TE Vwgh Erkenntnis 2003/3/20 2003/20/0004

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Veröffentlicht am 20.03.2003
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
19/05 Menschenrechte;
25/02 Strafvollzug;

Norm

B-VG Art140;
MRK Art8 Abs1;
StVG §90b Abs4 Z3;
StVG §90b Abs6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des P in G, vertreten durch Dr. Walter Niederbichler, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Grazbachgasse 5, gegen den Bescheid der Vollzugskammer beim Oberlandesgericht Graz vom 30. Juli 2002, Zl. Vk 19/02, betreffend Überwachung des Briefverkehrs (§ 90b StVG), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Nach dem Inhalt des angefochtenen Bescheides in Verbindung mit dem Beschwerdevorbringen ergibt sich folgendes Verwaltungsgeschehen:

Der Beschwerdeführer - nach den unbekämpften Feststellungen im angefochtenen Bescheid ein österreichischer Staatsbürger - verbüßt in einer Justizanstalt eine Freiheitsstrafe. Am 17. Juni 2002 gab er einen an die Botschaft der Republik Portugal gerichteten Brief in einem verschlossenen Umschlag zur Weiterleitung ab. Der Leiter der Justizanstalt beschied dem Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf § 90b Abs. 4 Z 3 StVG, den Brief offen abzugeben.

Der dagegen erhobene Administrativbeschwerde wurde mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 30. Juli 2002 keine Folge gegeben. Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensganges und des § 90b StVG führte die belangte Behörde aus, diese Bestimmung normiere unmissverständlich, in welchen Fällen Schreiben von Strafgefangenen in einem verschlossenen Umschlag zur Absendung gegeben werden dürften. Für den Beschwerdeführer als österreichischen Staatsbürger ergebe sich daraus das Recht auf "privilegierte Korrespondenz" mit den in Ziffer 1 und 2 des § 90b Abs. 4 StVG genannten öffentlichen Stellen. Dass diese Norm (gemeint offenbar: § 90b Abs. 4 Z 3 StVG, wonach ein überwachungsfreier Briefverkehr mit Vertretungsbehörden fremder Staaten lediglich deren Staatsangehörigen zukommt) mit dem Verfassungsrecht oder mit dem Gemeinschaftsrecht in Konflikt stehe, könne nicht erkannt werden. Diese Bestimmung stelle sich als "eine sachliche und zulässigerweise an die ausländische Staatsbürgerschaft des Strafgefangenen anknüpfende Regelung" dar. Eine für den innerstaatlichen Bereich geltende Norm, die jedem Strafgefangenen, der Angehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union sei, garantiere, mit jeder konsularischen Vertretung jedes Mitgliedstaates der Europäischen Union "mittels verschlossenen Umschlags" zu korrespondieren, existiere nicht.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 25. November 2002, B 1346/02 u.a., ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Über die (auftragsgemäß) ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht, "unverschlossene Briefsendungen an eine konsularische Vertretung eines Mitgliedstaates der Europäischen Union senden zu können", beschwert. Der angefochtene Bescheid leide insoweit an einer Rechtswidrigkeit des Inhalts.

§ 90b StVG in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung vor der am 1. Oktober 2002 in Kraft getretenen Novelle BGBl. I Nr. 134/2002 lautete:

"Schriftverkehr mit öffentlichen Stellen,

Rechtsbeiständen und Betreuungsstellen

§ 90b. (1) Schreiben, die ein Strafgefangener unter zutreffender Angabe des Absenders an öffentliche Stellen (Abs. 4), Rechtsbeistände (Abs. 5) oder Betreuungsstellen (Abs. 6) richtet, dürfen in einem verschlossenen Umschlag zur Absendung gegeben werden.

(2) Sind solche Schreiben an öffentliche Stellen (Abs. 4) gerichtet, so dürfen sie nur im Falle eines begründeten und nicht auf andere Weise überprüfbaren Verdachts einer unerlaubten Sendung von Geld oder Gegenständen und nur in Gegenwart des Strafgefangenen geöffnet werden.

(3) Sind solche Schreiben an Rechtsbeistände (Abs. 5) oder Betreuungsstellen (Abs. 6) gerichtet oder handelt es sich um Schreiben dieser Personen und Stellen oder um Schreiben öffentlicher Stellen (Abs. 4) an einen Strafgefangenen, so dürfen sie nur in dessen Gegenwart und nur

1.

aus dem Grunde des Abs. 2 oder

2.

im Falle eines begründeten Verdachts, daß

a)

auf dem Schreiben ein falscher Absender angegeben ist,

b)

der Inhalt des Schreibens eine Gefahr für die Sicherheit der Anstalt darstellt oder

              c)              der Inhalt des Schreibens den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung verwirklicht oder der Vorbereitung einer solchen Handlung dient,

geöffnet werden. Gelesen werden dürfen solche Schreiben nur in den Fällen der Z 2 lit. b und c; soweit sich dabei der Verdacht bestätigt, sind die Schreiben zurückzuhalten.

