TE Vfgh Erkenntnis 1999/12/13 G420/97

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Veröffentlicht am 13.12.1999
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0001 Landesverfassung

Norm

B-VG Art140 Abs1 dritter Satz
Tir G, LGBl 58/1997, betr Änderung des Tir MusikschulG
Tir LandesO 1989 Art16 Abs1
Tir LandesO 1989 Art27
Tir LandesO 1989 Art42
Tir Landtags-GeschäftsO §60
VfGG §65a

Leitsatz

Aufhebung einer Änderung des Tir MusikschulG als (landes)verfassungswidrig infolge eines ungültigen Landtagsbeschlusses; Erfordernis der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen nicht erfüllt; abgegebener leerer Stimmzettel bei geheimer Abstimmung als abgegebene Stimme anzusehen; kein Kostenzuspruch

Spruch

1. Das Gesetz vom 14. Mai 1997, mit dem das Tiroler Musikschulgesetz geändert wird, LGBl. Nr. 58, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Landeshauptmann von Tirol ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt für Tirol verpflichtet.

2. Der Antrag auf Zuspruch der Verfahrenskosten wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit ihrem auf Art140 B-VG und auf Art43 der Tiroler Landesordnung 1989 (im Folgenden: TLO) gestützten Antrag an den Verfassungsgerichtshof begehren 17 Abgeordnete zum Tiroler Landtag die kostenpflichtige Aufhebung des (Tiroler Landes)Gesetzes, mit dem das Tiroler Musikschulgesetz geändert wird, LGBl. Nr. 58/1997, wegen Verfassungswidrigkeit.

2.1. Das angefochtene Landesgesetz lautet - samt Titel und Promulgationsklausel - wie folgt:

"Gesetz vom 14. Mai 1997, mit dem das Tiroler Musikschulgesetz geändert wird

Der Landtag hat beschlossen:

Artikel I

Das Tiroler Musikschulgesetz, LGBl. Nr. 44/1992, wird wie folgt geändert:

Im Abs1 des §14 hat der erste Satz zu lauten:

'Die Höhe der Förderung kann bis zu 50 v.H. des Personalaufwandes für den Leiter und die Lehrer der Musikschule und bis zu 50 v.H. der angemessenen Anschaffungskosten für die Musikinstrumente betragen.'

Artikel II

Dieses Gesetz tritt mit 1. September 1997 in Kraft."

2.2. Dieses Landesgesetz wurde unter der Nr. 58 in dem am 22. Juli 1997 herausgegebenen und versendeten 22. Stück des Jahrganges 1997 des Landesgesetzblattes für Tirol kundgemacht.

3. Die antragstellenden Abgeordneten behaupten mit der unter Pkt. 4 wiedergegebenen Begründung das verfassungswidrige Zustandekommen des angefochtenen Landesgesetzes. Für die Beurteilung der Frage des verfassungsmäßigen Zustandekommens dieses Landesgesetzes sind vor allem die Art26 Abs1 und 27 TLO sowie die §§57, 59 und 60 der (nicht in Form eines Gesetzes gemäß den Verfahrensvorschriften der Art97 und 98 B-VG erlassenen, sondern auf bloßen Landtagsbeschlüssen beruhenden) Geschäftsordnung des Tiroler Landtages (im Folgenden: GeoLT) - u. zw. jeweils in der im Zeitpunkt der Beschlussfassung des Landtages geltenden Fassung - von Bedeutung.

3.1. Die Art26 Abs1 und 27 TLO lauten wie folgt:

"Artikel 26

Geschäftsordnung des Landtages, Landtagsdirektion

(1) Der Landtag gibt sich durch Beschluß eine Geschäftsordnung. Die Geschäftsordnung bleibt bis zu ihrer Aufhebung in Kraft.

...

Artikel 27

Beschlüsse, Wahlen

Zu einem gültigen Beschluß des Landtages und zu einer gültigen Wahl durch den Landtag sind, soweit verfassungsgesetzlich nichts anderes bestimmt ist und durch die Geschäftsordnung des Landtages keine strengeren Voraussetzungen festgelegt sind, die Anwesenheit von wenigstens der Hälfte der Abgeordneten und die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich."

