TE Vwgh Beschluss 2003/9/16 2002/05/1201

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Veröffentlicht am 16.09.2003
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 lita;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1 Satz2;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Kail als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über den Antrag des Bürgermeisters der Marktgemeinde Nappersdorf-Kammersdorf in Kammersdorf, vertreten durch Dr. Werner Paulinz, Rechtsanwalt in 2100 Korneuburg, Kirchengasse 4-6, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der im Beschwerdeverfahren Zl. 2002/05/0672 gesetzten Frist zur vollständigen Beilagenvorlage, den Beschluss gefasst:

Spruch

Dem Wiedereinsetzungsantrag wird stattgegeben. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. September 2002, mit welchem das Verfahren über die zu dieser Zahl eingeleitete Beschwerde eingestellt worden war, wird aufgehoben.

Begründung

Im genannten Beschwerdeverfahren wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, binnen einer Woche die in dem von ihm vorgelegten Bescheid aufgezählten Beilagen ./A, ./B und ./C vorzulegen. Mit Beschluss vom 23. September 2002 erfolgte die Einstellung dieses Verfahrens, weil die Stellungnahme Beilage ./C nicht vorgelegt worden war.

Dagegen richtet sich der vorliegende Antrag des seinerzeitigen Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Antragsteller bringt darin vor, sein Vertreter habe auf Grund des Verbesserungsauftrages selbst im Akt die drei Beilagen gesucht und gelbe "Post it-Zettel" auf diesen Beilagen angebracht. Er habe seine Angestellte, Frau R., angewiesen, Kopien anzufertigen und der Bescheidbeschwerde beizulegen. Die verbesserte Bescheidbeschwerde sei daraufhin mit den beigelegten Abschriften ./A bis ./C und der Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes in die Postausgangsmappe gelegt und zur Unterfertigung dem rechtsfreundlichen Vertreter vorgelegt worden. Er habe daraufhin noch einmal die Beilagen ./A bis ./C überprüft und auf der Verfügung "nach Verbesserung neuerlich vorgelegt" vermerkt und auf dem Abdruck des Kanzleistempels unterschrieben. Danach habe die Angestellte R. die Schriftstücke kuvertiert und zur Post getragen. Das Versäumnis, die Beilage ./C beizulegen, könne nur auf einer gänzlich unerwarteten Fehlleistung der im Umgang mit Akten und Postsendungen sehr erfahrenen und verlässlichen Angestellten des Vertreters des Antragstellers zurückzuführen sein.

Über Aufforderung durch den Verwaltungsgerichtshof legte der Antragsteller eine eidesstättige Erklärung der R. vor. Sie gab darin an, dass sich der Rechtsvertreter bei Unterfertigung des Begleitschreibens noch einmal davon überzeugt habe, dass alle Unterlagen und Beilagen vorhanden gewesen seien. Es sei ihr sodann ein Fehler beim Kuvertieren passiert und es habe nur dadurch vorkommen können, dass sie nicht sämtliche Unterlagen mitkuvertiert habe. Derartiges sei ihr bei dieser Tätigkeit, die sie seit Oktober 1995 ausübe, noch nie passiert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Hinblick auf die durch die oben angeführte Erklärung bestätigten Angaben im Wiedereinsetzungsantrag im Zusammenhalt mit dem Inhalt des Aktes Zl. 2002/05/0672 keinen Grund, an den Angaben im Wiedereinsetzungsantrag zu zweifeln. Ausgehend von diesem Sachverhalt ist der vorliegende Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus folgenden Erwägungen berechtigt:

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, Seite 656 f zitierte Rechtsprechung). Die Bewilligung der Wiedereinsetzung kommt somit im Hinblick auf die Bestimmung des § 46 Abs. 1 zweiter Satz VwGG nur in Betracht, wenn dem Antragsteller und seinem Vertreter kein Versehen oder nur ein minderer Grad des Versehens angelastet werden kann. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem nur dann als Verschulden anzulasten, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Unterläuft einem Angestellten, dessen Zuverlässigkeit glaubhaft dargetan wird, erst nach der Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes und nach Kontrolle desselben durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung oder Postaufgabe ein Fehler, so stellt dies nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein unvorhergesehenes Ereignis dar. Die regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft diese rein manipulativen Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen (vgl. den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Juni 1990, Zl. 90/16/0042 mwN.).

Unter Zugrundelegung des Vorbringens im Wiedereinsetzungsantrag und der eidesstättigen Erklärung ist davon auszugehen, dass es dem Vertreter des Antragstellers nicht zumutbar war, zu überprüfen, ob sich nach der Kuvertierung noch Unterlagen im Handakt befänden, welche im Zuge der Erfüllung des Verbesserungsauftrages dem Gerichtshof vorzulegen gewesen wären.

Da die mangelhafte Erfüllung des hg. Verbesserungsauftrages sohin allein auf das Versehen der Angestellten des Vertreters des Antragstellers zurückzuführen ist, also weder dem Antragsteller noch seinem Vertreter ein über einen minderen Grad des Versehens hinausreichendes Verschulden vorgeworfen werden kann, war dem vorliegenden Wiedereinsetzungsantrag stattzugeben.

Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren gemäß § 46 Abs. 5 VwGG in jene Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat, weshalb der Beschluss auf Einstellung des Verfahrens aufzuheben war.

Wien, am 16. September 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002051201.X00

Im RIS seit

03.12.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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