TE Vwgh Erkenntnis 2003/9/9 2002/01/0017

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Veröffentlicht am 09.09.2003
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

StbG 1985 §12 Z1 litb;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde

der B in Bludenz, vertreten durch Dr. Summer, Dr. Schertler & Mag. Stieger, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Kirchstraße 4, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 29. November 2001, Zl. Ia 370-539/2000, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft und Erstreckung derselben, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die Vorarlberger Landesregierung (die belangte Behörde) den Antrag der Beschwerdeführerin, einer türkischen Staatsangehörigen, auf Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß §§ 10, 11, 11a, 12, 13 und 14 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) und auf Erstreckung der Verleihung auf ihre minderjährigen Kinder gemäß §§ 17 und 18 StbG ab.

Begründend führte sie aus, die Beschwerdeführerin sei 1962 in der Türkei geboren worden. Seit 26. August 1980 habe sie ununterbrochen ihren Hauptwohnsitz in Österreich. Sie sei geschieden; aus ihrer geschiedenen Ehe stammten die beiden minderjährigen Kinder. Die Beschwerdeführerin habe in der Türkei fünf Jahre lang die Volksschule besucht. Seit dem 4. April 2001 sei sie bei der Firma R. in N beschäftigt. Von 1990 bis Oktober 2000 sei sie bei der Firma G. in B beschäftigt gewesen, anschließend sei sie für ca. vier bis fünf Monate arbeitslos gewesen. Sie besitze seit 3. Februar 1986 einen unbefristeten Sichtvermerk. Eine Verständigung in deutscher Sprache sei mit ihr gerade noch soweit möglich, dass die Aufnahme einer Niederschrift sowohl bei der Bezirkshauptmannschaft D als auch im Amt der belangten Behörde möglich gewesen sei. Sie sei weder Mitglied eines einheimischen Vereines noch übe sie irgendeine Tätigkeit in einer gemeinnützigen Einrichtung aus. Außer zu ihren Familienangehörigen und am Arbeitsplatz habe sie keine Kontakte zu Einheimischen. Die Umgangssprache mit ihrer Familie sei (nach ihren Angaben) sowohl türkisch als auch deutsch. Ihre Kinder seien bereits in Österreich geboren worden.

Die Beschwerdeführerin sei mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes B vom 18. Jänner 1993 wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen a S 60,-- verurteilt worden. Dieser Strafverfügung habe zu Grunde gelegen, dass sie am 21. Dezember 1992 zwei Ohrringe, einen Rock, ein Paar Socken und einen Weihnachtsstern im Gesamtwert von S 776,40 und etwa einen Monat zuvor ein Stück Damenunterwäsche zum Verkaufspreis von S 179,-- in einem Einkaufszentrum gestohlen habe. Mit Urteil des Landesgerichtes F vom 22. April 1996 sei sie wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht nach § 288 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen a S 50,--

verurteilt worden. Diesem Urteil habe zu Grunde gelegen, dass sie als Zeugin bei ihrer förmlichen Vernehmung vor dem Bezirksgericht B falsch ausgesagt habe. Mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes B vom 17. September 1996 sei die Beschwerdeführerin wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach § 127 StGB zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen a S 100,-- verurteilt worden. Dieser Strafverfügung habe zu Grunde gelegen, dass sie am 6. September 1996 in einem Kaufhaus einen Kinderpullover, einen Kinderpyjama, ein T-Shirt und eine Füllfeder im Gesamtwert von S 567,80 zu stehlen versucht habe.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, auf Grund der Dauer des Hauptwohnsitzes der Beschwerdeführerin in Österreich komme für eine Verleihung der Staatsbürgerschaft der Tatbestand des § 10 Abs. 1 StbG in Frage. Die Beschwerdeführerin weise große Integrationsdefizite auf. Obwohl sie schon mehr als 20 Jahre in Österreich wohne, verfüge sie nur über sehr schlechte Deutschkenntnisse. Die Anfertigung einer Niederschrift sei mit ihr gerade noch möglich. Sie sei weder in einem Verein noch habe sie weitergehende Kontakte zu Einheimischen. Zweimal habe sie gegen Vorschriften zum Schutze fremden Vermögens verstoßen und einmal eine strafbare Handlung gegen die Rechtspflege gesetzt. Nach Auffassung der belangten Behörde wögen die strafbaren Handlungen gegen fremdes Vermögen und gegen die Rechtspflege sowie der Umstand, dass sich die Beschwerdeführerin - an ihren Sprachkenntnissen ablesbar - nur mangelhaft integriert habe, schwerer als der mehr als 20-jährige Aufenthalt. Die belangte Behörde sei auf Grund dieser Abwägung der Auffassung, dass eine Ermessensübung im Sinn des § 11 StbG nicht zu Gunsten der Beschwerdeführerin erfolgen könne. Eine Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 StbG scheide daher aus.

Die Beschwerdeführerin könne zwar auf einen 21-jährigen Hauptwohnsitz im Sinn des § 12 Z 1 lit. b StbG verweisen, der für diesen Tatbestand geforderte Nachweis nachhaltiger persönlicher und beruflicher Integration liege aber nicht vor. Außer der nachgewiesenen Dauer des Hauptwohnsitzes weise sie keine nennenswerten Anhaltspunkte für eine persönliche Integration vor. Auf Grund der geringen Sprachkenntnisse könne jedenfalls nicht von einer nachhaltigen persönlichen Integration gesprochen werden. Da somit die Voraussetzungen für die einen Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft begründenden Tatbestände nicht gegeben seien, scheide auch eine Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft auf Grund dieser Tatbestände aus.

Weiters begründete die belangte Behörde die Versagung der Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft auf die Kinder.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde, zu der die belangte Behörde eine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Im vorliegenden Beschwerdefall zog die belangte Behörde die Erfüllung der Verleihungsvoraussetzungen in der Person der Beschwerdeführerin nicht in Zweifel. Die belangte Behörde vermeinte jedoch einerseits, dass sie das ihr in § 10 Abs. 1 StbG eingeräumte freie Ermessen unter Berücksichtigung der Gesichtspunkte des § 11 leg. cit. nicht zu Gunsten der Beschwerdeführerin üben könne, und andererseits, dass dieser nach § 12 Z 1 lit. b StbG ein Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft - mangels nachhaltiger persönlicher und beruflicher Integration - nicht zukomme.

Stünde der Beschwerdeführerin ein Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft zu, erübrigte sich jedoch die im angefochtenen Bescheid primär behandelte Frage der Ermessensübung nach § 11 StbG. Wie die belangte Behörde zutreffend ausführte, kommt von jenen Tatbeständen, die eine Verleihung der Staatsbürgerschaft kraft Rechtsanspruches vorsehen, sachverhaltsbezogen jener nach § 12 Z 1 lit. b StbG in Betracht. Diesbezüglich ist unstrittig, dass die Beschwerdeführerin das Erfordernis des mindestens 15-jährigen ununterbrochenen Hauptwohnsitzes im Bundesgebiet erfüllt; strittig ist das weitere Kriterium der nachhaltigen persönlichen und beruflichen Integration.

Zur Darlegung der maßgeblichen Rechtslage und zur Auslegung des Tatbestandsmerkmales der nachhaltigen persönlichen und beruflichen Integration im Sinn des § 12 Z 1 lit. b StbG sei zunächst gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 11. Oktober 2000, Zl. 2000/01/0227, mwN, verwiesen.

Ausgehend von den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen über die fremdenrechtliche und beschäftigungsrechtliche Stellung der Beschwerdeführerin - sie hat mehr als die Hälfte ihres Lebens im Bundesgebiet verbracht, besitzt seit 3. Februar 1986 einen unbefristeten Sichtvermerk und steht abgesehen von der vorübergehenden Arbeitslosigkeit in der Zeit von Oktober 2000 bis April 2001 durchgehend in Beschäftigung -

und unter Berücksichtigung ihrer familiären Situation - die beiden der geschiedenen Ehe entstammenden minderjährigen Kinder wurden bereits im Bundesgebiet geboren, leben bei der Mutter und besuchen hier die Schule, ihr weiterer im Jahre 1981 geborener Sohn lebt und arbeitet nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten ebenfalls im Bundesgebiet - kann das Vorliegen einer nachhaltigen persönlichen und beruflichen Integration der Beschwerdeführerin im Sinn des § 12 Z 1 lit. b StbG ungeachtet ihrer Sprachkenntnisse nicht ohne Weiteres in Abrede gestellt werden.

Nach dem Gesagten belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid schon insoweit, als sie das Vorliegen einer nachhaltigen persönlichen und beruflichen Integration im Sinn des § 12 Z 1 lit. b StbG und damit einen Rechtsanspruch der Beschwerdeführerin auf Verleihung der Staatsbürgerschaft allein wegen der als gering erachteten Sprachkenntnisse verneinte, mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb dieser unter Abstandnahme von einer Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war, ohne dass noch auf die Frage der Ermessensübung im Grunde des § 11 StbG (iVm § 10 Abs. 1 leg. cit.) einzugehen war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Die Abweisung des Mehrbegehrens gründet sich darauf, dass eine gesonderte Zuerkennung von Mehrwertsteuer aus dem pauschalierten Schriftsatzaufwand einer gesetzlichen Grundlage entbehrt.

Wien, am 9. September 2003

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002010017.X00

Im RIS seit

08.10.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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