TE Vwgh Erkenntnis 2003/2/18 2001/01/0457

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Veröffentlicht am 18.02.2003
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Index

10/10 Grundrechte;
25/01 Strafprozess;

Norm

HausRSchG 1862 §2 Abs1;
HausRSchG 1862 §2 Abs2;
StGG Art9;
StPO 1975 §139;
StPO 1975 §140;
StPO 1975 §141 Abs1;
StPO 1975 §141 Abs2;
StPO 1975 §141;
StPO 1975 §142;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde 1. des P und

2. der P, beide in S, beide vertreten durch Dr. Johann Eder, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Giselakai 45, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Salzburg vom 3. September 2001, Zl. UVS-6/10055/7-2001, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, insoweit er die ihm zugrunde liegende Beschwerde im Punkt "überschießende Durchsuchung" abweist, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, im Übrigen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beiden Beschwerdeführer haben, gemeinsam mit einer M. GmbH, an den Unabhängigen Verwaltungssenat Salzburg (die belangte Behörde) eine Beschwerde "gemäß §§ 67a AVG, 88 Abs. 1 SPG" erhoben. Darin haben sie - soweit für die gegenständliche Erledigung von Bedeutung - im Wesentlichen Folgendes vorgebracht:

Am Abend des 26. November 1998 hätten etwa 15 Beamte der Bundespolizeidirektion Salzburg das Wohnhaus der Beschwerdeführer umstellt und sich durch Einschlagen der Terrassentür Zutritt verschafft, weil der Erstbeschwerdeführer, konsterniert über das Vorgehen bzw. über die Situation, nicht sofort geöffnet habe. Grundlage sei ein vom Journalrichter (des Landesgerichtes Salzburg) am selben Tag vorab mündlich erteilter Haftbefehl gewesen, demzufolge die Zweitbeschwerdeführerin (auf Basis eines Ersuchens der deutschen Strafverfolgungsbehörden) in Auslieferungshaft genommen werden sollte. Dem Erstbeschwerdeführer sei mit vorgehaltener schussbereiter Waffe im Wohnzimmer befohlen worden, sich nicht von der Stelle zu rühren. Mehrere Beamte hätten das Haus durchsucht, und zwar nicht nur nach dem Verbleib der Zweitbeschwerdeführerin; sie hätten eine Hausdurchsuchung veranstaltet, für welche weder ein Grund, geschweige denn eine richterliche Anordnung bestanden habe; es seien jedwede Behältnisse wie Kästchen, Laden, Aktentaschen und Wäsche durchsucht und auch Schriftstücke durchsucht bzw. eingesehen worden. Die Durchsuchung sei nach der Festnahme der Zweitbeschwerdeführerin, die sich "in einer Art panischen Angst" vor den mit gezogener Waffe "heranstürmenden" Polizisten hinter einen Schrank gekauert habe und wobei die Polizeibeamten den Schrank beschädigt hätten, fortgesetzt worden.

Angefochten würden - so die Beschwerdeführer in ihrer Beschwerde an die belangte Behörde weiter - folgende Verwaltungsakte:

-

Die Durchsuchung, soweit diese nicht die Suche nach der Zweitbeschwerdeführerin betroffen habe bzw. über diese hinausgegangen sei, also insbesondere jegliche Durchsuchung von Behältnissen und auch etwa der Wäsche und die Einsichtnahme in Schriftstücke;

-

der Befehl und der mit vorgehaltener Waffe ausgeübte Zwang gegen den Erstbeschwerdeführer, sich nicht von der Stelle zu rühren;

-

die erfolgten Beschädigungen an der Terrassentür (insbesondere Einschlagen von deren Verglasung) und des Schrankes.

Mit Bescheid vom 24. Jänner 2000 wies die belangte Behörde die Beschwerde bezüglich aller drei bei ihr beschwerdeführenden Parteien gemäß §§ 67a Abs. 1 Z 2 und 67c AVG als unzulässig zurück. Dieser Bescheid wurde, soweit er die nunmehr erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien betraf, mit hg. Erkenntnis vom 15. November 2000, Zl. 2000/01/0065, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Mit ihrem Ersatzbescheid vom 3. September 2001 wies die belangte Behörde die Beschwerde (der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien) in der Folge gemäß §§ 67a Abs. 1 Z 2 und 67c AVG als unbegründet ab. Dabei traf sie - nach Wiedergabe der bei ihr erhobenen Beschwerde und nach Darstellung der Aussagen des Einsatzleiters und drei weiterer bei der Amtshandlung anwesenden Organe der Bundespolizeidirektion Salzburg - folgende Feststellungen:

Mit Haftbefehl des Landesgerichtes Salzburg vom 26. November 1998 sei der Auftrag ergangen, die Zweitbeschwerdeführerin gemäß § 27 Abs. 1 ARHG iVm § 175 Abs. 1 Z 2 StPO in Haft zu nehmen. In Vollziehung dieses Haftbefehles hätten Organe der Bundespolizeidirektion Salzburg am Abend des 26. November 1998 mit der Zweitbeschwerdeführerin in Kontakt zu treten versucht. In Reaktion auf das Läuten an der Eingangstür sei (jedoch ) das Haus verdunkelt und auch nach ausdrücklicher diesbezüglicher polizeilicher Aufforderung nicht geöffnet worden. Die Polizeiorgane hätten daraufhin die Terrassentüre eingeschlagen und sich so Zutritt zum Objekt verschafft, wobei Erkundigungen im Vorfeld ergeben hätten, dass sich im Haus zwei Personen, eine männliche und eine weibliche, befänden. Der Erstbeschwerdeführer, Ehegatte der Zweitbeschwerdeführerin, habe bei der ersten Kontaktierung im Wohnzimmer nach dem gewaltsamen Eintreten durch die Terrassentüre dezidiert den Aufenthalt seiner Ehegattin im Haus bestritten, woraufhin dieses nach derselben durchsucht worden sei. Bei dieser Durchsuchung seien in einem offen zugänglichen Stahlschrank zwei Faustfeuerwaffen, eine Schreckschusspistole (in entsprechenden Koffern) und ein Gewehr (in keinem weiteren Behältnis) gefunden worden. Eine "dezidierte Suche" nach Waffen oder dgl., abgesehen von der zu verhaftenden Zweitbeschwerdeführerin, habe nicht stattgefunden. Nachdem diese aufgefunden worden sei, sei sie in Haft genommen worden; eine weitere Durchsuchung des Hauses habe nicht stattgefunden.

Nach Überlegungen zur Beweiswürdigung (betreffend die Feststellungen über die Intensität bzw. den Umfang der Hausdurchsuchung und den Waffenfund) führte die belangte Behörde rechtlich aus, dass die gegenständliche Hausdurchsuchung in § 141 Abs. 2 StPO Deckung finde. Gefahr im Verzug habe zweifelsohne vorgelegen, weil das Haus nach dem Anläuten durch die Polizeiorgane verdunkelt worden und eine weitere Kontaktaufnahme nicht möglich gewesen sei. Außerdem habe man davon ausgehen müssen, dass der Zweitbeschwerdeführerin im Haus zumindest eine Waffe (legal) zur Verfügung stehe und dass gegen den Erstbeschwerdeführer ein Waffenverbot existiere. Im Zusammenhang mit dem strafgerichtlichen Haftbefehl sei daher zweifellos von einer Gefahrenlage auszugehen gewesen, die ein unmittelbares Einschreiten iS des § 141 Abs. 2 StPO gerechtfertigt habe. Angesichts der somit gegebenen gesetzlichen Deckung der Hausdurchsuchung sei das zur Realisierung derselben erfolgte gewaltsame Öffnen des Hauses durch Zerschlagen der Glasscheibe der Terrassentür als nicht rechtswidrig zu erkennen. Im Rahmen der Aktion zur Durchsetzung des gerichtlichen Haftbefehles müsse den Polizeiorganen ferner zugestanden werden, dass sie mit besonderer Vorsicht in Bezug auf die Sicherung der die Amtshandlung führenden Organe vorgegangen seien, vor allem angesichts dessen, dass sie in Kenntnis eines Waffenverbotes gegenüber dem Erstbeschwerdeführer sowie eines Waffenbesitzes der Zweitbeschwerdeführerin gewesen seien; im Rahmen der Sicherung habe der Erstbeschwerdeführer auch kurz dazu verhalten werden können, seinen Bewegungsspielraum einzuschränken. Dass dabei überzogene Maßnahmen gesetzt worden seien, sei nicht hervorgekommen, vielmehr habe der Einsatzleiter davon gesprochen, mit dem Erstbeschwerdeführer in diesem Zusammenhang ein normales Gespräch geführt zu haben. Es sei daher einerseits nicht von einem mit vorgehaltener Waffe ausgeübten Zwang gegenüber dem Erstbeschwerdeführer auszugehen, andererseits habe es sich bei seinem "Festhalten" einzig und allein um eine den Rahmen der Sicherung der Amtshandlung nicht überschreitende Sicherungsmaßnahme gehandelt, "die insgesamt von der Gesamtlegitimation des polizeilichen Einsatzes durch den gerichtlichen Haftbefehl gedeckt" gewesen sei.

Eine Hausdurchsuchung in dem Sinn, dass diese über den Zweck des Auffindens der Zweitbeschwerdeführerin hinausgegangen wäre, habe nach den völlig übereinstimmenden Zeugenaussagen nicht stattgefunden. Was die Einsichtnahme in die im Metallschrank im Keller befindlichen Waffenkoffer anlange, so sei auch dabei von keiner rechtswidrigen Vorgangsweise auszugehen. Die Polizisten hätten (nämlich) bei ihrer Suche nach der Zweitbeschwerdeführerin in einem offenen Schrank im Keller ein Gewehr offen und in unmittelbarem räumlichen Konnex dazu einschlägige Behältnisse, in denen sich Faustfeuerwaffen befanden, vorgefunden. Unter Berücksichtigung des damaligen Kenntnisstandes, dass die Zweitbeschwerdeführerin nur eine Waffe legal besitze, sei vom Vorliegen von Verdachtsmomenten hinsichtlich einer Verwaltungsübertretung nach dem Waffengesetz "in Verbindung mit § 39 VStG" auszugehen gewesen; die Organe der Bundespolizeidirektion Salzburg hätten daher diese Gegenstände in Beschlag nehmen und demzufolge auch in die Behältnisse Einsicht nehmen dürfen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - nach Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde - erwogen:

Zunächst sei gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das schon genannte hg. Erkenntnis vom 15. November 2000, Zl. 2000/01/0065, verwiesen. Von den in diesem Erkenntnis angestellten Überlegungen ausgehend hat sich die belangte Behörde im gegenständlichen Ersatzbescheid zunächst mit der Frage beschäftigt, ob die den bekämpften "Maßnahmen" zu Grunde liegende Hausdurchsuchung eine gesetzliche Deckung gehabt habe. Ungeachtet des Fehlens eines gerichtlichen Hausdurchsuchungsbefehls bejahte sie diese Frage, weil die Voraussetzungen des § 141 Abs. 2 StPO vorgelegen hätten.

§ 141 StPO lautet wie folgt:

"§ 141. (1) Zum Zwecke der Strafgerichtspflege kann bei Gefahr im Verzug auch ohne richterlichen Befehl eine Hausdurchsuchung von Gerichtsbeamten oder Beamten der Sicherheitsbehörden angeordnet werden. Der zur Vornahme Abgeordnete ist mit einer schriftlichen Ermächtigung zu versehen, die er dem Beteiligten vorzuweisen hat.

(2) Zu demselben Zwecke kann eine Hausdurchsuchung auch durch die Sicherheitsorgane aus eigener Macht vorgenommen werden, wenn gegen jemanden ein Vorführungs- oder Haftbefehl erlassen oder wenn jemand auf der Tat betreten, durch öffentliche Nacheile oder öffentlichen Ruf als einer strafbaren Handlung verdächtig bezeichnet oder im Besitze von Gegenständen betreten wird, die auf die Beteiligung an einer solchen hinweisen.

(3) ..."

Einleitend - und in Ergänzung zu dem schon mehrfach erwähnten Vorerkenntnis vom 15. November 2000 - ist klarzustellen, dass keine Gewissheit darüber bestand, dass sich die Zweitbeschwerdeführerin in ihrem dann "gestürmten" und in der Folge unstrittig nach ihr durchsuchten Wohnhaus befinde. Dies gilt nicht erst für jene Phase des Einsatzes, die an die Auskunft des Erstbeschwerdeführers, seine Ehegattin (die Zweitbeschwerdeführerin) sei nicht zu Hause, anschloss, sondern - ausgehend von den behördlichen Feststellungen - schon für den Beginn der gegenständlichen Polizeiaktion, weil die im bekämpften Bescheid erwähnten "Vorfelderkundigungen" nur die Anwesenheit von zwei Personen, nicht jedoch auch deren Identität, erbracht haben. Es lag daher von Anfang an eine als Hausdurchsuchung iS der §§ 139 ff StPO (Suche nach einer Person, von der es unbekannt ist, wo sie sich befindet) zu qualifizierende Maßnahme vor, wobei die einschreitenden Polizeibeamten allerdings zweifelsohne vertretbar annehmen konnten, dass sich die zu verhaftende Person (die Zweitbeschwerdeführerin) in dem dann durchsuchten Wohnhaus aufhalte (siehe zu einem insoweit vergleichbaren Fall VfSlg. 10.082/1984). Auch die Bundespolizeidirektion Salzburg hat sich in ihrer Stellungnahme vom 5. Februar 1999 gegenüber der belangten Behörde auf den Standpunkt gestellt, es sei eine formelle Hausdurchsuchung vorgenommen worden.