(4) Als öffentliche Stellen gelten

1. der Bundespräsident, die Mitglieder der Bundesregierung, inländische allgemeine Vertretungskörper, Gerichte und andere Behörden, die Volksanwaltschaft sowie Angehörige einer dieser Stellen;

2. die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sowie der nach dem Europäischen Übereinkommen zur Verhütung der Folter eingerichtete Ausschuß;

3. bei ausländischen Strafgefangenen auch die konsularische Vertretung ihres Heimatstaates.

(5) Als Rechtsbeistände gelten Rechtsanwälte, Notare, Verteidiger und Wirtschaftstreuhänder.

(6) Als Betreuungsstellen gelten

1. der Bewährungshelfer des Strafgefangenen, Dienst- und Geschäftsstellen für Bewährungshilfe sowie Vereinigungen, die mit Aufgaben der Bewährungshilfe betraut sind;

2. allgemein anerkannte Vereinigungen und Einrichtungen, die sich mit der Beratung und Unterstützung von Angehörigen der Strafgefangenen und mit der Entlassenenbetreuung befassen."

Unter Bezugnahme auf § 90b Abs. 4 "lit. 2a" (gemeint offenbar: Z 3) StVG vertritt die Beschwerde die Auffassung, nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union sei "der (verschlossene) Briefverkehr" mit der konsularischen Vertretung eines Mitgliedstaates als innergemeinschaftlicher (Brief-)Verkehr zu werten "und - zumindest für derartige Briefsendungen - österreichischen allgemeinen Vertretungskörpern gleichzustellen". Der Briefverkehr mit öffentlichen Stellen von Mitgliedstaaten der Europäischen Union und auch mit den konsularischen Vertretungen der Unionsstaaten sei daher nicht zu erschweren, insbesondere dürften an diese Stellen gerichtete Postsendungen eines Strafgefangenen nicht geöffnet werden.

Den wiedergegebenen Rechtsausführungen kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil hiefür eine (gemeinschaftsrechtliche) Rechtsgrundlage nicht zu erkennen ist. Auch die Beschwerde zeigt eine solche nicht auf. Die Beschwerde vermag demnach auch nicht darzutun, dass der von der belangten Behörde - zutreffend - angewendete § 90b StVG dem Gemeinschaftsrecht widerspricht. Ein allgemeiner Grundsatz, wie er in der Beschwerde postuliert wird, ist in der Rechtsordnung der Europäischen Union auch nicht ersichtlich. Die Beschwerde bleibt letztlich auch eine sachliche Rechtfertigung für die Behauptung schuldig, dass die Botschaft (als im Inland bestehende Vertretungsbehörde) eines EU-Mitgliedstaates einem österreichischen allgemeinen Vertretungskörper (vgl. zu diesem Begriff etwa Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht9, Rz 863 und 1176) gleich zu stellen sei.

Da im vorliegenden Fall die Voraussetzungen nach der Z 3 des § 90b Abs. 4 StVG für die Absendung eines Schreibens in einem verschlossenen Umschlag nicht vorlagen, wurde zu Recht verlangt, dass der an die Botschaft der Republik Portugal adressierte Brief geöffnet abgegeben wird. Dass diese Beurteilung auf Basis des innerstaatlichen Rechts rechtswidrig sei, wird im Übrigen auch in der Beschwerde nicht behauptet. Zur Vollständigkeit sei in diesem Zusammenhang angemerkt, dass der Verfassungsgerichtshof - wie der Begründung seines Ablehnungsbeschlusses zu entnehmen ist - in Bezug auf das vom Beschwerdeführer relevierte Recht auf Achtung des Briefverkehrs nach Art. 8 Abs. 1 EMRK auch eine Verfassungswidrigkeit der in Rede stehenden Norm nicht erkennen konnte.

Soweit der Beschwerdeführer schließlich die Auffassung vertritt, bei der Botschaft der Republik Portugal handle es sich um eine "Betreuungsstelle im Sinne des Abs. 6 des § 90b StVG", kann ihr ebenfalls nicht gefolgt werden. Es bedarf keiner weiteren Erörterung, dass die genannte Botschaft - jedenfalls soweit es österreichische Staatsangehörige betrifft - nicht als "allgemein anerkannte Vereinigung und Einrichtung, die sich mit der Beratung und Unterstützung von Angehörigen der Strafgefangenen und mit der Entlassenenbetreuung befasst", anzusehen ist.

Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die geltend gemachte Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 20. März 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2003200004.X00

Im RIS seit

08.05.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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