TE Vfgh Beschluss 1999/12/17 G312/96, V118/96

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Veröffentlicht am 17.12.1999
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
Richtlinien über die Berücksichtigung ökonomischer Grundsätze bei der Krankenbehandlung gem §31 Abs5 Z10 ASVG
ASVG §31 Abs5 Z10
ASVG §342 Abs1 Z6
ÄrzteG 1998 §118

Leitsatz

Zurückweisung der Individualanträge der Österreichischen Ärztekammer und der Ärztekammer für Wien auf Aufhebung von Bestimmungen des ASVG betreffend Bindung der Gesamtverträge an vom Hauptverband im Wege einer Verordnung festzusetzende Richtlinien und auf Aufhebung der Richtlinien über die Berücksichtigung ökonomischer Grundsätze bei der Krankenbehandlung mangels Eingriff in die Rechtssphäre der Antragsteller bzw wegen zumutbaren Umwegs

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Die Ärztekammer für Wien und die Österreichische Ärztekammer begehren in einem gemeinsamen Schriftsatz gestützt auf Art140 B-VG die Aufhebung des zweiten Satzes des §31 Abs5 Z10 ASVG idF BGBl. Nr. 20/1994, in eventu des Nebensatzes ", die für die Vertragspartner (§§338 ff) verbindlich sind," in der genannten Bestimmung sowie der Wortfolge "unter Zugrundelegung des Heilmittelverzeichnisses (§31 Abs3 Z12) und der Richtlinien gemäß §31 Abs5 Z10 und 13" in §342 Abs1 Z6 ASVG idF BGBl. Nr. 411/1996, in eventu der Wendung "10 und" in dieser Bestimmung.

Außerdem wird, gestützt auf Art139 Abs1 B-VG, von beiden Kammern die Aufhebung der Richtlinien über die Berücksichtigung ökonomischer Grundsätze bei der Krankenbehandlung gemäß §31 Abs5 Z10 ASVG (RÖK), Amtliche Verlautbarung Nr. 40/1996, SoSi 1996, in eventu des §2 Abs2, des §3, der Wortfolge "vom Vertragspartner" in §4 Abs1, des §4 Abs2, der §§6 - 9, des §11 Abs2 und des §12 Satz 2 und 3 sowie der Z7 der Anlage dieser Verordnung begehrt.

2.1. Die Z10 des §31 Abs5 ASVG idF BGBl. Nr. 20/1994 lautet im Zusammenhang - der vom Primärantrag erfaßte Satz ist durch Unterstreichung hervorgehoben - wie folgt:

"§31. (1) ...

(2) Dem Hauptverband obliegt

1.

...

2.

...

3.

die Erstellung von Richtlinien zur Förderung oder Sicherstellung der gesamtwirtschaftlichen Tragfähigkeit, der Zweckmäßigkeit und der Einheitlichkeit der Vollzugspraxis der Sozialversicherungsträger.

(3) ...

(4) ...

(5) Richtlinien im Sinne des Abs2 Z3 sind aufzustellen:

1. ...

...

10. über die Berücksichtigung ökonomischer Grundsätze bei der Krankenbehandlung unter Bedachtnahme auf §133 Abs2. In diesen Richtlinien, die für die Vertragspartner (§338 ff) verbindlich sind, sind jene Behandlungsmethoden anzuführen, die entweder allgemein oder unter bestimmten Voraussetzungen (zB für gewisse Krankheitsgruppen) erst nach einer chef- oder kontrollärztlichen Bewilligung des Versicherungsträgers anzuwenden sind. Durch diese Richtlinien darf der Zweck der Krankenbehandlung nicht gefährdet werden;

11. ...

...

(6) ...

..."

2.2. Die Z6 des §342 Abs1 ASVG idF BGBl. Nr. 411/1996 - der angefochtene Teil dieser Bestimmung ist durch Unterstreichung hervorgehoben - lautet im Zusammenhang wie folgt:

"§342. (1) Die zwischen dem Hauptverband und den Ärztekammern abzuschließenden Gesamtverträge haben nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen insbesondere folgende Gegenstände zu regeln:

1. ...

