf umfangreiche Erhebungen habe daher verzichtet werden können.

4.2. Die Anhörung der Landwirtschaftskammer als Interessenvertretung sei im Zuge der Verordnungserlassung insofern als entbehrlich erachtet worden, als das gegenständliche Fahrverbot einerseits Ausnahmen für die Benützer landwirtschaftlicher Fahrzeuge enthalte und anderseits der gegenständliche Güterweg lediglich eine Möglichkeit der Zufahrt - aber nicht die einzige - zu den zwischen den Ortsgebieten von Siegendorf und St. Margarethen gelegenen landwirtschaftlichen Grundstücken darstelle. Eine spezifische Interessenbetroffenheit der Landwirte sei durch die Verordnung nicht gegeben gewesen, hätten sich die betroffenen Landwirte doch selbst in eine Wegebaugemeinschaft zusammengeschlossen, um den Ausbau des Güterweges durchführen zu lassen, und in der Folge die Sperre des Güterweges zur Erhaltung des Straßenzustandes angestrebt. Es bestehe im Bereich des Güterweges ein Netz von Feldwegen, welches alternative Zufahrtsmöglichkeiten zu den landwirtschaftlichen Grundstücken biete. Auch auf die Anhörung von Vertretern der Wirtschaftskammer habe verzichtet werden können, weil das bereits vor dem Ausbau des Güterweges vorhandene überregionale Straßennetz ausreichende Verbindungsmöglichkeit zwischen den einzelnen Ortschaften des Bezirkes geboten habe. Die Benützung des Güterweges sei daher nicht notwendig und eine durch die Sperre des Güterweges bedingte Verletzung von Interessen der Mitglieder der Wirtschaftskammer nicht anzunehmen gewesen.

II.Der Verfassungsgerichtshof hat die Anträge gemäß §187 ZPO iVm. §35 Abs1 VerfGG 1953 zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und über sie erwogen:

1. Zur Zulässigkeit der Anträge:

Es ist offenkundig, daß der Unabhängige Verwaltungssenat Burgenland bei seiner Entscheidung über die bei ihm anhängigen Berufungen den Punkt 5. der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung vom 30. September 1993, Z10/03/13/15, dessen Übertretung Voraussetzung für die Bestrafung der Berufungswerber ist, anzuwenden hat. Das Verordnungsprüfungsverfahren ist sohin insoweit gemäß Art129a Abs3 iVm. Art89 Abs2 und 3 sowie Art139 Abs1 B-VG zulässig.

2. In der Sache selbst:

2.1. Aus den dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Verordnungsakten geht hervor, daß die Gemeinden Siegendorf und St. Margarethen mit Schreiben vom 15. Juli 1993 und vom 22. Juli 1993 an die Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung ihr Ansinnen herangetragen haben, auf dem Güterweg zwischen Siegendorf und St. Margarethen außerhalb des Ortsgebietes ein allgemeines Fahrverbot, ausgenommen davon die Anrainer und Bewohner von Siegendorf und St. Margarethen, zu "erlassen". Begründet wurde dieses Vorhaben einerseits damit, daß der Güterweg während des ganzen Jahres in immer stärkerem Ausmaß von Schwerkraftfahrzeugen (Lkw-Zügen), Omnibussen und Pkw befahren werde (Schreiben der Gemeinde Siegendorf vom 15. Juli 1993). Anderseits handle es sich bei diesem Güterweg um einen reinen Interessentenweg von St. Margarethen nach Siegendorf (Schreiben der Marktgemeinde St. Margarethen vom 22. Juli 1993), der für ein derart hohes Verkehrsaufkommen nicht geeignet sei. Am 11. August 1993 wurde daher in Anwesenheit des Bezirkshauptmannes, der Bürgermeister der Gemeinden Siegendorf und St. Margarethen, eines Vertreters des Bezirksgendarmeriekommandos und Ressortreferenten der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung eine Besprechung abgehalten, in der die beiden Bürgermeister ihr Ansinnen wiederholten. Der Bürgermeister von Siegendorf wies anläßlich dieser Besprechung darauf hin, daß es, bedingt durch den regen Verkehr, zu Gefährdungen insbesondere im Bereich der Volks- und Hauptschule und einer im Bereich des Güterweges gelegenen Haltestelle komme. Der Vertreter des Bezirksgendarmeriekommandos teilte mit, daß eine Umfahrung des Güterweges aus Sicht der Exekutive nicht sinnvoll wäre, weil die Urlauber und die in Seenähe beschäftigten ungarischen Staatsbürger einen kilometerlangen Umweg in Kauf nehmen müßten. Weiters gab der Bürgermeister der Gemeinde St. Margarethen zu bedenken, daß der Unterbau für Schwerverkehr ungenügend sei, die Belastung der Anrainer jedoch vor allem durch den Pkw-Verkehr erfolge.

Am 9. September 1993 wurde in Siegendorf unter Berücksichtigung der Besprechungsergebnisse vom 11. August 1993 eine Ortsaugenscheinverhandlung durchgeführt, zu der Vertreter der Gemeinden Siegendorf und St. Margarethen, des Amtes der Burgenländischen Landesregierung, des Straßenbauamtes Eisenstadt, und der Gendarmerieposten der Gemeinden Siegendorf und St. Margarethen eingeladen wurden. Die Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung erließ am 30. September 1993 die oben wiedergegebene Fahrverbotsverordnung.

Mit Schreiben vom 9. Februar 1994 an die Kammer der gewerblichen Wirtschaft für das Burgenland, die Kammer für Arbeiter und Angestellte für das Burgenland und die burgenländische Landwirtschaftskammer teilten die Gemeinden Siegendorf und St. Margarethen die Erlassung der Fahrverbotsverordnung mit und luden ein, dazu eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Die burgenländische Landwirtschaftskammer teilte mit Schreiben vom 24. Februar 1994 mit, daß gegen die geplante Fahrverbotsverordnung kein Einwand erhoben werde. Die burgenländische Wirtschaftskammer sprach sich in ihrem Schreiben vom 15. März 1994 gegen die Erlassung des Fahrverbotes aus. Die Arbeiterkammer verzichtete auf eine Stellungnahme. In einem Ansuchen vom Mai 1996 an die Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung ersucht der Tourismusverband der Gemeinde Siegendorf, die Fahrverbotsverordnung ersatzlos zu beheben, in eventu durch ein Fahrverbot für Fahrzeuge mit mehr als 3,5 t, ausgenommen landwirtschaftliche Fahrzeuge und Anrainer, zu ersetzen, weil die Gemeinde Siegendorf durch die "Schließung der genannten Verkehrsverbindung" von den Fremdenverkehrsgemeinden der Region Neusiedler See geradezu abgeschnitten werde und der Tourismus in Siegendorf seit Erlassung der Fahrverbotsverordnung merklich zurückgegangen sei.

2.2. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung vom 30. September 1993, Z10/03/13/15, soweit damit unter Punkt 5. das Befahren des Güterweges Siegendorf - St. Margarethen ab der Einmündung des Güterweges zum Schuschenwald bis zur Hottergrenze KG Siegendorf/KG St. Margarethen in beiden Richtungen mit Ausnahmen für Anrainer, Radfahrer, landwirtschaftliche Fahrzeuge, Deponiebenützer, Bewohner von Siegendorf und St. Margarethen verboten wird, ist aus folgenden Gründen gesetzwidrig:

2.2.1. Gemäß §43 Abs1 litb StVO 1960 hat die Behörde für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung, wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert, dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote .... zu erlassen.

Bei Prüfung der Erforderlichkeit einer Verordnung nach §43 StVO 1960 sind die bei einer bestimmten Straße oder Straßenstrecke, für welche die Verordnung erlassen werden soll, anzutreffenden, für den spezifischen Inhalt der betreffenden Verordnung relevanten Umstände mit jenen Umständen zu vergleichen, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen (vgl. VfSlg. 9721/1983). Weder ein erhöhtes Verkehrsaufkommen noch ein der ursprünglichen Widmung des Güterweges als Zufahrtsweg zu landwirtschaftlich genutzten Liegenschaften zuwiderlaufender Gebrauch des Güterweges als Durchzugsstraße können ein dauerndes Fahrverbot auf dem genannten Güterweg rechtfertigen, sofern nicht Besonderheiten dieser Straße gegenüber anderen Straßen die Verhängung eines dauernden Fahrverbotes gebieten würden.

2.2.2. Der Zweck einer Verordnung nach §43 Abs1 StVO 1960 ist der Schutz vor den Gefahren des Straßenverkehrs (vgl. VfSlg. 8984/1980) und nicht die Sperre eines durch landwirtschaftlich genutztes Gebiet führenden - zwar nicht als Durchzugsstraße erbauten - Güterweges für den allgemeinen Verkehr. Wie jedoch deutlich aus den Verordnungsakten hervorgeht (siehe dazu insbesondere die Schreiben der Gemeinden Siegendorf und St. Margarethen an die Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung vom 15. Juli 1993 und vom 22. Juli 1993 sowie das Protokoll der Besprechung am 11. August 1993), bezweckt die Fahrverbotsverordnung ausschließlich, das Verkehrsaufkommen auf dem Güterweg und den Verbindungsstraßen in den Gemeinden Siegendorf und St. Margarethen zu verringern und dadurch entstehende Gefahrensituationen für die betroffene Bevölkerung hintanzuhalten. Zur Verwirklichung einer solchen Intention kann aber nur §43 Abs2 StVO 1960 eine gesetzliche Grundlage bilden und es ist dazu vor Verordnungserlassung die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens notwendig, um die gemäß §43 Abs2 2. Satz StVO 1960 gebotene Interessenabwägung vornehmen zu können. Daß ein solches Ermittlungsverfahren von der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung durchgeführt wurde, ist aus den Verordnungsakten nicht ersichtlich und wird von der verordnungserlassenden Bezirkshauptmannschaft auch nicht behauptet. Der Hinweis des Bürgermeisters von Siegendorf, daß das erhöhte Verkehrsaufkommen zu Gefährdungen der Ortsbewohner führe, nämlich insbesondere im Bereich um Kindergarten und Schule, wurde durch keinerlei Untersuchungen oder Gutachten untermauert. Auch der Hinweis des Bürgermeisters der Gemeinde St. Margarethen, daß der Unterbau des Güterweges für ein derartiges Verkehrsaufkommen nicht geeignet sei, blieb unüberprüft. Der Verfassungsgerichtshof geht daher davon aus, daß der verordnungserlassenden Behörde die gebotene Interessenabwägung mangels Durchführung eines Ermittlungsverfahrens nicht möglich war.

Die gegenständliche Verordnung wurde von der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung auf §43 Abs1 litb StVO 1960 gestützt. Inwieweit die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden Verkehrs oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder inwieweit die Sicherheit eines Gebäudes und Gebietes und/oder von Personen, die sich dort aufhalten, ein allgemeines Fahrverbot erfordert, wurde im Verordnungserlassungsverfahren ebenfalls nicht untersucht. Auch hier hat die Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens unterlassen und sich allein auf die Vorbringen der Bürgermeister der Gemeinden Siegendorf und St. Margarethen gestützt sowie diesbezüglich auch den Einwand des Vertreters des Bezirksgendarmeriekommandos außer Acht gelassen.

2.2.3. Die Fahrverbotsverordnung ist aber auch aus einem weiteren Grund gesetzwidrig:

Wie die Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung in ihrer Äußerung anführt, sei "die nach dem Ausbau einsetzende Inanspruchnahme des Güterweges (...) dessen Zweckbestimmung", nämlich jener "als Aufschließungsweg für im unmittelbaren Nahebereich der genannten Gemeinden gelegene landwirtschaftliche Grundstücke bzw. als Verbindungsweg für die Ortsbevölkerung" zuwidergelaufen. Die Verordnung sieht daher Ausnahmen für "Anrainer, Radfahrer, landwirtschaftliche Fahrzeuge, Deponiebenützer und Bewohner von Siegendorf und St. Margarethen" vor.