3.2. Die §§57, 59 und 60 GeoLT lauten wie folgt:

"Ausübung des Stimmrechtes

§57. (1) Die Abgeordneten haben ihr Stimmrecht persönlich auszuüben. Die Stimme darf stets nur durch Bejahung oder Verneinung ohne Begründung abgegeben werden.

(2) Die Abgeordneten dürfen sich mit Ausnahme des Präsidenten bei der Abstimmung nicht der Stimme enthalten, soweit im Abs3 nichts anderes bestimmt ist.

(3) In persönlichen Angelegenheiten darf sich der betroffene Abgeordnete der Stimme enthalten. Er hat die beabsichtigte Stimmenthaltung dem Präsidenten mitzuteilen.

...

Arten der Abstimmung

§59. (1) Abzustimmen ist durch das Erheben der Hand. Ist das Abstimmungsergebnis zweifelhaft, so hat der Präsident die Gegenprobe, eine neuerliche Abstimmung oder die Abstimmung durch das Erheben von den Sitzen anzuordnen. Auf Verlangen eines Abgeordneten, das von mindestens drei weiteren Abgeordneten unterstützt sein muß, ist namentlich abzustimmen. Zur namentlichen Abstimmung hat ein Bediensteter der Landtagsdirektion die Namen der Abgeordneten zu verlesen. Jeder Abgeordnete hat nach dem Aufruf seines Namens mit 'Ja' oder 'Nein' zu antworten. Die Namen sind mit der abgegebenen Stimme in die amtliche Verhandlungsschrift aufzunehmen. Ebenso sind darin die abwesenden Abgeordneten mit Namen anzuführen.

(2) Auf Verlangen eines Abgeordneten, das von mindestens elf weiteren Abgeordneten unterstützt werden muß, hat der Landtag eine geheime Abstimmung mit Stimmzetteln durchzuführen.

(3) Abgeordnete, die bei der Abstimmung nicht anwesend sind, dürfen ihre Stimme nicht nachträglich abgeben.

Beschlußerfordernisse

§60. (1) Zu einem gültigen Beschluß des Landtages ist, soweit verfassungsgesetzlich nichts anderes bestimmt ist und in dieser Geschäftsordnung des Landtages keine strengeren Voraussetzungen festgelegt sind, die Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Abgeordneten und die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich.

(2) Ein Landesverfassungsgesetz und eine Verfassungsbestimmung in einem Landesgesetz können nur bei Anwesenheit von mindestens zwei Dritteln der Abgeordneten und mit der Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden. Dies gilt insbesondere auch für einen Beschluß auf vorzeitige Auflösung des Landtages, für die Genehmigung von Vereinbarungen mit anderen Ländern oder mit dem Bund, wenn durch eine solche Vereinbarung Landesverfassungsrecht geändert oder ergänzt wird, für die Genehmigung von Staatsverträgen, für deren Erfüllung es eine Landesverfassungsgesetzes bedarf, und für die Abberufung des Präsidenten und der Vizepräsidenten des Landtages.

(3) Bei Stimmengleichheit gilt ein Antrag als abgelehnt.

(4) Besteht bei der Abstimmung eines Ablehnungsantrages Stimmengleichheit, so gilt auch der Antrag, der dem Ablehnungsantrag zugrunde lag, als abgelehnt. Dies gilt auch für Regierungsvorlagen."

3.3. Ferner ist auch auf §36 Abs2 hinzuweisen, der wie folgt lautet:

"Wahlen

§36. (1) ...

(2) Wahlen im Landtag und in den Ausschüssen sind mit Stimmzetteln durchzuführen, sofern der Landtag bzw. die Ausschüsse mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen nichts anderes beschließen. Leere Stimmzettel und leere Wahlkuverts sind ungültig. Sind Wahlen im Landtag mit Stimmzetteln durchzuführen, so ist durch den Präsidenten in geeigneter Weise sicherzustellen, daß die Wahl geheim erfolgt.