...

6. die Zusammenarbeit der Vertragsärzte mit dem beim Versicherungsträger eingerichteten chef- und kontrollärztlichen Dienst unter Zugrundelegung des Heilmittelverzeichnisses (§31 Abs3 Z12) und der Richtlinien gemäß §31 Abs5 Z10 und 13;

7. ...

...

(2) ..."

2.3. Die Richtlinien über die Berücksichtigung ökonomischer Grundsätze bei der Krankenbehandlung gemäß §31 Abs5 Z10 ASVG (RÖK), kundgemacht in der Amtlichen Verlautbarung Nr. 40/1996, SoSi 1996, haben den folgenden Wortlaut:

"Richtlinien über die Berücksichtigung ökonomischer Grundsätze

bei der Krankenbehandlung gemäß §31 Abs5 Z10 ASVG (RÖK)

1. Abschnitt

Allgemeine Bestimmungen

Geltungsbereich

§1. (1) Die Richtlinien regeln

1. die ökonomischen Grundsätze, nach denen

a) die ärztliche Hilfe,

b) die der ärztlichen Hilfe gleichgestellten Leistungen,

c)

die im Zusammenhang mit Leistungen gemäß lita und b veranlaßten Maßnahmen,

d)

die Abgabe von Heilbehelfen durch andere Vertragspartner als Apotheker und hausapothekenführende Ärzte

als ausreichend, zweckmäßig, das Maß des Notwendigen nicht übersteigend zu beurteilen sind sowie

2. die Maßnahmen, die die Einhaltung dieser Grundsätze sicherstellen sollen.

(2) Für die Verordnung von Heilmitteln und Heilbehelfen und die Abgabe durch Apotheker und hausapothekenführende Ärzte sind die Richtlinien über die ökonomische Verschreibweise von Heilmitteln und Heilbehelfen anzuwenden.

Verbindlichkeit

§2. (1) Die Richtlinien sind für die im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger zusammengefaßten Krankenversicherungsträger mit der Maßgabe verbindlich, daß der

3. Abschnitt nur vom abrechnenden Krankenversicherungsträger anzuwenden ist.

(2) Die §§1 bis 4 und der 2. Abschnitt sind auch für die in Betracht kommenden Vertragspartner verbindlich.

Ökonomische Grundsätze

§3. (1) Durch die Krankenbehandlung sollen die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden.

(2) Die Krankenbehandlung muß ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Sie ist nach dem jeweiligen und aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu erbringen. Innerhalb dieses Rahmens erfüllt die Krankenbehandlung unter Beachtung des Wohles und der Betroffenheit des Versicherten (Angehörigen) die ökonomischen Grundsätze, wenn sie geeignet ist,

-

einen ausreichenden therapeutischen und diagnostischen Nutzen zu erzielen und

-

die Kosten im Verhältnis zum Erfolg der Maßnahme möglichst gering zu halten.

(3) Eine Maßnahme ist dabei nicht nur für sich allein zu betrachten, sondern es sind die im überblickbaren Behandlungs- und Untersuchungsverlauf gesetzten bzw. zu setzenden Maßnahmen zu berücksichtigen.

(4) Dabei ist insbesondere darauf Bedacht zu nehmen,

1.

daß von mehreren gleichwertig geeigneten Möglichkeiten die ökonomisch günstigste Möglichkeit gewählt wird;

2.

ob andere, z.B. hygienische oder diätetische Maßnahmen auch ökonomischer wären als Maßnahmen der Krankenbehandlung;

3.

ob anstelle der Einweisung zu einem stationären Krankenhausaufenthalt die Behandlung im ambulanten Bereich (z.B. Krankenhausambulanz, Betreuung durch den Hausarzt, medizinische Hauskrankenpflege) ökonomischer wäre;

4.

ob anstelle von ambulant serienweise angewendeten Behandlungsmethoden die Unterbringung in Kur- oder Rehabilitationseinrichtungen ökonomischer wäre.

Chef(Kontroll)ärztliche Bewilligung

§4. (1) In der Anlage sind jene Leistungen angeführt, die entweder allgemein oder unter bestimmten Voraussetzungen erst nach einer chef(kontroll)ärztlichen Bewilligung auf Rechnung des Krankenversicherungsträgers vom Vertragspartner angewendet werden dürfen.

(2) Für einzelne Vertragspartner oder für bestimmte Gruppen von Vertragspartnern können die Krankenversicherungsträger - allenfalls zeitlich befristet - vorsehen, daß für in der Anlage angeführte Leistungen keine chef(kontroll)ärztliche Bewilligung erforderlich ist oder daß die chef(kontroll)ärztliche Bewilligung nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen notwendig ist, wenn bei diesem Vertragspartner oder bei dieser Gruppe von Vertragspartnern die ökonomische Krankenbehandlung gemäß §3 sichergestellt ist.

(3) Aus Gründen der Zweckmäßigkeit kann festgelegt werden, daß die Physikotherapie ab der 31. Anwendung, jedenfalls aber ab der 11. Sitzung, einer vorherigen chef(kontroll)ärztlichen Bewilligung bedarf.

Kostenerstattung, Kostenzuschuß, Kostenersatz

§5. Die §§1, 3 und 4 gelten sinngemäß für die Fälle

-

der Erstattung von Kosten der Krankenbehandlung,

-

der Kostenzuschüsse,

-

der Kostenersätze.

2. Abschnitt

Bestimmungen für den Vertragspartner

Beachtung der ökonomischen Grundsätze

§6. (1) Der Vertragspartner ist verpflichtet, die Krankenbehandlung so zu erbringen und zu veranlassen, daß diese den ökonomischen Grundsätzen gemäß §3 entspricht.

(2) Gibt der Versicherte (Angehörige) z.B. durch Vorlage eines Krankenscheines zu erkennen, daß er auf Rechnung der Sozialversicherung behandelt werden will, ist für bewilligungspflichtige Maßnahmen ein Antrag auf vorherige chefärztliche Bewilligung auszustellen.

Aufklärungspflicht durch den Vertragspartner

§7. (1) Der Vertragspartner hat den Versicherten (Angehörigen) bei Veranlassung, spätestens vor der Anwendung einer bewilligungspflichtigen Behandlungs- oder Untersuchungsmethode ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß vor Durchführung dieser Methode die chef(kontroll)ärztliche Bewilligung einzuholen ist und der Krankenversicherungsträger im Falle einer Ablehnung keine Kosten übernimmt.

(2) Die chef(kontroll)ärztliche Bewilligung ist entweder vom Versicherten (Angehörigen) oder in seinem Namen vom Vertragspartner beim Krankenversicherungsträger vor Durchführung dieser Methode einzuholen. Der Vertragspartner hat die beabsichtigte Anwendung dieser Behandlungs- oder Untersuchungsmethode so zu begründen, daß der Krankenversicherungsträger in der Regel ohne zusätzliche Erhebung darüber entscheiden kann.

Keine chef(kontroll)ärztliche Bewilligung

§8. Eine chef(kontroll)ärztliche Bewilligung ist nicht erforderlich, wenn die Anwendung der bewilligungspflichtigen Behandlungs- oder Untersuchungsmethode in Fällen der Ersten Hilfe oder zur Abwendung einer erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigung unverzüglich notwendig war. Dies ist vom Vertragspartner auf dem jeweiligen Abrechnungsbeleg schriftlich zu begründen.

Überweisungen oder Zuweisungen

§9. (1) Die Maßnahmen des Vertragspartners haben im Rahmen des §3 alle Leistungen zu umfassen, die aufgrund der medizinischen Ausbildung und der dem Vertragspartner zu Gebote stehenden Hilfsmittel sowie zweckmäßigerweise außerhalb einer stationären Krankenhausbehandlung durchgeführt werden können. Für erforderliche Leistungen, die der Vertragspartner nicht selbst erbringen kann, hat er Überweisungen oder Zuweisungen unter Berücksichtigung der ökonomischen Grundsätze vorzunehmen, wobei er sich auch zu vergewissern hat, ob und inwieweit entsprechende maßgebliche Vorbefunde vorhanden sind.

(2) Im Falle einer notwendigen Überweisung oder Zuweisung ist grundsätzlich zu Vertragspartnern zu überweisen oder zuzuweisen. Eine Zuweisung oder Überweisung zu Wahlbehandlern soll nur dann erfolgen, wenn ein Vertragspartner unter Berücksichtigung der Dringlichkeit der Behandlung oder Untersuchung in zumutbarer Entfernung nicht vorhanden ist.

3. Abschnitt

Bestimmungen für den Krankenversicherungsträger

Prüfung der Einhaltung der ökonomischen Grundsätze

§10. (1) Der Krankenversicherungsträger hat die Tätigkeit der Vertragspartner bezüglich der Einhaltung der Grundsätze der ökonomischen Krankenbehandlung zu prüfen.

(2) Die vertragspartnerbezogene Prüfung erfolgt

1.

nach Durchschnittswerten;

2.

auf der Grundlage von Stichproben;

3.

in Einzelfällen.

(3) Die Prüfung umfaßt insbesondere:

-

ärztliche Leistungen,

-

ärztlich verordnete Leistungen,

-

der ärztlichen Hilfe gleichgestellte Leistungen,

-

die Häufigkeit von Überweisungen,

-

Krankenhauseinweisungen,

-

die Feststellungen der Arbeitsunfähigkeit,

-

die Ausstellung von Reise(Fahrt)- und Transportaufträgen.

Vertragspartnerbezogene Prüfung nach Durchschnittswerten

§11. (1) Für jede Vertragspartnergruppe sind statistische Durchschnittswerte für den Honorar- und Folgekostenbereich zu ermitteln.

(2) Wird vom Krankenversicherungsträger eine maßgebliche Überschreitung relevanter Durchschnittswerte festgestellt, soll mit dem Vertragspartner ein Gespräch geführt werden. Dies gilt jedenfalls bei Überschreitungen von mehr als 50 %. Der Krankenversicherungsträger hat dabei den Vertragspartner über die ökonomischen Aspekte seiner Tätigkeit zu informieren. Erforderlichenfalls sind vom Krankenversicherungsträger die vertraglich und gesetzlich vorgesehenen Schritte zu setzen.

Vertragspartnerbezogene Prüfung auf der Grundlage von Stichproben

oder in Einzelfällen

§12. Der Krankenversicherungsträger hat regelmäßig im Wege von Stichproben sowie in begründeten Einzelfällen die Einhaltung der ökonomischen Grundsätze und die Richtigkeit der Abrechnung zu prüfen. Ergibt sich aus einer solchen Überprüfung die Vermutung unökonomischen Verhaltens, soll mit dem Vertragspartner ein Gespräch geführt werden. Erforderlichenfalls sind vom Krankenversicherungsträger die vertraglich und gesetzlich vorgesehenen Schritte zu setzen.

4. Abschnitt

Wirksamkeit

§13. Die Richtlinien treten mit dem Monatsersten in Kraft, der auf die Verlautbarung in der Fachzeitschrift 'Soziale Sicherheit' folgt.

ANLAGE

Leistungen, für die zur Sicherstellung des gesetzlichen Wirtschaftlichkeitsgebotes eine vorherige chef(kontroll)ärztliche

Bewilligung erforderlich ist

Folgende Leistungen bedürfen vor ihrer Anwendung einer chef(kontroll)ärztlichen Bewilligung:

1.

Logopädische Behandlung ab der 2. Sitzung

2.

