TE Vwgh Erkenntnis 2002/12/11 2000/03/0032

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Veröffentlicht am 11.12.2002
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

StVO 1960 §15 Abs1;
StVO 1960 §15 Abs4;
StVO 1960 §2 Abs1 Z29;
StVO 1960 §7 Abs3;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Gall und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des M in Siezenheim, vertreten durch Dr. Robert Galler, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Künstlerhausgasse 1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom 5. Jänner 2000, Zl. UVS- 3/10.738/7-2000, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seines Abspruches über Punkt 3) und 4) des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung vom 29. Oktober 1998 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Land Salzburg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung vom 29. Oktober 1998 wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, er habe am 10. Jänner 1997 gegen 09.35 Uhr als Lenker eines nach dem Kennzeichen bestimmten Kombinationskraftwagens, im Gemeindegebiet von Grödig auf der A 10-Tauernautobahn, Höhe km 5,000, Richtung Villach, 1. nach einem Verkehrsunfall, an welchem er durch sein Verhalten am Unfallsort in ursächlichem Zusammenhang stand, nicht sofort angehalten, 2. nach einem Verkehrsunfall mit Sachschaden, an welchem er durch sein Verhalten am Unfallsort in ursächlichem Zusammenhang stand, die nächste Gendarmeriedienststelle nicht ohne unnötigen Aufschub verständigt,

3. rechts überholt, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben waren, und 4. beim Überholen keinen der Verkehrssicherheit und der Fahrgeschwindigkeit entsprechenden seitlichen Abstand vom Fahrzeug, das überholt wurde, eingehalten. Er habe dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt: Zu 1. § 4 Abs. 1 lit. a StVO 1960, zu 2. § 4 Abs. 5 StVO 1960, zu 3. § 15 Abs. 1 StVO 1960 und zu 4. § 15 Abs. 4 StVO 1960. Zu 1. wurde gemäß § 99 Abs. 2 lit. a leg. cit. eine Geldstrafe in der Höhe von

S 2.500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 60 Stunden), zu 2. gemäß § 99 Abs. 3 lit. b leg. cit. eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 36 Stunden), zu 3. gemäß § 99 Abs. 3 lit. a leg. cit. eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 36 Stunden) und zu 4. gemäß § 99 Abs. 3 lit. a leg. cit. eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 24 Stunden) verhängt.

Mit dem nun angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 5. Jänner 2000 wurde der vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG i.V.m. § 24 VStG hinsichtlich der Spruchpunkte 1. und 2. Folge gegeben, das Straferkenntnis in diesen Punkten aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 VStG eingestellt; die Berufung bezüglich der Spruchpunkte 3. und 4. wurde als unbegründet abgewiesen. Das Straferkenntnis wurde in den Punkten 3. und 4. mit der Maßgabe bestätigt, als bei der Tatumschreibung des Punktes 4. folgender Text eingefügt wurde: "Der Seitenabstand war gleich Null, da es zu einem Berühren bzw. Streifen der beiden Fahrzeuge gekommen ist.".

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am 10. Jänner 1997 auf der A 10 Tauernautobahn in Fahrtrichtung Villach gefahren, habe etwa auf Höhe Straßenkilometer 5,0 den rechten Fahrstreifen benützt und habe auf den linken Fahrstreifen wechseln wollen, auf dem sich, etwas nach hinten versetzt, der Zeuge S. mit seinem Fahrzeug befunden habe. Er sei zunächst eine Zeit lang weiter auf dem rechten Fahrstreifen gefahren, dann habe er - für den Zeugen S. überraschend - zum Überholen angesetzt und sein Fahrzeug vor dem Fahrzeug des Zeugen S. auf den linken Fahrstreifen gelenkt. Dabei habe er mit seinem Fahrzeug den rechten Außenspiegel des Fahrzeuges von S. gestreift, sodass der Spiegel aus der Verankerung gerissen worden sei und in der Folge an das rechte Außenfenster geschlagen habe. Der Zeuge S. habe versucht, den Beschwerdeführer mittels Lichthupe auf den Vorfall aufmerksam zu machen, was jedoch misslungen sei. S. habe den Vorfall sodann bei der Autobahngendarmerie Anif gemeldet, wo der Sachverhalt aufgenommen und dessen Fahrzeug besichtigt worden sei. Auf Grund der Angaben des Zeugen S. sei dann der Beschwerdeführer ausgeforscht und auch dessen Fahrzeug besichtigt worden. Am Fahrzeug des Beschwerdeführers habe der Beamte keine Schäden, insbesondere auch keine Kratzspuren oder ähnliches erkennen können. Der Zeuge S. habe den aus der Verankerung gerissenen Außenspiegel bei seiner Autowerkstätte im Rahmen der Durchführung einer Inspektion reparieren lassen, ohne dass hiefür Kosten angefallen seien, weil der Spiegel wieder in seine ursprüngliche Position eingepasst habe werden können.