..."

4. Die Antragstellerinnen und Antragsteller begründen ihre Gesetzesanfechtung wie folgt:

"Sachverhalt:

Am 14.5.1997 wurde im Tiroler Landtag eine Regierungsvorlage betreffend ein Gesetz, mit dem das Tiroler Musikschulgesetz geändert wird, beraten.

Nach ausführlicher Diskussion wurde über Verlangen einer ausreichenden Anzahl von Abgeordneten im Sinne des §59 der Geschäftsordnung des Tiroler Landtages, die einen Landtagsbeschluß ohne Gesetzescharakter darstellt, durch den Präsidenten die geheime Abstimmung angeordnet und in der Folge auch durchgeführt. Nach Auszählung der Stimmen gab der Landtagspräsident bekannt, daß alle 36 Stimmen abgegeben wurden. 18 Stimmen lauteten auf ja, 17 Stimmen auf nein, 1 Stimme wurde vom Landtagspräsidenten als ungültige Stimme gewertet. Daraufhin stellte der Landtagspräsident fest, daß damit die Regierungsvorlage angenommen ist. Einwendungen dahingehend, daß deshalb, weil nur 18 von 36 Stimmen für die Regierungsvorlage abgegeben wurden, diese keine Mehrheit gefunden habe, wurden vom Landtagspräsidenten verworfen.

In der Folge wurde das Gesetz vom 14. Mai 1997, mit dem das Tiroler Musikschulgesetz geändert wird, im Landesgesetzblatt für Tirol, herausgegeben und versendet am 22.7.1997 Nr. 58/1997 kundgemacht und ist am 1. September 1997 in Kraft getreten.

Beschwerdelegitimation:

Art42 der Tiroler Landesordnung 1989 idgF räumt einem Drittel der Mitglieder des Landtages das Recht ein, beim Verfassungsgerichtshof den Antrag zu stellen, ein Landesgesetz wegen Verfassungswidrigkeit aufzuheben. Die Unterfertigten insgesamt 17 Abgeordneten machen in ausreichender Zahl von diesem ihrem Recht Gebrauch.

Beschwerdepunkte:

Das angefochtene Gesetz ist nicht in verfassungskonformer Weise zustandegekommen. Gemäß Artikel 27 der Tiroler Landesordnung 1989 ist zu einem gültigen Beschluß des Landtages die Anwesenheit von wenigstens der Hälfte der Abgeordneten und die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich. Schon im Kommentar zur Tiroler Landesordnung von Dr. Helmut Schwamberger wird daher unter Fußnote 2 zu Artikel 27 folgerichtig darauf hingewiesen, daß bei Stimmengleichheit ein Antrag somit als abgelehnt gilt.

Artikel 26 der Tiroler Landesordnung 1989 gibt dem Landtag das Recht, sich durch Beschluß eine Geschäftsordnung zu geben. Dies ist mit Beschluß des Tiroler Landtages vom 7.7.1994 auch geschehen. In §57 der Geschäftsordnung des Tiroler Landtages ist festgelegt, daß die Abgeordneten ihre Stimme stets nur durch Bejahung oder Verneinung abgeben können und sich, außer in persönlichen Angelegenheiten - hier ist die Stimmenthaltung dem Präsidenten mitzuteilen - nicht der Stimme enthalten dürfen. §60 Abs3 der Geschäftsordnung des Tiroler Landtages bestimmt folgerichtig, daß bei Stimmengleichheit ein Antrag als abgelehnt gilt. Auch in §60 Abs1 der Geschäftsordnung des Tiroler Landtages ist bestimmt, daß zu einem gültigen Beschluß des Landtages die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich ist.

Anläßlich der Abstimmung über das angefochtene Gesetz wurden nun für die Regierungsvorlage, also als 'Ja-Stimmen' 18 Stimmen abgegeben, 18 Abgeordnete entschieden sich dafür, nicht für die Regierungsvorlage zu stimmen, 17 stimmten mit nein, einer ungültig, wobei darauf hinzuweisen ist, daß eine ungültige Stimme nach den Bestimmungen der Geschäftsordnung des Tiroler Landtages jedenfalls als Verneinung zu werten ist, keinesfalls aber als Zustimmung zum Gegenstand der Abstimmung.

Nachdem 36 Abgeordnete anwesend waren und 36 Stimmen abgegeben wurden, betrug die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen im gegenständlichen Fall 18 + 1 Stimme. Tatsächlich wurden für die Regierungsvorlage aber nur 18 Stimmen abgegeben, sodaß kein gültiger Beschluß des Tiroler Landtages zustandegekommen ist.

Die in der Folge durch den Landtagspräsidenten, den Landeshauptmann, das zuständige Mitglied der Landesregierung und den Landesamtsdirektor erfolgte Verlautbarung des gegenständlichen Gesetzes erfolgte sohin zu Unrecht.

Richtigerweise hätte der Landtagspräsident festzustellen gehabt, daß die verfassungsmäßige und in der Geschäftsordnung vorgesehene Mehrheit für das gegenständliche Gesetz nicht zustandegekommen ist.

Es erweist sich sohin, daß die in Art27 TLO vorgeschriebene Mehrheit für das gegenständliche Gesetz nicht zustandgekommen ist, sodaß es als nicht verfassungsgemäß zustandegekommen aufzuheben sein wird."

5. Die Tiroler Landesregierung erstattete zum vorliegenden Antrag eine Äußerung, in der sie beantragt, dem Anfechtungsantrag keine Folge zu geben.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zu den Prozessvoraussetzungen:

1.1. Gemäß Art42 TLO (iVm Art140 Abs1 dritter Satz B-VG) steht einem Drittel der Mitglieder des Tiroler Landtages das Recht zu, beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Aufhebung eines Landesgesetzes wegen Verfassungswidrigkeit gemäß Art140 Abs1 B-VG zu stellen.

Gemäß Art16 Abs1 TLO besteht der Tiroler Landtag aus 36 Mitgliedern.

Der vorliegende Antrag wurde von 17 Abgeordneten eingebracht. Die Voraussetzungen des Art42 TLO (iVm Art140 Abs1 dritter Satz B-VG) sind daher erfüllt.

1.2. Auch die übrigen Prozessvoraussetzungen liegen vor. Der Antrag ist somit zulässig.

2. Zur Sache selbst:

2.1. Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Antragstellerinnen und Antragsteller gegen das von ihnen angefochtene Landesgesetz bestehen - auf das Wesentliche zusammengefasst - in Folgendem:

Bei der Abstimmung über den zugrundeliegenden Gesetzesantrag seien für diesen 18 "Ja-Stimmen" abgegeben worden, 18 Abgeordnete hätten sich dafür entschieden, nicht für diesen Antrag zu stimmen, u. zw. 17, indem sie mit "nein" stimmten, und einer, indem er ungültig stimmte. Eine ungültige Stimme sei aber nach der GeoLT jedenfalls als Verneinung zu werten, keinesfalls aber als Zustimmung zum Gegenstand der Abstimmung.

Da 36 Abgeordnete anwesend gewesen und 36 Stimmen abgegeben worden seien, hätte die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen "18 + 1 Stimme" betragen. Tatsächlich seien für den Gesetzesantrag aber nur 18 Stimmen abgegeben worden, sodass kein gültiger Gesetzesbeschluss des Tiroler Landtages zustandegekommen sei.

2.2. Diesen Bedenken hält die Tiroler Landesregierung in ihrer Äußerung im Wesentlichen Folgendes entgegen:

Bei der Wertung eines Abstimmungsergebnisses komme der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine abgegebene Stimme vorliegt, entscheidende Bedeutung zu. Hiezu sehe §57 Abs1 zweiter Satz GeoLT vor, dass die Stimme nur durch Bejahung oder Verneinung ohne Begründung abgegeben werden dürfe. Weiters sei im §57 Abs2 festgelegt, dass sich die Abgeordneten - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - nicht der Stimme enthalten dürfen.