Ergotherapie ab der 2. Behandlungseinheit

3.

- Physikotherapie ab der 21. Anwendung, jedenfalls ab der 7. Sitzung; die Verordnung ist bei Beginn der Behandlung vom Vertragspartner oder Versicherten (Angehörigen) der Kasse vorzulegen

- Physikotherapie in Form von Hausbesuchen ab der 1. Sitzung

4.

Psychotherapie ab der 11. Sitzung

5.

Medizinische Hauskrankenpflege ab der 5. Woche

6.

Geplante Behandlung und Untersuchung im Ausland

7.

Computertomographie, Kernspintomographie, nuklear-medizinische Untersuchungen

8.

Kosmetische Behandlung

9.

Sterilisation, Schwangerschaftsunterbrechung, Geschlechtsumwandlung

10.

HELP-Therapie

11.

Operative Maßnahmen zur Gewichtsreduktion

12.

Flugtransporte

13.

Transporte bei Serienbehandlungen (ausgenommen Transport zur Dialyse und Chemo-Strahlentherapie) ab dem 5. Transport

14.

Heimdialyse"

              3.              Zur Zulässigkeit der Anträge, in denen auch Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen dargelegt werden, wird ausgeführt, daß die Beziehungen der Träger der Sozialversicherung zu den freiberuflich tätigen Ärzten nach §338 Abs1 ASVG durch privatrechtliche Verträge geregelt werden. Obligatorischer Inhalt der zwischen dem Hauptverband und den Ärztekammern abzuschließenden Gesamtverträge sei gemäß §342 Abs1 Z4 ASVG insbesondere "die Vorsorge zur Sicherstellung einer wirtschaftlichen Behandlung". In diese explizit als privatrechtlich typisierte Rechtsstellung sei durch die in §31 Abs5 Z10 ASVG enthaltene Ermächtigung, derzufolge der Hauptverband in Richtlinien, "die für die Vertragspartner (§§338 ff) verbindlich sind", Bewilligungsvorbehalte einführen dürfe, sowie durch die in §342 Abs1 Z6 ASVG aufgenommene Verweisung eingegriffen worden. Die erstgenannte Bestimmung ermächtige eine Vertragsseite dazu, Angelegenheiten, die Gegenstand des Gesamtvertrages sein sollen und bisher auch waren, einseitig mittels Verordnung abweichend zu regeln und damit das Gesamtvertragsregime einseitig einzuschränken. Damit sei ein aktueller Rechtseingriff i.S.d. Art140 Abs1 letzter Satz B-VG gegeben, da einer solchen Ermächtigung schlichtweg die rechtliche Bedeutung einer Aufhebung der Normativität und Verbindlichkeit des Vertragsverhältnisses zukomme.

Auch die angefochtene Richtlinie greife aktuell in ein bestehendes Privatrecht und in ein Regime kollektivvertraglicher Beziehungen ein. Mit der erstmaligen Gebrauchnahme von der Verordnungsermächtigung sei die Aktualität des Rechtseingriffs jedenfalls gegeben. Das zugunsten der Ärzteschaft statuierte Regime der gesamtvertraglichen Vereinbarungen sei substantiell ausgehöhlt und in seiner prinzipiellen Funktionstauglichkeit in Frage gezogen.

Die rechtliche Betroffenheit der Ärztekammer für Wien als Gesamtvertragspartei liege im Hinblick auf §341 Abs1 ASVG offen zutage. Auch die Österreichische Ärztekammer sei unmittelbar betroffen. Gemäß §83 Abs1 Ärztegesetz 1984 habe sie nämlich all jene Angelegenheiten zu besorgen, welche die gemeinsamen beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Kammerangehörigen von zwei oder mehr Ärztekammern berühren. Dieser Fall sei gegeben, da die angefochtene Richtlinie nicht nur Vertragsärzte im Bundesland Wien, sondern österreichweit betreffe. Außerdem sei die Österreichische Ärztekammer die abschlußbevollmächtigte Verhandlungsführerin hinsichtlich der Gesamtverträge und schließe diese - wenn auch namens der Landesärztekammern - ab.