Die belangte Behörde hat die Legitimität der vorliegenden Hausdurchsuchung vor dem Hintergrund des § 141 Abs. 2 StPO deshalb bejaht, weil Gefahr im Verzug vorgelegen habe. Sie ging also davon aus, dass es jedenfalls dieses Erfordernisses bedürfe, um eine durch die Sicherheitsorgane aus eigener Macht vorgenommene Hausdurchsuchung zu rechtfertigen. Das ist freilich nicht unumstritten. Stolzlechner zufolge (in: Grund- und Menschenrechte in Österreich II (1992), 326) ist von "Gefahr im Verzug" gemäß § 2 Abs. 2 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862 zum Schutze des Hausrechtes, RGBl. Nr. 88 (im Folgenden: HausrechtsG), - entspricht § 141 Abs. 2 StPO - nur bei Vorliegen der in dieser Gesetzesstelle erwähnten typischen Situationen (Vorführungs- oder Verhaftbefehl; Betreten auf frischer Tat; öffentliche Nacheile oder öffentlicher Ruf; im Besitz von Gegenständen betreten) auszugehen. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen sei im Einzelfall zu prüfen; eine darüber hinausgehende Prüfung von "Gefahr im Verzug" sei im Rahmen dieser Bestimmung jedoch weder zulässig noch erforderlich, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 HausrechtsG Konkretisierungen von "Gefahr im Verzug" seien. Wiederin (in: Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht, Rz 61 zu Art. 9 StGG (2001)) hat sich dieser Ansicht angeschlossen. Er merkt allerdings zutreffend an, dass sich die Interpretation der Fälle des Abs. 2 daran zu orientieren habe, dass selbständiges Einschreiten von Exekutivorganen eine gegenüber § 2 Abs. 1 HausrechtsG (§ 141 Abs. 1 StPO) gesteigerte Dringlichkeit voraussetze. An anderer Stelle (aaO., Rz 67) führt er weiter aus, dass der hier zu beurteilende Fall der Existenz eines (gerichtlichen) Haftbefehls im Rahmen des § 2 Abs. 2 HausrechtsG (§ 141 Abs. 2 StPO) einen Fremdkörper darstelle; seitens des Gesetzgebers sei ausschließlich an Nacheilekonstellationen gedacht worden. Entgegen den beiden eben erwähnten Autoren vertritt Mayer (in: B-VG3 (2002), Art. 9 StGG V. 2.) die Ansicht, dass auch im Fall des § 2 Abs. 2 HausrechtsG (§ 141 Abs. 2 StPO) neben den dort genannten besonderen Umständen gesondert "Gefahr im Verzug" vorliegen muss (in diesem Sinn auch Foregger/Fabrizy, StPO8, Rz 2 zu § 141, Bertel/Venier, Strafprozessrecht7 (2002), Rz 481, Hauer/Keplinger, Kommentar zum Sicherheitspolizeigesetz2 (2001), Anm. B. 1. zu § 141 StPO und Demmelbauer/Hauer, Sicherheitspolizeirecht (2002), Rz 223). Die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu der hier erörterten Frage ist divergierend. Während er im erwähnten Erkenntnis VfSlg. 10.082/1984 ohne Prüfung des Vorliegens von "Gefahr im Verzug" im Hinblick auf die Existenz eines Haftbefehles ohne weiteres zur Abweisung der bei ihm erhobenen Beschwerde gelangte (was nur den Schluss zulässt, dass es auf dieses Kriterium nicht ankomme), sprach er in VfSlg. 13.045/1992 aus, dass sowohl in den Fällen des Abs. 1 als auch des Abs. 2 von der Voraussetzung eines richterlichen Hausdurchsuchungsbefehls bloß dann Abstand genommen werden könne, wenn "Gefahr im Verzug" vorliege (so wohl auch schon VfSlg. 10.850/1986 und 12.213/1989).