Sowohl eine wörtliche als auch eine teleologische Interpretation dieser Bestimmungen zeige, dass von einer abgegebenen Stimme nur dann die Rede sein könne, wenn der Abgeordnete seinen Willen durch Bejahung oder Verneinung kundgetan hat. Die Abgabe eines leeren Stimmzettels bei einer geheimen Abstimmung werde diesem Kriterium nicht gerecht und könne somit nicht als abgegebene Stimme, sondern bestenfalls als abgegebener Stimmzettel qualifiziert werden.

Wenn bei einer offenen Abstimmung von den 36 zunächst anwesenden Abgeordneten einer vor der Abstimmung den Saal verlasse, so sei es unzweifelhaft, dass bei einem Abstimmungsergebnis von 18 Ja- und 17 Nein-Stimmen eben nur 35 Stimmen insgesamt abgegeben wurden und die Vorlage somit angenommen ist. Aber selbst wenn sich bei einer solchen Abstimmung von 36 anwesenden Abgeordneten einer zwar unerlaubt, letztlich aber sanktionslos, weigere, bei der Abstimmung und einer allfälligen Gegenprobe die Hand zu heben, werde letztlich von nur 35 abgegebenen Stimmen auszugehen sein. Nicht anders handle aber ein Abgeordneter, der sich bei einer geheimen Abstimmung durch die Abgabe eines leeren Stimmzettels weigere, mit Ja oder Nein zu stimmen.

Sinn einer offenen Abstimmung sei es, das Abstimmungsverhalten, aber auch allfällige - wenn auch unzulässige - Stimmenthaltungen, bekannt werden zu lassen. Demgegenüber solle bei einer geheimen Abstimmung dem Abgeordneten die Ausübung seines freien Mandates erleichtert werden. Bei einer geheimen Abstimmung könne sich ein Abgeordneter (ebenfalls unerlaubterweise) nur dadurch - anonym - seiner Mitwirkung enthalten, dass er einen leeren Stimmzettel in ein Kuvert und dieses dann verschlossen - öffentlich - in die Urne lege. Es sei inkonsequent, wenn ein inhaltlich gleiches Verhalten, das sich je nach der Art der Abstimmung nur unterschiedlich äußere, zu unterschiedlichen Ergebnissen - nämlich einmal zur Annahme und einmal zur Ablehnung eines Verhandlungsgegenstandes - führe.

Dabei verbiete sich insbesondere ein Vergleich mit den Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern. In den diesbezüglichen Wahlordnungen würden ungültige Stimmzettel jeweils eigens geregelt, weshalb sie dort von der Rechtsordnung vorgesehen seien und entsprechend behandelt werden müssten. Im Übrigen komme letztendlich aber auch für das Wahlergebnis und die Zuordnung der Mandate nur den gültigen Stimmen Bedeutung zu, wogegen die ungültigen Stimmen nur statistischen Wert hätten. Hingegen werde in der GeoLT zum Ausdruck gebracht, dass bei Abstimmungen - eben im Gegensatz zu Wahlen - nur die Erklärung des Willens mit Ja oder Nein einer Stimmabgabe entspreche. Ein leerer Stimmzettel sei ein von der Rechtsordnung nicht vorgesehener Akt und somit keinesfalls eine abgegebene Stimme.

Eine andere Interpretation könne überdies zu dem - vom Gesetzgeber wohl nicht gewollten - Ergebnis führen, dass bei einer geheimen Abstimmung, bei der alle 36 Abgeordneten anwesend sind und 18 Abgeordnete für die Vorlage stimmen, 18 Abgeordnete aber einen leeren Stimmzettel abgeben, eine Vorlage verworfen wird, obwohl kein einziger Abgeordneter gegen diese Vorlage gestimmt hat.

