TE Vwgh Erkenntnis 2003/6/24 2002/01/0041

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.06.2003
beobachten
merken

Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

MRK Art8 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StbG 1985 §12;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des D in F, vertreten durch Dr. Gernot Amoser, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Colingasse 3, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 12. Oktober 2001, Zl. Ia-15.634/13-2001, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers - eines türkischen Staatsangehörigen -

auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft mangels Vorliegens der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) ab.

Der am 2. November 1975 in Schwaz geborene Beschwerdeführer sei seit 1976 durchgehend mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet. Die Erhebungen hätten ergeben, dass er am 26. Mai 1993 "als überführt und geständig wegen Verdachts der leichten Körperverletzung angezeigt" worden sei, weil er einen Anderen im Verlauf eines Streites körperlich misshandelt und verletzt habe. Von der Verfolgung dieser Jugendstraftat habe die Staatsanwaltschaft Innsbruck nach § 6 Abs. 1 JGG abgesehen. Weiters habe sich ergeben, dass der Beschwerdeführer mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 15. Jänner 1997 wegen Bestimmung zur Körperverletzung nach den §§ 12 und 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe im Ausmaß von S 7.500,-- verurteilt worden sei. Bei der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck sei der Beschwerdeführer überdies mit folgenden Strafverfügungen vorgemerkt:

"14.07.1993, 4b-4.389/93 (1), Art. IX EGVG, Erregung öffentlichen Ärgernisses durch wörtliche und tätliche Auseinandersetzung am 19.04.1993, S 1.000,--;

18.04.1996, 7a-4.389/93 (2), §§ 4, 1 TLPG, Erregung ungebührlichen Lärms am 25.03.1996, S 1.000,--;

06.11.1997, 6a-4.389 (3), § 22 Meldegesetz, Unterlassung der Abmeldung, S 800,--;

10.12.1997, 6a-4.389 (4), § 22 (1) Meldegesetz, Anmeldung ohne dort wohnhaft zu sein, S 1.000,--;

22.02.1996, VST-1616876/96, § 52/10/a StVO, Überschreitung zu zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h im Baustellenbereich um 18 km/h am 11.12.1995, S 1.200,--;

22.04.1996, VST-26260/96, Übertretung eines Halteverbotes am 05.02.1996 S 500,--;

23.04.1996, VST-26488/96, Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 12 km/h am 01.03.1996, S 600,--;

22.05.1996, VST-30177/96, Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 23 km/h am 20.04.1996, S 600,--;

03.09.1996, VST-41523/96, § 52/a/10/a StVO, Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 45 km/h am 28.06.1996, S 3.200,--;

11.09.1996, VST-42810/96, Missachtung des Lichtzeichens "HALT" (rotes Licht) am 02.06.1996, S 1.000,--;

02.10.1996, VST-45294/96, Parken am Gehsteig am 06.07.1996, S 500,--;

28.10.1996, VST-49330/96, § 103/1/3 KFG, Überlassung eines Kfz an Lenker ohne Führerschein am 26.07.1996, S 4.000,--;

03.07.1997, VST-24067/97, Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet von 50 km/h um 12 km/h am 28.04.1997, S 600,--;

19.01.1998, VST-45828/98, § 42 Abs. 1 KFG, Unterlassung der Anzeige über Standortverlegung des Kfz, S 500,--;

06.04.1998, VST-40234/97, § 37 Abs. 4 FSG, Lenken eines Pkw ohne die erforderliche Lenkerberechtigung am 05.11.1997, S 10.000,--;

19.10.1998, VST-77910/98, § 42 Abs. 1 KFG, Unterlassung der Anzeige über Standortverlegung des Kfz, S 500,--;

02.12.1998, VST-77593/98, § 24 Abs. 3 lit. d StVO, Parken auf Fahrbahn mit Gegenverkehr am 09.10.1998, S 500,--;

23.03.1999, VST-87812/99, § 24 Abs. 1 StVO, Abstellen des Kfz vor einer Behindertenrampe am 30.11.1998, S 500,--;

09.03.2000, VST-149711/00, § 36 lit. e KFG, fehlende bzw.

abgelaufene Begutachtungsplakette am 25.01.2000, S 500,--;

     13.09.2000, 27.09.2000, 27.02.2000 und 06.10.2000,

Hinterziehung bzw. Verkürzung der Parkgebühr jeweils S 500,--;"

     Im Rahmen der Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6

StbG - so die belangte Behörde im Rahmen ihrer rechtlichen Beurteilung - seien auch Verstöße gegen die der Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs dienenden Schutznormen beachtlich, wobei es auf Art, Schwere und Häufigkeit dieser Verstöße ankomme. Hinsichtlich der Häufigkeit der Übertretungen bedürfe es im vorliegenden Fall keiner weiteren Erläuterung. Es handle sich auch nicht durchwegs um geringfügige Ordnungswidrigkeiten, sondern zum Teil um schwere Verstöße im Straßenverkehr, so bei Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (einmal) im Baustellenbereich bzw. (ein anderes Mal) um 45 km/h, Missachtung des Lichtzeichens "Halt", Überlassung eines Kraftfahrzeuges an Lenker ohne Führerschein, Lenken eines Fahrzeuges ohne Führerschein und fehlender Begutachtungsplakette. Dass keine Personen konkret gefährdet worden oder zu Schaden gekommen seien, sei unerheblich. Sehr wohl stellten hingegen die beiden vom Beschwerdeführer begangenen Körperverletzungsdelikte eine Gefährdung anderer Personen dar. Was die sonstigen vorschriftswidrigen Handlungen und Unterlassungen anlange, so mögen sie für sich und einzeln betrachtet von geringem Unrechtsgehalt sein; in ihrer Gesamtheit bildeten sie jedoch einen unübersehbaren Hinweis auf die negative Einstellung des Beschwerdeführers zu jenen Vorschriften, die der öffentlichen Ruhe und Ordnung dienten. Da die letzten Verstöße noch nicht lange zurücklägen, sei der Verleihungsantrag des Beschwerdeführers angesichts seiner zahlreichen permanent und beharrlich begangenen Gesetzesverletzungen seit 1993 im Grund des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG abzuweisen gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG darf einem Fremden die Staatsbürgerschaft nur verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Prüfung der besagten Verleihungsvoraussetzung vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers, welches wesentlich (auch) durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt wird, auszugehen. Hiebei stellt der Gesetzgeber - anders als nach § 10 Abs. 1 Z 2 StbG - nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern es ist lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung - oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte Rechtsgüter - erlassene Vorschriften missachten. In der Art, der Schwere und der Häufigkeit solcher Verstöße kommt die - allenfalls negative - Einstellung des Betreffenden gegenüber den zur Hintanhaltung solcher Gefahren erlassenen Gesetze deutlich zum Ausdruck (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. September 2002, Zl. 2001/01/0032).

Die belangte Behörde hat richtig erkannt, dass auch das Verhalten im Straßenverkehr im Rahmen der Prüfung des Gesamtverhaltens eines Einbürgerungswerbers berücksichtigt werden kann. In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof etwa Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in erheblichem Ausmaß als maßgeblich erachtet (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 2002, Zl. 2000/01/0496).

Auch im vorliegenden Fall geht es zunächst um Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Dabei sind von den insgesamt fünf einschlägigen Übertretungen drei als nicht unbeträchtlich zu qualifizieren, und zwar jene vom 11. Dezember 1995 (Überschreitung der zulässigen 30 km/h im Baustellenbereich um 18 km/h), vom 20. April 1996 (Überschreitung der zulässigen 100 km/h um 23 km/h) und vom 28. Juni 1996 (Überschreitung der zulässigen 70 km/h um 45 km/h). Einerseits liegt jedoch (anders als in dem dem zuvor erwähnten Erkenntnis vom 14. Mai 2002 zu Grunde liegenden Fall, in dem u.a. eine Geschwindigkeit von 205 km/h zu beurteilen war) kein "besonders krasser Fall" vor, andererseits beschränken sich sämtliche Geschwindigkeitsüberschreitungen auf den Zeitraum Dezember 1995 bis April 1997. Sie lagen damit bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides bereits geraume Zeit zurück, uzw. in den zuvor herausgegriffenen drei Fällen mehr als fünf bzw. knapp sechs Jahre. Von da her durfte ihnen die belangte Behörde keine maßgebliche Bedeutung mehr beimessen, zumal sich auch die weiteren grundsätzlich im Rahmen des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG relevanten verwaltungsbehördlich geahndeten Übertretungen (zutreffend erwähnte die belangte Behörde in diesem Zusammenhang die Missachtung des Lichtzeichens "Halt", die Überlassung eines Kraftfahrzeuges an Lenker ohne Führerschein, das Lenken eines Fahrzeuges ohne Führerschein (siehe dazu aber unten) und die Verwendung eines Kraftfahrzeuges ohne gültige Begutachtungsplakette) im Wesentlichen auf den Zeitraum 1996/1997 beschränken und daher weder für sich noch in ihrer Gesamtheit einen Rückschluss auf das aktuelle Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers erlauben. Einzig die Übertretung des § 36 lit. e KFG ("Begutachtungsplakette") fällt aus dem dargestellten zeitlichen Rahmen, doch kann daraus ohne nähere Feststellungen zum konkreten Fehlverhalten des Beschwerdeführers gleichfalls keine negative Prognose abgeleitet werden. Im Übrigen hätte es auch insbesondere bezüglich der Bestrafung wegen Übertretung des § 37 Abs. 4 FSG näherer Feststellungen bedurft, weil diese Bestimmung nicht schlichtweg das Lenken eines Fahrzeuges "ohne Führerschein", sondern nach Entzug der Lenkerberechtigung (Z 1) oder nach Ausspruch eines Lenkverbotes ( Z 2) erfasst.

Auch das dem Beschwerdeführer vorgeworfene strafrechtliche Fehlverhalten lag bereits mehr als acht bzw. mehr als fünf Jahre (bezüglich des mit Strafverfügung vom 15. Jänner 1997 geahndeten Körperverletzungsdeliktes ergibt sich aus der im Akt erliegenden Strafverfügung das Tatdatum 23. Juni 1996) zurück, weshalb sich diese Vergehen insbesondere in Anbetracht ihres offenkundig nur minderschweren Charakters (nähere Feststellungen fehlen, es wurde jedoch nur einmal eine - bedingt nachgesehene - geringe Geldstrafe verhängt) ebenfalls als nicht mehr aussagekräftig erweisen (siehe insoweit zu einem vergleichbaren Fall etwa das hg. Erkenntnis vom 6. März 2001 Zl. 99/01/0415).

Ist das für die Beurteilung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG grundsätzlich in Frage kommende Fehlverhalten wie im vorliegenden Fall mangels Zeitablaufs für eine aktuelle "negative" Prognose nicht mehr tragfähig, so vermögen daran auch weitere "zeitnahe" Vorfälle, die ihrerseits, wie etwa Hinterziehung der Parkgebühr, staatsbürgerschaftsrechtlich nicht ausschlaggebend ins Gewicht fallen, nichts zu ändern. Insgesamt stellt sich die Beurteilung der belangten Behörde, es sei die Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht erfüllt, daher als verfehlt dar, weshalb der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 24. Juni 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002010041.X00

Im RIS seit

28.07.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten