Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des C in Wien, geboren 1979, vertreten durch Mag. Georg Streit, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Mariahilfer Straße 20, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. Jänner 2001, Zl. 217.129/0- XI/38/00, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Gambias, reiste am 2. Jänner 2000 in das Bundesgebiet ein und stellte am folgenden Tag einen Antrag auf Gewährung von Asyl.
Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab er zu seinem Fluchtgrund befragt an, er sei "Manager der politischen Gruppe in Jabakunda für die UDP" gewesen, die im Dezember 1998 im Dorf Saba eine Versammlung habe abhalten wollen. Der Beschwerdeführer habe für die Versammlung Sesseln von einer Schule abholen wollen, als die Polizei gekommen sei und gemeint habe, "daß dies nicht erlaubt sei". Die Polizei sei zu dem "Meeting" gekommen und habe dieses untersagt. Zwischen der Polizei und den Teilnehmern sei ein Kampf ausgebrochen. Ein junger Mann, der mit dem Beschwerdeführer kämpfte und von dem der Beschwerdeführer nicht sagen könne, ob er ein Polizist gewesen sei, habe ihm mit einem Messer unter der linken Brust eine Wunde zugefügt. Dem Beschwerdeführer seien zwei Freunde zu Hilfe gekommen; gemeinsam hätten sie auf den jungen Mann eingeschlagen. Nach dem Kampf sei der Beschwerdeführer zu seiner Mutter gegangen und habe ihr davon erzählt. In der selben Nacht sei er von der Kriminalpolizei verhaftet und ins Gefängnis gebracht worden. Nach etwa dreimonatiger Haft sei er "wegen der schweren Verwundung, die wir dem Mann während des Kampfes zufügten" von einem Richter zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden. Nach ungefähr einem Jahr Haft sei dem Beschwerdeführer bei einem Krankenhausaufenthalt die Flucht gelungen. Bei einer Rückkehr befürchte er, "ins Gefängnis gesteckt" zu werden.
Mit Bescheid vom 2. Mai 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Gambia gemäß § 8 AsylG für zulässig. Begründend gab es die Protokolle über die Einvernahme des Beschwerdeführers wieder und traf folgende Feststellungen:
"Sie sind Staatsangehöriger von Gambia und gehören dem Stamm
der Mandinga an.
Ihre Muttersprache ist Mandinga.
Sie haben bei einer Auseinandersetzung einen Polizisten schwer verletzt und wurden daraufhin zu 7 Jahre Gefängnis verurteilt.
Ihre Flucht hat nur den Sinn, sich einem strafrechtlichen Vollzug zu entziehen."
Beweiswürdigend verwies die Behörde auf die Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers und führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass die vom Beschwerdeführer geschilderte Verfolgungshandlung ausschließlich im Zusammenhang mit der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung und der daraufhin erfolgten Verurteilung zu sehen sei; einer solchen Verfolgung komme keine Asylrelevanz zu. Der Beschwerdeführer habe die Gewährung von Asyl nur deswegen beantragt, um sich dem Strafvollzug zu entziehen.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, seine Verurteilung zu einer Haftstrafe wegen Verletzung eines "(vermeintlichen)" Polizisten sei
"im Kontext der von mir vorgebrachten Schilderungen als politisch motivierte Verfolgung zu betrachten. Die Körperverletzung habe ich dem Polizisten, von dem ich damals gar nicht wußte, daß er ein solcher ist, lediglich im Zuge seines gegen meine friedliche oppositionelle Betätigung gerichteten Angriffs zugefügt".
Da die über den Beschwerdeführer verhängte Haft als politische Verfolgung zu werten sei, laufe er in seiner Heimat Gefahr, in Haft unmenschlicher Behandlung ausgesetzt zu werden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung "gemäß § 7 AsylG" ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Gambia zulässig sei. Nach geraffter Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens legte die belangte Behörde "Auf Grundlage der Einvernahme des (Beschwerdeführers) durch die Behörde erster Instanz ... sowie der Berufung des (Beschwerdeführers)" der Entscheidung folgende Feststellungen zu Grunde:
"Die Behörde erster Instanz stellte in ihrem Bescheid vom 02.05.2000 fest, der (Beschwerdeführer) sei Staatsangehöriger von Gambia, seine Muttersprache sei Mandingo. Er habe bei einer Auseinandersetzung einen Polizisten schwer verletzt und sei daraufhin zu 7 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Seine Flucht habe nur den Sinn, sich einem strafrechtlichen Vollzug zu entziehen.
