TE Vfgh Beschluss 2000/6/26 G39/00

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Veröffentlicht am 26.06.2000
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Index

25 Strafprozeß, Strafvollzug
25/01 Strafprozeß

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
StPO §90c

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung der StPO über den Rücktritt von der Verfolgung nach Zahlung eines Geldbetrages mangels behaupteter unmittelbarer Ausschlußwirkung hinsichtlich anderer Möglichkeiten einer diversionellen Erledigung der Strafsache des Antragstellers

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Gegen den Antragsteller wurde - gemäß einer seinem Antrag beiliegenden "Mitteilung" der Staatsanwaltschaft Innsbruck - von der Bundespolizeidirektion Innsbruck Strafanzeige wegen des Vergehens nach §88 Abs1 StGB infolge eines vom Antragsteller verschuldeten Verkehrsunfalles erhoben.

2. Mit der zitierten Mitteilung der Staatsanwaltschaft Innsbruck vom 11.4.2000 wurde dem Antragsteller (gem. §90c Abs4 StPO) mitgeteilt, daß ein Strafverfahren wegen dieses Tatvorwurfes unterbleibe, wenn er (im Rahmen der Diversion) einen bestimmten Geldbetrag zahlen würde.

3. Mit dem am 28.4.2000 beim Verfassungsgerichtshof eingelangten Individualantrag begehrt der Antragsteller die Aufhebung des §90c StPO, da er "durch die angefochtene Bestimmung unmittelbar in (s)einen subjektiven Rechten (siehe dazu unten IV) verletzt" werde. Die angefochtene Bestimmung sei nach den einschlägigen Bestimmungen der StPO ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung und ohne Erlassung eines Bescheides für ihn wirksam geworden; er habe keinen anderen Weg, um die durch die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmung bewirkte Rechtsverletzung abzuwehren. Unter Punkt IV bringt der Antragsteller vor, daß die "Konstruktion des §90c Abs4 StPO" darauf "hinauszulaufen" scheine, daß "der Betroffene in seinen subjektiven Rechten grundsätzlich nicht verletzt werden kann, weil er entweder der Zahlung des Geldbetrages zustimmt oder die Maßnahme der Diversion ersatzlos außer Kraft tritt, wenn er die Zahlung verweigert". Dennoch bedeute die Entscheidung des Bezirksanwaltes, die Diversion nach §90c StPO anzuordnen, einen Eingriff in seine subjektiven Rechte, da ihm durch die Anordnung des Staatsanwaltes, gem. §90c StPO einen bestimmten Geldbetrag zu entrichten, die im Gesetz gleichfalls vorgesehene mildere Form der Diversion nach §90f StPO (Rücktritt von der Verfolgung nach einer Probezeit) entzogen werde. Er könne die "im Gesetz gleichfalls vorgesehene mildere Form der Diversion des §90f StPO unter keinen Umständen erlangen ..., selbst wenn die rechtlichen Voraussetzungen dafür gegeben wären". Die Mitteilung des Staatsanwaltes gestalte seine Rechtssphäre; er werde überdies in seinem aus §90a StPO ableitbaren subjektiven Recht auf eine "tat- und verschuldensangemessene Behandlung durch den Staatsanwalt" verletzt.

Darüber hinaus wirft der Antragsteller dem §90c StPO Verfassungswidrigkeit infolge der Verletzung von verschiedenen Grundrechten (Gleichheitsgrundsatz, Grundrecht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, verfahrensrechtliche Grundrechte gem. Art6 EMRK), wegen der Verletzung des Rechtsstaatsprinzipes, wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz des Anklageprozesses sowie wegen der Verletzung der Kompetenzverteilung vor.

4. Der Antrag ist unzulässig:

4.1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 10.353/1985, 11.730/1988).

4.2. Die Behauptungen des Antragstellers zur Darlegung seiner unmittelbaren Betroffenheit in subjektiven Rechten (die gleichzeitig auch Grundlage der vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die bekämpfte Norm sind), daß schon durch die Zustellung der Mitteilung des Staatsanwaltes gem. §90c StPO für den Antragsteller weniger belastende Formen der Diversion (wie zB die vorläufige Einstellung des Verfahrens unter Setzung einer Probezeit gem. §90f StPO) ausgeschlossen seien, treffen nicht zu:

Die vom Antragsteller selbst erwogene Möglichkeit, vom "Angebot" der Staatsanwaltschaft durch Nichtzahlung der Geldbuße keinen Gebrauch zu machen, führt nämlich - gegebenenfalls - zur Einleitung des gerichtlichen Strafverfahrens, im Zuge dessen dem Gericht gem. §90b StPO (neuerlich) alle Varianten der diversionellen Erledigung des Strafverfahrens offenstehen, welcher Gesichtspunkt für sich allein den Behauptungen des Antragstellers den Boden entzieht. In diesem Verfahren ist dem Antragsteller überdies die Möglichkeit eröffnet, durch einen Antrag auf Einstellung des Strafverfahrens im Wege der Diversion eine Entscheidung über diesen Antrag herbeizuführen und diese Entscheidung, wenn sie vor der Hauptverhandlung gefällt wird, mit Beschwerde an das übergeordnete Gericht, andernfalls mit Rechtsmitteln gegen ein ungeachtet des Einstellungsantrages allenfalls ergangenes Strafurteil gem. §281 Abs1 Z. 4 und §10a StPO bzw gem. §345 Abs1 Z. 5 und §12a StPO zu bekämpfen (vgl. dazu auch die Erläuterungen zur RV, 1581 Blg. stenProt NR XX.GP, 29f).

5. Da der vom Antragsteller bekämpften Gesetzesbestimmung in Verbindung mit der Mitteilung der Staatsanwaltschaft somit die behauptete unmittelbare Ausschlußwirkung hinsichtlich anderer Möglichkeiten einer diversionellen Erledigung der Strafsache des Antragstellers nicht zukommt, eine unmittelbare Wirkung in anderer Hinsicht aber nicht behauptet wurde, erweist sich der Antrag bereits aus dem Grund der fehlenden Antragslegitimation als unzulässig, ohne daß weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen geprüft zu werden brauchen.

6. Der Antrag war daher ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gem. §19 Abs3 Z2 lite VerfGG zurückzuweisen, ohne daß auf die weiteren Prozeßvoraussetzungen einzugehen war.

Schlagworte

Strafprozeßrecht, Diversion, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:G39.2000

Dokumentnummer

JFT_09999374_00G00039_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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