Gemäß §60 Abs3 GeoLT gelte bei Stimmengleichheit ein Antrag als abgelehnt. Auch daraus ergebe sich, dass eine Abstimmung mit 18 Ja- und 17 Nein-Stimmen mangels Stimmengleichheit nicht als Ablehnung zu werten sei. Entgegen dem von den Antragstellerinnen und Antragstellern erhobenen Vorwurf werde der leere Stimmzettel bei dieser Ausgangslage nicht als Zustimmung gewertet. Er sei aber auch nicht als Verneinung bzw. Ablehnung zu werten. Die Behauptung, dass eine ungültige Stimme nach der GeoLT jedenfalls als Verneinung zu werten sei, finde in der GeoLT keine Deckung.

Ein leerer Stimmzettel sei nur in den gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fällen als Ablehnung zu qualifizieren. Dies sei etwa nach §55 Abs5 letzter Satz der Geschäftsordnung des Bundesrates bei geheimen Abstimmungen der Fall. Ebenso bestimme §32 Abs1 zweiter Satz der Tiroler Gemeindeordnung LGBl. Nr. 98/1991, dass Stimmenthaltung als Ablehnung gelte. Die TLO und die GeoLT sähen dies nicht vor, weshalb die Auslegung der Antragstellerinnen und Antragsteller unzutreffend sei.

2.3. Das angefochtene Landesgesetz ist (landes)verfassungswidrig zustandegekommen.

2.3.1. Im Hinblick auf das ihm vorliegende Protokoll der Sitzung des Tiroler Landtages am 14. Mai 1997 geht der Verfassungsgerichtshof von folgendem maßgeblichen Sachverhalt aus:

Auf Grund eines - ausreichend unterstützten - diesbezüglichen Antrages wurde über den Tagesordnungspunkt 3 "Bericht und Antrag des Rechts- und Gemeindeausschusses zur Regierungsvorlage betreffend ein Gesetz, mit dem das Tiroler Musikschulgesetz geändert wird" eine geheime Abstimmung mit Stimmzetteln durchgeführt (§59 Abs2 GeoLT). Das dabei erzielte Ergebnis lautete in der vom vorsitzführenden Präsidenten mitgeteilten Form wie folgt:

"Es sind alle 36 Stimmen abgegeben worden. Es sind 18 Stimmen Ja, 17 Stimmen Nein und eine ungültige."

Auf Grund des in dieser Hinsicht übereinstimmenden Vorbringens sowohl der Anfechtungswerberinnen und Anfechtungswerber als auch der Tiroler Landesregierung geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, dass mit dieser "ungültigen Stimme" ein bei der Abstimmung abgegebener leerer Stimmzettel gemeint ist.

Der solcherart gefasste Beschluss des Landtages wurde in weiterer Folge der Kundmachung des angefochtenen Landesgesetzes (vgl. oben Pkt. I.2.2.) zugrundegelegt.

2.3.2. Zur maßgeblichen Rechtslage ist auf Folgendes hinzuweisen:

2.3.2.1. Gemäß Art27 TLO ist zu einem gültigen Beschluss des Landtages - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - die Anwesenheit von wenigstens der Hälfte der Abgeordneten und die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich.

2.3.2.2. Die auf Art26 TLO gestützte GeoLT bestimmt in §57, dass die Abgeordneten ihre Stimme stets nur durch Bejahung oder Verneinung ohne Begründung abgeben dürfen; mit Ausnahme des Präsidenten dürfen sich Abgeordnete - außer in persönlichen Angelegenheiten (hier ist die Stimmenthaltung dem Präsidenten mitzuteilen) - auch nicht der Stimme enthalten. Der die Arten der Abstimmung im Tiroler Landtag regelnde Art59 GeoLT sieht neben der Abstimmung "durch das Erheben der Hand" oder "durch das Erheben von den Sitzen" - unter näher bestimmten Voraussetzungen

-

die namentliche Abstimmung und die geheime Abstimmung vor. Dabei wird für die namentliche Abstimmung u.a. bestimmt, dass jeder Abgeordnete "nach dem Aufruf seines Namens mit 'Ja' oder 'Nein' zu antworten" hat. Für die geheime Abstimmung ist vorgesehen, dass sie "mit Stimmzetteln" zu erfolgen hat. §60 Abs1 GeoLT sieht - in Wiederholung des Wortlautes des Art27 TLO

-

vor, dass zu einem gültigen Beschluss des Landtages die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich ist; §60 Abs3 GeoLT bestimmt, dass bei Stimmengleichheit ein Antrag als abgelehnt gilt.

