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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §8;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des B in L, geboren am 1. Februar 1980, vertreten durch die Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory & Schellhorn OEG in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. Februar 2001, Zl. 221.175/1-I/02/01, betreffend § 6 Z 3 und § 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird, soweit er die Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei betrifft, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Nach der mit dem Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt am 14. September 2000 aufgenommenen Niederschrift ist dieser ein Staatsbürger der Türkei kurdischer Abstammung und am 20. Juli 2000 mit dem Flugzeug in Österreich illegal eingereist. Am 1. August 2000 hat der Beschwerdeführer einen Asylantrag gestellt. In der Niederschrift vom 14. September 2000 ist weiters festgehalten, dass der Beschwerdeführer während der Befragung zu seinen Familienmitgliedern ständig unterschiedliche Angaben gemacht habe. Er habe erklärt, den Namen "Fadi" zu haben und 18 Jahre alt zu sein. Es wurde ihm vorgehalten, dass dies auf Grund des Datums der Vernehmung nicht möglich wäre. Auf Befragung, wann er geboren sei, habe er nach seiner Sozialversicherungskarte gegriffen, um das Datum zu lesen. Dies sei von der Verhandlungsleiterin verhindert worden. Daraufhin habe der Beschwerdeführer angegeben, am 2. Jänner 1980 geboren zu sein. Auf Vorhalt, dass im Akt ein anderes Datum angeführt sei, habe er angegeben, am 1. Februar 1980 geboren und 18 Jahre alt zu sein. Auf die Frage, wie er es sich erklären könne, dass sein Bruder T. 40 Jahre und sein zweiter Bruder F. 35 Jahre sowie seine Mutter 40 Jahre alt sei, habe der Beschwerdeführer geschwiegen. In der Folge habe er ausgeführt, seine Mutter könne auch 50 bis 60 Jahre alt sein, er wisse es nicht. Vorgehalten wurde dem Beschwerdeführer weiters, dass die vorliegende Sozialversicherungskarte auf Grund der augenscheinlichen Lichtbildauswechslung als verfälscht anzusehen sei. Ferner führte der Beschwerdeführer aus, 1994 sei die Familie nach Istanbul gezogen. Der Staat habe verlangt, dass sie Dorfschützer werden sollten, das hätten sie jedoch abgelehnt. Auf den Vorhalt, dass der Beschwerdeführer damals 14 Jahre alt gewesen sei, führte er aus, es sei von seinen älteren Brüdern verlangt worden, Dorfschützer zu werden, von ihm damals noch nicht. Er wäre aber sicherlich drangekommen. Seit 1998 habe er mit der Gruppe "K. A."
kurdische Musik gemacht, dabei gesungen und auch getanzt. Er habe auch bei der Generalversammlung der HADEP gesungen. Auch an besonderen Tagen der HADEP hätten sie gesungen. Ein paar Mal seien sie verhaftet worden. Dem Beschwerdeführer sei vorgeworfen worden, dass er alles organisieren würde. Er sei der Manager dieser Musikgruppe gewesen. Diese Gruppe habe aus drei Personen bestanden. Die Polizei sei zu dem der Familie gehörenden Supermarkt gekommen und habe den Bruder des Beschwerdeführers nach ihm gefragt. Die Polizei habe seinem Bruder gesagt, die Situation des Beschwerdeführers sei sehr schlecht, er solle nicht mehr singen. Der Beschwerdeführer sei im Übrigen seit 1994 Mitglied der HADEP, und bis 1999 habe er Zeitungen verteilt. Er habe diese in seinem Geschäft öffentlich aufliegen gehabt und an Freunde weitergegeben. 1999 habe er angefangen zu musizieren und mit diesem Zeitpunkt das Verteilen der Zeitungen eingestellt. Im Mai 2000 sei er das letzte Mal verhaftet worden. In der Nacht zuvor hätte er musiziert. Die Polizei habe ihn zu Hause aufgesucht und mit Handschellen auf die Polizeistation gebracht. Dort sei er geschlagen worden. Die Polizisten hätten ihm gesagt, er solle nicht mehr musizieren. Der Beschwerdeführer sei eine Woche lang in Haft gewesen und geschlagen worden. Die Polizei hätte seinem Bruder gesagt, dass der Beschwerdeführer zum Schluss getötet würde. Im August 2000 (der Beschwerdeführer verbesserte sich: am 6. Juli 2000) sei die Polizei in den Supermarkt gekommen und habe Zeitungen gefunden. Die Polizisten hätten seinen Bruder nach dem Beschwerdeführer gefragt. Sie hätten zu seinem Bruder gesagt, er werde den Beschwerdeführer nicht mehr sehen. Im weiteren Verlauf der Verhandlung legte der Beschwerdeführer eine türkische Zeitung vom 30. Juli 2000 vor, gekauft in Österreich. Darin seien die Namen seiner Freunde genannt, die verhaftet worden seien. Sie seien Mitglieder der HADEP. Auf der Liste stünden seine Freunde, mit denen er musiziert habe. Die Namen seien angegeben, und zwar:
Ö, R, B. Auf Vorhalt, dass der Beschwerdeführer angegeben habe, die Gruppe habe einschließlich seiner Person aus drei Leuten bestanden, gab er zu Protokoll, dass er die Gruppe verlassen habe. Wann, wisse er nicht, vermutlich Ende Juni 2000. Zuvor habe er mit Ö und M gespielt. Auf Vorhalt, dass es nach dem Zeitungsbericht kein Mitglied der Gruppe mit dem Vornamen M gebe, führte der Beschwerdeführer aus, es habe auch ihn total überrascht, als er dessen Namen nicht in dem Bericht gefunden habe. Weiters legte der Asylwerber etliche Zeitungsartikel vor und gab an, dass es diejenigen seien, die bei ihm zu Hause an der Wand gehängt wären und über die sich die Polizei aufgeregt habe. Auf den Vorhalt, dass er doch seine Heimat fluchtartig verlassen habe, gab der Beschwerdeführer an, er habe andere Artikel an der Wand gehabt, dies seien neue. Im Falle einer Rückkehr in die Türkei würde er verhaftet, geschlagen und getötet werden oder zumindest lebenslang in Haft kommen.
Mit Bescheid vom 1. Februar 2001 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 3 Asylgesetz als offensichtlich unbegründet ab und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei gemäß § 8 Asylgesetz für zulässig. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Identität und Nationalität des Beschwerdeführers stünden nicht fest. Nach Überprüfung der vom Beschwerdeführer vorgelegten Sozialversicherungskarte durch die kriminaltechnische Untersuchungsstelle der Bundespolizeidirektion Salzburg sei festzustellen, dass die nachgeschnittenen Ecken der das Dokument umhüllenden Folie auf eine nachträglich aufgebrachte nicht originale Folie hindeuteten. Ferner stimmten die Buchstaben auf dem Lichtbild hinsichtlich der Platzierung nicht mit denen auf der Dokumentenseite überein, das Dokument sei im Bereich des Lichtbildes ausgeschnitten, was auf eine nachträgliche Manipulation durch eine nicht autorisierte Stelle hindeute. Bei der Befragung des Beschwerdeführers sei versucht worden, sein familiäres Umfeld zu erfassen. Obwohl die Angabe derartiger Daten (z.B. wie alt man sei, wie man heiße, wie viele Geschwister man habe etc.) sicherlich keinen besonderen Intellekt oder gar fundierte Sachkenntnis voraussetzten, sei der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen, eindeutige Aussagen zu seiner Person bzw. seiner Familie zu treffen. Er habe nicht einmal gewusst, welche Personaldaten auf der von ihm vorgelegten Sozialversicherungskarte vermerkt seien. Dazu sei im Übrigen zu bemerken, dass das Ergebnis der kriminaltechnischen Überprüfung in Zusammenschau mit der zu Tage getretenen Unmöglichkeit, dass der Beschwerdeführer selbst eindeutige Personalangaben habe tätigen können, den Schluss zulasse, dass das in Rede stehende Dokument zumindest als bedenklich einzustufen sei. Hinsichtlich der Fluchtgründe sei eine Vielzahl von Widersprüchen aufgetreten (die Namen jener Leute, mit denen der Beschwerdeführer angeblich musiziert habe, stimmten nicht mit jenen in den Zeitungsausschnitten überein, es sei nicht zu eruieren gewesen, aus wie vielen Personen die angebliche Musikgruppe eigentlich bestanden habe, einmal solle die Polizei im August, dann wieder im Juli nach dem Beschwerdeführer gefragt haben etc.). Aus dem Gesamtverhalten des Beschwerdeführers gehe schlüssig hervor, dass weder seine Angaben zu einer Bedrohungssituation noch die Angaben zu seiner eigenen Person den Tatsachen entsprächen. Der Asylantrag entbehre eindeutig jeder Grundlage und sei daher als offensichtlich unbegründet abzuweisen. Zu § 8 Asylgesetz wurde in der Begründung ausgeführt, die Identität des Beschwerdeführers stehe nicht fest, was aber "immer Grundvoraussetzung" für die Glaubhaftigkeit einer behaupteten Gefährdung bei der Rückkehr darstelle. Dieser Umstand in Zusammenschau mit der Tatsache, dass der Beschwerdeführer kein konkretes ihn betreffendes Tatsachenvorbringen habe erstatten können, lasse den Schluss zu, dass er keiner Rückkehrgefährdung unterliege.
