TE Vfgh Erkenntnis 2000/10/4 V20/00

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Veröffentlicht am 04.10.2000
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/03 Ärzte, sonstiges Sanitätspersonal

Norm

B-VG Art18 Abs2
ÄrzteG §79
GeschäftsO des Beschwerdeausschusses der Ärztekammer für Tirol vom 19.12.79 §6 Abs1

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit einer Bestimmung der Geschäftsordnung des Beschwerdeausschusses der Ärztekammer für Tirol hinsichtlich des Anwesenheitsquorums für die Beschlußfassung

Spruch

§6 Abs1 der Geschäftsordnung des Beschwerdeausschusses der Ärztekammer für Tirol, beschlossen in der Vollversammlung vom 19.12.1979, genehmigt mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 29.1.1980, Zl. Vd-San-12/2-80, kundgemacht als Beilage im Kammermitteilungsblatt Nr. 3/4 vom März/April 1980, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B2820/97 die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde eines Arztes gegen einen Bescheid des Beschwerdeausschusses der Ärztekammer für Tirol vom 5.11.1997 anhängig, mit dem dem Antrag des Arztes auf Aufnahme als Mitglied in den Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Tirol mit näherer Begründung keine Folge gegeben wurde.

Der Beschwerdeführer behauptet durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden zu sein und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides.

2. Aus Anlaß des Beschwerdeverfahrens sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des §6 Abs1 der Geschäftsordnung des Beschwerdeausschusses der Ärztekammer für Tirol, beschlossen in der Vollversammlung vom 19.12.1979, genehmigt mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 29.1.1980, Zl. Vd-San-12/2-80, kundgemacht als Beilage im Kammermitteilungsblatt Nr. 3/4 vom März/April 1980, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 29.2.2000 gemäß Art139 Abs1 B-VG beschlossen, die Gesetzmäßigkeit dieser Vorschrift von Amts wegen zu prüfen.

3. Die einschlägigen Rechtsvorschriften des hier noch anzuwendenden Ärztegesetzes 1984 und der Geschäftsordnung lauten wie folgt:

3.1. §79 ÄrzteG 1984 lautete auszugsweise:

"(5) Der Beschwerdeausschuß besteht aus einem Vorsitzenden und vier weiteren Mitgliedern. Für den Vorsitzenden und die Mitglieder sind Stellvertreter zu bestellen. Von der Vollversammlung sind für die Dauer ihrer Funktionsperiode der Vorsitzende und sein Stellvertreter mit unbedingter Stimmenmehrheit, die weiteren Mitglieder und deren Stellvertreter in je einem Wahlgang nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts, jeweils aus dem Kreis der Kammerangehörigen zu wählen. Die Mitglieder des Beschwerdeausschusses dürfen dem Kammervorstand, dem Verwaltungsausschuß und dem Überprüfungsausschuß nicht angehören.

(6) Der Beschwerdeausschuß entscheidet mit einfacher Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Eine Stimmenthaltung ist nicht zulässig. Der Vorsitzende stimmt zuletzt ab. Die Entscheidungen des Beschwerdeausschusses sind endgültig und können durch ein ordentliches Rechtsmittel nicht angefochten werden.

(7) Für das Verfahren vor dem Verwaltungsausschuß und dem Beschwerdeausschuß ist das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG 1950) anzuwenden."

3.2. Der in Prüfung gezogene §6 Abs1 der Geschäftsordnung des Beschwerdeausschusses der Ärztekammer für Tirol lautet:

"§6 (1) Der Beschwerdeausschuß ist beschlußfähig, wenn mindestens 2/3 seiner Mitglieder anwesend sind."

4. Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Einleitungsbeschluß davon aus, daß bei Prüfung der Frage der ordnungsgemäßen Zusammensetzung des Beschwerdeausschusses, im Hinblick darauf, daß nur 4 von 5 Mitgliedern bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides mitgewirkt hatten, §6 Abs1 der Geschäftsordnung angewendet worden sei und daß auch er diese Vorschrift bei der Beurteilung des bekämpften Bescheides anzuwenden hätte. Der Verfassungsgerichtshof nahm weiters das Vorliegen der übrigen Prozeßvoraussetzungen an.

5. Der Verfassungsgerichtshof hegte bezüglich der in Prüfung gezogenen Vorschrift das Bedenken, daß sie der Deckung durch das Gesetz entbehren dürfte. Er umschrieb sein Bedenken wie folgt:

"§79 Abs5 ÄrzteG regelt ... die Zusammensetzung des Beschwerdeausschusses; in §79 Abs6 ÄrzteG findet sich die Bestimmung, daß der Beschwerdeausschuß mit einfacher Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen entscheidet. Eine explizite Regelung über ein von §79 Abs5 iVm. Abs6 ÄrzteG abweichendes (eine geringere Zahl der Mitglieder des Beschwerdeausschusses zulassendes) Anwesenheitsquorum enthält das Gesetz jedoch nicht. Dem Verfassungsgerichtshof scheint es, daß - ähnlich wie im Fall des Erkenntnisses VfSlg. 12951/1991 - der Satzungsgeber mit der Regelung eines Anwesenheitsquorums die Grenzen seiner gesetzlichen Ermächtigung überschritten hat. Wie im zitierten Erkenntnis zur Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien nämlich ausgeführt wird, ist eine Kollegialbehörde, wenn der Gesetzgeber über das Anwesenheitsquorum nichts bestimmt, nur bei Anwesenheit aller ihrer Mitglieder fähig, einen Beschluß zu fassen. Aus dem gleichen Grund dürfte die hier in Prüfung gezogene Geschäftsordnung der belangten Behörde im §6 Abs1 mit Gesetzwidrigkeit belastet sein."

6. Die Tiroler Landesregierung hat mitgeteilt, daß die auf die angefochtene Bestimmung bezughabenden Akten bereits skartiert worden seien, von der Abgabe einer Äußerung im Verfahren jedoch abgesehen. Das verordnungserlassende Organ, die Vollversammlung der Ärztekammer für Tirol, hat keine Äußerung erstattet. Der Präsident der Ärztekammer für Tirol legte die auf die Geschäftsordnung bezughabenden Akten vor und teilte mit, daß die Vollversammlung bei der Beschlußfassung über die Geschäftsordnung des Beschwerdeausschusses des Wohlfahrtsfonds der Meinung gewesen sei, daß die Frage der Anwesenheit gem. §6 Abs1 im eigenen autonomen Wirkungsbereich geregelt werden könne.

7. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

7.1. Die Anlaßbeschwerde ist zulässig. Der Verfassungsgerichtshof hat somit über sie meritorisch zu entscheiden. Dabei hat er auch die Vorschrift des §6 Abs1 der Geschäftsordnung des Beschwerdeausschusses der Ärztekammer für Tirol anzuwenden, auf welche sich der angefochtene Bescheid im Hinblick darauf, daß nur 4 von 5 der in §79 Abs5 ÄrzteG vorgesehenen Mitglieder des Beschwerdeausschusses an der Entscheidung mitgewirkt haben, u.a. stützt. Die in Prüfung gezogene Bestimmung ist folglich präjudiziell.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.

7.2. Das Bedenken des Verfassungsgerichtshofes trifft zu. Das Verfahren hat nichts Gegenteiliges ergeben.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist eine Kollegialbehörde für den Fall des Schweigens des Gesetzgebers hinsichtlich des Anwesenheitsquorums für die Beschlußfassung nur bei Anwesenheit aller ihr zugehörigen Mitglieder beschlußfähig (VfSlg. 3086/1956, 7837/1976, 12951/1991). Der Verordnungsgeber kann anderes nur vorsehen, wenn das Gesetz ihn ausdrücklich dazu ermächtigt.

Weder §79 Abs5 ÄrzteG, der die Zusammensetzung des Beschwerdeausschusses regelt, noch §79 Abs6 leg. cit., der normiert, daß der Beschwerdeausschuß mit einfacher Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen entscheidet, noch eine sonstige Vorschrift des ÄrzteG ermächtigen aber das satzungsgebende Organ ein anderes Anwesenheitsquorum zu bestimmen. Der Satzungsgeber hat folglich mit der Erlassung des §6 Abs1 der Geschäftsordnung des Beschwerdeausschusses der Ärztekammer für Tirol die ihm durch das Gesetz gezogenen Grenzen überschritten, weshalb diese Vorschrift wegen Gesetzwidrigkeit aufzuheben war.

8. Die Verpflichtung der Tiroler Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung ergibt sich aus Art139 Abs5

B-VG.

9. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Ärztekammer, Kollegialbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:V20.2000

Zuletzt aktualisiert am

22.08.2008
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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