Gegen die hier maßgeblichen Bestimmungen der - nicht in Form eines Gesetzes gemäß den Verfahrensvorschriften der Art97 und 98 B-VG erlassenen, sondern auf bloßen Landtagsbeschlüssen beruhenden - GeoLT hat der Verfassungsgerichtshof keine Bedenken (s. VfSlg. 6277/1970, S 642; 7607/1975); sie regeln, soferne sie sich nicht überhaupt auf die Wiederholung der einschlägigen Bestimmungen der TLO beschränken, bloß interne Angelegenheiten des Landtages.

2.3.3.1. Bei der hier in Rede stehenden geheimen Abstimmung waren sämtliche 36 Abgeordnete des Tiroler Landtages anwesend. Es wurden auch 36 Stimmzettel abgegeben, von denen 18 auf "Ja", 17 auf "Nein" lauteten und einer leer war.

2.3.3.2. Fraglich ist, ob auch dieser leere Stimmzettel als "eine abgegebene Stimme" im Sinne des Art27 TLO bzw. des §60 Abs1 GeoLT zu werten ist. In seinem Erkenntnis VfSlg. 634/1926 hat der Verfassungsgerichtshof diese Frage in einem in allen wesentlichen Belangen vergleichbaren Fall bejaht und die Auffassung vertreten, dass auch "abgegebene leere Stimmzettel ... als abgegebene Stimmen angesehen werden" müssten.

Der Verfassungsgerichtshof hat keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzugehen.

2.3.3.3. Bei diesem Ergebnis ist aber davon auszugehen, dass bei der hier in Rede stehenden Abstimmung 36 Stimmen abgegeben wurden. Die erforderliche "einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen" hätte demgemäß - mindestens - 19 Stimmen betragen. Für den Antrag des Rechts- und Gemeindeausschusses wurden aber nur 18 "Ja"-Stimmen abgegeben. Damit war das Erfordernis für einen gültigen Beschluss des Tiroler Landtages gemäß Art27 TLO bzw. §60 GeoLT nicht erfüllt.

2.3.4. Das angefochtene Landesgesetz beruht somit auf einem ungültigen Beschluss des Tiroler Landtages. Daher war der Anfechtung stattzugeben und das Landesgesetz als (landes)verfassungswidrig aufzuheben.

3. Eine Frist für das Inkrafttreten der Aufhebung zu bestimmen, verbietet sich angesichts des Umstandes, dass dem aufzuhebenden Gesetz kein gültiger Beschluss des Landtages zu Grunde liegt.

4. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

5. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG 1953 iVm. §2 liti Landes-Verlautbarungsgesetz LGBl. Nr. 8/1982 idgF.

6. Gemäß §27 VerfGG 1953 sind im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof Kosten nur dann zuzusprechen, wenn dies in diesem Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist. Im vorliegenden Fall stützt sich die Antragslegitimation der antragstellenden Abgeordneten auf Art140 Abs1 d r i t t e r Satz B-VG. Im Gesetzesprüfungsverfahren ist ein Kostenzuspruch aber nach den Bestimmungen des §65a VerfGG 1953 nur für jene Antragsteller vorgesehen, deren Antragslegitimation sich aus Art140 Abs1

v i e r t e r Satz B-VG ergibt. Der Antrag auf Zuspruch von Kosten war daher abzuweisen (vgl. VfSlg. 12466/1990).

7. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Landtag, Gesetz Erlassung, Landesgesetz, Landesverfassung, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:G420.1997

Dokumentnummer

JFT_10008787_97G00420_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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