TE Vfgh Erkenntnis 2000/6/26 V62/99

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Veröffentlicht am 26.06.2000
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
ASVG §131 Abs1
ASVG §131 Abs6
ASVG §153
ASVG §131b
Satzung 1995 der Stmk Gebietskrankenkasse idF Nr 85/1996 §25 Abs1
Satzung 1995 der Tir Gebietskrankenkasse idF Nr 6/1997 §25 Abs1
Satzung 1995 der Tir Gebietskrankenkasse Nr 63/1995 §32 Abs1, §33 Abs2
Satzung 1995 der Wr Gebietskrankenkasse idF Nr 99/1996 §25 Abs1
Satzung der Sbg Gebietskrankenkasse Nr 66/1995 §33 Abs2
VfGG §57 Abs1

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit der Regelungen über die Kostenrückerstattung nach Inanspruchnahme eines Wahlarztes; keine Gleichheitswidrigkeit der Beschränkung der Erstattungsbeträge auf 80% des Vertragsarzttarifs; Zulässigkeit der Verteilung der durch die Inanspruchnahme eines Wahlarztes entstehenden Mehraufwendungen auf die Verursacher in pauschalierter Form; keine Gesetzwidrigkeit einer Regelung der Satzung der Tir Gebietskrankenkasse betreffend die Gewährung von Zuschüssen für den Fall medizinischer Notwendigkeit von vertraglich nicht vorgesehenen Leistungen; Gesetzwidrigkeit einer Bestimmung der Satzung der Stmk Gebietskrankenkasse betreffend die Berechnung des Kostenersatzes bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes; teilweise Zurückweisung der Anträge mangels Präjudizialität bzw mangels ausreichender Bezeichnung der aufzuhebenden Gesetzesstelle

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit Beschluß vom 10.5.1999 stellte das Landesgericht Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht den Antrag "der Verfassungsgerichtshof wolle gemäß Artikel 139 Abs1 B-VG die Bestimmung des §33 Abs2 in Verbindung mit Anhang 2 / Abschnitt I der Satzung der Salzburger Gebietskrankenkasse in der Fassung Amtliche Verlautbarung Nr. 66/1995, veröffentlicht in der Zeitschrift 'Soziale Sicherheit' Nr. 6/95 als gesetzwidrig aufheben".

1.1. Beim Landesgericht Salzburg sei ein Verfahren anhängig, bei dem der Kläger von der beklagten Salzburger Gebietskrankenkasse den vollen Ersatz für die Anfertigung eines - vom medizinischen Gutachter festgestellt: notwendigen - Gold-Onlays verlangt. Nach Einsicht in dieses zahnärztliche Gutachten habe die beklagte Partei das Vorliegen eines medizinisch begründeten Einzelfalles im Sinne des §33 Abs2 der Satzung der Salzburger Gebietskrankenkasse anerkannt und gem. Anhang 2 der Satzung einen Kostenzuschuß zusätzlich zu der bereits zuvor geleisteten Kostenerstattung geleistet.

Beide Teile hätten die Anwendung der Bestimmung des §33 Abs2 iVm Anhang 2, Abschnitt 1 der Satzung der Salzburger Gebietskrankenkasse außer Streit gestellt.