In der von seinem Rechtsvertreter verfassten Berufung gegen diesen Bescheid wiederholte der Beschwerdeführer Teile seines erstinstanzlichen Vorbringens, zu dem er vor dem Bundesasylamt "sehr genaue und nachprüfbare Angaben ... gemacht" habe. Ein Sachverständiger möge ermitteln, ob die von ihm erwähnte Musikgruppe existiere bzw. der Beschwerdeführer ihr Mitglied gewesen sei und ob der Beschwerdeführer Mitglied der HADEP sei.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 3 und § 8 Asylgesetz abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, das Bundesasylamt habe betreffend das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Bedrohungssituation in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Die belangte Behörde schließe sich den diesbezüglichen Ausführungen des Bundesasylamtes im erstinstanzlichen Bescheid vollinhaltlich an und erhebe sie zum Inhalt des angefochtenen Bescheides. Dies beziehe sich sowohl auf den Spruchteil I. (§ 6 Asylgesetz) als auch auf den Spruchteil II. (§ 8 Asylgesetz). Eine mündliche Verhandlung habe unterbleiben können, da der Beschwerdeführer in seiner Berufung im Wesentlichen sein bereits bei der erstinstanzlichen Vernehmung erstattetes Vorbringen wiederholt habe, sodass ein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt neu und in konkreter Weise nicht behauptet worden sei. Die Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich einer ihm drohenden Gefahr gemäß § 57 Abs. 1 FrG seien auch in seiner Berufungsschrift nicht im Sinne der einschlägigen Judikatur "ausreichend, als dass der Berufung deswegen hätte stattgegeben werden müssen".
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die belangte Behörde hat sich in der Begründung ihres Bescheides den Feststellungen und Erwägungen der Behörde erster Instanz angeschlossen. Die Behörde erster Instanz hat den Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgrund vollinhaltlich keinen Glauben geschenkt. Diese Auffassung hat sie auf widersprüchliche Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Person und seiner Familie gestützt, ebenso auf die Vorlage einer zumindest als bedenklich einzustufenden Sozialversicherungskarte. Der Würdigung, dass diese Sozialversicherungskarte nicht als Nachweis der Identität des Beschwerdeführers trotz seinem widersprüchlichen Vorbringen angesehen wurde, ist daher nichts entgegenzusetzen. Des weiteren berief sich die Behörde erster Instanz auf Widersprüche, die hinsichtlich der Angaben des Beschwerdeführers betreffend seine Tätigkeit als Mitglied einer Musikgruppe bei seiner Einvernahme aufgetreten seien.
Der belangten Behörde kann nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides zu § 6 Z 3 Asylgesetz für schlüssig angesehen und sich dieser angeschlossen hat. Da auch in der Berufung kein neues Sachverhaltsvorbringen erstattet wurde, ist es auch unbedenklich, wenn die belangte Behörde, soweit es ihren Ausspruch gemäß § 6 Z 3 betrifft, von einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen hat (vgl. zur Verhandlungspflicht z.B. die hg. Erkenntnisse vom 17. Oktober 2002, Zl. 2000/20/0270, und vom 21. November 2002, Zl. 99/20/0545). Dass die Beweisaufnahme durch "einen Sachverständigen" dazu geeignet gewesen wäre, "festzustellen", dass der Beschwerdeführer Mitglied der von ihm genannten Musikgruppe sowie der HADEP gewesen sei, lässt auch die Beschwerde - die den in der Berufung gestellten Beweisantrag u.a. im Zusammenhang mit dem Unterbleiben einer Berufungsverhandlung ins Treffen führt - nicht erkennen.
Zum Ausspruch der belangten Behörde hinsichtlich § 8 Asylgesetz ist jedoch festzuhalten, dass das Feststehen der Identität des Asylwerbers keine gesetzliche Voraussetzung für die Gewährung von Abschiebungsschutz ist (vgl. dazu z.B. das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 2002, Zl. 99/20/0546). Indem die belangte Behörde auch hinsichtlich dieses Spruchpunktes die Ausführungen in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides zum Inhalt des angefochtenen Bescheides erklärt hat, hat sie somit die Rechtslage verkannt.
Der die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers feststellende Spruchteil war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Im Übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 22. Mai 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2001200133.X00Im RIS seit
26.06.2003