TE Vfgh Beschluss 2000/6/26 G35/00

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Veröffentlicht am 26.06.2000
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Index

32 Steuerrecht
32/01 Finanzverfahren, allgemeines Abgabenrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
FinStrG §20, §23, §33
ZPO §63 Abs1 / Aussichtslosigkeit

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrages auf Aufhebung von Bestimmungen des Finanzstrafgesetzes betreffend die Festsetzung von Strafen mangels Legitimation; Gelegenheit zur Darlegung der Bedenken im Zuge eines anhängigen gerichtlichen Strafverfahrens; Abweisung des Verfahrenshilfeantrags als aussichtslos

Spruch

Der Antrag nach Art140 B-VG wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1.a) Mit seinem auf Art140 (Abs1 letzter Satz) B-VG gestützten Antrag vom 10. März 2000 begehrt der Einschreiter,

"(...) die §§20 Absatz 1, 23 Absatz 3 und 33 Absatz 5 FinStrG (BGBl-Nr. 129/1958, zuletzt geändert durch BGBl-Nr. 799/1993) als verfassungswidrig aufzuheben.

§20 Abs1 insofern aufzuheben, als diese Norm die Festsetzung einer Ersatzfreiheitsstrafe auch dann vorsieht, wenn auf Grund der Höhe der Geldstrafe von vornherein feststeht, daß der Täter auf Grund seiner finanziellen Verhältnisse die Geldstrafe nicht zahlen kann.

§23 Abs3 insofern aufzuheben, als in dieser Norm nicht zwingend vorgesehen ist, daß die persönlichen Verhältnisse und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Täters die Höhe der verhängten Geldstrafe begrenzen.

§33 Abs5 insofern aufzuheben, als diese Norm die Geldstrafe nicht auf ein vom Täter finanziell leistbares Maß begrenzt.

(...) Für den Fall, daß die Aufhebung in dem begrenzten Umfang nicht erfolgen kann, beantragt ...(der Einschreiter) die Normen zur Gänze aufzuheben."

b) §20 Abs1 Finanzstrafgesetz (FinStrG) normiert, daß dann, wenn auf eine Geldstrafe oder auf Wertersatz erkannt wird, zugleich die für den Fall der Uneinbringlichkeit an deren Stelle tretende Ersatzfreiheitsstrafe festzusetzen ist.

Gemäß §23 Abs3 FinStrG sind bei Bemessung der Geldstrafe auch die persönlichen Verhältnisse und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Täters zu berücksichtigen.

Dem §33 Abs5 FinStrG zufolge wird die Abgabenhinterziehung mit einer Geldstrafe bis zum Zweifachen des Verkürzungsbetrages (der ungerechtfertigten Abgabengutschrift) geahndet. Neben der Geldstrafe ist nach Maßgabe des §15 auf Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu erkennen.

2.a) Zur Antragslegitimation verweist der Einschreiter unter anderem darauf, daß er mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 31. August 1999 wegen der Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §33 Abs1 FinStrG sowie nach §33 Abs2 lita FinStrG (unter Anwendung des §21 Abs1 und 2 FinStrG) nach §33 Abs5 FinStrG zu einer Geldstrafe in Höhe von 2,000.000,-- S sowie für den Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt wurde.

Die vom Einschreiter gegen diese Entscheidung erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wurde mit Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 12. Jänner 2000 zurückgewiesen. Weiters ergriffen sowohl der Antragsteller als auch ein näher bezeichnetes Finanzamt gegen das Urteil Berufung an das Oberlandesgericht Wien. Mit Schriftsatz vom 30. März 2000 teilte der Einschreiter dem Verfassungsgerichtshof mit, daß in diesem Zusammenhang zwischenzeitig eine Berufungsverhandlung stattgefunden, das Oberlandesgericht Wien der Berufung des Finanzamtes Folge gegeben und die Geldstrafe auf 3,000.000,-- S sowie die Ersatzfreiheitsstrafe auf sechs Monate erhöht habe.

b) Der Antragsteller führt aus, daß die über ihn verhängte Geldstrafe "finanziell nicht aufzubringen" sei und er deshalb "so gut wie sicher mit einer 'unbedingten' Ersatzfreiheitsstrafe beschwert" wäre.

