TE Vwgh Erkenntnis 2003/5/15 2001/01/0503

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.05.2003
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde der B in G, geboren 1978, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. September 2001, Zl. 221.962/0-V/14/01, betreffend §§ 6 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine albanische Staatsangehörige, reiste am 13. November 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte am folgenden Tag die Gewährung von Asyl.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den ihren Asylantrag abweisenden und ihr Refoulement nach Albanien für zulässig erklärenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 19. Jänner 2001 "gemäß § 6 Z 1 AsylG" ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Albanien zulässig sei.

Begründend traf sie nach kurzer Darstellung des Verfahrensganges folgende Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin:

"Festgestellt wird, dass die (Beschwerdeführerin) albanische Staatsangehörige ist und in Tirana am 15.10.1978 geboren wurde. Im Dezember 1998 heiratete sie in Albanien einen Albaner aus dem Kosovo und zog zu ihm und seiner Familie nach Jahoc (Kosovo). Dort lebte sie zwei Jahre lang, bis ihr Mann am 13.4.2000 im Verlaufe einer Gasthausstreiterei erstochen wurde. Die Tat hatte keinen politischen Hintergrund. In der Folge hätte sie - auf Grund einer Tradition im Kosovo - einen Bruder ihres Mannes heiraten sollen, oder sie sollte weggehen und ihr Kind bei den Verwandten ihres ermordeten Gatten zurücklassen. Da sie dies nicht wollte, flüchtete sie mit Hilfe eines Onkels ihres Mannes. Zu dieser Zeit war sie im letzten Drittel ihrer Schwangerschaft. Zu ihren Eltern in Albanien wollte sie nicht flüchten, da sie Angst hatte, dass die Brüder ihres Gatten über die offene Grenze nach Albanien kämen, um ihr Kind mitzunehmen. Die Eltern können sie nicht schützen, da sie Pensionisten sind und über keine 'Macht' verfügen. Auch die Polizei könnte sie nicht schützen, da diese korrupt sei. Von Seiten der Polizei und Behörden habe sie nichts zu befürchten. Sie und ihre Familie habe kein Geld, um durch Bestechung den Schutz durch die Behörden zu erlangen."

Zur allgemeinen Situation in Albanien traf die belangte Behörde folgende - auszugsweise wiedergegebenen - Feststellungen:

"Albanien ist seit dem Ende des kommunistischen Regimes 1991/1992 eine parlamentarische Republik, die Grundrechte sind verfassungsrechtlich garantiert ... Erhebliche Defizite bestehen bei der Bekämpfung von Korruption und Kriminalität und beim Aufbau einer unabhängigen Justiz und einer funktionierenden Verwaltung. ... Die Rolle der Frau ist in Albanien (nominell ca. 70 % Moslems) unabhängig von der Religionszugehörigkeit von traditionellen patriarchalischen Vorstellungen geprägt. ... Die Polizei ist schlecht auf ihre Aufgaben vorbereitet, schlecht ausgerüstet, schlecht bezahlt und dementsprechend korruptionsanfällig. ... Frauen sind von Menschenrechtsverletzungen mangels staatlichen Schutzes bisweilen stärker als Männer betroffen; eine spezifische Art der Verfolgung durch den Staat ist nicht erkennbar. Gesetzlich werden Frauen nicht benachteiligt. In großer Zahl werden Frauen aber Opfer von Menschenschieberbanden, die ihre Opfer vorwiegend in Griechenland und Italien zur Prostitution zwingen. Auch gibt es zahlreiche Berichte über häusliche Gewalt gegen Frauen. Gegen beide Phänomene vermag der albanische Staat die betroffenen Frauen nicht ausreichend zu schützen. ... Die in allen Teilen der Verwaltung und Justiz wegen niedriger Gehälter grassierende Korruption macht für viele Albaner die Erledigung von Tagesgeschäften schwer. Mit den Unruhen des Frühjahrs 1997 verschlechterte sich neben der wirtschaftlichen auch die Sicherheitslage. Ein Großteil (geschätzt: über 80 %) der Bevölkerung ist seit den Plünderungen von Kasernen und Depots im Besitz von Feuerwaffen. Die Gewaltkriminalität nahm dadurch zu. Im Nordosten waren kriminelle Banden fast ungehindert tätig ..."