4.1. Die Bundesregierung, der an Stelle der verordnungserlassenden Verbandskonferenz des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger einschreitende Hauptverband der Sozialversicherungsträger und die Bundesministerin (damals:) für Arbeit und Soziales haben Äußerungen erstattet, in denen sie den in den Anträgen geäußerten Bedenken entgegengetreten sind. Die Bundesregierung und der Hauptverband haben darüber hinaus auch die Zulässigkeit der Anträge verneint:

4.1.1. Die Bundesregierung verweist auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach eine Bestimmung, die bloß eine Verordnungsermächtigung enthalte, nicht gemäß Art140 B-VG angefochten werden könne, weil es einer solchen Bestimmung voraussetzungsgemäß an einer unmittelbaren Wirkung auf die Rechtssphäre eines einzelnen fehle. Hinsichtlich der angefochtenen Wortfolge in §342 Abs1 Z6 ASVG stehe überdies den antragstellenden Kammern ein zumutbarer Weg offen, die aufgeworfenen Fragen anders als auf dem Wege eines Individualantrages an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

4.1.2. Auch der Hauptverband der Sozialversicherungsträger verweist auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur (fehlenden) unmittelbaren Wirkung von Verordnungsermächtigungen. Auch der Hauptverband hält es ferner für zulässig und zumutbar, die antragstellenden Ärztekammern auf den gemäß §§345a f. ASVG eingerichteten Verwaltungsweg zu verweisen. Der Hauptverband hält zudem die Österreichische Ärztekammer schon deswegen für nicht antragslegitimiert, weil sie weder Partei des Gesamtvertrages noch Adressatin der angefochtenen Verordnung sei. Allein aus der allgemeinen Aufgabe der Wahrnehmung und Vertretung der Interessen der Ärzteschaft könne eine Befugnis, gemäß Art139 oder 140 B-VG die Prüfung einer Verordnung oder eines Gesetzes zu beantragen, nicht abgeleitet werden.

4.2. Die Antragsteller haben auf die Äußerungen repliziert.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Zulässigkeit der gemäß Art140 B-VG an ihn gerichtete Anträge erwogen:

Die Anträge sind unzulässig.

1.1. Die angefochtenen Bestimmungen des ASVG stehen in folgendem rechtlichen Zusammenhang:

Nach §341 Abs1 ASVG werden die Beziehungen zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den freiberuflich tätigen Ärzten durch Gesamtverträge geregelt, die für die Träger der Krankenversicherung durch den Hauptverband mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abzuschließen sind. Bei diesen Gesamtverträgen handelt es sich um privatrechtliche Normenverträge (vgl. VfGH vom 15. Juni 1998, B 3011-3013/96 mwN):

Sie determinieren den Inhalt von Einzelverträgen. §341 Abs3 ASVG bestimmt, daß der Inhalt des Gesamtvertrages auch Inhalt des zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt abzuschließenden Einzelvertrages ist.

Gemäß §342 Abs1 Z4 ASVG haben die Gesamtverträge unter anderem Regelungen zu enthalten, die für eine wirtschaftliche Behandlung und Verschreibweise Vorsorge treffen. Gemäß §342 Abs1 Z6 leg. cit. haben die Gesamtverträge auch die Zusammenarbeit der Vertragsärzte mit dem beim Versicherungsträger eingerichteten chef- und kontrollärztlichen Dienst zu regeln.

1.2. Die angefochtenen Bestimmungen sehen somit eine Bindung der Gesamtverträge an vom Hauptverband im Wege der Verordnung (vgl. zur Qualifikation der Richtlinien über die Befreiung von der Rezeptgebühr VfSlg. 10728/1985) festzusetzende Richtlinien vor.

