TE Vwgh Erkenntnis 2004/5/18 2004/10/0075

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Veröffentlicht am 18.05.2004
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E1E;
E3L E13301500;
E6J;
40/01 Verwaltungsverfahren;
59/04 EU - EWR;
82/04 Apotheken Arzneimittel;
82/05 Lebensmittelrecht;

Norm

11997E030 EG Art30;
31965L0065 idF 31989L0341 Arzneimittel-RL Art1 Nr2 Abs1;
62000CJ0150 Kommission / Österreich;
AMG 1983 §1 Abs1 Z1;
AMG 1983 §1 Abs1 Z2;
AMG 1983 §1 Abs1 Z3;
AMG 1983 §1 Abs1 Z4;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
EURallg;
LMG 1975 §18;

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren:* Ausgesetztes Verfahren: 99/10/0174 B 27. August 2002 * EuGH-Entscheidung: EuGH 62000CJ0150 5. April 2004

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Zavadil, über die Beschwerde des Mag. pharm. G in Judenburg, vertreten durch Schönherr Barfuss Torggler & Partner, Rechtsanwälte in 1014 Wien, Tuchlauben 13, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Frauenangelegenheiten und Verbraucherschutz vom 9. Juni 1999, Zl. 332.473/1-VI/B/12a/99, betreffend Untersagung des Inverkehrbringens eines als Verzehrprodukt angemeldeten Produktes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 1. April 1999, eingelangt am 6. April 1999, meldete der Beschwerdeführer das Produkt "Mate Vit C+E-Lutschtabletten" gemäß § 18 LMG als Verzehrprodukt an.

Der von der belangten Behörde beigezogene Amtssachverständige für Pharmazie legte dar, es handle sich bei dem Produkt nach der allgemeinen Verkehrsauffassung um ein Arzneimittel und in der Folge um eine zulassungspflichtige Arzneispezialität handle.

In seiner Stellungnahme zu diesem Gutachten führte der Beschwerdeführer aus, dass es sich bei Vitamin C um ein wasserlösliches Vitamin handle. Für wasserlösliche Vitamine sei eine Überdosierung nicht bekannt, da diese auf Grund ihres Löslichkeitsverhaltens ausgeschieden würden. Laut Pschyrembel,

258. Auflage, betrage der tägliche Bedarf an Vitamin C bei Kindern 40 bis 60 mg, bei Erwachsenen 70 bis 125 mg und mehr. Der Bedarf sei sehr variabel, da bei Infektionskrankheiten, während der Schwangerschaft, während der Stillzeit, während des Wachstums und im Greisenalter erheblich größere Mengen verbraucht würden. Die therapeutische orale Dosierung betrage 0,5 bis 1 g pro Tag. Laut einer "Tabelle ,Vitamine' des Bundesministeriums" sei für Verzehrprodukte ein Zusatz von 100 mg Vitamin C zulässig; die sich bei bestimmungsgemäßer Anwendung des vorliegenden Produkts ergebende Dosierung von 135 mg pro Tag sei zwar etwas höher als bei Verzehrprodukten üblich, liege aber deutlich unter der therapeutisch eingesetzten Menge. Der tägliche Bedarf an Vitamin E betrage bei Säuglingen 5 mg, bei Erwachsenen 10 bis 25 mg. Bei Fertilitätsstörungen werde Vitamin E in einer Dosis von 10 bis 30 mg pro Tag verabreicht; sonst sei die tägliche Dosis aber wesentlich höher (bis 300 mg). Bei handelsüblichen Arzneimitteln (Ephynal, Avigilen, Evit, Vitamin E Kapseln - Biogelat) liege die Dosierung bei mindestens 100 mg. Da es sich bei Vitamin E um ein wasserlösliches Vitamin handle, könne es großzügig eingesetzt werden. Auf Grund aktueller Untersuchungen liege heute die therapeutische Empfehlung wesentlich höher: Die klinisch dokumentierte Dosierung als Antioxidans, Immunstimulans, Stärkungsmittel und zur Prävention koronarer Herzerkrankungen betrage 100 bis 400 I.E., die als entzündungshemmendes, schmerzlinderndes Therapeutikum bei rheumatoider Arthritis 400 bis 2000 I.E.. Laut der erwähnten "Tabelle ,Vitamine' des Bundesministeriums" seien für Verzehrprodukte 20 mg Vitamin E zulässig. Die bei bestimmungsgemäßer Anwendung des vorliegenden Produkts sich ergebende Tagesdosis von 21,6 mg Vitamin E überschreite diesen Wert zwar geringfügig, stelle aber in keinem Fall eine arzneiliche Dosierung dar. Eine Einstufung des gegenständlichen Produkts als Arzneimittel sei daher nicht gerechtfertigt.

