TE Vwgh Erkenntnis 2004/3/17 2001/08/0025

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Veröffentlicht am 17.03.2004
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Index

E3R E05204020;
E6J;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art14 Abs1 litc subliti;
31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art14 Abs2 litb subliti;
31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art14 Abs2 litc subliti;
61992CJ0419 Scholz VORAB;
61993CJ0425 Andresen VORAB;
ASVG §11 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Dipl.- Ing. W in K, vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 9/II, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 15. Dezember 2000, Zl. Vd-SV-1001- 3-4/3/Br, betreffend Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pensionsversicherung (mitbeteiligte Partei: Tiroler Gebietskrankenkasse, Klara-Pölt-Weg 2, 6021 Innsbruck), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen von folgendem unstrittigen Sachverhalt aus:

Das Beschäftigungsverhältnis des Beschwerdeführers zur B GmbH in K endete per 31. Dezember 1998. Die Pflichtversicherung nach dem ASVG wurde für die Zeit des Bezuges einer Ersatzleistung für Urlaubsentgelt (Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung) bis zum 7. Juli 1999 weiter durchgeführt.

Per 1. Jänner 1999 trat der Beschwerdeführer in ein Beschäftigungsverhältnis zur B GmbH F. Auf Grund dieses Beschäftigungsverhältnisses unterlag er ab diesem Zeitpunkt dem Sozialversicherungssystem der Bundesrepublik Deutschland, nach welchem er in der Kranken- und Pensionsversicherung pflichtversichert ist. Der Beschwerdeführer nahm auch Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland.

Der Beschwerdeführer beantragte mit Schreiben an die Mitbeteiligte vom 26. März 2000 die Erstattung der im Zeitraum 1. Jänner bis 7. Juli 1999 in Österreich entrichteten Sozialversicherungsbeiträge. Im Anschluss an die Darstellung des unstrittigen Sachverhaltes führte er aus, die Periode 1. Jänner bis 7. Juli 1999 stelle eine unnötige und in keiner Weise nutzbare Doppelversicherungsphase dar.

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse stellte mit Bescheid vom 26. Mai 2000 fest, dass dem Beschwerdeführer keine Beiträge in der Kranken- und Pensionsversicherung zu erstatten seien. In der Begründung wurde dazu ausgeführt, die §§ 70 und 70a ASVG bezögen sich hinsichtlich der Möglichkeit der Anrechnung für die Höherversicherung bzw. Erstattung von Beiträgen in der Pensions- oder Krankenversicherung ausdrücklich auf mehrfache Beitragszahlungen aus mehrfacher Pflichtversicherung "nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz". Diese Bestimmungen seien daher auf das Zusammentreffen mehrerer inländischer Sozialversicherungsverhältnisse beschränkt. Dem gegenüber sei weder aus der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, noch aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über soziale Sicherheit eine Zusammenrechnung der entrichteten Sozialversicherungsbeiträge staatenübergreifend mit anschließender Beitragserstattungsmöglichkeit vorgesehen.

Der Beschwerdeführer erhob Einspruch. Darin wies er neuerlich darauf hin, dass die Periode 1. Jänner bis 7. Juli 1999 eine unnötige und in keiner Weise nutzbare Doppelversicherung darstelle. In Anbetracht des Bestehens von "Versicherungsabkommen mit Deutschland", nach denen Pensionsversicherungszeiten angerechnet würden, erscheine ihm die analoge Anerkennung einer deutschen Sozialversicherungsmitgliedschaft bei der Beurteilung des Vorliegens von mehrfacher Pflichtversicherung gemäß den §§ 70 und 70a ASVG als einzig gerechte Vorgehensweise. Weiters wiederholte er seine im Antrag niedergelegte Auffassung, dass die Nicht-Rückerstattung unter Berufung auf österreichische Gesetze eine eindeutige Schlechterstellung für den Fall des parallelen Bestehens von in- und (EU-)ausländischen Versicherungsverhältnissen darstelle und das Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes und Freizügigkeit innerhalb der EU verletze.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde der Einspruch als unbegründet abgewiesen. Die belangte Behörde schloss sich der Auffassung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse an.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Rückerstattung von Beiträgen aus der Kranken- und Pensionsversicherung verletzt. Er hält seinen im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Standpunkt aufrecht.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte unter Abstandnahme von der Erstattung einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet.

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse erblickte im Schreiben des Beschwerdeführers vom 26. März 2000 nur einen Antrag auf Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pensionsversicherung gemäß den §§ 70 und 70a ASVG. Ihrer Auffassung, dass sich diese Bestimmungen nur auf Beschäftigungsverhältnisse im Inland beziehen, hielt der Beschwerdeführer entgegen, dass diesfalls die Bestimmungen sein Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EU verletzten. Die belangte Behörde replizierte, dass sich auch aus der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, aber auch aus dem bilateralen Sozialversicherungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich keine Beitragserstattungsmöglichkeit ergebe.

Dem ist Folgendes entgegenzuhalten:

Zunächst ist festzuhalten, dass der Antrag des Beschwerdeführers eindeutig auf die Rückerstattung von Beiträgen abzielte. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hätte daher diesen Antrag nicht nur unter dem Gesichtspunkt der §§ 70 und 70a ASVG, sondern auch unter jenem des § 69 ASVG zu prüfen gehabt. Der Beschwerdeführer behauptet nämlich, die Beiträge seien zu Unrecht eingehoben worden. Er strebt damit die Rückforderung der entrichteten Beiträge schlechthin an und nicht nur die Beiträge, die wegen Überschreitung der Höchstbeitragsgrundlage gemäß den §§ 70 und 70a ASVG zu erstatten seien. Bei der anzustellenden Prüfung hatte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse als Vorfrage die Zulässigkeit der Verlängerung der Pflichtversicherung zu beurteilen.

Der EuGH hat insbesondere im Urteil vom 23. Februar 1994 in der Rechtssache C-419/92, Scholz (Slg. 1994, I-0505, Randnr. 9) ausgeführt, dass jeder Gemeinschaftsbürger, der von seinem Recht auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer Gebrauch gemacht und in einem anderen Mitgliedstaat eine Berufstätigkeit ausgeübt hat, unabhängig von seinem Wohnort und seiner Staatsangehörigkeit unter die genannten Vorschriften fällt.

Der Beschwerdeführer stand bis 31. Dezember 1998 in Österreich und ab 1. Jänner 1999 in der Bundesrepublik Deutschland in einem Beschäftigungsverhältnis. Er behauptet, jeweils in dem Land seiner Berufsausübung seinen Wohnsitz gehabt zu haben. Somit ist die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, beachtlich. Diese legt im Art. 13 Abs. 1 fest, dass nur eine Rechtsordnung bzw. die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats Anwendung finden. Für die Beantwortung der Frage, welche Rechtsvorschriften das sind, wird in Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a) als Ausgangspunkt das Beschäftigungslandprinzip zu Grunde gelegt. Dieser Grundsatz steht unter dem Vorbehalt, dass die folgenden Art. 14 bis 17 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 nichts anderes bestimmen. In diesem Zusammenhang sieht Art. 14 Sonderregelungen vor. Diese Bestimmung lautet samt Überschrift, soweit sie im Beschwerdefall von Bedeutung ist, wie folgt:

"Sonderregelungen

(1) Vom Grundsatz des Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a) gelten folgende Ausnahmen und Besonderheiten:

...

c) Ein Arbeitnehmer, der nicht im internationalen Verkehrswesen beschäftigt wird und seine Tätigkeit gewöhnlich im Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausübt, unterliegt:

i) den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet er wohnt, wenn er seine Tätigkeit zum Teil im Gebiet dieses Staates ausübt oder wenn er für mehrere Unternehmen oder mehrere Arbeitgeber tätig ist, die ihren Sitz oder Wohnsitz im Gebiet verschiedener Mitgliedstaaten haben;

..."

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 16. Februar 1995 in der Rechtssache C-425/93, Andresen (Slg. 1995, I-0269) zu dieser Bestimmung (damals: Art. 14 Pkt. 2 Buchstabe b) Ziffer i)) ausgeführt, dass die Situation eines Arbeitnehmers, der in einem Mitgliedstaat wohnt und ausschließlich von einem Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt wird und der im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses einen Teil seiner Tätigkeit regelmäßig im Umfang von mehreren Stunden pro Woche während eines Zeitraums, der nicht auf 12 Monate beschränkt ist, in dem erstgenannten Mitgliedstaat ausübt, unter Art. 14 Abs. 2 Buchstabe b) Ziffer i) der genannten Verordnung fällt, sodass der Betroffene den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates unterliegt, in dessen Gebiet er wohnt. Weiters hat der EuGH in diesem Urteil (Randnr. 9) ausgesprochen, dass die Bestimmungen des Titels II dieser Verordnung ein vollständiges und einheitliches System von Kollisionsnormen darstellen, das bezweckt, die Arbeitnehmer, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, dem System der sozialen Sicherheit eines einzigen Mitgliedstaates zu unterwerfen, sodass die Kumulierung anwendbarer nationaler Vorschriften und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, vermieden werden. Der Begriff "Tätigkeit" im Sinne von Art. 14 Pkt. 2 Buchstabe b) Ziffer i) der Verordnung schließt den Begriff "im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt" ein.

Bei Zutreffen der Behauptung des Beschwerdeführers, er habe bereits im Zeitraum vom 1. Jänner bis 7. Juli 1999 seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland unterhalten, wäre er in diesem Zeitraum ausschließlich den Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland unterlegen, weil er in deren Gebiet wohnte und dort für den Arbeitgeber B GmbH F "tätig" war. Die Durchführung der Pflichtversicherung oblag daher ausschließlich den Behörden der Bundesrepublik Deutschland. Der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse stand daher keine Befugnis zu, die Pflichtversicherung des Beschwerdeführers im gegenständlichen Zeitraum durchzuführen. Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, sodass dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das Begehren auf Ersatz der Stempelgebühr war zufolge der auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren geltenden sachlichen Abgabenbefreiung (§ 110 ASVG) abzuweisen.

Wien, am 17. März 2004

Gerichtsentscheidung

EuGH 61992J0419 Scholz VORAB
EuGH 61993J0425 Andresen VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001080025.X00

Im RIS seit

03.05.2004

Zuletzt aktualisiert am

15.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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