1.2. Seine Bedenken legt das antragstellende Gericht wie folgt dar:

"Gemäß §153 Abs1 ASVG ist Zahnbehandlung nach Maßgabe der Bestimmungen der Satzung der beklagten Partei zu gewähren. Bei Zahnersatz wird der Satzungsgeber durch §153 Abs2 ASVG erster Satz ermächtigt, auch für den Fall, daß es sich um einen unentbehrlichen Bedarf handelt, dem Versicherten nur einen Kostenbeitrag zu leisten oder - wie im Gesetz ausgedrückt - unentbehrlichen Zahnersatz unter Kostenbeteiligung des Versicherten zu gewähren. Daraus ergibt sich - kraft Umkehrschlusses -, daß für die Leistungsfälle der Zahnbehandlung nach dem zweiten Satz des §153 Abs1 ASVG dem Versicherten bei unentbehrlicher Zahnbehandlung eine Kostenbeteiligung nicht auferlegt werden darf. Daraus folgt aber auch, daß der Gesetzgeber bei der Regelung des §153 Abs1 erster und zweiter Satz ASVG nach dem gleichen Grundsatz vorgeht, der in §133 Abs2 ASVG für die Krankenbehandlung allgemein festgelegt wurde, nämlich, daß sich die Zahnbehandlung 'am Notwendigen' zu orientieren hat. Der Gesetzgeber knüpft also im Abschnitt über die Zahnbehandlung und den Zahnersatz an die für die Krankenbehandlung getroffenen Regelungen grundsätzlich an. Daher sind die für die Krankenbehandlung getroffenen Regelungen - wenn auch unter dem Gebot erforderlicher Anpassungen - auch für die Zahnbehandlung maßgeblich, somit auch §133 Abs2 ASVG. Daher dürfen Leistungen für medizinisch notwendige Zahnbehandlungen - wie im vorliegenden Fall - nicht beschränkt werden (vgl. ZAS 1994, 43).

Demnach verstößt §33 Abs2 und in der Folge auch Anhang 2, Abschnitt 1 der Satzung der SGKK gegen §153 Abs1 ASVG, weil er auch im medizinisch notwendigen Fall nur Zuschüsse in der Höhe nach Anhang 2 gewährt, obwohl bei richtiger Gesetzesausiegung für unentbehrlichen Bedarf voller Kostenersatz vorgesehen wäre.

Es bestehen sohin Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der angeführten Bestimmung in der Satzung der beklagten Partei, sodaß der vorliegende Antrag zu stellen war. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Prüfungsantrages liegen vor. Das Gericht hätte die betreffende Norm anzuwenden."

2.1. Die Salzburger Gebietskrankenkasse hat die auf die angefochtene Verordnung bezughabenden Akten vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der sie die Abweisung des Antrages begehrt. Nach umfangreichen Äußerungen zur Widerlegung der Bedenken des antragstellenden Gerichtes, bringt die Salzburger Gebietskrankenkasse zur Frage der Höhe des Kostenzuschusses folgendes vor:

"... Für jene Einzelfälle, in denen die satzungsmäßig und vertraglich vorgesehenen Sachleistungen aus medizinischen Gründen nicht erbracht werden können, sind Kostenzuschüsse in einem mehrfachen Ausmaß der Vertragstarife, die im Normalfall zur Abrechnung gelangen würden, vorgesehen, beispielsweise für ein Mehrflächeninlay ATS 2.240,00 (1995: ATS 1.760,00) im Vergleich zum Vertragstarif für eine Mehrflächenfüllung von ATS 439,00 (1995: ATS 418,00), oder für ein Onlay ATS 2.960,0 (1995: ATS 2.400,00) im Vergleich zum Vertragstarif für eine Höckerdeckung von ATS 670,00 (1995: ATS 645,00). ..."

2.2. Die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat eine Äußerung erstattet, die - gleich der im Verfahren zu hg V45/98 (betreffend den wortgleichen §33 Abs2 der Satzung der Tiroler Gebietskrankenkasse und des dortigen Anhanges 2) erstatteten Äußerung, die angefochtene Satzungsbestimmung verteidigt.

2.3. Der Kläger des arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahrens hat ebenfalls eine Äußerung erstattet, in der er den Bedenken des antragstellenden Gerichtes beitritt. Soweit er darüberhinaus weitere Bedenken vorträgt, ist darauf schon im Hinblick darauf nicht einzugehen, daß der Verfassungsgerichtshof an die Bedenken des antragstellenden Gerichtes gebunden ist (vgl. etwa VfSlg. 12592/1990 mwH).

3. Die angefochtenen Satzungsbestimmungen lauten:

§33 Abs2 der Satzung der Salzburger Gebietskrankenkasse idF Amtliche Verlautbarung Nr. 66/1995, SoSi 6/1995 lautet:

"(2) Insoweit im medizinisch begründeten Einzelfall (z.B. wegen nachgewiesener Allergien gegen Vertragsmaterialien) eine im Anhang 1 angeführte Leistung nicht erbracht werden kann, leistet die Kasse Zuschüsse nach Anhang 2. Die Kasse hat bei der Festsetzung der Höhe der Zuschüsse auf finanzielle Leistungsfähigkeit der Kasse und das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten Bedacht zu nehmen."

Anhang 2 Abschnitt I in dieser Fassung lautet:

"I. Konservierend-chirurgische Zahnbehandlung gemäß §33 Abs3

1. Inlays aus Gold oder Keramik

       a) Einflächenfüllung ...................... 1.200,00 S

       b) Zweiflächenfüllung ..................... 1.600,00 S

       c) Dreiflächen- oder Mehrflächenfüllung... 1.760,00 S

2. Onlay aus Gold oder Keramik (Höckerdeckung) ..... 2.400,00 S

3. Stiftverankerung pulpal gegossen ................   960,00 S"

4. Der Verfassungsgerichtshof hat über den Antrag des Landesgerichtes Salzburg erwogen:

4.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 9811/1983, 10.296/1984, 11.565/1987, 12.189/1989).

Der vom Landesgericht Salzburg gestellte Antrag auf Aufhebung des §33 Abs2 i.V.m. Anhang 2 Abschnitt I gründet nicht auf einer denkunmöglichen Anwendung dieser Bestimmungen im gerichtlichen Verfahren. Der Antrag ist daher, da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, zulässig.

4.2. In der Sache:

Der Verfassungsgerichtshof vermag die vom antragstellenden Gericht geäußerten Bedenken, daß §33 Abs2 iVm. Anhang 2, Abschnitt I der Satzung der Salzburger Gebietskrankenkasse gesetzwidrig wäre, weil er "auch im medizinisch notwendigen Fall nur Zuschüsse in der Höhe nach Anhang 2 gewährt, obwohl bei richtiger Gesetzesauslegung für unentbehrlichen Bedarf voller Kostenersatz vorgesehen wäre", nicht zu teilen:

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits im Erkenntnis vom 18.3.2000, G24/98 u.a. den zu V45/98 protokollierten Verordnungsprüfungsantrag des Oberlandesgerichtes Innsbruck abgewiesen und zur wortgleichen Bestimmung der Satzung der Tiroler Gebietskrankenkasse zum Kostenzuschuß bei außervertraglichen Leistungen im Bereich Zahnbehandlung und Zahnersatz in besonderen medizinischen Fällen ausgesprochen, daß er die vom Oberlandesgericht Innsbruck vorgetragenen Bedenken, die jenen des antragstellenden Gerichtes im Wesentlichen gleichen, nicht teilt.

Der Verfassungsgerichtshof sieht keinen Grund von der im zitierten Erkenntnis geäußerten Rechtsansicht, daß in der Satzung auch für den Fall medizinischer Notwendigkeit - bei Leistungen für die es keine vertraglichen Regelungen gibt und für die die Erbringung als Sachleistung nach dem Gesetz daher unzulässig ist - kein vollständiger Ersatz der tatsächlichen Kosten vorgesehen sein muß, im vorliegenden Fall abzugehen; dies v.a. auch deshalb, weil für den Fall medizinischer Notwendigkeit Zuschüsse vorgesehen sind, die sich - wie in Tirol - in der Höhe des vier- bis fünffachen des Tarifes für vergleichbare vertraglich vorgesehene Zahnfüllungen bewegen; auf die Begründung zu V45/98 sei daher, um Wiederholungen zu vermeiden, verwiesen. (Dieses Erkenntnis vom 18.3.2000, G24/98 u.a. ist der Erledigung angeschlossen.)

5. Der Antrag war daher abzuweisen.

6. Diese Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gem. §19 Abs4 VerfGG 1953 gefaßt werden.

Schlagworte

Sozialversicherung, Krankenversicherung, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Präjudizialität, Wahlarzt, Kostenersatz, Zahnbehandlung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:V62.1999

Dokumentnummer

JFT_09999374_99V00062_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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