Er bringt vor, daß der Oberste Gerichtshof die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde damit begründet habe, daß sich der Beschwerdevorwurf im Kern gegen den Gesetzgeber wende. Beschwerdevorwürfe gegen den Gesetzgeber könnten aber nur beim Verfassungsgerichtshof geltend gemacht werden.

Zum Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Wien heißt es im Antrag, daß sich die Entscheidung dieses Gerichtes nicht mehr "mit der oben erwähnten Frage" (gemeint wohl: die vom Antragsteller relevierte Frage des Absehens von der Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe bzw. deren bedingter Nachsicht) befassen werde, sondern nur mehr mit einer allfälligen Korrektur der Strafhöhe. Ein Abwarten der Entscheidung dieses Gerichtes sei dem Einschreiter nicht zumutbar, weil der Vollzug der Haftstrafe in Kürze drohe. (Die oben erwähnte Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht Wien hatte im Zeitpunkt der Abfassung des Antrages an den Verfassungsgerichtshof noch nicht stattgefunden.)

       Aus diesen Überlegungen zieht der Einschreiter den Schluß,

daß er "... unmittelbar und aktuell in seiner Rechtssphäre getroffen

und in seinen verfassungsmäßig gewährleisteten Recht(en), namentlich

auf Schutz seiner persönlichen Freiheit und auf Gleichheit aller

Staatsbürger vor dem Gesetz unmittelbar verletzt" und seine

"Antragslegitimation ... daher gegeben" sei. Er legt näher dar, warum

er die angefochtenen Gesetzesstellen als verfassungswidrig erachtet.

II.    Der Antrag ist unzulässig:

1. Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, daß der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, daß das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, daß das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, daß das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zu Verfügung steht (VfSlg. 11.726/1988, 13.765/1994).

Im Zuge eines anhängigen gerichtlichen Strafverfahrens bestand bzw. besteht für den Einschreiter Gelegenheit, seine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Gesetzesstellen darzulegen und bei dem in dieser Rechtssache zuständigen Gericht zweiter Instanz (das ist hier offensichtlich das Oberlandesgericht Wien) die Stellung eines Antrages auf Gesetzesprüfung nach Art140 B-VG anzuregen. Das Gericht wäre - sofern es (gleich dem Antragsteller) Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Normen hegt(e) - gemäß Art89 Abs2 zweiter Satz B-VG zur entsprechenden Anrufung des Verfassungsgerichtshofes verpflichtet (gewesen) (s. zB. VfSlg. 11.890/1988, 12.804/1991, 12.812/1991, 14.672/1996 und 15.262/1998 - alle in Zusammenhang mit gerichtlichen Strafverfahren). Außergewöhnliche Umstände, welche die Einbringung eines Individualantrages ausnahmsweise dennoch zulässig machen könnten, liegen im vorliegenden Fall nicht vor. Daran vermag auch der vom Einschreiter ins Treffen geführte Umstand nichts zu ändern, daß der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe in Kürze drohe.

Ob und inwieweit ein Gericht die Bedenken teilt, welche die Partei des bei ihm anhängigen Verfahrens ob der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzesbestimmungen vorträgt, ist für die Frage der Zulässigkeit eines Individualantrages nicht ausschlaggebend (s. zB. VfSlg. 8552/1979, 11.890/1988).

2. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß der Oberste Gerichtshof in seinem Beschluß über die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde (s.o. I.2.a) unter Bezugnahme auf die Anregung des Angeklagten, den Verfassungsgerichtshof anzurufen, folgende Feststellung getroffen hat:

"Zur Herantragung der Sache an den Verfassungsgerichtshof findet sich kein Grund, sieht doch der Verfassungsgesetzgeber selbst (unter Berücksichtigung der Art5 Abs1 und 6 Abs1 MRK) die Verhängung von Ersatzfreiheitsstrafen sogar durch Verwaltungsbehörden vor (Art3 PersFrG)."

3. Der Antrag nach Art140 B-VG ist schon allein aus den unter Pkt. II.1 dargelegten Erwägungen gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG wegen Fehlens der Antragslegitimation ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

III. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist bei diesem Ergebnis mangels Erfüllung der Voraussetzungen des §63 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG - gleichfalls in nichtöffentlicher Sitzung (§72 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG) - abzuweisen.

Schlagworte

Finanzstrafrecht, Strafbemessung, VfGH / Individualantrag, VfGH / Verfahrenshilfe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:G35.2000

Dokumentnummer

JFT_09999374_00G00035_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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