Mit Bescheid vom 9. Juni 1999 untersagte die belangte Behörde gemäß § 18 Abs. 2 LMG das Inverkehrbringen des gegenständlichen Produktes. In der Begründung führte sie unter Berufung auf das als schlüssig erachtete Gutachten des Amtssachverständigen aus, dass das Produkt folgende pharmakologisch wirksamen Bestandteile enthalte: 45 mg Vitamin C und 7,2 mg Vitamin E pro Lutschtablette; die Einnahmeempfehlung laute: 3 Lutschtabletten täglich. Laut einschlägiger Fachliteratur kämen den Inhaltsstoffen des gegenständlichen Erzeugnisses im Hinblick auf das vorliegende Produkt zweifelsfrei spezifische pharmakologische Wirkungen zu (siehe u.a. Recommended Dietary Allowances, 10th Edition, national Research Council, Washington D.C., 1989; Hager's Handbuch der pharmazeutischen Praxis; Martindale: The Extra Pharmacopeia; Hunnius: Pharmazeutisches Wörterbuch, usw.). Vitamin C sei als Redoxsubstanz aller Körperzellen und als Gefäßschutzstoff (Endothelschutz für die Kapillarenabdichtung) biologisch wichtig. Da es im menschlichen Organismus nicht synthetisierbar sei, seien ernährungsbedingte Mangelerscheinungen bis hin zum Skorbut möglich. Die medizinische Anwendung von Vitamin C erfolge bei Vergiftungen, Infektionen, während der Wundheilung und in der Schwangerschaft. Eine Kapsel der zugelassenen Arzneispezialität "Multibionta-Kapseln" beinhalte neben anderen Vitaminen u.a. 30 mg Vitamin C; die zugelassene Arzneispezialität "Vitaplex-Dragees" enthalte neben anderen Vitaminen u.a. 30 mg Vitamin C. Vitamin E (a-Tocopherol) werde auch als Antisterilitäts- bzw. Fertilitätsvitamin bezeichnet, weil das klassische Vitamin E-Mangelsyndrom die Resorptionssterilität weiblicher Tiere sei. Aber auch beim Menschen könne die Neigung zu Fehlgeburten ein Zeichen für das Vorliegen eines Vitamin E-Mangels bzw. einer Vitamin E-Avitaminosa sein. Weiters habe Vitamin E einen Einfluss auf den Kohlenhydrat- und Energiehaushalt. Ein erhöhter Sauerstoffverbrauch könne in einigen Geweben durch Vitamin E-Zufuhr herabgesetzt werden. Bei Vitamin E-Mangel komme es zu Kreatinurie, die mit Angriffspunkten an der Muskulatur zusammenhänge. Eine auffallende Wirkung des Vitamin E sei sein antioxydativer Effekt. Es schütze leicht oxydable Vitamine, besonders Vitamin A, im Darm und in den Geweben vor Oxydationen. Dadurch werde einem Vitamin A-Mangel vorgebeugt. Vitamin E-Präparate würden zur Prophylaxe von Mangelzuständen infolge von Resorptionsstörungen (z.B. bei exokriner Pankreasinsuffizienz, hepatobiliären Erkrankungen mit Cholestase, Gallengangatresie, Short-Bowel-Syndrom) therapeutisch verwendet. Die angeführten pharmakologischen Wirkungen seien auf Grund der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung des Produktes auch zu erwarten. Die vorliegende Dosierung bewege sich in jenem Rahmen, der in der Fachliteratur zur Vorbeugung und Behandlung entsprechender Mangelkrankheiten beschrieben sei. Das Produkt sei nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als Arzneimittel und in der Folge als zulassungspflichtige Arzneispezialität zu beurteilen. Ein Inverkehrbringen sei daher erst nach der erfolgten Zulassung als Arzneispezialität statthaft; eine derartige Zulassung liege jedoch nicht vor. Da davon auszugehen sei, dass dem Amtssachverständigen zum Zeitpunkt der Erstellung seines Gutachtens der Umstand der Wasserlöslichkeit der Vitamine C und E bzw. deren allfällige therapeutische Wirkung bekannt gewesen sei, seien die seitens des Beschwerdeführers vorgelegten Unterlagen nicht geeignet, das in sich schlüssige Gutachten in Frage zu stellen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde; darin wird Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Nichtuntersagung eines gemäß § 18 LMG angemeldeten Verzehrproduktes verletzt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer strebt im Verwaltungsverfahren die Zulassung (Nichtuntersagung) seines Produktes als Verzehrprodukt an.

