TE Vfgh Beschluss 1999/12/16 WI-12/99

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Veröffentlicht am 16.12.1999
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Index

10 Verfassungsrecht
10/04 Wahlen

Norm

B-VG Art26 Abs2
B-VG Art141 Abs1 lita
VfGG §67 Abs2
NRWO 1992 §2 Abs1
NRWO 1992 §4
NRWO 1992 §96 Abs2
NRWO 1992 §102 Abs3

Leitsatz

Zurückweisung der Anfechtung der Nationalratswahl 1999 wegen Nichtzuweisung eines Mandates mangels Legitimation; keine Bedenken gegen eine Bestimmung der NRWO 1992 über die Zuweisung der Mandate an die Bewerber der Landesparteilisten nach Maßgabe der Vorzugsstimmen

Spruch

Die Wahlanfechtung wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Gemäß Art141 Abs1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof ua. über die Anfechtung von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern, so auch zum Nationalrat (VfSlg. 14556/1996).

1.2.1. Mit einem auf diese Bestimmung gestützten und beim Verfassungsgerichtshof eingereichten Schriftsatz beantragt der Anfechtungswerber, "die Nationalratswahl 1999 nach angeregter ... Normbehebung ... ab einschließlich der Ebene des zweiten Ermittlungsverfahrens für nichtig zu erklären und aufzuheben."

1.2.2.1. Gemäß §67 Abs2 letzter Satz VerfGG kann eine Wahlanfechtung auch der Wahlwerber einbringen, der behauptet, dass ihm die Wählbarkeit im Wahlverfahren rechtswidrig aberkannt wurde.

1.2.2.2. Zu den Prozessvoraussetzungen wird in der Anfechtungsschrift ua. ausgeführt:

Die unmittelbar aus Art141 B-VG abzuleitende Legitimation zur Anfechtung von Wahlen sei aus dem Blickwinkel des aktiven wie des passiven Wahlrechtes bezüglich der Antragsberechtigung in §67 Abs2 letzter Satz VerfGG so zu verstehen, dass mit dem Wort "Wählbarkeit" nicht nur das passive Wahlrecht in abstracto gemeint ist, sondern auch das konkrete - allenfalls auf einer verfassungswidrigen Norm beruhende - Nichtgewähltsein. Das rechtswidrige Nichtzuweisen eines Mandates - beruhe die Rechtswidrigkeit auf dem Verhalten der zur Zuweisung berufenen Verwaltungsbehörde oder auf einem die Verwaltungsbehörde bindenden verfassungswidrigen Gesetz(esteil) - begründe die Legitimation zur Anfechtung der Wahl. Wenn der Verfassungsgerichtshof die Auffassung nicht teile, dass die Geltendmachung einer auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruhenden Nichtzuweisung eines Mandates die Wahlanfechtungslegitimation nach §67 Abs2 letzter Satz VerfGG unmittelbar begründe, dann rege der Anfechtungswerber die Prüfung von §67 Abs2 zweiter und dritter Satz VerfGG an, weil sich kein sachlicher Grund dafür finden lasse, den Fall der rechtswidrigen Benachteiligung von Bewerbern um ein Nationalratsmandat von der Berechtigung zur Wahlanfechtung auszuschließen. Es wäre nämlich die zur Prüfung angeregte Norm in unsachlicher Weise zu eng gefasst, um der Intention des Art141 B-VG noch gerecht zu werden.

1.2.3. Zur behaupteten Verfassungswidrigkeit des §102 Abs3 erster Satz NRWO - wörtlich lautend:

"Die zu vergebenden Mandate werden zunächst der Reihe nach jenen Bewerbern zugewiesen, die mindestens so viele Vorzugsstimmen erzielt haben, wie die Wahlzahl beträgt." -

führt der Anfechtungswerber - zusammengefasst - Folgendes aus:

Die Bestimmung lege fest, dass die Voraussetzung für die Zuweisung eines Mandates das Erreichen der Wahlzahl ist. Die Wahlzahl ergebe sich daraus, dass die Gesamtsumme der im Landeswahlkreis für die Parteien abgegebenen gültigen Stimmen in ein Verhältnis zur Anzahl der im Landeswahlkreis zu vergebenden Mandate gesetzt wird. Dies bedeute, dass die Wahlzahl bei einer Durchschnittsbetrachtung bundesweit regelmäßig in einer vergleichbaren Bandbreite liegt.

Jedes Bundesland bilde einen Landeswahlkreis - dies allerdings und notwendigerweise mit einer Schwankung von Wahlberechtigten um das Vielfache; im äußersten Fall liege ein Verhältnis von nahezu 1:6 vor.