Diesen Feststellungen der Behörde erster Instanz schliesst sich die erkennende Behörde mit der Maßgabe an, dass der Berufungswerber bei der von ihm geschilderten Auseinandersetzung eine Person verletzt hat, wobei jedoch nicht geklärt werden konnte, ob es sich bei dieser Person tatsächlich um einen Polizisten gehandelt hat."
Ohne weitere Würdigung der Beweise führte die belangte Behörde daran anschließend in rechtlicher Hinsicht zusammengefasst aus, der Beschwerdeführer habe gar nicht gewusst, dass es sich bei der Person, mit welcher er in Konflikt geraten sei, um einen Polizisten gehandelt habe, weshalb nicht davon ausgegangen werden könne, dass er sich auf diesen Konflikt bzw. Raufhandel aus politischen Gründen bzw. Gründen des politischen Widerstandes gegen eine die Obrigkeit des Staates repräsentierende Person eingelassen habe. Nach seinen eigenen Ausführungen befürchte der Beschwerdeführer aber auch keine Verfolgung; die Verurteilung sei nicht wegen der Teilnahme an der UDP-Versammlung, sondern wegen einer tätlichen Auseinandersetzung mit einer fremden Person im Vorfeld dieser Veranstaltung erfolgt. Würde der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr neuerlich in Haft genommen werden, handelte es sich dabei um die Fortsetzung des Strafvollzuges, dem er sich durch seine Flucht entzogen habe. Zur Entscheidung gemäß § 8 AsylG führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer eine Gefährdung im Sinne des § 57 FrG nicht glaubhaft gemacht habe. Er sei "lediglich" zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und nicht etwa zum Tode verurteilt worden; Letzteres sei mit den derzeitigen Verhältnissen in Gambia nicht in Einklang zu bringen. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat die belangte Behörde abgesehen, weil sie den Sachverhalt als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt ansah. In der Berufung sei kein neues bzw. konkretes Tatsachenvorbringen zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers enthalten.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Der Beschwerdeführer rügt in seiner Beschwerde das Fehlen einer mündlichen Berufungsverhandlung, in der er zu seinem Vorbringen in der Berufung, seine Verhaftung und Verurteilung seien politisch motiviert gewesen, hätte vernommen werden müssen. Zudem habe sich die belangte Behörde in keiner Weise mit der allgemeinen Lage in Gambia beschäftigt, die unter Anderem dadurch gekennzeichnet sei, dass Mitglieder der Oppositionspartei UDP durch die Militärregierung willkürlich verhaftet und schikaniert würden.
Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht:
Der Beschwerdeführer hat erstmals in seiner Berufung darauf hingewiesen, seine Verurteilung zu einer Haftstrafe sei im Zusammenhang mit seiner oppositionellen Betätigung gestanden und als politisch motivierte Verfolgung zu betrachten. Zudem befürchte er, in der Haft unmenschlicher Behandlung ausgesetzt zu sein. Schon wegen des Neuerungscharakters dieses Vorbringens hätte die belangte Behörde nicht von einem geklärten Sachverhalt ausgehen dürfen, sondern wäre verpflichtet gewesen, den Beschwerdeführer zu diesen Behauptungen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu vernehmen. Selbst wenn die belangte Behörde dieses Vorbringen für zu wenig substantiiert erachtete, hätte sie die näheren Umstände, die durch die Angaben des Beschwerdeführers im erstinstanzlichen Verfahren, "Manager der politischen Gruppe ... UDP" zu sein, für eine weitergehende Erörterung ausreichend präzisiert worden sind, in einer mündlichen Verhandlung aufklären müssen (vgl. das Erkenntnis vom 18. Februar 1999, Zl. 98/20/0450). Dasselbe gilt für die Behauptung des Beschwerdeführers, dass er in Haft unmenschlicher Behandlung ausgesetzt sein würde. Dieses - jedenfalls für die Refoulement-Entscheidung wesentliche - Vorbringen bleibt im angefochtenen Bescheid völlig unberücksichtigt.
Abschließend ist noch zu erwähnen, dass der Sachverhalt im angefochtenen Bescheid für eine abschließende Beurteilung des vorliegenden Falles nicht ausreicht, weil die belangte Behörde keine Feststellungen zu den entscheidungswesentlichen Fragen zum Asylteil (politisch motivierte Verfolgung) und zum Abschiebungsschutz (unmenschliche Behandlung in der Haft) getroffen hat.
Bei Vermeidung der gerügten Verfahrensmängel hätte die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis kommen können, weshalb der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 15. Mai 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2001010192.X00Im RIS seit
20.06.2003