TE Vwgh Erkenntnis 2003/2/18 2002/01/0091

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Veröffentlicht am 18.02.2003
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
19/05 Menschenrechte;
41/02 Staatsbürgerschaft;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

B-VG Art130 Abs2;
MRK Art8 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StbG 1985 §11;
StbG 1985 §20 Abs2;
StVO 1960 §5 Abs1;
StVO 1960 §5 Abs2;
StVO 1960 §99 Abs1 lita;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des T in D, vertreten durch Dr. Mai Scherbantie und Dr. Hanno Lecher, Rechtsanwälte in 6850 Dornbirn, Marktstraße 8, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 29. Jänner 2002, Zl. Ia 370- 401/2000, betreffend Widerruf der Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft und Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Vorarlberg Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 31. Mai 2000 sicherte die Vorarlberger Landesregierung (die belangte Behörde) dem Beschwerdeführer die Verleihung der Staatsbürgerschaft und seiner Ehegattin und seinen minderjährigen Kindern die Erstreckung der Verleihung gemäß § 20 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) für den Fall zu, dass innerhalb von zwei Jahren ab Rechtskraft dieses Bescheides das Ausscheiden aus dem Verband des bisherigen Heimatstaates (Türkei) nachgewiesen werde.

Mit Bescheid vom 29. Jänner 2002 widerrief die belangte Behörde diese Zusicherung gemäß § 20 Abs. 2 iVm § 10 Abs. 1 Z 6 StbG (Spruchpunkt 1.) und wies den Verleihungsantrag des Beschwerdeführers gemäß §§ 10, 11a, 12, 13 und 14 StbG (Spruchpunkt 2.) sowie die mit dem Verleihungsantrag verbundenen Erstreckungsanträge gemäß §§ 16, 17 und 18 leg. cit. ab (Spruchpunkt 3.).

Diesen Bescheid begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass der am 10. September 1961 in der Türkei geborene Beschwerdeführer seit 23. Mai 1977 ununterbrochen den Hauptwohnsitz in Österreich habe und seit April 1980 mit einer türkischen Staatsangehörigen (Erstreckungswerberin) verheiratet sei. Er habe in der Türkei fünf Jahre die Volksschule besucht, keinen Beruf erlernt und sei - nach Beschäftigung bei einem namentlich genannten Unternehmen in der Zeit von 1978 bis 1993 und von 1995 bis Dezember 2000 - seit Dezember 2000 arbeitslos. Am 14. Mai 2001 habe er die Einwilligungsbescheinigung des Innenministeriums der türkischen Republik für die Annahme der Staatsbürgerschaft eines fremden Staates vorgelegt.

Der Beschwerdeführer sei - so die belangte Behörde weiter - seitens der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn wegen Begehung von sechs Verwaltungsübertretungen rechtskräftig bestraft worden, u.a. "mit Bescheid vom 05.12.1996, ..., wegen einer Übertretung nach den §§ 5 Abs. 1 und 99 Abs. 1 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von S 12.000,--, weil er am 10.10.1996 um 23.50 Uhr einen Pkw in einem durch Alkohol beeinträchtigen Zustand (0,65 mg Alkohol pro Liter Atemluft - das entspricht 1,3 Promille) lenkte;

...

mit Bescheid vom 18.09.2000, ..., wegen einer Übertretung nach den §§ 38 Abs. 5 in Verbindung mit § 38 Abs. 1 lit. a StVO und § 99 Abs. 3 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von S 1.000,--, weil er am 07.06.2000 um 11.44 Uhr mit dem von ihm gelenkten Pkw trotz Rotlichtes der Verkehrssignalanlage nicht an der Haltelinie angehalten hatte, sondern weiter gefahren ist, obwohl ein sicheres Anhalten möglich gewesen wäre;

...

mit (nicht datiertem) Bescheid ..., wegen einer Übertretung nach den §§ 99 Abs. 1 lit. a in Verbindung § 5 Abs. 1 StVO mit einer Geldstrafe von S 18.000,--, weil er am 17.07.2001 um 01.34 Uhr in einem durch Alkohol beeinträchtigen Zustand (0,88 mg Alkohol pro Liter Atemluft - das entspricht 1,76 Promille) einen Pkw lenkte."