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit dem hier in Rede stehenden Verständnis des § 141 Abs. 2 StPO noch nicht explizit auseinander gesetzt. Mit Hauer/Keplinger (siehe oben) ist festzuhalten, dass der Wortlaut der Bestimmung in dieser Frage nicht eindeutig ist. Die Einleitungsworte "Zu demselben Zwecke" beziehen sich zwar eindeutig auf § 141 Abs. 1 leg. cit., sie können jedoch die dortige Passage "Zum Zwecke der Strafgerichtspflege ... bei Gefahr im Verzug" zur Gänze oder einschränkend auch nur einen Teil derselben ("Zum Zwecke der Strafgerichtspflege") erfassen.

Jedenfalls bei der vorliegenden Konstellation (Existenz eines Haftbefehls) erscheint dem Verwaltungsgerichtshof ein zusätzliches Abstellen darauf, ob Gefahr im Verzug gegeben sei, geboten. Dem liegt die Überlegung zu Grunde, dass ein bestehender Haftbefehl - wird die zu verhaftende Person in einer Wohnung vermutet - nicht immer die unverzügliche Vornahme einer Hausdurchsuchung erfordert, um die Festnahme nicht zu vereiteln; Dringlichkeit ist einer derartigen Situation nicht schon von vornherein immanent. Die Fälle des § 141 StPO sollen insgesamt jedoch nur "in eiligen Fällen" Abhilfe schaffen, wobei das selbständige Einschreiten von Exekutivorganen - gemessen an den Fällen des § 141 Abs. 1 StPO - eine gesteigerte Dringlichkeit voraussetzt (Wiederin, aaO., Rz 57 und 61). Davon ausgehend scheint es, ungeachtet eines bestehenden Haftbefehls, nicht gerechtfertigt, ohne Vorliegen von Gefahr im Verzug eine Ausnahme vom grundsätzlichen Erfordernis des gerichtlichen Hausdurchsuchungsbefehles zuzulassen.

Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde zu Recht geprüft, ob im gegebenen Fall von Gefahr im Verzug auszugehen war. Wenn sie das im Ergebnis bejahte, so kann ihr allerdings nicht gefolgt werden. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes gilt für die Prüfung der Frage, ob Gefahr im Verzug besteht, ein strenger Maßstab: Von der grundsätzlichen Regel, dass ein richterlicher Hausdurchsuchungsbefehl einzuholen ist, darf nur in besonderen (Ausnahms-)Fällen, dh. wenn die besonderen Umstände eine Einholung nicht erlauben, abgegangen werden (VfSlg. 13.045/1992). Die Einholung eines richterlichen Befehls ist im Allgemeinen unerlässlich, wenn mit dem Untersuchungsrichter des zuständigen Gerichts während der Dienst- oder Journaldienststunden unverzüglich eine fernmündliche Verbindung hergestellt werden kann (VfSlg. 12.213/1989). In diesem Sinn formuliert Wiederin (aaO., Rz 59) treffend, es werde "mit zunehmender Verfügbarkeit von Funk und drahtloser Telephonie bei den einschreitenden Organen ... das Einschreiten wegen Gefahr im Verzug zu einem Randphänomen, für das nur in seltenen Ausnahmekonstellationen Raum bleibt".

Im vorliegenden Fall haben die einschreitenden Polizeiorgane eine Kontaktaufnahme mit dem zuständigen Untersuchungsrichter unterlassen. Seitens der Bundespolizeidirektion Salzburg wurde dazu in der Stellungnahme vom 5. Februar 1999 ausgeführt, dass "erst über Auspiepsen der zuständigen Organe mit diesen Kontakt hergestellt werden hätte können und dieses einige Zeit in Anspruch nimmt". Die belangte Behörde ist auf die Frage einer möglichen Kontaktaufnahme mit dem Untersuchungsrichter gar nicht eingegangen. Sie argumentierte nur damit, dass im Hinblick auf den (vermuteten) Waffenbesitz der Zweitbeschwerdeführerin, das bestehende Waffenverbot gegenüber dem Erstbeschwerdeführer und den existierenden Haftbefehl eine Gefahrenlage vorgelegen habe, die ein unmittelbares Einschreiten erfordert habe.

