TE Vwgh Erkenntnis 2003/12/19 2000/02/0036

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Veröffentlicht am 19.12.2003
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §46 Abs1 idF 1997/I/139;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel-Lanz, über die Beschwerde des AS in Graz, vertreten durch Mag. Hermann Kienast, Rechtsanwalt in Graz, Friedrichgasse 6/IV, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 20. Dezember 1999, Zl. LGS600/RALV/1218/1999- Dr.Puy/S, betreffend Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Dem Beschwerdeführer wurde am 28. September 1999 von der Regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Graz (kurz: AMS Graz) ein Formular für die Stellung eines Antrags auf Notstandshilfe ausgehändigt. Unter der Rubrik "Was ist zu tun?" wird in dem Formular u.a. Folgendes ausgeführt:

"1. Bitte füllen Sie diesen Antrag vollständig aus, damit wir Ihren Anspruch richtig berechnen können.

2. Bringen Sie zum Nachweis der Angaben die Dokumente aus der Checkliste (siehe Seite 6) mit. ....

3. Geben Sie den Antrag am genannten Termin bzw. innerhalb der angegebenen Frist persönlich ab.

Arbeitsmarktservice

Service Versicherungsleistungen

Ort: Graz/ 4.Stk./Zi. 4010

am 5.10.1999 bis spätestens .....(diese Spalte blieb unausgefüllt)

Wichtig: Sollten Sie die Frist nicht einhalten können, vereinbaren Sie rechtzeitig eine Terminverlängerung, ansonsten kann die Leistung erst ab dem Tag gewährt werden, an dem Sie den Antrag abgeben.

....."

Dieser Antrag wurde vom Beschwerdeführer am 6. Oktober 1999

beim AMS Graz abgegeben.

Ferner findet sich in den Verwaltungsakten eine mit dem Beschwerdeführer am 6. Oktober 1999 vom AMS Graz aufgenommene Niederschrift betreffend "Verspätete Antragsrückgabe". Darin wird ausgeführt:

"Bezüglich der verspäteten Abgabe meines Antrages auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung mache ich folgende Gründe als Nachsichtsgründe geltend:

Ich musste am 5.10.99 als Fahrlehrer bei Fahrschulprüfungen teilnehmen (festgelegter Zeitraum war von 8.00 bis 11.30 Uhr). Auf Grund der Tatsache, dass einige für die Prüfung erforderlichen Akte erst beigeschafft werden mussten, gab es eine enorme Zeitverschiebung, d.h. Ende der Prüfung war erst ca. 15.00 Uhr. Des Weiteren gebe ich bekannt, dass ich vormittags versuchte, Herrn W zu erreichen, dies gelang mir aber nicht. Ab ca. 11.30 war der Anrufbeantworter eingeschaltet, worauf ich um Rückruf bat. Ich erreichte um ca. 11.45 Uhr Hr. D, der mir dann mitteilte, dass der Termin entschuldigt sei! (Ich hatte bei Hr. D. auch am 5.10.99 um 14.00 Uhr einen Termin bezüglich JAS). Daraufhin meldete sich Hr. W um ca. 12.15 telefonisch bei mir, der mir mitteilte, dass ich meinen Antrag jeweils von 08.00 bis 12.00 Uhr abgeben könne und verwies mich daher auf den 6.10.99. An diesem Tag sollte ich die Fristversäumnis mit Fr. List abklären. Ich verstand dies so, dass die Nichteinhaltung d. Termines zur Antragsabgabe als verlängert gilt."

Mit Bescheid des AMS Graz vom 19. Oktober 1999 wurde gemäß § 17 in Verbindung mit den §§ 44 und 46 AlVG festgestellt, dass dem Beschwerdeführer ab dem 6. Oktober 1999 "das Arbeitslosengeld" gebührt.

In der Begründung dieses Bescheides wird ausgeführt, der Beschwerdeführer habe in der Niederschrift vom 6. Oktober 1999 "keine berücksichtigungswürdigen Umstände" geltend gemacht.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.

Mit Bescheid vom 20. Dezember 1999 gab die belangte Behörde der Berufung nicht statt und stellte den erstinstanzlichen Bescheid dahingehend richtig, dass gemäß § 17 in Verbindung mit den §§ 46 und 58 AlVG die Notstandshilfe ab 6. Oktober 1999 gebührt.