Es liege auf der Hand, dass die - in allen Landeswahlkreisen in etwa gleiche Wahlzahl - aus dem Potential von Wahlberechtigten im größten Wahlkreis bedeutend leichter zu erreichen ist als bei einem Potential von nur einem Sechstel davon. Das Gewicht der Wählerstimmen müsse innerhalb des gesamten Bundesgebietes ebenso ein vergleichbares und innerhalb einer tolerierbaren Bandbreite gelegen sein wie dies für den "Preis eines Mandates" zu fordern sei. Die Bandbreite des Tolerierbaren und die Vertretbarkeit einer Proportion sei jedoch verlassen, wenn dem Wahlwerber um die Vorzugsstimme auf der Ebene der Landesparteiliste in einem Bundesland ein unvergleichlich größeres Wählerreservoir zur Verfügung steht - sein Mandat also in der Erreichbarkeit unvergleichlich "billiger" ist - als in einem anderen Bundesland. Ein Wahlwerber in Vorarlberg werde durch diese sachwidrigerweise nicht differenzierende Regelung in einem in die Verfassungssphäre reichenden Maße benachteiligt. Dies belaste die Regelung mit gröbster Gleichheitswidrigkeit, mit nicht mehr tolerierbarer Unsachlichkeit und damit mit einem zwingend zur Behebung führen müssenden Verstoß gegen Art2 StGG und Art7 B-VG.

2. Die Wahlanfechtung ist nicht zulässig.

2.1. Gemäß Art26 Abs2 B-VG wird das Bundesgebiet in räumlich geschlossene Wahlkreise geteilt, deren Grenzen die Landesgrenzen nicht schneiden dürfen. Die Zahl der Abgeordneten wird auf die Wahlberechtigten der Wahlkreise (Wahlkörper) im Verhältnis der Zahl der Staatsbürger, die nach dem Ergebnis der letzten Volkszählung im jeweiligen Wahlkreis den Hauptwohnsitz hatten, vermehrt um die Zahl der Staatsbürger, die am Zähltag im Bundesgebiet zwar nicht den Hauptwohnsitz hatten, aber in einer Gemeinde des jeweiligen Wahlkreises in der Wählerevidenz eingetragen waren, verteilt. Schließlich ist nach dieser Verfassungsbestimmung eine Gliederung der Wählerschaft in andere Wahlkörper nicht zulässig.

Nach §2 Abs1 NRWO wird das Bundesgebiet für Zwecke der Wahl in neun Landeswahlkreise eingeteilt, wobei jedes Bundesland einen Landeswahlkreis bildet. Nun führte der Verfassungsgerichtshof schon im Erkenntnis VfSlg. 6563/1971 bezüglich der Wahlen zum Nationalrat (auf der Grundlage der damals in Geltung gestandenen NRWO 1971) aus, dass sich aus dem in Art26 Abs2 zweiter Satz B-VG - in der unter den hier maßgeblichen Aspekten vergleichbaren Fassung von 1929 - normierten Zusammenhang zwischen Wahlkreis und Bürgerzahl kein Schluss auf eine verfassungsgesetzlich gebotene Größe eines Wahlkreises ziehen läßt; bei dieser Regelung handle es sich um ein Wahlrechtsprinzip, das die Konstituierung eines Bundeslandes als Wahlkreis nicht ausschließe (S 797), weshalb auch die Schaffung von Wahlkreisen im Umfang von je einem Bundesland (im Hinblick auf das Anfechtungsvorbringen: also von Wahlkreisen sehr verschiedener Größe) der Verfassungsrechtslage entspreche (S 804). Die genannte bundesverfassungsgesetzliche Bestimmung, wonach das Bundesgebiet in Wahlkreise einzuteilen ist (erster Satz), bewirkt nach dem ebenfalls zu Wahlen zum Nationalrat ergangenen Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 3653/1959, S 470 f., weiters, dass die Parteien im Nationalrat nach ihrer Bedeutung in den einzelnen Wahlkreisen und nicht nach ihrer Bedeutung im ganzen Bundesgebiet vertreten sind, ferner aber auch, dass der Erfolgswert der Stimmen parteienweise und wahlkreisweise verschieden ist (s. dazu nunmehr VfGH 11.10.1999 WI-3/99). Auch dafür, dass die Bestimmung der NRWO über die Zahl der Mandate in den Wahlkreisen und die Berechnung nach der jeweils letzten Volkszählung (§4) gegen das in seinem Art26 Abs2 zweiter Satz das Bürgerzahlprinzip verankernde Bundes-Verfassungsgesetz verstieße, gibt es keine Anhaltspunkte. Schließlich verletzt auch die Regelung der Wahlzahl, wie sie durch §96 Abs2 NRWO - nach dem Hare'schen Verfahren - getroffen wurde, keine Verfassungsvorschrift (s. VfSlg. 6563/1971, S 803; 8852/1980). In Anbetracht all dessen begegnen auch der Bestimmung des §102 Abs3 erster Satz NRWO aus dem Blickwinkel der vorliegenden Rechtssache keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

2.2. Vor diesem Hintergrund fehlt dem Einschreiter die Legitimation zur Anfechtung der Wahl zum Nationalrat aber auch dann, wenn man - ausgehend von seinem eigenen Vorbringen - meinte, dass gemäß §67 Abs2 letzter Satz VerfGG auch das auf einer behauptetermaßen verfassungswidrigen Norm beruhende "Nichtgewähltsein" geltend gemacht werden könnte (vgl. auch VfSlg. 8700/1979).

2.3. Die Wahlanfechtung war somit zurückzuweisen.

3. Dieser Beschluss konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

Schlagworte

VfGH / Legitimation, VfGH / Wahlanfechtung, Wahlen, Wahlrecht passives, Wahlkreise

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:WI12.1999

Dokumentnummer

JFT_10008784_99W0I012_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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