Hinsichtlich der Spruchpunkte 1. und 2. führte die belangte Behröde im Hinblick auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach ein Schaden nicht vorliege, wenn die beschädigte Sache ohne nennenswerten Aufwand wieder in die ursprüngliche Lage zurückversetzt werden könne, aus, dass die vorgeworfenen Übertretungen nicht mit der für ein Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit erwiesen worden seien, weshalb in den beiden Spruchpunkten 1. und 2. mit Einstellung vorzugehen gewesen sei.

Zu Spruchpunkt 3. führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer rechts überholt habe, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen hätten und er damit gegen § 15 Abs. 1 StVO 1960 verstoßen habe. Der Beschwerdeführer habe sich dem Fahrzeug des Zeugen S. mit höherer Geschwindigkeit genähert und sei zur Gänze an diesem Fahrzeug vorbeigefahren, er habe damit zweifellos überholt. Dieses gesetzte Fahrmanöver sei nicht als - zulässiges - Nebeneinanderfahren im Sinne des § 7 Abs. 3 StVO 1960, sondern als rechtswidriges, weil gegen § 15 Abs. 1 leg. cit. verstoßendes Überholen anzusehen gewesen.

Bezüglich des Spruchpunktes 4. führte die belangte Behörde aus, dass sie den Zeugen S. für glaubwürdiger halte, da sich dieser ansonsten nicht die Mühe gemacht haben würde, den Vorfall zur Anzeige zu bringen. Der Beschwerdeführer habe den erforderlichen Seitenabstand beim Überholen nicht eingehalten; der KFZ-technische Sachverständige habe, unter Zugrundelegung einer Geschwindigkeit von 110 km/h einen Seitenabstand von etwa 1,60 m als erforderlich bezeichnet. Der vom Beschwerdeführer gewählte Seitenabstand sei so gering gewesen, dass es zu einem Kollidieren mit dem vom Zeugen S. gelenkten Fahrzeug kommen habe können. Der Beschwerdeführer habe das gesetzliche Tatbild erfüllt und sei ihm grobe Fahrlässigkeit anzulasten gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde insoweit, als der Beschwerdeführer hinsichtlich der Bestrafung wegen der Verwaltungsübertretungen nach den §§ 15 Abs. 1 und 4 StVO 1960 Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend macht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsstrafakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 15 StVO 1960 lautet wie folgt:

"§ 15. Überholen.

(1) Außer in den Fällen der Abs. 2 und 2a darf der Lenker eines Fahrzeuges nur links überholen.

(2) Rechts sind zu überholen:

a) Fahrzeuge, deren Lenker die Absicht anzeigen, nach links einzubiegen oder zum linken Fahrbahnrand zuzufahren und die Fahrzeuge links eingeordnet haben,

b) Schienenfahrzeuge, wenn der Abstand zwischen ihnen und dem rechten Fahrbahnrand genügend groß ist; auf Einbahnstraßen dürfen Schienenfahrzeuge auch in diesem Fall links überholt werden.

(2a) Fahrzeuge des Straßendienstes, die bei einer Arbeitsfahrt einen anderen als den rechten Fahrstreifen benützen, dürfen rechts überholt werden, sofern nicht noch genügend Platz vorhanden ist, um links zu überholen, und sich aus Straßenverkehrszeichen nichts anderes ergibt.

(3) Der Lenker des überholenden Fahrzeuges hat den bevorstehenden Überholvorgang nach § 11 über den Wechsel des Fahrstreifens und nach § 22 über die Abgabe von Warnzeichen rechtzeitig anzuzeigen.

(4) Beim Überholen ist ein der Verkehrssicherheit und der Fahrgeschwindigkeit entsprechender seitlicher Abstand vom Fahrzeug, das überholt wird, einzuhalten.

(5) Der Lenker eines Fahrzeuges, das überholt wird, darf die Geschwindigkeit nicht erhöhen, sobald ihm der Überholvorgang angezeigt worden ist (Abs. 3) oder er den Überholvorgang nach den Verkehrsverhältnissen sonst wahrgenommen haben mußte. Dies gilt nicht für die Führer von Schienenfahrzeugen."

Der Beschwerdeführer bestreitet - wie schon in seiner Berufung -, dass ihm Übertretungen des § 15 StVO 1960 anzulasten seien. Er bringt vor, es habe sich nicht um ein Überholen entgegen § 15 Abs. 1 StVO 1960 gehandelt, sondern um ein (gemäß § 7 Abs. 3 leg. cit.) zulässiges Nebeneinanderfahren, weil auf beiden Fahrstreifen mehrere Fahrzeuge hintereinander gefahren seien, sodass entsprechende Fahrzeugreihen vorgelegen seien. Er sei von vornherein am rechten Streifen vor dem Zeugen S. gefahren und habe dieser, als er den Blinker gesetzt habe, um den Fahrstreifen zu wechseln, aufgeschlossen und den Beschwerdeführer in die Fahrzeuglücke nicht mehr hineinfahren lassen. Der Zeuge S. und der Beschwerdeführer seien dann eine gewisse Zeit nebeneinander hergefahren und habe der Beschwerdeführer nach einer weiteren kurzen Fahrstrecke gesehen, dass der Zeuge S. mit seinem Fahrzeug wieder einen größeren Abstand eingehalten habe und sei dann in das dadurch entstandene "Loch" hineingefahren. Es habe sich nicht um eng geschlossene Fahrzeugreihen gehandelt, doch seien für die Anwendung des § 7 Abs. 3 StVO 1960 aufgelockerte Fahrzeugreihen ausreichend, sodass jedenfalls von einem Nebeneinanderfahren auszugehen sei.

Gemäß § 15 Abs. 1 StVO 1960 darf der Lenker eines Fahrzeuges außer in den - im Beschwerdefall nicht vorliegenden - Fällen der Abs. 2 und 2a nur links überholen. Als Überholen gilt gemäß § 2 Abs. 1 Z. 29 StVO das Vorbeibewegen eines Fahrzeuges an einem auf derselben Fahrbahn in der gleichen Richtung fahrenden Fahrzeug. Nicht als Überholen gilt unter anderem nach der genannten Gesetzesbestimmung das Nebeneinanderfahren von Fahrzeugreihen, auch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, auf Fahrbahnen mit mehr als einem Fahrstreifen für die betreffende Fahrtrichtung. Voraussetzung dafür, dass das Nebeneinanderfahren mit unterschiedlicher Geschwindigkeit nicht als "Überholen" gilt, ist daher, dass sich auf beiden Fahrstreifen Fahrzeugreihen fortbewegen. Von einer Fahrzeugreihe kann aber erst dann gesprochen werden, wenn mindestens drei Fahrzeuge auf einem Fahrstreifen hintereinander fahren. Dabei muss es sich nicht um eng geschlossene Fahrzeugreihen handeln, sondern es kann sich auch um aufgelockerte Fahrzeugreihen handeln (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. April 1984, Zl. 83/02/0377).

Mit dem Vorliegen dieser Voraussetzungen hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid jedoch nicht auseinander gesetzt. Aus der Niederschrift, welche im Rahmen der Anzeigenerstattung mit dem Zeugen S. am 10. Jänner 1997 aufgenommen wurde, geht hervor, dass auf dem zweiten (= linken) Fahrstreifen jedenfalls drei Fahrzeuge hintereinander fuhren, nämlich der Zeuge S. und vor ihm zwei weitere Fahrzeuge. Bezüglich des ersten (= rechten) Fahrstreifens wird ausdrücklich zwar nur ein weißer KleinLkw erwähnt, doch hat der Beschwerdeführer schon in der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde am 31. August 1999 ausgeführt, dass "damals reges Verkehrsaufkommen herrschte",..., weiters sei es so gewesen, dass "auf dem linken Fahrstreifen dichtes Verkehrsaufkommen herrschte und auf dem rechten Fahrstreifen, ..., weniger Fahrzeuge fuhren", sodass nicht unerhebliche Anhaltspunkte dafür bestanden, dass auch im Fahrstreifen des Beschwerdeführers mehrere Fahrzeuge unterwegs waren. Weiters führte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung aus, dass "die beiden Fahrzeugreihen in etwa mit der gleichen Geschwindigkeit fuhren, die Fahrzeuge am linken Fahrstreifen waren nur unmerklich schneller unterwegs". Der Zeuge S. führt in der genannten Berufungsverhandlung ebenfalls aus, dass er auf dem linken Fahrstreifen gefahren sei und plötzlich wahrgenommen habe, dass "auf dem mittleren Fahrstreifen sich ein roter Renault Espace (Anmerkung: das Fahrzeug des Beschwerdeführers( mit etwas höherer Geschwindigkeit als die Fahrzeugreihe am linken Fahrstreifen unterwegs war, näherte...". Da der Beschwerdeführer bereits in der Berufung darauf verwiesen hatte, dass kein Überholen, sondern vielmehr ein zulässiges Nebeneinanderfahren stattgefunden habe, und zudem auch in der Berufungsverhandlung mehrfach Anhaltspunkte für das Vorhandensein von "Fahrzeugreihen" auf beiden Fahrstreifen hervorgekommen sind, bestand für die belangte Behörde die Verpflichtung, sich damit auseinander zu setzen und Feststellungen über das "tatsächliche Verkehrsaufkommen" auf den einzelnen Fahrstreifen zu treffen. Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides zur Frage des zulässigen Nebeneinanderfahrens von Fahrzeugreihen ist zu ersehen, dass die belangte Behörde offensichtlich in Verkennung von § 2 Abs. 1 Z. 29 zweiter Satz StVO 1960 und der Rechtsprechung (vgl. erneut das hg. Erkenntnis vom 13. April 1984, Zl. 83/02/0377) ohne diesbezügliche nähere Ermittlungen und Sachverhaltsfeststellungen das Fahrmanöver des Beschwerdeführers als "Überholen" qualifiziert hat, sodass sie wegen dieses sekundären Feststellungsmangels den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet hat.

Gleiches gilt auch auch hinsichtlich der dem Beschwerdeführer angelasteten Übertretung des § 15 Abs. 4 StVO 1960 (Spruchpunkt 4. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses).

Der angefochtene Bescheid war daher in dem im Spruch genannten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 11. Dezember 2002

Schlagworte

Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000030032.X00

Im RIS seit

01.04.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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