Verzehrprodukte sind Stoffe, die dazu bestimmt sind, von Menschen gegessen, gekaut oder getrunken zu werden, ohne überwiegend Ernährungs- oder Genusszwecken zu dienen oder Arzneimittel zu sein (§ 3 LMG).

§ 3 LMG setzt nach seinem letzten Halbsatz für die Verzehrprodukteigenschaft voraus, dass es sich nicht um ein Arzneimittel handelt.

Die Frage, ob ein Arzneimittel vorliegt, ist anhand der durch

§ 1 Abs. 1 AMG gegebenen Definition zu lösen.

Danach sind "Arzneimittel"

"Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung dazu dienen oder nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt sind, bei Anwendung an oder im menschlichen oder tierischen Körper

1. Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen,

2. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände erkennen zu lassen,

3. vom menschlichen oder tierischen Körper erzeugte Wirkstoffe oder Körperflüssigkeiten zu ersetzen,

4. Krankheitserreger, Parasiten oder körperfremde Stoffe abzuwehren, zu beseitigen oder unschädlich zu machen oder

5. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen."

Nach § 1 Abs. 3 Z. 2 AMG sind Verzehrprodukte im Sinne des LMG, sofern sie nach Art und Form des Inverkehrbringens nicht dazu bestimmt sind, die Zweckbestimmungen des Abs. 1 Z. 1 bis 4 zu erfüllen, keine Arzneimittel.

§ 1 Abs. 1 AMG stellt für das Vorliegen eines "Arzneimittels" somit - alternativ - auf zwei verschiedene Kriterien ab, nämlich darauf, ob Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen "nach der allgemeinen Verkehrsauffassung dazu dienen" (objektive Zweckbestimmung) oder "nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt sind" (subjektive Zweckbestimmung), bei Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper die in den Z. 1 bis 5 beschriebenen Wirkungen hervorzurufen bzw. Funktionen zu erfüllen. Das Vorliegen des subjektiven Kriteriums bedingt unabhängig davon, ob auch die objektive Zweckbestimmung bejaht werden kann, schon für sich allein die Einstufung eines Produkts als Arzneimittel. Aus § 1 Abs. 3 Z. 2 AMG folgt allerdings, dass ein Produkt, auf das die Voraussetzungen des § 3 LMG zutreffen, und das nach seiner subjektiven Zweckbestimmung (nur) dazu bestimmt ist, Wirkungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Z. 5 AMG zu erzielen, kein Arzneimittel ist. Hingegen kann eine Ware nicht als Verzehrprodukt beurteilt werden, wenn sie objektiv geeignet oder subjektiv dazu bestimmt ist, die in § 1 Abs. 1 Z. 1 bis 4 AMG genannten Wirkungen zu erfüllen (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 27. August 2002, Zl. 99/10/0176, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Die mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Untersagung, das von der beschwerdeführenden Partei angemeldete Produkt als Verzehrprodukt in Verkehr zu bringen, beruht auf der Bejahung der Arzneimitteleigenschaft auf der Grundlage der objektiven Zweckbestimmung des Produkts. Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides in Ansehung der Untersagung des Inverkehrbringens des Produktes als Verzehrprodukt hängt somit davon ab, ob dem Produkt objektiv-arzneiliche Wirkungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Z. 1 bis 4 AMG zukommen.

