TE Vwgh Erkenntnis 2003/1/22 2002/12/0256

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Veröffentlicht am 22.01.2003
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Index

65/01 Allgemeines Pensionsrecht;

Norm

PG 1965 §4 Abs4 Z3 idF 1998/I/123;
PG 1965 §4 Abs7 idF 1998/I/123;
PG 1965 §9 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Germ und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lamprecht, über die Beschwerde der M in M, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid des Bundesministers für Finanzen vom 20. Juni 2002, Zl. 15 1311/52 - II/15/02, betreffend Ruhegenussbemessung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin stand bis zum 31. Oktober 1999 als Fachinspektorin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Mit Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 29. September 1999 wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 14 Abs. 1 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333 (im Folgenden: BDG 1979), mit Ablauf des 31. Oktober 1999 in den Ruhestand versetzt. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Im Zuge des Ruhestandsversetzungsverfahrens wurde ein Untersuchungsbefund des Prim. Dr. S, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 23. August 1999 eingeholt. Aus dem psychopathologischen Befund ist in diesem Zusammenhang hervorzustreichen, dass der Sachverständige davon ausging, dass die Beschwerdeführerin zwar nicht unter Zwangsgedanken, vereinzelt jedoch unter Zwangsritualen leide. Der Sachverständige gelangte zur Diagnose "anhaltende affektive Störung (Dysthymie, neurotische Depression) sowie ängstlich (vermeidende) Persönlichkeit".

Auf Basis der in diesem Befund näher erstatteten Ausführungen (sowie weiterer Befundungen) gelangte der leitende Arzt des Bundespensionsamtes Dr. Z zu folgendem, am 16. September 1999 erstatteten "ärztlichen Sachverständigengutachten zur Leistungsfeststellung":

     "Diagnosen (nach Relevanz hinsichtlich Arbeitsfähigkeit)

     1.        Anhaltende affektive Störung

(Dysthymie, neurotische Depression)

     2.        Ängstliche Persönlichkeit (mit Vermeidungsverhalten)

     3.        Rückenschmerzen bei fixierter Fehlhaltung der

Wirbelsäule

     4.        Degenerative Kniegelenksveränderungen beidseits

     5.        Neigung zu hypotoner Dysregulation

(Kreislaufstörungen bei niedrigem Blutdruck)

     6.        Degenerative Veränderungen der gesamten Wirbelsäule

     7.        Besenreiservarizen

     Leistungskalkül

     In der psychiatrischen Untersuchung wird eine neurotische

Persönlichkeit festgestellt. Dadurch kommt es zu einem ängstlich

vermeidenden Verhalten, welches eindeutig gegenüber den

vorhandenen Zwangssymptomen überwiegt. Auf Grund der neurotischen

Persönlichkeit ist es im Lauf der letzten Jahre zu einer

anhaltenden affektiven Störung gekommen. Die vorhandenen

ärztlichen Unterlagen sind ebenfalls in diese Richtung weisend.

Von einer so genannten 'rezidivierenden Depression' kann auf Grund der durchgeführten psychiatrisch-neurologischen Untersuchung sicherlich nicht gesprochen werden. Das bei Frau M bestehende psychische Störbild ist neurose- und nicht psychosewertig. Im Zusammenhang mit der bestehenden neurotischen Störung ist der berufliche Alltag, auch bei der Durchführung von Routinearbeit für die Beamtin sicherlich erschwerend wirksam. Das Auftreten von Erwartungsängsten und Angst vor Kritik ist bei auftretendem vermehrtem Arbeitsdruck nachvollziehbar. Es kommt zu neurotischen Versagensreaktionen unter vermehrter beruflicher Anforderung, die diesbezüglich gemachten anamnestischen Angaben sind nachvollziehbar. Arbeiten unter mehr als durchschnittlichem Zeit- und Leistungsdruck sowie unter besonders hoher Eigenverantwortung sind nicht mehr durchführbar. Körperlich schwere und uneingeschränkt mittelschwere Arbeiten, sowie Arbeiten in gebückter Körperhaltung (Kopf unter Tischniveau) sind nicht mehr möglich. Bei weiter bestehender derzeitiger beruflichen Belastungssituation ist durch therapeutische Maßnahmen eine Besserung nicht mehr zu erreichen. In diesem Sinne sind auch Rehabmaßnahmen nicht zielführend. Die psychische Symptomatik besteht seit dem Jahr 1990. Im Vorjahr ist es an dem konkreten Arbeitsplatz zu einer Umstellung auf EDV-Arbeit gekommen. Dies hat zu einer weiteren Befindlichkeitsstörung geführt. Die in diesem Zusammenhang aufgetretenen Beschwerden sind mit dem Krankheitsverlauf während der letzten Jahre annähernd vergleichbar. Es lassen sich anamnestisch keine typischen depressiven Episoden differenzieren. Ähnliche Problemsituationen (zwanghaftes Reagieren in panischen Situationen) kommen auch im Privatleben vor, eine Befindlichkeitsbesserung über einen Zeitraum von mehr als 14 Tagen ist im letzten Jahr nicht eingetreten. Der körperliche Zustand von Frau M kann als gut bezeichnet werden, es besteht keine Einschränkung der Mobilität.

