TE Vwgh Erkenntnis 2003/9/17 2000/20/0194

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Veröffentlicht am 17.09.2003
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des S in L, geboren 1976, vertreten durch Mag. Klaus Zorn, Rechtsanwalt in 4050 Traun, Johann-Roithner-Straße 9, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. Jänner 2000, Zl. 214.157/0- III/07/99, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, ist seinen Angaben zufolge am 15. August 1998 nach Österreich eingereist und hat zwei Tage später einen Asylantrag gestellt.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 10. Jänner 2000 wurde dieser Asylantrag gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 FrG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei.

Die belangte Behörde erachtete - im Gegensatz zur Erstbehörde - das Vorbringen des Beschwerdeführers nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung, zu welcher der Beschwerdeführer allerdings nicht erschienen war, für glaubwürdig und legte der Entscheidung folgenden Sachverhalt zu Grunde:

"Festgestellt wird, dass der Asylwerber am 26.1.1996 an einer Demonstration an der Universität von Calabar teilnahm. Während dieser Demonstration, die gegen die Aktivitäten von Geheimgesellschaften gerichtet war, kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Demonstranten und den Angehörigen der Geheimgesellschaften, wobei auch Personen getötet wurden, sodass letztlich Sicherheitskräfte einschritten, die Demonstration unter Einsatz von Tränengas auflösten und viele Personen, welche an dem Ort anwesend waren, verhafteten. In der Folge wurde der Asylwerber im Armeegefängnis in Calabar inhaftiert, bis es ihm am 11.6.1998 gelang, aus dem Gefängnis zu entkommen."

Rechtlich folgerte die belangte Behörde aus dem festgestellten Sachverhalt, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Der Umstand, dass er als Teilnehmer an einer gewaltsamen Demonstration, bei welcher auch Personen getötet worden seien, im Zuge ihrer Auflösung so wie auch viele andere Demonstrationsteilnehmer festgenommen worden sei, stehe in keinem Zusammenhang mit asylrechtlich relevanter Verfolgung, "sondern entspricht eine solche Handlungsweise durchaus dem üblichen Handlungsmuster in zivilisierten Rechtsstaaten". Dem Beschwerdeführer sei es (auch) nicht gelungen darzutun, dass er seitens der Behörden seines Heimatstaates aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe verfolgt worden wäre. Er habe vorgebracht, verdächtigt worden zu sein, einer geheimen Gesellschaft anzugehören und Personen bei rituellen Handlungen getötet zu haben, doch fänden sich in seinem Vorbringen - so die belangte Behörde weiter - keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ihn die Behörden aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätten treffen wollen. Der Beschwerdeführer habe niemals behauptet, dass ihm damit auch eine dem Staat missliebige politische oder religiöse Gesinnung unterstellt worden wäre oder dass er aus anderen in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen länger als andere Demonstrationsteilnehmer angehalten worden wäre oder eine strengere Bestrafung oder einen unfairen Prozess, in dem er seine Unschuld nicht hätte darlegen können, zu befürchten gehabt hätte. Es könne weiters auch nicht erkannt werden, dass die Behörden den Verdacht, der Beschwerdeführer gehöre einer geheimen Gesellschaft an und er habe "eventuell" Personen bei rituellen Handlungen getötet, lediglich vorgeschoben hätten, um den Beschwerdeführer letztlich in Wirklichkeit aus ganz anderen, nämlich asylrechtlich relevanten Gründen Verfolgungsmaßnahmen unterziehen zu können.

Den Ausspruch nach § 8 AsylG begründete die belangte Behörde nach allgemeinen Rechtsausführungen fallbezogen nur damit, dass der Beschwerdeführer anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesasylamt lediglich allgemein zu Protokoll gegeben habe, dass in den Gefängnissen Personen an Krankheiten gestorben seien und es auch wenig Medikamente gegeben habe. Damit habe der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde abschließend - aber weder dargetan, dass er selbst einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt gewesen sei, noch dass er im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen Behandlung ausgesetzt werden würde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die wiedergegebene Beurteilung der belangten Behörde wird dem - für glaubwürdig erachteten - Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Gesamtheit nicht gerecht. Danach war der Beschwerdeführer zweieinhalb Jahre lang ohne Gerichtsverfahren in einem Militärgefängnis unter dem (unrichtigen) Verdacht, Mitglied einer geheimen und verbotenen Studentenorganisation zu sein und rituelle Morde begangen zu haben, inhaftiert, wobei er sich der weiteren Anhaltung nur durch Flucht aus dem Gefängnis und anschließend ins Ausland entziehen konnte. Eine derartige Vorgangsweise staatlicher Behörden entspricht aber - entgegen der Meinung der belangten Behörde, deren Beurteilung sich auf die "Festnahme" beschränkt hat - jedenfalls nicht "dem üblichen Handlungsmuster in zivilisierten Rechtsstaaten" im Rahmen der Strafverfolgung, sondern ist bereits als ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Beschwerdeführers und somit als "Verfolgung" im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu qualifizieren.

Entgegen der Ansicht im angefochtenen Bescheid lässt sich diesbezüglich aber auch ein Zusammenhang mit einem Konventionsgrund nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausschließen. Insoweit ist entscheidend, aus welchen (in seiner Person gelegenen) Gründen die nigerianischen Behörden gerade gegen den (unschuldigen) Beschwerdeführer in derart unverhältnismäßiger Weise vorgegangen sind. Die belangte Behörde hat sich insoweit nur auf negative Schlussfolgerungen aus - ihrer Ansicht nach - vom Beschwerdeführer nicht vorgetragenen Behauptungen beschränkt. Abgesehen davon, dass dem Vernehmungsprotokoll vor der Erstbehörde - offenbar weil sie von der mangelnden Glaubwürdigkeit der Fluchtgründe ausgegangen ist - in diese Richtung zielende Fragen nicht zu entnehmen sind, hätte die belangte Behörde schon auf Grund der - von ihr für wahr gehaltenen - Angaben des Beschwerdeführers einen Zusammenhang mit einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) nicht ohne weiteres verneinen dürfen. Denn wenn - wie im vorliegenden Fall - eine Person mehrere Jahre ohne Gerichtsverfahren unter dem (falschen) Verdacht, einer verbotenen (kultischen) Studentenorganisation anzugehören, in einem Militärgefängnis festgehalten wird, indiziert dies neben dem Aspekt der Strafverfolgung auch einen Zusammenhang mit einer dem Beschwerdeführer (zumindest) unterstellten oppositionellen politischen - allenfalls auch religiösen - Gesinnung gegenüber dem damals an der Macht befindlichen Militärregime (vgl. aus der Zeit danach auch den vom Beschwerdeführer mit der Berufung vorgelegten, von der belangten Behörde unbeachtet gelassenen Zeitungsartikel vom September 1999 über Festnahmen unschuldiger Studenten unter dem Vorwand ("on the pretext"), sie wären "Kultisten" ("cultists")). Ohne weitere Ermittlungen und nähere Feststellungen zum Motiv der nigerianischen Behörden für die Behandlung des Beschwerdeführers unter Bedachtnahme auf die generellen Hintergründe für die staatlichen Maßnahmen gegen derartige Studentenorganisationen lässt sich somit das Vorliegen eines Konventionsgrundes in tragfähiger Weise noch nicht verneinen.

Dem Beschwerdevorbringen kommt aber vor allem hinsichtlich des Ausspruches nach § 8 AsylG über die Zulässigkeit der (insbesondere) Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria unter dem Gesichtspunkt des § 57 Abs. 1 FrG Berechtigung zu. Diesbezüglich hat sich die belangte Behörde auf die oben wiedergegebene Begründung beschränkt, ohne konkrete Feststellungen zur Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers zu treffen. Die belangte Behörde hätte aber bei der Frage, ob dem Beschwerdeführer bei einer Abschiebung nach Nigeria eine unmenschliche Behandlung oder Strafe droht, berücksichtigen müssen, dass er - wie erwähnt - bereits in der Vergangenheit unter der dargestellten (falschen) Anschuldigung ohne Gerichtsverfahren zweieinhalb Jahre lang in einem Armeegefängnis inhaftiert war und dass er sich der weiteren Anhaltung durch Flucht entzogen hat. Vor diesem Hintergrund hätte es konkreter Feststellungen zu der Frage bedurft, welches Schicksal der Beschwerdeführer bei einer Abschiebung nach Nigeria konkret zu erwarten hätte. Entgegen der Meinung der belangten Behörde hätte es dazu aber auch einer Einbeziehung der - notorisch besonders schlechten, zum Teil als "lebensbedrohlich" angesehenen (vgl. dazu etwa die 1996 und 1997 betreffenden Jahresberichte 1998 und 1999 von amnesty international Deutschland sowie die Anfragebeantwortung dieser Organisation an das Verwaltungsgericht Stuttgart vom 8. Juli 1997 betreffend die Haftbedingungen in nigerianischen Gefängnissen; aus neuerer Zeit, eine ausführliche Beschreibung enthaltend der von "ACCORD" erstellte Länderbericht Nigeria vom September 2002, Punkt 3.2) - Haftbedingungen bedurft, zumal der Beschwerdeführer diesbezügliche Missstände in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich ins Treffen geführt hat.

Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Das Mehrbegehren findet in der genannten Verordnung keine Deckung.

Wien, am 17. September 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2000200194.X00

Im RIS seit

21.10.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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