TE Vwgh Erkenntnis 2003/1/14 2001/01/0604

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Veröffentlicht am 14.01.2003
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des 1983 geborenen K alias J in Wien, vertreten durch Dr. Arno Tertschnig, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 12, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18. Oktober 2001, Zl. 216.205/0-XI/38/00, betreffend §§ 7 und 8 des Asylgesetzes 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchabschnitt II. über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Angola wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Angola, reiste am 25. Februar 2000 in das Bundesgebiet ein und stellte am darauf folgenden Tag einen Asylantrag. Diesen begründete er mit Furcht vor Verfolgung aus politischen Gründen, weil sein Onkel der UNITA angehört habe und deswegen ermordet worden sei.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wies der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) den Asylantrag gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 des Fremdengesetzes 1997 (FrG) fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Angola zulässig sei. Nach Darstellung des Verfahrensganges traf die belangte Behörde die Feststellungen, der Beschwerdeführer, Staatsangehöriger von Angola, sei am 25. Februar 2000 aus Johannesburg kommend über den Flughafen Wien-Schwechat illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe am 28. Februar 2000 einen Antrag auf Gewährung von Asyl gestellt; hingegen hätten seine Identität, der genaue Fluchtweg (abgesehen von der Flugstrecke Johannesburg - Wien) sowie die Fluchtgründe nicht festgestellt werden können. Weiters traf die belangte Behörde Feststellungen über die politische und humanitäre Lage in Angola, die sie auf den Bericht des Deutschen Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom Juni 2000, den Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 15. November 2000, den Bericht des Büros des Generalsekretärs der Vereinten Nationen in Angola vom 11. April 2001, einen Bericht des US Departement of State betreffend Angola vom Februar 2001, den "Human Rights Watch World Report 2000 betreffend Angola" und eine Auskunft der Fremdenpolizei Wien Schwechat vom 2. April 2001 stützte. Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, die Einreise des Beschwerdeführers und das Datum der Antragstellung ergäben sich aus dem Akteninhalt, insbesondere aus der Niederschrift der Bundespolizeidirektion Schwechat vom 26. Februar 2000. Der Beschwerdeführer habe durchaus gewisse Kenntnisse über Angola aufgewiesen, wenngleich diese auch teilweise etwas rudimentär und insbesondere hinsichtlich der Namen der zentralen Straßen in Luanda nicht zutreffend gewesen seien. Allerdings erschienen solche Unkenntnisse vor dem Hintergrund der Grundkenntnisse über Angola nicht ausreichend, um zur Feststellung zu gelangen, der Beschwerdeführer sei nicht Staatsangehöriger von Angola. Zur Identität und Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers sei festzuhalten, dass er keine Lichtbildausweise oder sonstigen Dokumente zur Bescheinigung seiner Identität habe vorlegen können. Auf Befragen zu seinem Geburtsdatum und seinem Geburtsort habe er in seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt anderes behauptet als bei seiner Einvernahme durch die Bundespolizeidirektion Schwechat sowie vor der belangten Behörde. Auch hinsichtlich seines Religionsbekenntnisses habe der Beschwerdeführer verschiedene Angaben gemacht. Betreffend seine Sprachkenntnisse habe er angegeben, Portugiesisch und Lingala - eine Sprache, die nur in der Demokratischen Republik Kongo sowie in der Republik Kongo gesprochen werde - zu sprechen; Lingala hätte er von seinem Lehrmeister gelernt. Im Süden, wo der Beschwerdeführer aufgewachsen sei, würde seinen Angaben zufolge Kwayama gesprochen, eine Sprache, die es in Angola nicht gebe. Allerdings habe die belangte Behörde eine Sprache namens Kwanyama verifiziert. Auch die Angaben über die Zeiten seines Schulbesuches seien widersprüchlich gewesen. Aber auch seine Fluchtgeschichte selbst weise unlösbare Widersprüche und Ungereimtheiten auf. So habe der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme durch die Bundespolizeidirektion Schwechat am 26. Februar 2000 angegeben, sein Onkel, Angehöriger der UNITA, wäre im Zuge von Kämpfen umgebracht worden, seine Familie wäre vertrieben worden. Seither wäre der Beschwerdeführer auf der Flucht. Dies hätte sich etwa im Oktober oder November 1999 ereignet. Im Zuge der Einvernahme durch die Erstbehörde am 15. März 2000 habe der Beschwerdeführer angegeben, mit seinen Eltern und Geschwistern in Luanda gewohnt zu haben. Am 25. Dezember 1999 hätte ihn sein Onkel von Luanda nach Onjiva in der Provinz Cunene gebracht, am 3. Jänner 2000 wäre sein Onkel - wegen dessen Zugehörigkeit zur UNITA - erschossen worden. Dagegen habe er bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde angegeben, vom 31. Dezember 1999 auf den 1. Jänner 2000 von Luanda nach Onjiva geflogen zu sein. Den Vorhalt durch die belangte Behörde, dass die Angaben widersprüchlich wären, habe der Beschwerdeführer mit einem Grinsen bzw. mit den Behauptungen quittiert, er hätte die Frage nicht verstanden bzw. er hätte dies alles niemals gesagt. Anzumerken sei weiters, dass die Darstellung des Ablaufes der Ermordung des Onkels durch Soldaten nicht sehr wahrscheinlich sei. Auch erscheine nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer nicht habe angeben können, was die Abkürzung "UNITA" bedeute, und keinerlei Kenntnis von der Spaltung der UNITA gehabt habe. Aber auch die Angaben des Beschwerdeführers über seine Aufenthalte in der Provinz Cunene seien widersprüchlich und nicht geeignet, seine Glaubwürdigkeit zu fördern. Gleiches gelte für die Fluchtgeschichte. Aus einer Gesamtbetrachtung der Ausführungen, insbesondere auf Grund der unzähligen Widersprüche und unplausiblen Angaben des Beschwerdeführers, ergebe sich für die belangte Behörde die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens hinsichtlich seiner Identität, seiner Fluchtgeschichte sowie seines Fluchtweges, soweit dieser nicht den Flug von Johannesburg nach Wien betreffe. In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde hieraus, das Vorbringen des Beschwerdeführers über eine Verfolgungssituation entspreche nicht den Tatsachen, weshalb der Asylantrag gemäß § 7 AsylG abzuweisen gewesen sei. Betreffend die Feststellung nach § 8 AsylG sei es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung glaubhaft zu machen, sodass § 57 Abs. 2 FrG ausscheide. Auch eine Gefährdung im Sinn des § 57 Abs. 1 FrG habe der Beschwerdeführer nicht darzutun vermocht. Vor dem Hintergrund der kritischen humanitären Lage in Angola sei auszuführen, dass in den vom Bürgerkrieg nicht berührten Landesteilen gegenwärtig eine Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zumindest auf niedrigem Niveau gewährleistet sei, auch durch die Tätigkeit nationaler wie internationaler Hilfsorganisationen. Dies gelte auch für die medizinische Versorgung in der Hauptstadt Luanda. Im Gegensatz zu den vom Bürgerkrieg betroffenen Landesteilen sei in den von der Regierung kontrollierten Küstenstreifen einschließlich der Hauptstadt Luanda den Hilfsorganisationen zu keiner Zeit der Zugang zu den dort Not leidenden Teilen der Bevölkerung verwehrt oder eingeschränkt worden, sodass sich die Ernährungslage dort "nicht so schlimm" darstelle. Für den Fall einer tatsächlichen Abschiebung des Beschwerdeführers nach Angola wäre gewährleistet, dass er in einem von der Regierung kontrollierten Gebiet (Luanda) eintreffen würde. Eine Rückverbringung nach Angola wäre nach Ansicht der belangten Behörde auch unter Berücksichtigung der allgemein ungünstigen humanitären Situation in diesem Land nicht als unmenschliche Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK anzusehen, weil es sich beim Beschwerdeführer um einen kräftigen, gesunden und erwachsenen Mann mit einer durchaus entwickelten Persönlichkeit handle. Jedenfalls könne er in Luanda im Bedarfsfall die Unterstützung von Hilfsorganisationen in Anspruch nehmen.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Versagung seiner Glaubwürdigkeit zusammengefasst mit dem Argument, die belangte Behörde habe grundsätzlich außer Acht gelassen, dass es sich bei ihm um einen afrikanischen Jugendlichen aus kleinbäuerlichen Verhältnissen handle, der nur über geringste Bildung verfüge und zudem sein gesamtes Leben in einem Bürgerkriegsland Zentralafrikas verbracht habe. Die von der belangten Behörde angewandten Maßstäbe der Beurteilung der Glaubwürdigkeit beruhten auf rein europäischen Annahmen. Bei der Anlegung europäischer Maßstäbe auf afrikanische Verhältnisse sei jedoch besondere Vorsicht geboten. Der Kenntnisstand des Beschwerdeführers über detaillierte geografische Gegebenheiten Luandas, über Details politischer Abkürzungen und über die Verbindung von Angehörigen seiner Familie zur UNITA wäre nur dann aufschlussreich, wenn die belangte Behörde auch Erfahrungswerte über das durchschnittliche Wissen angolanischer Jugendlicher mit dem gleichen familiären Hintergrund und einer ähnlichen Bildung ermittelt und im Asylverfahren herangezogen hätte. Der Beschwerdeführer habe die an ihn gestellten Fragen zumindest in Grundzügen richtig beantwortet. Die belangte Behörde habe dem Beschwerdeführer ohne stichhaltige Begründung die Glaubwürdigkeit versagt, obwohl sein Vorbringen schlüssig und im Licht eines angemessenen angolanischen Maßstabes glaubwürdig sei.