Der Verwaltungsgerichtshof hatte sich mit der Frage der Arzneimitteleigenschaft von Vitaminpräparaten auf Grund ihrer objektiven Zweckbestimmung bereits mehrfach zu befassen (vgl. die Erkenntnisse vom 28. April 1997, Zl. 95/10/0131 und Zl. 96/10/0239, vom 7. September 1998, Zl. 97/10/0242, vom 19. Oktober 1998, Zl. 97/10/0152 und Zl. 97/10/0043, sowie vom 9. Oktober 2000, Zl. 2000/10/0075). Der Verwaltungsgerichtshof vertrat die Auffassung, die Begründung eines Bescheides, mit dem das Inverkehrbringen eines Produktes als Verzehrprodukt deshalb untersagt werde, weil dem Produkt objektiv-arzneiliche Wirkungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Z. 1 bis 4 AMG zukommen, entspreche nur dann dem Gesetz, wenn dargelegt wird, welche objektiv-arzneilichen Wirkungen im konkreten Fall, insbesondere auf Grund des Gehaltes an bestimmten Substanzen, unter der Annahme des bestimmungsgemäßen Gebrauches zu erwarten sind. Ein Bescheid, der lediglich auf der nicht zum Gehalt an bestimmten Inhaltsstoffen in Beziehung gesetzten Annahme beruht, die den Inhaltsstoffen im Allgemeinen zukommenden pharmakologischen Wirkungen seien "auf Grund der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung des Produktes auch zu erwarten", entbehre einer nachvollziehbaren Begründung.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat im Urteil vom 29. April 2004, C-150/00 (Kommission/Österreich), Folgendes ausgesprochen:

"Die Republik Österreich hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 28 EG verstoßen, dass sie Vitamin- oder Mineralstoffpräparate, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig als Nahrungsergänzungsmittel hergestellt oder in den Verkehr gebracht werden, durchgängig als Arzneimittel einstuft, wenn ihr Gehalt an Vitaminen außer den Vitaminen A, C, D oder K oder an Mineralstoffen außer solchen der Gruppe Chromate die einfache Tagesdosis dieser Nährstoffe überschreitet oder wenn sie, unabhängig von der Dosierung, die Vitamine A, D oder K enthalten."

In den Urteilsgründen (Rn 63) legte der EuGH u.a. Folgendes dar:

"Da Vitamine und Mineralstoffe gewöhnlich als Stoffe definiert werden, die in ganz geringer Menge für die tägliche Ernährung und das ordnungsgemäße Funktionieren des Organismus unbedingt erforderlich sind, können sie im Allgemeinen nicht als Medikamente angesehen werden, soweit sie nur in kleinen Mengen eingenommen werden. Dagegen ist unstreitig, dass Vitamin- oder Mineralstoffpräparate bisweilen, im Allgemeinen in starken Dosen, zu therapeutischen Zwecken bei bestimmten Krankheiten verwendet werden, deren Ursache nicht der Vitamin- oder Mineralstoffmangel ist. In diesen Fällen stellen diese Präparate unbestreitbar Arzneimittel dar (Urteil Van Bennekom, Randnrn. 26 und 27)."

Der EuGH verwies ferner (Rn 64, 65) auf seine ständige Rechtsprechung, wonach es den nationalen Behörden obliege,

"von Fall zu Fall zu entscheiden, ob ein Vitamin- oder Mineralstoffpräparat als Arzneimittel einzustufen ist, und dabei alle seine Merkmale, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen Eigenschaften - so, wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen -, die Modalitäten seiner Anwendung, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann, zu berücksichtigen (u.a. Urteile Van Bennekom, Randnr. 29, vom 21. März 1991 in der Rechtssache C-60/89, Monteil und Samanni, Slg. 1991, I-1547, Randnr. 29, vom 16. April 1991 in der Rechtssache C-112/89, Upjohn, Slg. 1991, I-1703, Randnr. 23, und Kommission/Deutschland, Randnr. 17).

Die zuständigen nationalen Behörden können also auch andere Merkmale als dasjenige berücksichtigen, ob ein Erzeugnis ein Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung birgt. Es liegt auf der Hand, dass sich auch ein Erzeugnis, das kein reales Risiko für die Gesundheit darstellt, auf das Funktionieren des Organismus auswirken kann. Für die Einstufung eines Erzeugnisses als Arzneimittel 'nach der Funktion' müssen sich die Behörden daher vergewissern, dass es zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der Körperfunktionen bestimmt ist und somit Auswirkungen auf die Gesundheit im Allgemeinen haben kann (Urteil Upjohn, Randnr.17)."

Im vorliegenden Zusammenhang in den Blick zu nehmen ist weiters der Rn 73, 74 zu entnehmende Hinweis, wonach Präparate, die (bestimmte) Vitamine enthalten, nicht als "Arzneimittel nach der Funktion" einzustufen sind, wenn ihr Gehalt an diesen Stoffen zu gering ist, um ihre Eignung "zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen Körperfunktionen" zu begründen.

Dem Vorbringen der österreichischen Regierung, es komme häufig vor, dass Verbraucher Nahrungsergänzungsmittel in höheren Dosierungen konsumierten als auf den Beipackzetteln angegeben; dies erhöhe das Risiko der Überdosierung, erwiderte der EuGH, es seien

"fast alle Erzeugnisse potenziell gesundheitsschädlich, wenn sie im Übermaß aufgenommen werden, so dass für die Beurteilung, ob ein Erzeugnis ein Arzneimittel 'nach der Funktion' ist, auf die normale Anwendungsweise abzustellen ist" (Rn 75).

Verkehrsbeschränkungen unter Berufung auf Art. 30 EG erforderten es, ein reales Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung zu ermitteln und zu bewerten, wofür in jedem Einzelfall eine eingehende Prüfung der mit dem Zusatz der fraglichen Vitamine oder Mineralstoffe möglicherweise verbundenen Folgen erforderlich wäre (Rn 96).

Der Verwaltungsgerichtshof hatte das vorliegende Beschwerdeverfahren bis zur Entscheidung des EuGH im Vertragsverletzungsverfahren ausgesetzt. Nach Ergehen des Urteiles des EuGH ist festzuhalten, dass sich die oben dargelegte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Gesetzmäßigkeit der Bescheidbegründung im Einklang mit der soeben dargestellten Rechtsprechung des EuGH befindet.

Im vorliegenden Beschwerdefall hängt die Entscheidung somit davon ab, ob in der Bescheidbegründung dargelegt wurde, welche objektiv-arzneilichen Wirkungen im konkreten Fall, insbesondere auf Grund des Gehaltes an bestimmten Substanzen, unter der Annahme des bestimmungsgemäßen Gebrauches zu erwarten sind.