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, der Asylantrag der Beschwerdeführerin entbehre "jeder asylrechtlich relevanten Grundlage, weil die (Beschwerdeführerin) weder bei ihrer Einvernahme noch in der Berufung noch sonst irgendwann im Laufe des Verfahrens etwas behauptet hat, was auf eine Verfolgung schließen ließe, die sie in ihrer Heimat aus den in der GFK (Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv)) angeführten Gründen zu befürchten hätte. Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass im Falle der (Beschwerdeführerin) ein asylrechtlicher Zusammenhang nicht angenommen werden kann. Dass ihr aus einen in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgung droht, hat sie nicht behauptet und war die Berufung diesbezüglich abzuweisen, zumal es bei einer nicht auf den Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention beruhender Verfolgung grundsätzlich nicht darauf ankommt, ob der Staat schutzwillig oder schutzfähig ist".

Den Refoulement-Teil ihrer Entscheidung begründete die belangte Behörde zusammengefasst damit, dass "im vorliegenden Fall nicht erkannt werden (kann), dass der Heimatstaat der (Beschwerdeführerin) die von ihr geltend gemachte Bedrohung durch kriminelle Private billigt".

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid offen gelassen, ob sie die - von ihr offenbar als wahr zu Grunde gelegten - Behauptungen der Beschwerdeführerin überhaupt als Verfolgung gewertet hat (dagegen spricht die Heranziehung von § 6 Z 1 AsylG). Jedenfalls verneinte sie, dass eine Verfolgung der Beschwerdeführerin aus den in der FlKonv genannten Gründen vorliege.

Nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid hätte die Beschwerdeführerin den Bruder ihres verstorbenen Mannes heiraten oder ihr - mittlerweile geborenes - Kind bei den Verwandten ihres verstorbenen Ehemannes zurücklassen sollen. Dies entspreche einer Tradition im Kosovo. Sie befürchte, dass die Brüder ihres verstorbenen Ehemannes auch nach Albanien kämen, um der Beschwerdeführerin das Kind wegzunehmen.

Entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht ist in diesem Sachverhalt (Wegnahme eines Kindes; die Beschwerdeführerin dachte offenbar nicht daran, ihren Schwager zu heiraten) die Behauptung einer massiven Verfolgungshandlung enthalten; diese Verfolgung muss wegen der natürlichen Verbundenheit und der wechselseitigen Abhängigkeit zwischen Mutter und Neugeborenem als - auch - gegen die Mutter gerichtet angesehen werden. Geht man aber von einer drohenden Verfolgung der Beschwerdeführerin aus, kann bei ihr als Frau, die den dargestellten Traditionen unterworfen ist, unter dem Gesichtspunkt der Zugehörigkeit zu einer bestimmten "sozialen Gruppe", ein Zusammenhang mit einem Konventionsgrund nicht von vornherein verneint werden (vgl. die Erkenntnisse vom 20. Oktober 1999, Zl. 99/01/0197, vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0497, und vom 9. Juli 2002, Zl. 2001/01/0281). Ein solches Vorbringen lässt sich ohne weiteren Begründungsaufwand im Hinblick auf das anzustellende "Offensichtlichkeitskalkül" nicht unter die - nach den Ausführungen der belangten Behörde allem Anschein nach (auch) gemeinte - Bestimmung des § 6 Z 2 AsylG subsumieren.

Da die belangte Behörde den Sachverhalt unrichtig beurteilt hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 15. Mai 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001010503.X00

Im RIS seit

20.06.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten