TE Vwgh Erkenntnis 2003/9/9 2002/01/0459

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Veröffentlicht am 09.09.2003
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

B-VG Art130 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §10a idF 1998/I/124;
StbG 1985 §11 idF 1998/I/124;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des HA in H, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 12. August 2002, Zl. Ia 370-876/2001, betreffend Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die Vorarlberger Landesregierung (die belangte Behörde) den Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, auf Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß §§ 10, 11, 11a, 12, 13 und 14 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) ab. Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer sei am 2. März 1963 in der Türkei geboren worden. Seit 31. August 1991 habe er ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz in Österreich. Er sei seit 23. Juni 1989 mit einer türkischen Staatsangehörigen verheiratet. Aus dieser Ehe stammten zwei Kinder im Alter von 13 und 10 Jahren. Die Gattin und die beiden Kinder befänden sich ohne Aufenthaltsbewilligung in Österreich, der Beschwerdeführer verfüge über eine unbefristete Aufenthaltsbewilligung. Seit 22. Mai 2000 sei er - mit einer kurzen Unterbrechung vom 5. Jänner bis 18. Februar 2001 - laufend bei der W. Malerbetrieb GmbH als Maler und Anstreicher beschäftigt. Vorher sei er laut dem Auszug der Vorarlberger Gebietskrankenkasse in der Zeit vom 22. Dezember 1990 bis 14. April 1991 bei der S. Gastronomie in St. Gallenkirch und in der Zeit vom 22. April bis 19. Mai 2000 bei der N. GmbH & Co in Sulz beschäftigt gewesen. Dazwischen habe er nach seinen Angaben zufolge im Hotel S. in Tirol gearbeitet. Erhebungen der Bezirkshauptmannschaft Bregenz hätten ergeben, dass eine Verständigung mit dem Beschwerdeführer in deutscher Sprache zwar möglich sei, teilweise jedoch nur mit Mühe. Auch aus dem Bericht des Gendarmeriepostens H vom 20. Dezember 2001 gehe hervor, dass der Beschwerdeführer schlecht Deutsch spreche. Die Wiedergabe eines vorgegebenen Textes sei nur zum Teil richtig. Eine schriftliche Ausarbeitung sei nicht lesbar. An seiner Arbeitsstelle habe er überwiegend mit ausländischen Mitarbeitern Kontakt. Seine Freizeit verbringe er mit seiner Familie.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, auf Grund der Dauer des Hauptwohnsitzes in Österreich komme eine Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 1 StbG in Frage. Gemäß § 11 leg. cit. habe sich jedoch die Behörde unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des Fremden bei der Ausübung des ihr im § 10 StbG eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß der Integration des Fremden leiten zu lassen. Der Beschwerdeführer halte sich, wie eingangs festgestellt, bereits seit beinahe 12 Jahren ununterbrochen in Österreich auf. Seit dem 22. Mai 2000 sei er (mit einer kurzfristigen Unterbrechung) als Maler und Anstreicher beschäftigt. Seine Gattin und die beiden Kinder seien vor etwa einem Jahr mit einem Touristenvisum in Österreich eingereist und hätten das Bundesgebiet nicht mehr verlassen. Andererseits sei festzustellen gewesen, dass der Beschwerdeführer die nach § 10a StbG erforderlichen Minimalkenntnisse der deutschen Sprache gerade noch erfülle. Kenntnisse der deutschen Sprache, die über die Beantwortung von Fragen hinausgingen oder gar weiterreichende Fähigkeiten, wie etwa einen vorgegebenen Text mühelos wiederzugeben oder etwas Schriftliches auszuarbeiten, seien nicht vorhanden. Das Ausmaß der Sprachbeherrschung sei ein zuverlässiger Indikator für das Ausmaß der Integration. Kontakte zur österreichischen Bevölkerung oder andere Umstände, die in besonderer Weise auf eine Integration hinwiesen, seien nicht geltend gemacht worden und im Verfahren auch nicht hervorgekommen. Die Erhebungen hätten zwar ergeben, dass der Beschwerdeführer bereits Anzeichen einer Integration (mehrjähriger Aufenthalt und berufliche Tätigkeiten) nachweisen könne, doch könne auf Grund seiner nur geringen Sprachkenntnisse und des Umstandes, dass er außerhalb seines Arbeitsplatzes keinerlei Kontakte zur österreichischen Bevölkerung pflege, nicht von einem solchen Ausmaß an Integration ausgegangen werden, das eine Einbürgerung des Verleihungswerbers ermöglichte. Die Verleihung der Staatsbürgerschaft solle nämlich den Schlusspunkt einer erfolgreichen Integration in Österreich darstellen. Ein wesentliches Indiz seien dabei die Sprachkenntnisse (in diesem Sinne - bezugnehmend auf die Materialien - etwa VwGH vom 3. Mai 2000, Zl. 99/01/0272). Es habe daher mit Rücksicht auf die dargestellte unzureichende Integration und auf Grund des Umstandes, dass auch kein öffentliches Interesse für die Einbürgerung habe festgestellt werden können, eine Ermessensübung nach § 11 StbG nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers erfolgen können. Eine Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 StbG scheide daher ebenso aus wie eine solche nach §§ 11a, 12, 13 und 14 StbG.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde, zu der die belangte Behörde eine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde ging implizit davon aus, dass der Beschwerdeführer die Verleihungsvoraussetzungen nach § 10 Abs. 1 und § 10a StbG erfülle. Sie vertrat allerdings im Rahmen der Ermessensübung die Ansicht, dass "Anzeichen einer Integration" nur geringe Sprachkenntnisse und mangelnder Umgang des Beschwerdeführers mit der österreichischen Bevölkerung gegenüberstünden und dass sie deshalb das Ermessen nach § 11 StbG nicht zu seinen Gunsten üben könne.

§ 11 StbG in der Fassung der Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998, BGBl. I Nr. 124, lautet:

"§ 11. Die Behörde hat sich unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des Fremden bei der Ausübung des ihr in § 10 eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß der Integration des Fremden leiten zu lassen."

Die ErläutRV 1283 BlgNR XX GP. 5 und 9 halten zur Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 fest, dass die Integration des Fremden als das für die Verleihung der Staatsbürgerschaft maßgebliche Kriterium verankert werden soll und die Staatsbürgerschaftsbehörde bei ihrer Entscheidung vor allem die Integration des Fremden und deren Ausmaß zu beachten habe.

Soweit die belangte Behörde dem Beschwerdeführer lediglich "Anzeichen" einer Integration zuzubilligen vermochte, vermag der Verwaltungsgerichtshof der darin zum Ausdruck kommenden Gewichtung dieses Ermessensgesichtspunktes deshalb nicht zu folgen, weil zu dem beinahe zwölf Jahre dauernden ununterbrochen Aufenthalt im Bundesgebiet - ausgehend von den von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogenen Angaben des Beschwerdeführers in seinem Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft - beinahe lückenlose Beschäftigungsverhältnisse bei verschiedenen Arbeitgebern hinzutreten, die auf eine starke berufliche Integration des Beschwerdeführers hindeuten.

Soweit die belangte Behörde die "geringen Sprachkenntnisse" des Beschwerdeführers als integrationsmindernd veranschlagte, vermag der Verwaltungsgerichtshof die Ausrichtung der Ermessensübung an den eingangs näher umschriebenen Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers aus den im hg. Erkenntnis vom 16. Juli 2003, Zl. 2002/01/0186, genannten Gründen, auf das gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, nicht zu billigen. Ebenso wenig kann der Verwaltungsgerichtshof in dem - nicht näher ausgeführten - Umstand, dass der Beschwerdeführer "außerhalb seines Arbeitsplatzes keinerlei Kontakte zur österreichischen Bevölkerung" pflege, einen für die Ermessensübung relevanten integrationsmindernden Umstand erkennen.

Nach dem Gesagten belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid im Rahmen ihrer Ermessensübung mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb er - unter Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 9. September 2003

Schlagworte

Ermessen besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002010459.X00

Im RIS seit

08.10.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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