Die Beschwerde macht insbesondere mangelnde Schlüssigkeit des von der belangen Behörde ihrem Bescheid zu Grunde gelegten Gutachtens und dem entsprechend Mängel der Begründung des angefochtenen Bescheides geltend. Das Gutachten erschöpfe sich im Wesentlichen in der Darstellung der allgemeinen Wirkungen der zugesetzten Vitamine und der Beschreibung von Mangelerscheinungen und deren Symptomen. Die arzneiliche Wirksamkeit dieser Vitamine in den im vorliegenden Fall eingesetzten Mengen werde jedoch nicht nachgewiesen; vielmehr werde die Frage der Quantität der Zutaten des gegenständlichen Produkts völlig außer Acht gelassen. Nach der Einstufungspraxis der belangten Behörde würden Vitaminpräparate dann als Verzehrprodukte beurteilt, wenn die Konzentration an Vitamin C 100 mg, jene von Vitamin E 20 mg pro Tag nicht übersteige. Die Ausführungen des Amtssachverständigen, dass den Inhaltsstoffen des Produktes zweifelsfrei spezifische pharmakologische Wirkungen zukämen, bezögen sich auf die Inhaltsstoffe als solche, unabhängig von ihrer Dosierung. Sie träfen daher auf alle Produkte mit Vitamin C- und Vitamin E-Gehalt (auch auf jene, die nach der erwähnten Einstufungspraxis der belangten Behörde als Verzehrprodukte qualifiziert würden) zu und seien somit nicht geeignet, die Einstufung des gegenständlichen Produkts als Arzneimittel zu begründen. Der Umstand, dass in zwei registrierten Arzneispezialitäten jeweils 30 mg Vitamin C enthalten sei, könne schon deshalb keine taugliche Begründung für die Einstufung des gegenständlichen Produkts als Arzneimittel darstellen, weil eine Zufuhr von 30 mg Vitamin C selbst nach der erwähnten internen Abgrenzungspraxis der belangten Behörde zur Einstufung als Verzehrprodukt führe. Tatsächlich seien die betreffenden Arzneispezialitäten wegen ihres Gehalts an Vitamin A und Colecalciferol als Arzneimittel eingestuft. Das Gutachten lasse nicht erkennen, wieso die marginale Überschreitung der erwähnten internen Grenzwerte um 35 mg Vitamin C bzw. 1,6 mg Vitamin E aus einem Verzehrprodukt ein Arzneimittel machen sollte. Aus dem Umstand, dass Präparate, denen die im gegenständlichen Produkt enthaltenen Vitamine in einer - allerdings nicht genannten - Dosierung zugesetzt seien, therapeutisch verwendet werden könnten, schließe der Bescheid darauf, dass diese Wirkungen unabhängig von der Konzentration auch im vorliegenden Fall zu erwarten seien. Die belangte Behörde beschränke sich auf die unkritische Wiedergabe der Behauptung aus dem Gutachten, dass sich die vorliegende Dosierung "in jenem Rahmen bewege, der in der erwähnten Fachliteratur zur Vorbeugung und Behandlung entsprechender Mangelkrankheiten beschrieben ist"; die belangte Behörde verabsäume es aber, diesen "Rahmen" unter genauer Angabe der Fundstellen in der erwähnten Fachliteratur zu nennen. Der Bescheid führe keine Erfahrungssätze oder wissenschaftlichen Erkenntnisse an, auf deren Grundlage sich die Schlüssigkeit der Auffassung, dem gegenständlichen Produkt kämen auf Grund seiner qualitativen und quantitativen Zusammensetzung pharmakologische Wirkungen zu, überprüfen ließe, und vermöge somit die Einstufung des gegenständlichen Produkts als Arzneimittel nicht zu begründen. Die belangte Behörde wäre umso mehr verpflichtet gewesen, die Frage der Wirksamkeit der zugesetzten Mengen an verwendeten Vitaminen zu klären und schlüssig und überprüfbar darzulegen, als der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme sehr konkrete Behauptungen aufgestellt habe und ausdrücklich vorgebracht habe, dass die verwendeten Vitamine in der eingesetzten Konzentration arzneilich nicht wirksam seien und das Produkt somit nicht als Arzneimittel einzustufen sei. Die Behörde hätte den nachvollziehbaren Nachweie erbringen müssen, ab welcher Konzentration bestimmte Inhaltsstoffe arzneilich wirksam seien. Weiters seien die tatsächliche Dosierung und die Aufnahmemenge festzustellen sowie auszuführen, dass diese arzneilichen Wirkungen auch in der vorliegenden Zusammensetzung gegeben seien. Schließlich sei - wie sich aus (näher dargestellten) Aussagen in der Fachliteratur ergebe - die Auffassung, bei dem gegenständlichen Produkt seien therapeutische Wirkungen zu erwarten, unhaltbar; vielmehr zeitige das Produkt nachgewiesenermaßen lediglich physiologische Wirkungen im Sinn des § 1 Abs. 1 Z. 5 AMG und sei somit als Verzehrprodukt einzustufen. Da die belangte Behörde dies verkannt habe, sei der angefochtene Bescheid auch materiell rechtswidrig.

