TE Vwgh Erkenntnis 2003/10/15 2000/21/0213

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Veröffentlicht am 15.10.2003
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Index

41/01 Sicherheitsrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §36 Abs2 Z2;
SPG 1991 §81;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Wechner, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh und Dr. Hanno Lecher, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 25. Oktober 2000, Zl. Fr-4250a-44/00, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 und Z. 8 iVm den §§ 37 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung dieser Maßnahme führte sie im Wesentlichen aus: Der Beschwerdeführer sei rechtskräftig verurteilt worden, und zwar

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am 9. Jänner 1990 wegen des Vergehens der versuchten falschen Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde als Beteiligter nach den §§ 12, 15, 289 StGB zu einer Geldstrafe von 200 Tagessätzen,

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am 8. September 1992 wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen,

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am 27. August 1996 wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs. 1 Z. 1 und 2 StGB iVm § 161 Abs. 1 StGB und des Vergehens nach § 114 Abs. 2 ASVG zu einer Geldstrafe von 200 Tagessätzen,

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am 18. Juni 1999 wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs. 1 Z. 2 StGB zu einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen.

Die den Verurteilungen zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen beruhten in zwei Fällen auf der gleichen schädlichen Neigung, weshalb die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt seien. Weiters sei der Beschwerdeführer am 3. Dezember 1996 von einem Organ des Arbeitsinspektorates Bregenz bei einer Beschäftigung betreten worden, die er nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht hätte ausüben dürfen. Dadurch sei auch der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 8 FrG erfüllt.

Die Gefährdungsannahme nach § 36 Abs. 1 FrG werde dadurch verstärkt, dass der Beschwerdeführer von den Bezirkshauptmannschaften Dornbirn und Feldkirch rechtskräftig habe bestraft werden müssen, u.a. am 29. Mai 1995 nach § 81 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz.

Der Beschwerdeführer habe sich von Dezember 1972 bis Juli 1973, von Oktober 1973 bis Juli 1983, von September 1983 bis Oktober 1983, von April 1984 bis Juli 1995, von September 1995 bis November 1996, von Dezember 1996 bis Jänner 1999 und seit April 1999 laufend in Österreich aufgehalten. Ab 1982 habe er über unbefristete Visa verfügt. Ihm komme somit erst ab April 1984 ein ununterbrochener und rechtmäßiger Aufenthalt (gemeint offenbar: bis zur ersten gerichtlichen Verurteilung) im österreichischen Bundesgebiet zu, weshalb der aufenthaltsbeendenden Maßnahme keine Aufenthaltsverfestigung entgegenstehe, weil der Beschwerdeführer vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes (gerichtlich strafbares Verhalten seit 1990) nur sechs Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Inland niedergelassen gewesen sei.

Der Beschwerdeführer sei mehrere Jahre selbstständig tätig gewesen und gehe derzeit einer unselbstständigen Beschäftigung nach. Er sei zwar verheiratet, lebe jedoch schon viele Jahre von seiner Frau und seinen Kindern getrennt. Mit dem Aufenthaltsverbot sei ein schwerer Eingriff in sein Privat- und Familienleben verbunden. Auf Grund der in der Vielzahl und Schwere seiner Taten zum Ausdruck kommenden Unbelehrbarkeit und seiner "hinkünftig ergebenden Gefahr" ergebe sich die Dringlichkeit des Aufenthaltsverbotes. Unter Berücksichtigung aller Umstände und Abwägung der gegenläufigen Interessen dränge das in hohem Maß bestehende öffentliche Interesse, den weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich zu untersagen, sein privates Interesse in den Hintergrund.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer verweist darauf, dass unter Berücksichtigung der massiven Anknüpfungspunkte an das Bundesgebiet die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben darstelle, der jedenfalls schwerer wiege als die allfälligen nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes. Mit diesem Vorbringen macht er zutreffend geltend, dass das Aufenthaltsverbot gegen die Bestimmung des § 37 Abs. 2 FrG verstößt. Wesentlich fällt nämlich ins Gewicht, dass sich der Beschwerdeführer bereits seit 1972 - mit Ausnahme nur weniger Monate - im Bundesgebiet aufhält. Dazu kommt, dass hier - wenn auch nicht im Familienverband - seine Ehefrau und seine Kinder leben. Weiters war der Beschwerdeführer vorerst selbstständig tätig und ist nunmehr unselbstständig beschäftigt. Der sich aus diesen Umständen ergebenden massiven Integration im Bundesgebiet stehen rechtskräftige Verurteilungen wegen fahrlässiger Krida, Verstoßes nach § 114 Abs. 2 ASVG, versuchter falscher Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde und wegen Sachbeschädigung jeweils zu einer Geldstrafe gegenüber. Wenn auch diese Straftaten nicht verharmlost werden sollen, erreichen sie doch nicht annähernd jene Bedeutung, die erforderlich wäre, um zumindest ein Gleichgewicht zu den dargestellten persönlichen Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet zu bilden. Von den Verwaltungsübertretungen fällt jene nach § 81 SPG ins Gewicht, vermag für sich allein den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 2 FrG jedoch nicht zu erfüllen. Auch die einmalige Betretung bei einer unerlaubten Beschäftigung kann gegenüber dem jahrzehntelangen inländischen Aufenthalt nicht den Ausschlag geben. Indem die belangte Behörde den dargestellten Interessen des Beschwerdeführers bei der Abwägung nach § 37 Abs. 2 FrG nicht das ihnen gebührende Gewicht beigemessen hat, hat sie die Rechtslage verkannt.

Bei diesem Ergebnis kann unerörtert bleiben, ob die belangte Behörde bereits die strafrechtliche Verurteilung aus dem Jahr 1990 als für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Sachverhalt werten durfte und somit die Fristen für eine Aufenthaltsverfestigung nach § 38 Abs. 1 Z. 2 und 3 (teilweise iVm § 35 Abs. 3) FrG dem Aufenthaltsverbot nicht entgegenstehen; dies ungeachtet einer weiteren Prüfung, ob die kurzen Auslandsaufenthalte des Beschwerdeführers in den Jahren 1983 und 1984 eine relevante Unterbrechung seines Inlandsaufenthaltes im Sinn der genannten Bestimmungen bewirkt haben.

Bei diesem Ergebnis schadet es auch nicht, dass die belangte Behörde keine Feststellungen über die Dauer seiner nunmehrigen unselbstständigen Beschäftigung getroffen hat, anhand derer zu beurteilen wäre, ob zumindest die erste Verfestigungsstufe nach Art. 6 des auf dem Assoziierungsabkommen EWG-Türkei vom 12. September 1963 beruhenden Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits erreicht wurde.

Nach dem oben Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG die Durchführung der beantragten Verhandlung unterbleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 15. Oktober 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2000210213.X00

Im RIS seit

11.11.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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