In der Begründung dieses Bescheides wird u.a. ausgeführt, es sei unbestritten, dass der Beschwerdeführer seinen Anspruch auf Notstandshilfe am 28. September 1999 bei der Regionalen Geschäftsstelle des AMS Graz geltend gemacht und ein Antragsformular ausgehändigt bekommen habe, auf welchem vermerkt sei, dass er den Antrag am 5. Oktober 1999 abzugeben habe. Unbestritten sei weiters, dass der Beschwerdeführer diesen Antrag nicht am 5. Oktober 1999, sondern erst am 6. Oktober 1999 abgegeben und an diesem Tag als Grund für die verspätete Antragsrückgabe seine Tätigkeit in einer Fahrschule angegeben habe. Dieser Grund könne nicht als triftiger Grund im Sinne des AlVG angesehen werden. Was als triftig anzusehen sei, erkläre das Gesetz nicht. Es sei vielmehr ein unbestimmter Gesetzesbegriff, der im Zusammenhang mit dem Zweck des Gesetzes bzw. der Intention des Gesetzgebers ausgelegt werden müsse. Triftig werde zweifellos ein Grund sein, der es dem Antragsteller unmöglich mache, zum vereinbarten Termin vorzusprechen, so z.B. wenn er krankheitsbedingt nicht persönlich erscheinen könne. Desgleichen werde bei einem unvorhersehbaren Ereignis im Sinne von "vis maior", wie z.B. bei einer Katastrophe, einem Verkehrsunfall etc. von einem triftigen Grund gesprochen werden können und speziell auch dann, wenn die Verhinderung auf einen Umstand zurückzuführen sei, der der Beendigung der Arbeitslosigkeit diene, wie z.B. Abwesenheit infolge auswärtiger Arbeitssuche oder ein Vorstellungsgespräch zum gleichen Zeitpunkt.

Die Verhinderung sei jedoch nicht infolge vis maior, sondern aus einem Grund erfolgt, der es dem Beschwerdeführer infolge einer Beschäftigung, durch die seine Dispositionsfähigkeit eingeschränkt worden sei, unmöglich gemacht habe, seinen Pflichten als potentieller Bezieher von Notstandshilfe nachzukommen. Praktisch sei er durch seine Beschäftigung an diesem Tag "dem Arbeitsmarkt" nicht zur Verfügung gestanden, habe er doch nach seinen eigenen Angaben von ca. 08.00 Uhr bis ca. 15.00 Uhr bei seinem Dienstgeber Dienst versehen und es könne daher an diesem Tag von einer Tätigkeit im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses (bei welchem der Arbeitsumfang und die Arbeitszeiten von vornherein bestimmt sein müssten) nicht mehr gesprochen werden. Sei die Abgabe des Antrags durch einen Grund verhindert worden, der den Anspruch auf eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung überhaupt ausschließe, so könne nicht von einem triftigen Grund im Sinne des AlVG gesprochen werden.

Den Ausführungen des Beschwerdeführers, die Setzung eines Termines sei keine Frist im Sinne des § 46 Abs. 1 AlVG, könne nicht gefolgt werden; der 5. Oktober 1999 sei das Ende der Frist (der Anfang der Tag der Geltendmachung) und somit ein Teil derselben. Abgesehen davon könne man auch von einer Frist sprechen, wenn eine Handlung in der Zeit von 08.00 Uhr bis 12.00 Uhr zu setzen sei, also innerhalb einer bestimmten Zeitspanne. Von einer "gesetzesändernden Auslegung" könne daher nicht gesprochen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

§ 46 Abs. 1 AlVG, zuletzt geändert durch Art. V Z. 13 der Novelle BGBl. I Nr. 139/1997, lautet:

"Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ist vom Arbeitslosen persönlich bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle geltend zu machen. Für die Geltendmachung des Anspruches ist das hiefür bundeseinheitlich aufgelegte Antragsformular zu verwenden. Der Anspruch gilt erst dann als geltend gemacht, wenn das Antragsformular innerhalb der von der regionalen Geschäftsstelle festgesetzten Frist bei der regionalen Geschäftsstelle persönlich abgegeben wurde. Hat der Arbeitslose die von der regionalen Geschäftsstelle festgesetzte Frist zur Abgabe des Antrages ohne triftigen Grund versäumt, so ist der Anspruch erst ab dem Tag zu beurteilen, an dem der Antrag bei der regionalen Geschäftsstelle abgegeben wurde. Über die Abgabe des Antrages ist dem Antragsteller eine Bestätigung auszustellen. Die Abgabe des Antrages kann auch durch einen Vertreter erfolgen, wenn der Arbeitslose aus zwingenden Gründen, wie Arbeitsaufnahme oder Krankheit, verhindert ist, den Antrag persönlich abzugeben. Die Solidaritätsprämie kann jedenfalls durch einen Vertreter beantragt werden."

Die beschwerdeführende Partei wendet u.a. ein, § 46 Abs. 1 AlVG spreche ausdrücklich von der Pflicht der regionalen Geschäftsstelle des AMS, für die Abgabe eines Antrags eine Frist zu bestimmen. Eine derartige Frist sei von der regionalen Geschäftsstelle nie festgesetzt worden. Wenn aber in "eigenwilliger gesetzesabändernder Auslegung durch das AMS" - selbst aus einer innerbetrieblich möglicherweise vorhandenen organisatorischen Notwendigkeit heraus - statt einer Frist, die dem Antragsteller einen größeren zeitlichen und daher leichter einzuhaltenden Dispositionsfreiraum offen lasse, ein bestimmter Termin festgesetzt werde, so sei als Ausgleich für die Einbuße an organisatorischer Dispositionsfähigkeit auf Seiten des Antragstellers wohl eine "extensive Auslegung der Termineinhaltungspflicht des Antragstellers" vorzunehmen. Dies insbesondere dann, wenn der Antragsteller rechtzeitig , das heiße ab dem Zeitpunkt der Kenntnis der Verhinderungstatsache, Gründe für die Nichteinhaltung des bestimmten Termins vorbringe oder - wie im vorliegenden Fall - gar durch höhere Gewalt an der Wahrnehmung des Termins gehindert gewesen sei.

Die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid davon aus, dass der Beschwerdeführer auf Grund des im Antragsformular festgesetzten Termins verpflichtet gewesen wäre, dieses Formular am 5. Oktober 1999 beim AMS Graz persönlich abzugeben. Unbestritten geblieben ist, dass die Abgabe dieses Formulars an diesem Tag nur während der Zeit von 08.00 bis 12.00 Uhr möglich war. Der Beschwerdeführer behauptete ferner bereits in seiner Berufung, dass ihm auf Anfrage vom AMS mitgeteilt worden sei, dass er seinen Antrag nicht schon vorher, "also etwa am 4.10.1999" abgeben könne, sondern es aus "organisatorischen Gründen des Kundenverkehrs" nur möglich sei, "einen bestimmten Termin dafür zu vergeben und dieser vermerkte Termin ... auch eingehalten werden" müsse.

Zunächst sei klargestellt, dass § 46 Abs. 1 dritter Satz AlVG die Wendung "innerhalb der von der regionalen Geschäftsstelle festgesetzten Frist" enthält und dieser Begriff im textlichen Zusammenhang mit der erforderlichen Verwendung eines bestimmten, bundeseinheitlich aufgelegten Antragsformulars so zu verstehen ist, dass die Frist ab Ausfolgung des Formulars bis zu einem bestimmten, von der regionalen Geschäftsstelle festzusetzenden Endtermin läuft. Auch eine frühere Abgabe des Antragsformulars - etwa einen Tag vor Fristablauf - muss daher auf Grund dieser Bestimmung möglich sein.

Der Beschwerdeführer machte - nicht zuletzt wegen der auf wenige Stunden am Vormittag des 5. Oktober 1999 eingeschränkten Möglichkeit zur Abgabe des gegenständlichen Antragsformulars - im Zusammenhang mit der von ihm behaupteten, seitens der regionalen Geschäftsstelle nicht zugelassenen früheren Abgabe dieses Formulars entgegen der Auffassung der belangten Behörde sehr wohl einen "triftigen Grund" für die verspätete Abgabe des Antragsformulars im Sinne des § 46 Abs. 1 vierter Satz AlVG geltend, zumal für ihn auf Grund der von ihm behaupteten Ereignisse nicht vorhersehbar gewesen sein konnte, dass die dargelegten Probleme, die zu einer nicht geplanten langen Dauer seiner Beschäftigung an diesem Tag führten, auftreten würden. Bei der Prüfung des Vorliegens von triftigen Gründen ist jedoch unbeachtlich - wie die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides vermeint - , ob allenfalls auf Grund dieser Beschäftigung etwa für den 5. Oktober 1999 kein Leistungsanspruch auf Notstandshilfe gegeben war.

Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage von vornherein das Vorliegen eines triftigen Grundes im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer geltend gemachte "dienstliche Verhinderung" ausschloss, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Auf Grund dieses Ergebnisses erübrigt sich auch ein näheres Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 19. Dezember 2003

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5Besondere RechtsgebieteAuslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2000020036.X00

Im RIS seit

26.01.2004

Zuletzt aktualisiert am

04.08.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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