In einem persönlichen Schreiben teilt Frau M mit, dass sie bei der fachärztlichen Untersuchung bei Dr. S nicht angegeben habe, dass sie in psychologischer Behandlung sei. Sei teilt auch mit, dass sie einen Behandlungsversuch mit autogenem Training erfolglos durchgeführt habe. Es werden weitere Angaben zur Beschwerdesymptomatik, die sich durch die psychische Erkrankung ergeben, gemacht. Die gemachten Beschwerdeangaben sind mit der von Dr. S erstellten Diagnose und der diagnosebezogenen Leistungsbeurteilung in Einklang zu bringen.

Im Zusammenhang mit sich ändernden beruflichen Anforderungen (vermehrter Leistungsdruck und Unsicherheit im Umgang mit neuen Medien/EDV) kommt es zu Versagensängsten, die als Überforderung erlebt werden.

Die Anforderungen des Arbeitsplatzes im Rahmen der zuletzt ausgeübten Tätigkeit sind auf Grund der eingeschränkten Belastbarkeit aus ärztlicher Sicht auf Dauer nicht mehr zu erfüllen. Berufliche Umstellbarkeit ist nur mehr durch Unterweisbarkeit gegeben. Geistig schwere Arbeiten unter besonderem Zeitdruck, unter hoher Eigenverantwortung, hohem Leistungsdruck und bei hoher Anforderung an Flexibilität im Umgang mit sich ändernden Arbeitsbedingungen, sind nicht mehr zumutbar. Körperlich mittelschwere und schwere Arbeiten scheiden aus. Psychisch belastende Kundenkontakte wie bei dauerndem Parteienverkehr sind nicht mehr möglich. Durchführbar ist eine geistig leicht- bis mittelschwere Tätigkeit unter durchschnittlichem Zeitdruck in wohltempertierten Räumen bei wechselnder Körperhaltung. Bildschirmunterstütztes Arbeiten ist möglich, nicht jedoch reine Bildschirmarbeit. Hinsichtlich der Wirbelsäulenveränderungen sind dauernde Zwangshaltungen jeder Art nicht mehr zumutbar. Exponierte Lagen jeder Art scheiden aus. Nach beruflicher Entlastung ist bei weitergeführter medikamentöser Behandlung eine Stabilsierung des Gesundheitszustandes und eine subjektive Beschwerdeminderung zu erzielen, was keine längeren Krankenstände erwarten lässt. Hinsichtlich des Anmarschweges bestehen keine Einschränkungen, vermehrte Arbeitspausen sind nicht notwendig."

Im Zuge des Ruhegenussbemessungsverfahrens gewährte das Bundespensionsamt der Beschwerdeführerin zu diesem Gutachten rechtliches Gehör.

Die Beschwerdeführerin vertrat in diesem Zusammenhang die Auffassung, in ihrem Fall liege dauernde Erwerbsunfähigkeit im Verständnis des § 4 Abs. 7 des Pensionsgesetzes 1965, BGBl. Nr. 340 (im Folgenden: PG), in der vor dem 1. Oktober 2000 in Kraft gestandenen Fassung vor. Zum Nachweis dessen legte die Beschwerdeführerin zum einen ein orthopädisches Gutachten, zum anderen einen psychologischen Befundbericht der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. T vor. Dort heißt es:

"Frau M suchte erstmalig am 15.10.1996 meine Ordination auf. Damals bestand eine depressive Störung (mittleschwer ICD 10 f 33.1). Im Rahmen dieser Problematik klagte die Patientin über eine ausgeprägte Herabsetzung der Konzentrationsfähigkeit und der Daueraufmerksamkeitsbelastbarkeit sowie der Merkfähigkeit. Unter einer von mir eingeleiteten emoleptischen Medikation mit Saroten und später mit Seropram konnte nach Monaten eine Besserung der Beschwerdesymptomatik erreicht werden. Im November 1997 sowie im Februar 1998 traten neuerlich depressive Episoden (mittleschwer bis schwer) verbunden mit ausgeprägten Störungen des Biorythmus in Form von Ein- und Durchschlafstörungen, einer starken inneren Anspannung, frei flottierenden aber auch gerichteten Ängsten und einem Morgentief auf. Es ist eine familiäre Belastung mit endogenen Depressionen (Mutter war schwer 'nervenkrank') erhebbar. Zusätzlich zur vorhandenen endogenen Komponente verstärkte sich die Problematik im Rahmen exogener Belastungsfaktoren z. B. verstärkte berufliche Belastung durch Urlaubsvertretung, Umstellung auf EDV, Mobbing.

Zusammenfassend besteht bei Frau M eine rez. depressive Störung mit mittelschweren depressiven Episoden. Aus nervenärztlicher Sicht ist Frau M auch nicht mehr in der Lage Arbeiten unter durchschnittlichem Zeit- und Leistungsdruck durchzuführen. Die Patientin ist erwerbsunfähig."

Die erstinstanzliche Pensionsbehörde holte in der Folge eine Stellungnahme des Sachverständigen Dr. Z zu den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Gutachten ein. Letzterer führte am 4. Jänner 2000 hiezu wie folgt aus:

"Beurteilung:

ad 1.) Die psychischen Leidenszustände wurden im Untersuchungsbefund Dr. S nachvollziehbar und schlüssig dargestellt. Die zugemuteten Arbeiten unter durchschnittlichem Zeitdruck sind auch bei Vorhandensein einer wiederkehrenden depressiven Störung mit mittelschweren depressiven Episoden, wie diagnostisch vom behandelnden Nervenfacharzt angeführt, auf Dauer durchführbar. Es ist bei Wechsel des Arbeitsmilieus grundsätzlich zu erwarten, dass die bisherigen Belastungen des konkreten Arbeitsplatzes (Belastung durch Urlaubsvertretung, EDV-Umstellung, Mobbing) nicht mehr vorhanden sind.

Bildschirmunterstütztes Arbeiten ist mit keinen unzumutbaren Umstellungsbelastungen verbunden.

ad 2.) Die orthopädischen Leidenszustände wurden im Leistungskalkül bereits berücksichtigt, längere statische und dynamische Belastungen werden nicht zugemutet.

Insgesamt sind die vorgebrachten Einwendungen nicht geeignet, eine Änderung der Beurteilung einer Restarbeitsfähigkeit herbeizuführen."

Schließlich holte die erstinstanzliche Behörde ein berufskundliches Gutachten des Sachverständigen M ein. Dieser gelangte am 22. Mai 2000 - ausgehend von dem vom Sachverständigen Dr. Z begutachteten Gesundheitszustand im Rahmen der gemäß § 4 Abs. 7 PG vorzunehmenden Beurteilung - zu folgendem Ergebnis:

"Die Verweismöglichkeit für einfache Tätigkeiten wie z. B. Portier, Museumswächter, Aufseher, oder Billeteur ist gegeben. Dabei handelt es sich um körperlich und geistig leichte Arbeiten unter geringer psychischer Belastung - wie im ärztlichen Leistungskalkül angegeben. Termin- und Leistungsdruck fallen hier nicht an. Arbeiten in exponierten Lagen sowie schwere und mittelschwere Hebe-, Trage- und Schiebearbeiten fallen in der Regel nicht an. Sämtliche Tätigkeiten sind nur mit geringer Verantwortung verbunden. Die Arbeiten werden zum Großteil in wohl temperierten Räumen und nicht an exponierten Stellen durchgeführt. Ein Wechsel der Körperhaltung im erforderlichen Ausmaß ist möglich. Bildschirmarbeit fällt - wenn überhaupt - nur in geringem Ausmaß an.

Daher ist nach § 4 Abs. 7 PG 1965 dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht gegeben.