Der Verfassungsgerichtshof hat in VfSlg. 13482/1993 ausgesprochen, daß zusätzlich zum Anrainer- und Zustellverkehr verfügte Ausnahmen von einem Fahrverbot für Fahrten mit Lastkraftfahrzeugen, die ihren Standort im räumlichen Geltungsbereich der Fahrverbotsverordnung haben, dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen. Zwar sei es von der Sache her zweifellos gerechtfertigt, daß der "Anrainer- und Zustellverkehr" in den vom Fahrverbot betroffenen Bereichen ausgenommen werde, zusätzlich aber davon Lastkraftfahrzeuge mit Standort in diesen Bereichen auszunehmen und gleichzeitig andere Lastkraftfahrzeuge mit anderen Standorten nicht, sei sachlich nicht zu rechtfertigen (vgl. dazu auch VfSlg. 13813/1994, 13892/1994).

Gleiches trifft auf die Ausnahmeregelung der gegenständlichen Fahrverbotsverordnung zu: Ganz allgemein die Bewohner der Gemeinden Siegendorf und St. Margarethen von der genannten Fahrverbotsverordnung auszunehmen, bedeutet, daß diese Bewohner den Güterweg befahren dürfen, den Bewohnern anderer Gemeinden dies jedoch verwehrt ist. Für die dadurch bewirkte Ungleichbehandlung der Bewohner anderer Gemeinden vermag der Verfassungsgerichtshof keine sachliche Rechtfertigung zu erkennen.

2.2.4. Wie oben bereits ausgeführt, sind die sachlichen Entscheidungsgrundlagen für die vor Erlassung der verkehrsbeschränkenden Fahrverbotsverordnung gebotene Interessenabwägung nicht hinreichend ermittelt worden. Dem Verordnungsakt und dem Vorbringen der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung zufolge wurde auch das gesetzlich gebotene Anhörungsverfahren nicht durchgeführt. Es fehlt daher sowohl an der im Zuge der Entscheidungsfindung gebotenen, inhaltlichen Auseinandersetzung mit den auch anläßlich der Ortsaugenscheinverhandlung abgegebenen Äußerungen als auch an der notwendigen Untersuchung der entscheidungswesentlichen Sachverhaltselemente bzw. Gefahren oder Belästigungen, denen die Anrainer des vom Fahrverbot erfaßten Güterweges durch den Verkehr ausgesetzt sind, sowie schließlich an einer Analyse der Bedeutung dieser Straße für Verkehrsbeziehungen und Verkehrserfordernisse und einer Berücksichtigung größerer Verkehrszusammenhänge. Derartige Erhebungen sind dem Verordnungsakt insgesamt nicht zu entnehmen. Die einzige, im Akt auffindbare Stellungnahme des Bezirksgendarmeriekommandos richtete sich gegen die Erlassung der gegenständlichen Verordnung und wurde nicht beachtet. Auch daß die verordnungserlassende Behörde ein halbes Jahr nach Erlassung der Verordnung eine Art Anhörungsverfahren durchgeführt hat, vermag den Mangel, daß vor Verordnungserlassung kein Anhörungsverfahren im Sinne des §94f StVO 1960 durchgeführt wurde, nicht zu sanieren.

3. Wegen Widerspruchs zu §43 Abs1 und zu §94f StVO 1960 war sohin Punkt 5. der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung vom 30. September 1993, Z10/03/13/15, als gesetzwidrig aufzuheben.

4. Die Verpflichtung zur Kundmachung des Ausspruches des Verfassungsgerichtshof gründet sich auf Art139 Abs5 B-VG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefällt werden.

Schlagworte

Straßenpolizei, Fahrverbot, Verordnungserlassung, Anhörungsrecht, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:V74.1998

Dokumentnummer

JFT_10008984_98V00074_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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