TE Vfgh Erkenntnis 2000/11/27 G91/00

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Veröffentlicht am 27.11.2000
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Index

L7 Wirtschaftsrecht
L7200 Beschaffung, Vergabe

Norm

B-VG Art19
Tir VergabeG §2 Abs1 lita

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit der Zuständigkeit des Tiroler Vergabeamtes zur Kontrolle bzw Aufhebung von Vergabeakten des Landes wegen verfassungswidriger Kontrolle eines obersten Organs der Vollziehung durch ein in der Bundesverfassung mit einer solchen Kontrollbefugnis nicht ausgestattetes Verwaltungsorgan

Spruch

§2 Abs1 lita des Gesetzes vom 11. Dezember 1997 über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen in Tirol (Tiroler Vergabegesetz 1998), LGBl. für Tirol Nr. 17/1998, war bis zum Ablauf des 12. September 2000 verfassungswidrig.

Der Landeshauptmann ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1948/99 eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Tiroler Landesvergabeamtes (im folgenden: TVA) vom 19. Oktober 1999 anhängig, mit dem der Antrag eines Bieters (der nunmehr beschwerdeführenden Gesellschaft) auf Feststellung der Rechtswidrigkeit sowohl des Ausscheidens seines Angebots als auch der Zuschlagserteilung an andere Mitbewerber bei der Vergabe von Reinigungsarbeiten für verschiedene Landesobjekte durch die Tiroler Landesregierung abgewiesen wurde.

2. Aus Anlaß dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §2 Abs1 lita des Gesetzes vom 11. Dezember 1997 über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen in Tirol (Tiroler Vergabegesetz 1998), LGBl. für Tirol 17/1998, beschlossen. Der Einleitungsbeschluß zeigt auf, daß diese Bestimmung in ihrem normativen Zusammenhang mit dem Einleitungssatz des §2 Abs1 und den Bestimmungen des ersten Abschnittes des zweiten Teils des Gesetzes, die die Errichtung und das Nachprüfungsverfahren durch das TVA regeln, diese Behörde mit der Zuständigkeit ausstattet, Vergabeentscheidungen auch der obersten Organe der Landesverwaltung zu kontrollieren und knüpfte daran folgende Bedenken:

"Die in Prüfung genommene Bestimmung dürfte das TVA und damit eine Verwaltungsbehörde zur Kontrolle von Entscheidungen auch der obersten Organe der Landesverwaltung berufen. Dies scheint - ungeachtet des Umstandes, daß es sich beim TVA, dessen Bescheide gemäß §6 Abs3 TirVergG 1998 nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg unterliegen, dem zwingend ein Richter angehört (§7 Abs1 litc leg.cit.) und bei dem auch die übrigen Mitglieder in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden sind (Art20 Abs2 B-VG und §9 Abs1 TirVergG 1998), um eine kollegiale Verwaltungsbehörde mit richterlichem Einschlag iSd Art133 Z4 B-VG handelt - verfassungsrechtlich unzulässig zu sein. Denn auch für solche qualifizierte Verwaltungsbehörden gilt - wie der Verfassungsgerichtshof mehrfach zu Recht erkannt hat (vgl. etwa VfSlg. 8917/1980, 9164/1981, 12.220/1989, VfGH v. 30.9.1999, G44-46/99) -, daß es von Verfassungs wegen unzulässig ist, sie einem obersten Organ der Vollziehung überzuordnen."

In concreto hegte der Verfassungsgerichtshof gegen die in Prüfung genommenen Worte des TirVergG 1998 eben jene verfassungsrechtlichen Bedenken, die ihn in den zu G44-46/99 protokollierten Verfahren bewogen haben, die gleichartige Geltungsbereichsbestimmung für Vergaben des Bundes in §11 Abs1 Z1 BVergG 1997 mit Erkenntnis vom 30. September 1999 als verfassungswidrig aufzuheben. Aus dieser Entscheidung ergebe sich anscheinend auch, daß die angenommene Verfassungswidrigkeit ihren Sitz in der in Prüfung genommenen lita des §2 Abs1 TirVergG 1998 hat und daß durch deren Aufhebung die angenommene Verfassungswidrigkeit in einer den Grundsätzen der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Abgrenzung der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden gesetzlichen Regelungen entsprechenden Weise (vgl. etwa VfSlg. 7376/1974, 7726/1975, 9374/1982, 11.506/1987) beseitigt werden könne.

3. Die Tiroler Landesregierung nahm im Hinblick auf das soeben zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. September 1999, G44-46/99, von der Erstattung einer Äußerung Abstand, teilte jedoch mit, daß aufgrund einer vom Tiroler Landtag am 5. Juli 2000 beschlossenen Novelle zum Tiroler Vergabegesetz Vergabeentscheidungen der Landesregierung künftig nicht mehr vom Landesvergabeamt, sondern vom Unabhängigen Verwaltungssenat überprüft werden.

II. Die Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde stellt sich wie folgt dar:

1. Das TirVergG 1998 enthält in seinen §§1 bis 4 Bestimmungen über seinen Geltungsbereich, wobei sich der persönliche Geltungsbereich aus den §§1 und 2 ergibt. Gemäß §1 gilt das TirVergG 1998 nach Maßgabe der nach §5 anzuwendenden Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes für die Vergabe von Liefer-, Bau-, Baukonzessions- und Dienstleistungsaufträgen durch Auftraggeber nach §2 einschließlich der Vergabe von Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträgen im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor. Der Abs1 des unter der Rubrik "Öffentliche Auftraggeber" stehenden §2 lautet auszugsweise (die in Prüfung genommene Bestimmung ist hervorgehoben):

"(1) Öffentliche Auftraggeber im Sinne dieses Gesetzes sind:

a)

das Land Tirol;

b)

die Gemeinden in Tirol;

c)

die Gemeindeverbände in Tirol;

d)

Einrichtungen des Landes Tirol, einer Gemeinde in Tirol oder eines Gemeindeverbandes in Tirol, wie Stiftungen, Privatstiftungen, Fonds und Anstalten sowie sonstige auf Landesrecht beruhende Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie zu dem Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse

liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen, wenn sie zumindest teilrechtsfähig sind ...

(es folgen lite und f)"

Hinsichtlich des bei der Vergabe öffentlicher Aufträge einzuhaltenden Verfahrens bestimmte der unter der Rubrik "Anwendung bundesgesetzlicher Bestimmungen" stehende §5 (er wurde zwischenzeitig geändert: vgl. unten Pkt. 2):

"(1) Auf die Vergabe von Aufträgen ist der 1. Teil des Bundesvergabegesetzes 1997 mit Ausnahme des 2., 3. und 4. Hauptstückes sinngemäß anzuwenden.

(2) Auf die Vergabe von Aufträgen sind weiters der 2. und der

3. Teil des Bundesvergabegesetzes 1997 - mit Ausnahme der §§59 Abs3, 61 Abs3, 64 zweiter Satz, 65, 86, 97 Abs3 vierter Satz - mit folgenden Abweichungen sinngemäß anzuwenden:

a) Die Befugnisse der Bundesregierung kommen der Landesregierung zu;

b) Formulare, die nach den Bestimmungen des 3. Teiles,

1. Hauptstück, 2. Abschnitt für Bekanntmachungen und Mitteilungen verwendet werden, sind von der Landesregierung im Boten für Tirol kundzumachen;

c) an die Stelle des im §61 Abs3 und 4 genannten Amtsblattes zur Wiener Zeitung tritt der Bote für Tirol, wobei in diesem Bekanntmachungen aller Auftraggeber zu veröffentlichen sind;

d) im §84 Abs1 treten an die Stelle des 1. und des 4. Teiles der 1. und der 2. Teil dieses Gesetzes;

e) die Mitteilungspflicht nach §93 Abs1 Z. 4 an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten entfällt."

Die bezogenen Teile des damit verwiesenen Bundesvergabegesetzes 1997 (BVergG 1997) enthalten Regelungen über den sachlichen Geltungsbereich (erstes Hauptstück des ersten Teiles), allgemeine Regelungen über das bei der Vergabe von Aufträgen einzuhaltende Verfahren (zweiter Teil) und besondere Bestimmungen, die für Auftragsvergabeverfahren im Anwendungsbereich der entsprechenden Vergaberichtlinien der EG (also für Vergaben oberhalb der sogenannten Schwellenwerte) gelten (dritter Teil).

Der vierte, Bestimmungen über den Rechtsschutz enthaltende Teil des BVergG 1997 wurde vom Tiroler Landesgesetzgeber nicht rezipiert. Vielmehr wurden im zweiten Teil des TirVergG 1998 eigene Regelungen über den Rechtsschutz getroffen (§§6 bis 25 TirVergG 1998):

Der unter der Rubrik "Nachprüfungsbehörde" stehende §6 des Gesetzes lautete bis zum Inkrafttreten der Novelle zum TirVergG 1998, LGBl. 59/2000 (vgl. unten Pkt. 3):

"(1) Die Vergabe von Aufträgen nach diesem Gesetz durch die in §2 genannten Auftraggeber unterliegt der Nachprüfung durch das Landesvergabeamt.

(2) Das Landesvergabeamt hat das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 anzuwenden, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(3) Das Landesvergabeamt übt die ihm durch dieses Gesetz zugewiesenen Zuständigkeiten in erster und letzter Instanz aus. Bescheide des Landesvergabeamtes unterliegen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg."

Die näheren Bestimmungen über die Einrichtung des TVA enthielt §7 leg.cit.; dem TVA war die Zuständigkeit zur Aufhebung bestimmter Entscheidungen im Vergabeverfahren, die Zuständigkeit zur Feststellung, ob wegen eines Verstoßes gegen dieses Gesetz oder die dazu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde, und die Zuständigkeit zur Erlassung einstweiliger Verfügungen übertragen (§§15 ff. TirVergG 1998).

2. Das TirVergG 1998 wurde inzwischen durch das Gesetz vom 3. November 1999, LGBl. 76, das am 30. Dezember 1999 ausgegeben wurde, geändert: Gemäß ArtI Z1 dieser Novelle wurde in §1 das Zitat

"des Bundesvergabegesetzes 1997, BGBl. I Nr. 56," durch das Zitat

"des Bundesvergabegesetzes 1997, BGBl. I Nr. 56, zuletzt geändert durch das Gesetz BGBl. I Nr. 120/1999" ersetzt. Gemäß Z2 hat es nunmehr in §2 Abs1 lite zu lauten: "e) die Tiroler Wasserkraftwerke Aktiengesellschaft sowie Elektrizitätsunternehmen nach dem Tiroler Elektrizitätsgesetz 1999, LGBl. Nr. 9, in der jeweils geltenden Fassung;". Auch §5 ("Anwendung bundesgesetzlicher Bestimmungen") wurde in verschiedenen Teilen geändert (ArtI Z3).

3. Mit dem von der Tiroler Landesregierung in ihrem Schriftsatz bezogenen Gesetz vom 5. Juli 2000, mit dem das Tiroler Vergabegesetz 1998 geändert wird, LGBl. 59/2000, erhielt §6 folgenden Wortlaut:

"Nachprüfungsbehörde

(1) Die Vergabe von Aufträgen nach diesem Gesetz durch die im §2 genannten Auftraggeber unterliegt der Nachprüfung durch den unabhängigen Verwaltungssenat.

(2) Der unabhängige Verwaltungssenat übt die ihm durch dieses Gesetz zugewiesenen Zuständigkeiten in erster und letzter Instanz aus."

Weiters wurden die vormals das TVA zum Gegenstand habenden sonstigen Regelungen aufgehoben bzw. adaptiert.

Diese Novelle ist gemäß deren ArtII Abs1 mit dem Ablauf des Tages der Kundmachung, das war der 12. September 2000, in Kraft getreten; hinsichtlich der im Zeitpunkt des Inkrafttretens beim TVA anhängigen Verfahren sieht ArtII Abs3 vor, daß diese vom unabhängigen Verwaltungssenat "weiterzuführen" sind.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Das Verfahren ist zulässig.

Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerde zweifeln ließe. Die in Prüfung gezogene Bestimmung ist vom Verfassungsgerichtshof bei Entscheidung über die Beschwerde anzuwenden.

2. Die Bedenken sind auch begründet.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis G44-46/99 vom 30. September 1999 die gleichartige Geltungsbereichsbestimmung für Vergaben des Bundes im §11 Abs1 Z1 BVergG 1997 als verfassungswidrig aufgehoben: Es sei verfassungsrechtlich unzulässig, kollegiale Verwaltungsbehörden einem obersten Organ der Vollziehung überzuordnen (unter Verweis auf VfSlg. 8917/1980, 9164/1981, 9476/1982, 12.220/1989). Einer solchen Überordnung komme es gleich, wenn eine Verwaltungsbehörde mit der Kompetenz ausgestattet sei, Entscheidungen oberster Organe nachprüfend zu kontrollieren und sie im Falle ihrer Rechtswidrigkeit zu beheben (VfSlg. 13.626/1993). Der Verfassungsgerichtshof hielt ferner in diesem Erkenntnis fest, daß eine Vergabekontrollbehörde bei Wahrnehmung ihrer Kompetenz - schon um den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen gerecht werden zu können - nicht bloß außenwirksames privatrechtliches Handeln der obersten Organe im Hinblick auf seine Wirksamkeit und bestimmte Rechtsfolgen zu beurteilen oder eine gesetzlich vorgesehene Genehmigung zu erteilen oder zu versagen habe, sondern die in den einzelnen Schritten des Verfahrens nach außen zum Ausdruck kommenden Entscheidungen selbst zu beurteilen und gegebenenfalls aufzuheben habe.

Was der Verfassungsgerichtshof in dem zitierten Erkenntnis hinsichtlich des Bundesvergabeamtes (BVA) festgestellt hat, trifft auch auf das TVA zu: In bei ihm anhängigen Nachprüfungsverfahren hatte es - genauso wie das BVA hinsichtlich der einer Kontrolle unterliegenden Vergaben des Bundes - zu beurteilen, ob das vergebende Organ etwa mit der Entscheidung, ein Angebot auszuscheiden, rechtmäßig gehandelt habe. Kam das TVA bei seiner Beurteilung zum Ergebnis, daß sich das vergebende Organ in dem Sinn rechtswidrig verhalten hat, daß es die seine Entscheidung determinierenden Vorschriften des TirVergG 1998 verletzt hat, so hatte es die Entscheidung des vergebenden Organs, genauer gesagt: jenen Teilakt im Vergabeverfahren, in dem diese Entscheidung zum Ausdruck kommt, aufzuheben.

Das TVA war also nicht etwa zur Gewährung oder Versagung einer Genehmigung oder zur Beurteilung der Rechtsfolgen, die mit einem bestimmten Vorgehen der vergebenden Organe verbunden sind, berufen, sondern zur Kontrolle des jeweiligen Aktes selbst, und es hatte diesen Akt im Fall seiner Rechtswidrigkeit aufzuheben. Genau das ist aber dann, wenn sich die Aufhebung auf einen Akt eines obersten Organs bezieht, eine verfassungsrechtlich verpönte Kontrolle eines obersten Organs durch ein im B-VG mit einer solchen Kontrollbefugnis nicht ausgestattetes Verwaltungsorgan (vgl. VfSlg. 13.626/1993).

Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich daher als zutreffend erwiesen.

3. Seit Inkrafttreten der Novelle, LGBl. 59/2000, mit Ablauf des 12. September 2000 unterliegt gemäß §6 die Vergabe von Aufträgen nach diesem Gesetz durch die im §2 genannten Auftraggeber der Nachprüfung durch den unabhängigen Verwaltungssenat. Durch das Inkrafttreten dieser Novelle ist §2 Abs1 lita in der hier maßgebenden Frage verfassungsmäßig geworden. Es kommt daher nur die Feststellung in Betracht, daß er bis zu diesem Zeitpunkt verfassungswidrig war.

4. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur unverzüglichen Kundmachung der Feststellung erfließt aus Art140 Abs5 zweiter Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.

IV. Die Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Sanierung, Oberste Organe der Vollziehung, Vergabewesen, VfGH / Feststellung Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:G91.2000

Dokumentnummer

JFT_09998873_00G00091_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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