Diese berufskundliche Beurteilung erfolgt unter besonderer Berücksichtigung der auf dem aktuellen Arbeitsmarkt vorherrschenden Arbeitsbedingungen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind die angeführten Arbeitsplätze in ausreichender Anzahl vorhanden. Freie Arbeitsplätze sind dabei nicht berücksichtigt."

Zu diesen Gutachten gewährte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin Parteiengehör. In einer Stellungnahme vom 29. Juni 2000 führte die Beschwerdeführerin aus, sie sei der Auffassung, die Begutachtung durch Dr. T sei zutreffend. Insbesondere seien in den letzten Jahren Perioden aufgetreten, in denen es der Beschwerdeführerin noch schlechter gegangen sei als üblich. Sie habe das Gefühl gehabt, "in ein Loch gefallen zu sein". Auch habe sie zu Unrecht das Bestehen von Zwangsgedanken gegenüber Dr. S in Abrede gestellt. Diese habe sie sehr wohl, z. B. müsse sie beim Bettenmachen Pölster in bestimmter Weise hinlegen, damit den Kindern nichts passiere oder beim Einkaufen lieber die Ware aus einem noch verschlossenen Karton nehmen.

Mit Bescheid des Bundespensionsamtes vom 28. Dezember 2001 wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführerin gemäß §§ 3 bis 7 und 62b PG 1965 vom 1. November 1999 an ein Ruhegenuss von monatlich brutto S 16.185,60 gebühre. Bei dieser Ruhegenussbemessung brachte die erstinstanzliche Behörde die Kürzungsregel des § 4 Abs. 3 PG in der vor dem 1. Oktober 2000 in Kraft gestandenen Fassung zur Anwendung.

In der Begründung ihres Bescheides gibt die erstinstanzliche Behörde zunächst das Gutachten Dris. Z vom 16. September 1999 wieder und erwähnt die Vorlage fachärztlicher Befundberichte durch die Beschwerdeführerin. Sodann wird die hiezu abgegebene Stellungnahme Dris. Z vom 4. Jänner 2000 und das Ergebnis des beruflichen Sachverständigen M wiedergegeben. Die erstinstanzliche Behörde vertrat die Auffassung, die von der Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 29. Juni 2000 angeführten Verhaltensweisen seien als "Zwangshandlungen" zu qualifizieren und daher bereits im Befund Dris. S berücksichtigt.

Zusammenfassend ergebe sich aus den von der Behörde eingeholten Gutachten, dass die Beschwerdeführerin nicht im Sinne des § 4 Abs. 7 PG außer Stande sei, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen.

Abschließend wird die rechnerische Ermittlung des der Beschwerdeführerin gebührenden Ruhegenusses dargelegt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Darin vertrat sie insbesondere die Auffassung, der erstinstanzliche Bescheid habe nicht ausreichend auf ihre psychischen Leidenszustände Rücksicht genommen. Insbesondere werde nicht berücksichtigt, dass bei ihrem stark angstunterlegten depressiven Syndrom keine Möglichkeit bestehe, ohne ernsthafte Verschlimmerung eine völlig neue und ungewohnte Arbeitssituation mit anderen Kollegen und Vorgesetzten zu bewältigen. Dies gelte insbesondere auch für die vom Sachverständigen M angeführten Verweisungsberufe wie Portier, Museumswächter oder Billeteur.

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 20. Juni 2002 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 28. Dezember 2001 als unbegründet abgewiesen.

Nach Schilderung des Verfahrensganges und Wiedergabe der angewendeten Gesetzesbestimmungen vertrat die belangte Behörde die Auffassung, der Begriff der (dauernden) Dienstunfähigkeit im Sinne des § 14 BDG 1979 sei nicht mit jenem der dauernden Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 4 Abs. 4 Z. 3 PG ident. Vielmehr setze letzterer gemäß § 4 Abs. 7 PG voraus, dass der Beamte infolge Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außer Stande sei, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen.

Sodann gab die belangte Behörde in gleicher Weise wie die erstinstanzliche Behörde die Gutachten des Sachverständigen Dr. Z vom 16. September 1999 und vom 4. Jänner 2000 sowie jenes des Sachverständigen M vom 22. Mai 2000 wieder. Auch in Ansehung der Beurteilung der Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 29. Juni 2000 argumentierte die Berufungsbehörde wie die erstinstanzliche Behörde.

Sie gelangte auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens zur Feststellung, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung weder aus ärztlicher noch aus berufskundlicher Sicht als dauernd erwerbsunfähig anzusehen gewesen sei. Die Anwendung der Kürzungsbestimmung des § 4 Abs. 3 PG durch die erstinstanzliche Behörde sei daher zu Recht erfolgt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Ruhebezug in gesetzlicher Höhe nach den Bestimmungen des PG verletzt. Sie macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides stand § 62j Abs. 2 in der Fassung des Pensionsreformgesetzes 2001, BGBl. I Nr. 86/2001, in Kraft. Dieser lautete auszugsweise:

"§ 62j. ...

(2) Auf Personen, die vor dem 1. Oktober 2000 Anspruch auf eine monatlich wiederkehrende Leistung nach diesem Bundesgesetz haben, sind die §§ 4, ... in der am 30. September 2000 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden. ..."

Auf Grund dieser Gesetzesbestimmung hatte die belangte Behörde für die Frage der Ruhegenussbemessung der Beschwerdeführerin, die schon am 1. November 1999 einen Anspruch auf eine monatlich wiederkehrende Leistung nach dem PG hatte, § 4 PG in der am 30. September 2000 geltenden Fassung (BGBl. Nr. 123/1998) anzuwenden. In dieser Fassung lautete § 4 PG auszugsweise:

"§ 4. (1) Der Ruhegenuss wird auf der Grundlage des ruhegenussfähigen Monatsbezuges und der ruhegenussfähigen Gesamtdienstzeit ermittelt.

(2) 80 vH des ruhegenussfähigen Monatsbezuges bilden die Ruhegenussbemessungsgrundlage.

(3) Für jeden Monat, der zwischen dem Zeitpunkt der Wirksamkeit der Versetzung in den Ruhestand und dem Ablauf des Monates liegt, in dem der Beamte sein 60. Lebensjahr vollendet haben wird, ist die Ruhegenussbemessungsgrundlage von 80% um 0,1667 Prozentpunkte zu kürzen. Das sich aus dieser Kürzung ergebende Prozentausmaß der Ruhegenussbemessungsgrundlage ist auf zwei Kommastellen zu runden.

(4) Eine Kürzung nach Abs. 3 findet nicht statt

...

3. wenn der Beamte zum Zeitpunkt der Wirksamkeit der Ruhestandsversetzung dauernd erwerbsunfähig ist.

...

(7) Als dauernd erwerbsunfähig im Sinne des Abs. 4 Z 3 gilt ein Beamter nur dann, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außer Stande ist, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen."

Strittig ist vorliegendenfalls, ob die Voraussetzungen für die Abstandnahme von einer Kürzung gemäß § 4 Abs. 4 Z. 3 in Verbindung mit Abs. 7 PG in der am 30. September 2000 in Kraft gestandenen Fassung vorliegen oder nicht.

Die Beschwerdeführerin erachtet die von der belangten Behörde im Einklang mit den Gutachten Dris. S und Z getroffenen Feststellungen betreffend die Art ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen ausdrücklich für zutreffend.

Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt die Beschwerdeführerin, dass es die belangte Behörde unterlassen habe, sich mit ihrem Haupteinwand in der Berufung auseinander zu setzen, wonach sie infolge ihrer psychischen Beeinträchtigung nicht mehr in der Lage gewesen sei, die Situation des Beginnes einer neuen Beschäftigung mit neuen Aufgaben, neuen Vorgesetzten und Kollegen zu bewältigen. Zu diesem Vorbringen enthalte der Berufungsbescheid keine eigene Stellungnahme der belangten Behörde. Im Rahmen der wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen Dr. Z finde sich dazu lediglich der Satz "Berufliche Umstellbarkeit ist nur mehr durch Unterweisbarkeit gegeben". Diese Ausführungen seien unklar.

Der diesbezügliche Vorwurf der Beschwerdeführerin ist zutreffend und zeigt einen relevanten Ermittlungs- und Begründungsmangel des erstinstanzlichen Bescheides auf:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom 25. September 2002, Zl. 2001/12/0144) bedeutet Erwerbsfähigkeit nach allgemeinem Sprachgebrauch, in der Lage zu sein, durch eigene Arbeit einen wesentlichen Beitrag zum Lebensunterhalt zu verdienen. Die Erwerbsfähigkeit ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abstrakt zu beurteilen. Es ist daher nicht entscheidend, ob die in Frage kommenden Tätigkeiten am Arbeitsmarkt verfügbar sind oder nicht; es muss sich um eine Beschäftigung handeln, die grundsätzlich Gegenstand des allgemeinen Arbeitsmarktes ist. Sie setzt aber jedenfalls eine im Arbeitsleben allgemein notwendige gesundheitlich durchgehende Einsatzfähigkeit des Beamten voraus. Hiebei ist weiters zu berücksichtigen, ob die Einsatzfähigkeit auch im Hinblick auf die üblichen Erfordernisse in der Arbeitswelt (z.B. Einhaltung der Arbeitszeit oder Fähigkeit zur Selbstorganisation) noch gegeben ist.

Die nach der vorzitierten Rechtsprechung für das Vorliegen der Erwerbsfähigkeit erforderliche "Einsatzfähigkeit" des in Ruhestand versetzten Beamten für irgendeine Beschäftigung des allgemeinen Arbeitsmarktes setzt aber auch voraus, dass der Beamte auf Grund seines Gesundheitszustandes in der Lage ist, die Umstellung von seiner bisherigen (durch die Ruhestandsversetzung beendeten) Tätigkeit auf irgendein neues berufliches Aufgabengebiet zu verkraften.

Wie die Beschwerdeführerin zutreffend aufzeigt, hat die belangte Behörde zum diesbezüglichen Berufungsvorbringen keine eigenen Erwägungen angestellt. Der oben wiedergegebene Satz aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Z ist unklar und kann daher nicht als gleichsam schon vorab gelieferte schlüssige Entkräftung des von der Beschwerdeführerin in der Berufung erhobenen Einwandes angesehen werden. Nichts anderes gilt für die Ausführungen des Sachverständigen, wonach bei Wechsel des Arbeitsmilieus grundsätzlich zu erwarten sei, dass die bisherigen Belastungen des konkreten Arbeitsplatzes nicht mehr vorhanden seien, was zwar unmittelbar evident erscheint, jedoch der Beschwerdeführerin nicht auf ihren Einwand entgegen gehalten werden kann, schon allein die Umstellung auf ein neues Arbeitsmilieu sei für sie psychisch nicht zu verkraften. Es ist zwar erkennbar, dass der Sachverständige Dr. Z implizit von einer beruflichen Umstellbarkeit der Beschwerdeführerin (unter nicht näher angeführten Voraussetzungen) ausgeht, eine Begründung hiefür liefert er jedoch nicht.

Die belangte Behörde wäre daher gehalten gewesen, sich mit dem diesbezüglichen Berufungsvorbringen auseinander zu setzen und nach Einholung einer Gutachtensergänzung begründend dazu Stellung zu nehmen.

Schon aus diesem Grunde war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Für das fortgesetzte Verfahren sei noch ergänzend angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Argumente gegen die Schlüssigkeit des dem berufskundlichen Gutachten zugrundegelegten Berufsbildes der Verweisungsberufe Portier, Billeteur bzw. Museumswächter nicht teilt. Die Beschwerdeführerin vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, alle diese Berufe hätten einen intensiven Bezug zur Sicherheit von Personen und Vermögenswerten, was ein hohes Maß an Fähigkeiten voraussetze, in psychisch außerordentlich belastenden Krisensituation zielgerichtet zu handeln.

Es mag nun zutreffen, dass die vom berufskundlichen Sachverständigen angeführten Verweisungsberufe in einzelnen Ausprägungen auch in relevantem Ausmaß die von der Beschwerdeführerin angeführten Fähigkeiten erfordern. Es ist aber nicht als unschlüssig und der allgemeinen Lebenserfahrung widersprechend zu erkennen, wenn der berufskundliche Sachverständige - und nur darauf kommt es an - im Ergebnis die Auffassung vertrat, auf dem Arbeitsmarkt gäbe es auch Arbeitsplätze für diese Berufsgruppen, bei denen die Verantwortung für die Sicherheit von Personen und Sachen nicht dem Inhaber solcher Arbeitsplätze, sondern eigenen (Sicherheits-)Angestellten übertragen sind.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 22. Jänner 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002120256.X00

Im RIS seit

28.04.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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