TE Vwgh Erkenntnis 2003/9/18 2002/15/0132

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Veröffentlicht am 18.09.2003
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
BAO §288 Abs1 litd;
BAO §308 Abs1;
BAO §93 Abs3 lita;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Reinisch, über die Beschwerde der Mag. K in W, vertreten durch Mag. Dr. Herwig Schönbauer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwarzenbergstraße 1, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 6. Juli 2001, Zl. RV/612-16/11/2001, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich Einkommensteuer 1992 bis 1994, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist Wirtschaftstreuhänderin. Da sie für die Jahre 1992 bis 1994 keine Steuererklärungen abgegeben hatte, musste das Finanzamt die Abgabenbemessungsgrundlagen gemäß § 184 BAO schätzen.

Für 1992 setzte es die Einkommensteuer mit Bescheid vom 13. Dezember 1995 fest. Antragsgemäß verlängerte das Finanzamt die Frist zur Einbringung einer Berufung gegen diesen Bescheid. Einem weiteren Fristerstreckungsansuchen, das damit begründet war, dass "eine frühere Erstellung in Folge organisatorischer Umstellung und der Semesterferien nicht eher möglich ist", entsprach das Finanzamt nicht. Auch weiteren Fristerstreckungsansuchen gab das Finanzamt keine Folge.

Mit Bescheid vom 12. Februar 1996 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer 1993 fest.

Mit Bescheid vom 3. Dezember 1996, von der Beschwerdeführerin persönlich übernommen am 11. April 1997, setzte das Finanzamt die Einkommensteuer 1994 fest. Nachdem die Beschwerdeführerin hinsichtlich Einkommensteuer 1994 nach mehreren Fristverlängerungsansuchen mit 11. Juni 1997 eine Berufung eingebracht hatte, erteilte das Finanzamt hiezu gemäß § 275 BAO einen Mängelbehebungsauftrag. Mit Bescheid vom 13. August 1997 erklärte das Finanzamt die Berufung als zurückgenommen.

In der Folge beantragte die Beschwerdeführerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung der Berufung gegen die Einkommensteuerbescheide, und zwar hinsichtlich des Jahres 1992 mit Eingabe vom 8. Februar 2000, hinsichtlich des Jahres 1993 mit Eingabe vom 9. Februar 2000 und hinsichtlich des Jahres 1994 mit Eingabe vom 29. Februar 2000.

Mit Bescheid vom 2. März 2001 wies das Finanzamt die Wiedereinsetzungsanträge ab. Die Berufung der Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid wurde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen. Die Bescheide, hinsichtlich derer die Beschwerdeführerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantrage, seien der Einkommensteuerbescheid 1992 vom 13. Dezember 1995, der Einkommensteuerbescheid 1993 vom 12. Februar 1996 und der Einkommensteuerbescheid 1994 vom 3. Dezember 1996. Gegen den Einkommensteuerbescheid 1994 habe die Beschwerdeführerin Berufung eingebracht, welche allerdings mit Bescheid vom 13. August 1997 als zurückgenommen erklärt worden sei.

Die Beschwerdeführerin habe in den Wiedereinsetzungsanträgen vorgebracht, der Hinderungsgrund zur Einbringung von Berufungen (gegen die Einkommensteuerbescheide) sei in den Jahren 1992/93 eingetreten, als die C-Bank eine existenzvernichtende "Kriegsführung" gegen die Beschwerdeführerin begonnen habe. Diese Vorgangweise der Bank sei seit dieser Zeit gezielt und bewusst fortgesetzt worden, um die Beschwerdeführerin zu schädigen und in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und beruflicher Hinsicht "aus dem Verkehr zu ziehen". Durch diesen Kampf um die wirtschaftliche Existenz und damit auch diejenige ihrer drei minderjährigen Kinder, für welche die Beschwerdeführerin alleine sorgen müsse, sei die Beschwerdeführerin in psychischer und physischer Hinsicht massivst geschädigt gewesen und nach wie vor geschädigt. Ihr gesundheitlicher Zustand habe sich seit Beginn des Jahres 2000 zumindest soweit stabilisiert, dass die Berufungen und die entsprechenden Abgabenerklärungen nunmehr eingebracht werden könnten.

Nach Ansicht der belangten Behörde könnten Krankheiten nur dann als Wiedereinsetzungsgrund in Betracht kommen, wenn sie zur Dispositionsunfähigkeit führten und so plötzlich und schwer aufträten, dass der Erkrankte nicht mehr in der Lage sei, die nach der Sachfrage gebotenen Maßnahmen zu treffen. Eine die Dispositionsfähigkeit völlig ausschließende Krankheit liege dann vor, wenn jemand außer Stande sei, als notwendig erkannte Handlungen fristgerecht zu setzen. Keine Wiedereinsetzungsgründe seien hingegen Arbeitsüberlastung und familiäre Probleme. Mit dem die Behauptungsebene nicht verlassenden Vorbringen der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Auseinandersetzungen mit einer Bank werde eine die Dispositionsunfähigkeit völlig ausschließende Krankheit nicht dargetan. Werde ferner der große Zeitraum der im gegenständlichen Fall betroffenen Vorgänge betrachtet, könne umso weniger von Umständen gesprochen werden, die plötzlich und schwer aufträten und zur Dispositionsunfähigkeit führten. Im Übrigen werde bemerkt, dass die belangte Behörde über gleich lautende Anträge betreffend Umsatzsteuer für dieselben Jahre ebenfalls abschlägig entschieden habe.

Mit Beschluss vom 11. Juli 2002, B 1225/01, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde ab. Zugleich trat er die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Behandlung ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Vor dem Verwaltungsgerichtshof bringt die Beschwerdeführerin vor, die belangte Behörde irre in rechtlicher Hinsicht, wenn sie davon ausgehe, dass der seelische Zustand keine Auswirkung auf die Dispositionsfähigkeit haben könne. Nach der Judikatur des deutschen Bundesfinanzhofes könne eine unabwendbare und unvorhersehbare Arbeitsüberlastung im Einzelfall zu einer Wiedereinsetzung führen. Ein solcher Einzelfall liege hier vor, weil die Beschwerdeführerin auf Grund des gegen sie eingeleiteten Strafverfahrens und der damit verbundenen Pflicht, sich gegen Vorwürfe zu wehren, nicht in der Lage gewesen sei, rechtzeitig gegen die Einkommensteuerbescheide Berufung zu erheben. Hätte die belangte Behörde ein ordentliches Verfahren durchgeführt, so hätte sie zum Ergebnis kommen müssen, dass eine Aneinanderkettung von ungünstigen Umständen im relevanten Zeitraum die Dispositionsfähigkeit der Beschwerdeführerin erheblich vermindert habe. Die belangte Behörde habe die Beschwerdeführerin nicht zur Ergänzung ihres Vorbringens und zur Übermittlung der entsprechenden Unterlagen aufgefordert. Sie habe damit gegen die Pflicht zur amtswegigen Sachverhaltsermittlung verstoßen. Weiters verstoße der angefochtene Bescheid gegen das Konkretisierungsgebot, weil er weder das Datum der Berufung noch das Datum oder die Geschäftszahl des erstinstanzlichen Bescheides anführe. Da der Bescheid auch von "drei im Wesentlichen gleich lautenden Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" spreche, und auch Bescheide von anderen Abgabenbehörden erwähne, sei er objektiv dazu geeignet, beim Bescheidadressaten Verwirrung auszulösen. Zudem habe die belangte Behörde pauschal auf die Begründung eines anderen Bescheides (betreffend Umsatzsteuer) verwiesen.

Gemäß § 308 Abs. 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

In der Regel kann Krankheit nicht als Wiedereinsetzungsgrund gewertet werden. Ein solcher liegt bei einer Erkrankung, auch einer psychischen Erkrankung, nur dann vor, wenn sie einen Zustand der Dispositionsunfähigkeit zur Folge hat und so plötzlich und so schwer auftritt, dass der Erkrankte nicht mehr in der Lage ist, die nach der Sachlage gebotenen Maßnahmen zu treffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, 95/20/0659).

Im Verwaltungsverfahren hat die Beschwerdeführerin als Wiederaufnahmegrund angeführt, sie sei im Hinblick auf die existenzgefährdende "Kriegsführung" einer Bank in psychischer und physischer Hinsicht "massivst geschädigt" gewesen. Weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde wird vorgetragen, dass der Zustand der Dispositionsunfähigkeit bestanden hätte und dass ein solcher so plötzlich eingetreten wäre, dass keine Vorsorge - etwa durch die Bestellung eines Vertreters - hätte getroffen werden können.

Im Mittelpunkt des Beschwerdevorbringens stellt allerdings gar nicht der Wiedereinsetzungsgrund der Erkrankung (die Beschwerde erwähnt nur abstrakt, dass seelische Zustände die Dispositionsfähigkeit auszuschließen vermögen); die Beschwerde will die Wiedereinsetzung vielmehr auf die Arbeitsüberlastung der Beschwerdeführerin gestützt wissen.

Für die Situation der Beschwerdeführerin als Wirtschaftstreuhänderin ist festzustellen, dass für vorhersehbare, im alltäglichen Büroablauf üblicherweise auftretende Behinderungsfälle der reibungslose Ablauf der Büroorganisation sichergestellt sein muss. Lediglich für den Fall unerwarteter und plötzlich auftretender Umstände gilt dies nicht. Aus welchem Grund der Umstand der Arbeitsüberlastung zu einem - unerwartet und plötzlich aufgetretenen - Zustand der Dispositionsunfähigkeit führen solle, wird von der Beschwerdeführerin nicht aufgezeigt und ist auch dem Verwaltungsgerichtshof nicht erkennbar.

Es ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Sache des Wiedereinsetzungswerbers, den behaupteten Wiederaufnahmegrund glaubhaft zu machen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 1996, 94/13/0082). Dem Beschwerdevorbringen betreffend die Verletzung der amtswegigen Ermittlungspflicht ist entgegenzuhalten, dass die Behörde das Vorliegen von Wiederaufnahmegründen nur in jenem Rahmen zu untersuchen hat, der im Wiedereinsetzungsantrag abgesteckt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 1996, 96/13/0173).

Entgegen den Beschwerdeausführungen wird im angefochtenen Bescheid (im Begründungsteil) das Datum des von der Beschwerdeführerin mit Berufung bekämpften Bescheides des Finanzamtes (Bescheid vom 2. März 2001) angeführt; dieser Bescheid ist durch die Benennung seines Gegenstandes hinreichend konkretisiert. Der angefochtene Bescheid lässt keine Zweifel offen, über welche Berufung der Beschwerdeführerin er abspricht.

Es ist nicht erkennbar, dass die Sachverhaltsdarstellung im angefochtenen Bescheid, wonach die Beschwerdeführerin drei Wiedereinsetzungsanträge gestellt hat (je einen für Einkommensteuer 1992, 1993 und 1994) und das Finanzamt diese Anträge mit einem Bescheid (Bescheid vom 2. März 2001) abgewiesen habe, dazu angetan wäre, beim Bescheidadressaten Verwirrung zu stiften.

Unberechtigt ist auch die Rüge betreffend den Verweis des angefochtenen Bescheides auf einen anderen Bescheid (Bescheid, mit welchem die Wiedereinsetzung hinsichtlich Umsatzsteuerverfahren verweigert worden ist). Zum einen stellt die betreffende Aussage in der Begründung des angefochtenen Bescheides gar keine Verweisung dar, sondern lediglich einen den Bescheid nicht tragenden Hinweis ("im Übrigen wird bemerkt ...") auf eine andere Erledigung der belangten Behörde. Zum anderen wäre es auch nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn in der Bescheidbegründung auf die Begründung eines anderen, der Partei bekannten Bescheides verwiesen wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1998, 97/15/0061).

Abschließend sei bemerkt, dass hinsichtlich des Jahres 1994 nicht die Frist zur Einbringung der Berufung versäumt worden ist, sondern die Frist zur Behebung der der Berufung anhaftenden Mängel. Dieser Umstand ändert aber nichts daran, dass die Beschwerdeführerin durch die mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Verweigerung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in subjektiven Rechten verletzt worden ist.

Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 18. September 2003

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002150132.X00

Im RIS seit

23.10.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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