Der Verfassungsgerichtshof deutet das Antragsvorbringen der einschreitenden Ärztekammern dahin, daß sie sich im Hinblick auf zwei voneinander zu unterscheidende Wirkungen durch die angefochtenen Bestimmungen unmittelbar in ihren Rechten verletzt erachten:

Zum einen schränkten die angefochtenen Bestimmungen nach Auffassung der antragstellenden Kammern ihre Verhandlungs- und Rechtsetzungsmacht hinsichtlich des Gesamtvertrages unzulässig ein; schon darin erblicken sie einen unmittelbaren Eingriff in ihre Rechtssphäre. Zum anderen aber messen die antragstellenden Kammern den angefochtenen Bestimmungen des Gesetzes (und der Verordnung) "schlichtweg die rechtliche Bedeutung einer Aufhebung der Normativität und Verbindlichkeit des Vertragsverhältnisses" zu. Sie behaupten also der Sache nach einen durch das Gesetz (bzw. die Verordnung) bewirkten unzulässigen Eingriff in die bestehenden Verträge.

2. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen (auch) auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Hierbei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 10353/1985, 11730/1988).

3.1. Die Österreichische Ärztekammer ist nicht Partei der gemäß §§338 ff. ASVG abzuschließenden Gesamtverträge. Sie wird daher von der durch die angefochtenen Bestimmungen angeordneten Bindung der Parteien der Gesamtverträge an die vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger zu erlassenden Richtlinien in ihrer Rechtssphäre schon deshalb nicht berührt. Soweit sich die Österreichische Ärztekammer aber auf ihren in §83 des Ärztegesetzes 1984, nunmehr in §118 Abs1 des Ärztegesetzes 1998, geregelten Wirkungskreis beruft, ist sie auf den Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Juni 1999, G38/99 und G80/99 zu verweisen, in dem der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen hat, daß die allgemeine Aufgabe der Interessenvertretung gemäß §83 Abs1 bzw. §118 Abs1 Ärztegesetz nicht die fehlende unmittelbare Betroffenheit zu substituieren vermag, die Voraussetzung für die Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 B-VG ist. Der gemäß Art140 B-VG an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Antrag der Österreichischen Ärztekammer ist daher unzulässig.

3.2. Es erweist sich aber auch der Antrag der Ärztekammer für Wien als unzulässig:

3.2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes können Gesetzesbestimmungen, die ausschließlich eine Verordnungsermächtigung enthalten, nicht unmittelbar in die Rechtssphäre einer Person eingreifen (vgl. VfSlg. 8829/1980, 8978/1980, 11730/1988, 12976/1992).

3.2.2. Die Ärztekammer erblickt in der angefochtenen Regelung in ihrem Zusammenhang einen Eingriff in ihre Mitwirkungsbefugnisse im Rahmen des Abschlusses von Gesamtverträgen.

Es kann dahinstehen, ob der Ärztekammer als gesetzlicher beruflicher Vertretung, errichtet in der Rechtsform eines Selbstverwaltungskörpers, etwa im Hinblick auf §38 Abs2 Z8 Ärztegesetz 1984 (bzw. nunmehr §66 Abs2 Z8 Ärztegesetz 1998), wonach sie berufen ist, die hier in Rede stehenden Gesamtverträge abzuschließen, insoweit eine Rechtssphäre oder ob ihr - vergleichbar einer staatlichen Behörde - lediglich eine Kompetenz zum Abschluss von Gesamtverträgen zukommt: Die durch die angefochtenen Gesetzesbestimmungen erteilte Verordnungsermächtigung läßt nämlich offenkundig die bestehenden Gesamtverträge unberührt; eine allfällige Rechtswidrigkeit oder Nichtigkeit dieser Verträge kann überhaupt erst durch Erlassung der Verordnung entstehen. Die im Gesetz enthaltene Verordnungsermächtigung kann daher für sich von vornherein nicht in eine - wie auch immer begründete - Rechtssphäre der antragstellenden Ärztekammer eingreifen.