Mag auch dem Beschwerdeführer zuzubilligen sein, dass sein Wissensstand nur an einem afrikanischen Jugendlichen aus kleinbäuerlichen Verhältnissen mit geringer Bildung gemessen werden kann, so vermag er damit noch nicht seine widersprüchlichen Angaben über seinen Geburtsort, sein Religionsbekenntnis oder über die zeitliche Abfolge der Reise von Luanda nach Onjiva und den Zeitpunkt der Ermordung seines Onkels, welche er vor der Bundespolizeidirektion Wien, vor der Erstbehörde und vor der belangten Behörde unterschiedlich darlegte, zu erklären und damit die Beweiswürdigung der belangten Behörde in ihrem tragenden Teil als unschlüssig zu erschüttern. Im Hinblick darauf war die vorliegende Beschwerde, soweit sei die Entscheidung der belangten Behörde in der Asylfrage bekämpft, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Beschwerdeführer rügt weiters, die belangte Behörde habe ihm die im angefochtenen Bescheid zitierten und diesem zu Grunde gelegten Quellen nicht gehörig zur Kenntnis gebracht. Hätte sie ihm Parteiengehör gewährt, hätte er darauf hinweisen können, dass die Quellen nicht mehr die aktuelle Situation in Angola beschreiben. Der neueste der angeführten Berichte stamme vom Oktober 2000, die meisten sogar aus dem Jahr 1999. Zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung im Oktober 2001 habe sich die Bürgerkriegssituation in Angola bereits grundlegend geändert. Wie sich aus aktuellen Informationen des IRIN - des UN-Amtes für die Koordination humanitärer Tätigkeiten - ergebe, seien nunmehr auch früher als sicher geltende Provinzen von Bürgerkriegshandlungen betroffen. Insbesondere gehe die UNITA mehr und mehr zu einem Guerillakampf über, der zu einem Übergreifen der Bürgerkriegsgefahr auf das gesamte Land führe. Insbesondere Kinder und Jugendliche seien außerordentlich gefährdet, weil sowohl die UNITA als auch die Regierungsarmee Kinder und Jugendliche als Soldaten rekrutiere, um die hohen Verluste der letzten Jahre kompensieren zu können. Die Gefahr eine Zwangsrekrutierung treffe vor allem jene, die keinen Familienanhang hätten.

Damit zeigt der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides in seinem feststellenden Teil nach § 8 AsylG auf:

Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist die belangte Behörde als Spezialbehörde für das Asylwesen - unabhängig von den vom Asylwerber vorgelegten Beweismitteln - von sich aus verpflichtet, ihren Feststellungen des maßgeblichen Sachverhaltes jeweils aktuelle Beweismittel zu Grunde zu legen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 11. Oktober 2000, Zl. 2000/01/0154). Abgesehen davon, dass die belangte Behörde die von ihr für die Feststellungen über die politische und humanitäre Lage in Angola herangezogenen Beweismittel (Urkunden) nicht mit den Verwaltungsakten vorlegte, weist die Beschwerde zutreffend darauf hin, dass keines dieser Beweismittel die erforderliche Aktualität für sich in Anspruch nehmen kann, um dem besagten Erfordernis für eine Beurteilung der aktuellen Gefährdungssituation zu genügen, was sich darin widerspiegelte, dass sich die diesbezüglichen Feststellungen im angefochtenen Bescheid - abgesehen von der Möglichkeit der Abschiebung im Luftwege von Österreich nach Angola - auf die Jahre 1999 und 2000 beschränken und nicht erkennbar ist, dass der von der belangten Behörde als Quelle genannte Bericht vom April 2001 auf einen jüngeren Zeitraum abstellt. Auch zog die belangte Behörde den in der Beschwerde zitierten IRIN-Bericht vom Juni 2001 nicht heran.

Nach dem Gesagten leidet der bekämpfte Bescheid in seinem Ausspruch nach § 8 AsylG an einem Verfahrensmangel, weil er sich mit der aktuellen Situation des Beschwerdeführers für den gedachten Fall seiner Abschiebung nach Angola nicht auseinander gesetzt hat. Dieser Verfahrensmangel ist relevant, weil auf dem Boden des in der Beschwerde erwähnten IRIN-Berichtes nicht ausgeschlossen werden kann, dass weiter gehende Ermittlungen zu dem Ergebnis führen, dem Beschwerdeführer drohe in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Situation, die seine Abschiebung im Sinn des § 57 FrG unzulässig machen würde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2002, Zl. 2001/01/0030).

Der die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Angola feststellende Spruchteil war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 14. Jänner 2003

Schlagworte

"zu einem anderen Bescheid" Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001010604.X00

Im RIS seit

28.04.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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