Dass die mit einer (versuchten) Kontaktaufnahme mit dem Untersuchungsrichter verbundene Zeitverzögerung die Gefahr des Entkommens der Zweitbeschwerdeführerin (und damit eine Gefährdung des Zwecks der Hausdurchsuchung) nach sich gezogen hätte, vermag der Verwaltungsgerichtshof - angesichts dessen, dass mehrere Polizisten anwesend waren und ein unbemerktes Entfliehen der Zweitbeschwerdeführerin daher ausgeschlossen werden konnte - nicht zu erkennen. Soweit mit dem Hinweis auf Waffenbesitz der Zweitbeschwerdeführerin einerseits und ein aufrechtes Waffenverbot gegenüber dem Erstbeschwerdeführer andererseits aber zum Ausdruck gebracht werden sollte, eine Verzögerung hätte gegen die zu bewerkstelligende Festnahme einen Widerstand mit Waffengewalt befürchten lassen, ist darauf hinzuweisen, dass ein überraschendes Einschreiten gegenüber den beiden Beschwerdeführern ohnehin nicht mehr in Betracht kam; festgestelltermaßen war zunächst angeläutet und - nach Verdunkelung des Hauses - ausdrücklich zu dessen Öffnung aufgefordert worden. Das hat nach den Angaben der von der belangten Behörde einvernommenen Polizisten fünf Minuten (Zeuge Sch.) bzw. eine Viertelstunde (Zeuge G.) gedauert. Wäre damit zu rechnen gewesen, dass sich die Beschwerdeführer mit Waffengewalt zur Wehr setzen, so wäre ihnen für entsprechende Vorbereitungen damit ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden. Eine weitere, durch die (versuchte) Kontaktaufnahme mit dem zuständigen Untersuchungsrichter verursachte zusätzliche Verzögerung hätte insoweit zu keiner Erhöhung der Gefahrenlage geführt. Auch von da her ist daher die Annahme, es habe Gefahr im Verzug vorgelegen, nicht gerechtfertigt.

Konsequenz der eben dargelegten Erwägungen ist, dass die gegenständliche Hausdurchsuchung rechtswidrig war, und zwar unabhängig von der Richtigkeit des in der Beschwerde vertretenen Standpunktes, "die gesamte Polizeiaktion" hätte sich angesichts eines vorangegangenen Kontakts des Beschwerdeführervertreters mit der Bundespolizeidirektion Salzburg vermeiden lassen. Zwar wurde die Hausdurchsuchung, soweit sie die Suche nach der Zweitbeschwerdeführerin betraf, vor der belangten Behörde nicht in Beschwerde gezogen; wie schon im Vorerkenntnis vom 15. November 2000 ausgeführt, zieht die Rechtswidrigkeit der Hausdurchsuchung jedoch auch die Rechtswidrigkeit der in ihrem Rahmen gesetzten und von der "Maßnahmenbeschwerde" umfassten Handlungen nach sich. Das gilt neben den bekämpften Beschädigungen insbesondere auch für die Sicherungsmaßnahmen gegenüber dem Erstbeschwerdeführer, weshalb es im Ergebnis ohne Belang ist, dass die belangte Behörde entgegen der ihr im Vorerkenntnis aufgetragenen Verpflichtung dazu keine näheren Feststellungen getroffen hat.

Was die behauptete, über die Suche nach der Zweitbeschwerdeführerin hinausgehende "Durchsuchung von Behältnissen" anlangt, so vermochte die belangte Behörde dem diesbezüglichen Vorbringen der Beschwerdeführer nicht zu folgen. Wären die entsprechenden Feststellungen der belangten Behörde unbedenklich, so hätte sie der "Maßnahmenbeschwerde" in diesem Punkt (weil insoweit das behauptete Verwaltungshandeln nicht stattgefunden hätte) allerdings - ungeachtet des Vorgesagten - im Ergebnis zu Recht einen Erfolg versagt. Wie schon im bereits mehrfach erwähnten Vorerkenntnis angemerkt, haben jedoch einerseits die Bundespolizeidirektion Salzburg in ihrer Stellungnahme vom 5. Februar 1999 und andererseits der Einsatzleiter eine "Durchsuchung von Behältnissen" ausdrücklich bestätigt. Darüber hat sich die belangte Behörde im Rahmen ihrer beweiswürdigenden Überlegungen ohne nähere Begründung hinweggesetzt, weshalb ihre diesbezüglichen Feststellungen der vom Verwaltungsgerichtshof vorzunehmenden Schlüssigkeitskontrolle nicht standzuhalten vermögen.

Soweit sich der bekämpfte Bescheid auf die - nach Ansicht der belangten Behörde nicht feststellbare - behauptete "überschießende Durchsuchung" bezieht, war er daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, im Übrigen jedoch gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 18. Februar 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001010457.X00

Im RIS seit

05.05.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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