Überdies sei der Beschwerdeführer vom Bezirksgericht Dornbirn wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und Abs. 3 (§ 81 Z 2) StGB zu einer Geldstrafe im Ausmaß von 90 Tagessätzen verurteilt worden, weil er in alkoholisiertem Zustand - am 10. Oktober 1996; dieser Vorfall liegt auch der erstgenannten Bestrafung seitens der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn zu Grunde - einen Verkehrsunfall verursacht habe, wodurch eine andere Person verletzt worden sei. Im Hinblick auf die Übertretung vom 17. Juli 2001 sei dem Beschwerdeführer für die Dauer von sechs Monaten die Lenkerberechtigung entzogen worden.

Die beiden Übertretungen nach § 5 StVO sowie die Missachtung des Rotlichtes müssten als schwere Verwaltungsübertretungen gewertet werden. Bei einer erhöhten Alkoholkonzentration stünden Störungen des Wahrnehmungs- und Koordinationsvermögens im Vordergrund. Gerade beim Lenken eines Kraftfahrzeuges sei es jedoch wichtig, dass der Lenker im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten sei, da ansonsten die körperliche Unversehrtheit Dritter in hohem Maß gefährdet werde. Es sei eine Tatsache, dass eine große Zahl an Unfällen mit schwersten Personen- und Sachschäden auf das Lenken von Fahrzeugen in alkoholisiertem Zustand zurückzuführen sei. Diese Feststellung werde auch dadurch belegt, dass der Beschwerdeführer selbst in alkoholisiertem Zustand einen Verkehrsunfall mit Personenschaden verursacht habe. Auf Grund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer gravierend gegen Vorschriften, die zum Schutz von Leib und Leben Dritter erlassen worden seien, verstoßen habe (Lenken eines Fahrzeuges mit einer Alkoholisierung von 1,76 Promille, Missachtung des Rotlichtes einer Verkehrsampel) in Verbindung mit den Übertretungen, die er bereits vorher gesetzt hätte, biete er keine Gewähr dafür, dass er nicht möglicherweise auch in Zukunft wesentliche Vorschriften missachten werde, die zur Abwehr und Unterdrückung von Gefahren für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit bzw. für die anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen erlassen worden seien. Da er mithin die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht (mehr) erfülle, sei die Zusicherung der Verleihung zu widerrufen und der Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft abzuweisen gewesen. Das ziehe die Abweisung der Erstreckungsanträge nach sich.

Über die ausdrücklich nur gegen die Spruchpunkte 1. und 2. des Bescheides vom 29. Jänner 2002 erhobene Beschwerde (Widerruf der Zusicherung und Abweisung des Verleihungsantrages des Beschwerdeführers) hat der Verwaltungsgerichtshof - nach Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde - erwogen:

Gemäß § 20 Abs. 2 StbG ist die Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft zu widerrufen, wenn der Fremde auch nur eine der für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.

Im vorliegenden Fall erachtete die belangte Behörde den Widerruf nach der genannten Bestimmung als geboten, weil das Einbürgerungserfordernis nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG weggefallen sei. Gemäß dieser Bestimmung kann einem Fremden die Staatsbürgerschaft nur verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Staatsbürgerschaftsbehörde bei der Prüfung der Frage, ob das Verleihungshindernis nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG vorliegt, vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers, das wesentlich durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt wird, auszugehen. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern es ist lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte Rechtsgüter erlassene Rechtsvorschriften missachten. Wie die belangte Behörde zutreffend erkannte, kann sich die erwähnte Schlussfolgerung auch auf Verstöße gegen Vorschriften gründen, die der Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs dienen, wobei nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sowohl das Lenken eines Kraftfahrzeuges in alkoholisiertem Zustand als auch die Verweigerung des Atemlufttests auf Alkoholgehalt gravierende Verstöße gegen die genannten Vorschriften darstellen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 2001, Zl. 2000/01/0534, mwN).

Vor diesem Hintergrund vermag die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen. Soweit sie einleitend die Bestimmung des § 11 StbG ins Treffen führt, ist ihr mit der belangten Behörde zu entgegnen, dass dem bekämpften Bescheid keine Ermessensentscheidung zu Grunde liegt (eine solche kam gar nicht mehr in Betracht; vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. September 2000, Zl. 98/01/0268) und dass die in § 11 StbG normierten Richtlinien für die Ermessensübung daher gegenständlich keine Rolle spielen können. Mangels vorgenommener "Abwägung" konnte die belangte Behörde auch nicht, anders als der Beschwerdeführer vermeint, das "Grundprinzip der Vermeidung der Staatenlosigkeit" - im Hinblick auf die in der Beschwerde behauptete Entlassung aus dem bisherigen Staatsbürgerschaftsverband - "beachten". Im Übrigen ist unabhängig vom verfehlten Ansatz des Beschwerdeführers, es liege eine Ermessensentscheidung vor, darauf hinzuweisen, dass ein Widerruf der Zusicherung auch noch nach dem Nachweis des Ausscheidens aus dem Verband des bisherigen Heimatstaates zulässig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. März 2002, Zlen. 2001/01/0118 und 0119).

Unter dem Gesichtspunkt der hier allein zu prüfenden Frage, ob die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG weiterhin gegeben sei, wendet sich der Beschwerdeführer zunächst gegen die Berücksichtigung der Übertretung wegen Nichtanhaltens seines Pkw an der Haltelinie trotz Rotlichtes der Verkehrssignalanlage. Auf diesen Gesichtspunkt braucht indes nicht näher eingegangen zu werden, weil schon das unstrittige "Alkoholvergehen" vom 17. Juli 2001 die Rechtsansicht der belangten Behörde bestätigt. Angesichts des festgestellten erheblichen Alkoholisierungsgrades und angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer schon einmal (im Oktober 1996) einschlägig straffällig geworden ist, erweist sich nämlich ihre Prognose, der Beschwerdeführer biete keine Gewähr dafür, dass er nicht möglicherweise auch in Zukunft eine Gefahr iS des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG darstellen werde, nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes als zutreffend. Dass der Beschwerdeführer in Anbetracht der beiden Übertretungen des § 5 Abs. 1 StVO, wie er meint, "zweifellos weit hinter dem Durchschnitt in Österreich" zurückliege, kann wohl nicht ernstlich vertreten werden; dass er seit bald 25 Jahren ununterbrochen in Österreich lebe und hier integriert sei, ist im Zusammenhang des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG im Hinblick auf den einschlägigen Rückfall des Beschwerdeführers sowie darauf, dass das neuerliche "Alkoholvergehen" im Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides erst rund ein halbes Jahr zurücklag, ohne Belang. Der Beschwerdeführer hat aber auch - anders als in dem dem schon genannten hg. Erkenntnis vom 12. März 2002 zugrunde liegenden Fall - nichts geltend gemacht, was sein Fehlverhalten vom 17. Juli 2001 (oder jenes vom 10. Oktober 1996) unter einem besonderen Aspekt erscheinen lassen könnte, sodass ausnahmsweise eine andere Beurteilung geboten wäre. Davon ausgehend ist nicht ersichtlich, welche weiteren Feststellungen zu einem für den Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätten führen können. Damit liegt aber auch der im Ergebnis geltend gemachte Verfahrensmangel nicht vor, zumal dem in der Beschwerde aufgegriffenen Umstand, dass die belangte Behörde entgegen den Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren ohne weitere Begründung davon ausgegangen ist, er sei nach wie vor arbeitslos, im gegebenen Zusammenhang (Prognose nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG) keine Bedeutung beigemessen werden kann. Zusammenfassend steht der bekämpfte Bescheid mit dem Gesetz in Einklang (zu einem vergleichbaren Fall siehe das eingangs genannte Erkenntnis vom 2. Oktober 2001), weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 18. Februar 2003

Schlagworte

Ermessen besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002010091.X00

Im RIS seit

05.05.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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