Der Beschwerdeführer bringt außerdem vor, das gegenständliche Produkt werde in Deutschland hergestellt und dort in unveränderter Aufmachung als Nahrungsergänzungsmittel, somit als Lebensmittel im Sinn des § 1 Abs. 1 (des deutschen) LMBG frei vertrieben.

Die Beschwerde ist mit ihrem Vorwurf von Ermittlungs- und Feststellungsmängeln im Recht. Im Gutachten und der auf diesem aufbauenden Bescheidbegründung werden (im Wesentlichen) Wirkungen der im gegenständlichen Produkt enthaltenen Substanzen beschrieben, ohne diese Darlegungen zum Gehalt des vorliegenden Produkts an bestimmten Inhaltsstoffen konkret in Beziehung zu setzen; weiters werden die bei Vitaminmangelzuständen im Allgemeinen auftretenden Symptome beschrieben.

Diese Ausführungen entsprechen nicht den oben dargelegten Anforderungen an die gesetzmäßige Begründung eines Bescheides, mit dem das Inverkehrbringen eines Produktes als Verzehrprodukt deshalb untersagt wird, weil dem Produkt objektiv-arzneiliche Wirkungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Z. 1 bis 4 AMG zukommen; denn es fehlen konkrete Feststellungen, wonach dem Produkt im Hinblick auf seine konkrete Zusammensetzung, also seinen quantitativen Gehalt an bestimmten Stoffen, bei bestimmungsgemäßer Verwendung (der Einnahmeempfehlung entsprechend) eine objektiv-arzneiliche Wirkung zukommt, mit anderen Worten, dass es auf Grund seines Gehaltes an bestimmten Inhaltsstoffen bei "normalem" Gebrauch "zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen Körperfunktionen" im Sinne der oben referierten Rechtsprechung des EuGH geeignet sei.

Der Hinweis auf einzelne Bestandteile anderer Vitaminpräparate, die als Arzneimittel zugelassen sind, kann konkrete, ins Einzelne gehende Feststellungen in der oben aufgezeigten Richtung nicht ersetzen. Zu der hier entscheidenden Frage nach den Wirkungen des gegenständlichen Produkts auf Grund seiner konkreten quantitativen Zusammensetzung beschränkt sich der Bescheid auf die Annahme, dass "die angeführten pharmakologischen Wirkungen auf Grund der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung des Produktes auch zu erwarten sind", und den Hinweis, dass sich die vorliegende Dosierung in jenem (allerdings nicht genannten) Rahmen bewege, der in der angeführten (nicht jedoch unter Angabe der genauen Fundstellen wiedergegebenen) Fachliteratur zur Vorbeugung und Behandlung entsprechender Mangelkrankheiten beschrieben sei. Erfahrungssätze oder wissenschaftliche Erkenntnisse, auf deren Grundlage sich die Schlüssigkeit der Annahme, dem Produkt kämen bei Einhaltung der Einnahmeempfehlungen objektiv-arzneiliche Wirkungen zu, überprüfen ließe, werden jedoch nicht angeführt.

Der angefochtene Bescheid war daher - ohne auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 18. Mai 2004

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Besondere Rechtsgebiete Diverses

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2004100075.X00

Im RIS seit

25.06.2004

Zuletzt aktualisiert am

29.03.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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