III. Über die Zulässigkeit der auf

Art139 B-VG gestützten Anträge auf Aufhebung von Teilen der Richtlinien über die Berücksichtigung ökonomischer Grundsätze bei der Krankenbehandlung gemäß §31 Abs5 Z10 ASVG (RÖK), Amtliche Verlautbarung Nr. 40/1996, SoSi 1996, hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:

1. Die Österreichische Ärztekammer ist nicht Adressatin der angefochtenen Verordnung. In ihre Rechtsposition wird durch sie offenkundig nicht eingegriffen. Daran ändert auch nichts, daß ihr durch §83 Abs2 Z10 Ärztegesetz 1984 bzw. §118 Abs2 Z10 Ärztegesetz 1998 die Befugnis zum Abschluß von Verträgen zur Regelung der Beziehungen der Ärzte zu den Trägern der Sozialversicherung verliehen ist, sofern hierdurch die Ärzte von zwei oder mehr Ärztekammern berührt werden; auch in dieses Recht wird nämlich durch die RÖK nicht eingegriffen. Hinsichtlich der durch §118 Abs1 Ärztegesetz 1998 der Österreichischen Ärztekammer zugewiesenen (allgemeinen) Aufgabe der Interessenvertretung gilt das bereits oben zu II. 3.1. Gesagte auch hier.

2. Ob hingegen die antragstellende Ärztekammer für Wien durch die RÖK aktuell und unmittelbar in ihrer Rechtssphäre betroffen ist, kann auf sich beruhen, weil ihr diesbezüglicher Antrag aus andereren Gründen unzulässig ist:

Der Verfassungsgerichtshof vertritt seit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt, daß der durch Art140 Abs1 B-VG dem einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hierfür nicht zur Verfügung steht

(zB VfSlg. 11684/1988, VfGH 27.9.1994 G215/94).

Wie nun aber sowohl die Bundesregierung als auch der Hauptverband der Sozialversicherungsträger in ihren Äußerungen zutreffend dartun, besitzt die antragstellende Ärztekammer als Partei des Gesamtvertrages die Möglichkeit, Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages gemäß §§345a f. ASVG im Verwaltungswege auszutragen. Es steht der antragstellenden Ärztekammer somit frei, in einem solchen Verfahren auch die Frage zu relevieren, ob ein bestehender Gesamtvertrag (überhaupt oder in bestimmten Punkten) im Hinblick auf die gemäß §31 Abs5 Z10 ASVG erlassenen Richtlinien weiterhin in Geltung steht. Ein darüber im Instanzenzug ergehender Bescheid der Bundesschiedskommission kann gegebenenfalls beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 B-VG sodann mit der Behauptung angefochten werden, daß die ihn tragenden Richtlinien über die ökonomische Verschreibweise gesetzwidrig seien. Die Beschreitung dieses Rechtsweges ist der antragstellenden Ärztekammer auch zumutbar.

Da somit ein der antragstellenden Ärztekammer zumutbarer Weg besteht, die Frage der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnung an den Verfassungsgerichtshof anders als im Wege des - als bloß subsidiärer Rechtsbehelf ausgestalteten - Individualantrages heranzutragen, erweist sich ihr Antrag als unzulässig.

IV. 1. Da es den antragstellenden Kammern sohin an der Legitimation i.S.d. Art140 Abs1 und Art139 Abs1 B-VG mangelt, waren die Anträge zurückzuweisen, was gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden konnte.

2. Die von dem anstelle der zur Abgabe einer Äußerung aufgeforderten Verbandskonferenz des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger einschreitenden Hauptverband der Sozialversicherungsträger begehrten Kosten waren allein schon deshalb nicht zuzusprechen, weil nach §61a VerfGG im Verfahren nach Art139 B-VG ein Kostenersatz nur dem obsiegenden Antragsteller zusteht (vgl. zB VfSlg. 14354/1995).

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Sozialversicherung, Ärzte, Ärztekammer

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:G312.1996

Dokumentnummer

JFT_10008783_96G00312_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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