TE Vwgh Erkenntnis 2004/6/29 2003/01/0169

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Veröffentlicht am 29.06.2004
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
41/02 Melderecht;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

B-VG Art6 Abs3;
HauptwohnsitzG 1994 Art7 Z3;
MeldeG 1991 §1 Abs7;
MeldeG 1991 §17;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §10 Abs4 Z1 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §10 Abs5 Z6 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §11;
StbG 1985 §4 idF 1998/I/124;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde der E in H, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Saalbaugasse 2, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 10. Februar 2003, Zl. Ia 370- 623/2002, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Vorarlberg Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine am 6. Oktober 1983 in Bregenz geborene türkische Staatsangehörige, beantragte am 21. Mai 2002 die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft. In der an diesem Tag mit ihr aufgenommenen Niederschrift ist festgehalten, dass sie nach Abschluss ihrer Schulausbildung bis März 2001 als Näherin beschäftigt gewesen sei. Anfang Juni 2001 sei sie in die Türkei geflogen und habe sich dort bei der Familie ihres Vaters auf ihre Hochzeit vorbereitet. In der Folge sei sie noch einmal einen Monat nach Österreich gekommen und habe sich dann Ende September 2001 - die Abmeldung von der "Wohnadresse bei den Eltern" in Österreich sei "vermutlich vergessen" worden - wieder in die Türkei begeben. Dort habe sie im Dezember "nach moslemischen Regeln" geheiratet, die standesamtliche Registrierung sei am 14. Februar 2002 in Arsin erfolgt. Sie (die Beschwerdeführerin) habe zunächst bei ihrem Gatten in der Türkei bleiben wollen, habe aber feststellen müssen, dass sie in der Türkei nicht leben könne, weshalb sie am 28. Februar 2002 wieder nach Österreich zurückgekehrt sei.

Bei einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme vom 12. November 2002 gab die Beschwerdeführerin Folgendes an:

"... Ich habe dann vom 4.4.2001 bis zum 20.6.2001 Arbeitslosengeld bezogen. Ich bin dann am 21.6.2001 in die Türkei zu Urlaubszwecken geflogen. Ich wollte mich in dieser Zeit auch mit meinem 'Stiefcousin' und jetzigem Ehegatten besser anfreunden. Es war von unseren Familien geplant gewesen, dass wenn wir uns verstehen, eine Heirat erfolgen sollte. Ich habe meinen Ehegatten dann auch besser kennengelernt und wir haben gemerkt, dass wir zusammenpassen und eine Ehe für uns in Frage kommt. Ich bin dann vermutlich Anfang August wieder nach Österreich geflogen. Ich habe mich dann noch ca. einen Monat in Österreich aufgehalten und die Vorbereitungen für die Hochzeit in der Türkei eingeleitet. Ich bin dann Ende September 2001 wieder in die Türkei geflogen. Ich habe nur ein paar Kleidungsstücke mit in die Türkei genommen. In der Türkei bin ich dann mit meinem jetzigen Mann in einem Zimmer bei dessen Eltern - meinen Schwiegereltern - zusammengezogen. Wir haben dann die ganzen Hochzeitsvorbereitungen getroffen und haben dann am 30. Dezember 2001 nach moslemischen Regeln eine riesige Hochzeitsfeier in Arsin/Türkei ausgerichtet. Es waren sicherlich an die 200 Leute bei dieser Feier dabei. Ich bin dann nach diesen Hochzeitsfeierlichkeiten bei meinem Mann im Haus der Schwiegereltern geblieben. Ich habe dann Hausarbeiten gemacht und meiner Schwiegermutter beim Kochen ab und zu geholfen. Mein Mann hat in dieser Zeit gearbeitet. Er ist bei einem Busunternehmen angestellt und hilft die Koffer ein- und auszuladen. Ich wollte anfänglich mit meinem Gatten zusammen das Leben in der Türkei verbringen. Ich habe dann aber bereits nach kurzer Zeit gemerkt, dass das für mich nicht möglich ist. Ich bin in Österreich aufgewachsen und ich fühle mich in Österreich zu Hause. Mit den Schwiegereltern hatte ich kein Problem. Sie waren immer nett zu mir. Mein Mann wollte am Anfang nicht, dass ich zurück nach Österreich komme - er hat dann aber eingesehen, dass ich es auf längere Zeit nicht in der Türkei aushalte. Mein Vater hatte dann immer wieder bei uns angerufen und nachgefragt wie es mir geht und er hat dann auch das Flugticket zurück bezahlt.

Als wir dann wussten, dass ich Ende Februar 2002 zurück nach Österreich fliege, sind wir noch zum Standesamt gegangen und haben unsere Ehe dort eintragen lassen.

..."

Mit Bescheid vom 10. Februar 2003 wies die belangte Behörde den Verleihungsantrag der Beschwerdeführerin gemäß §§ 10, 11, 11a, 12, 13 und 14 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) ab.

Die Beschwerdeführerin sei von ihrer Geburt bis 14. Februar 1986 und in weiterer Folge seit 13. Juli 1993 an näher genannten Adressen in F und zuletzt H mit Hauptwohnsitz polizeilich gemeldet (gewesen). Seit dem 12. März 2002 sei sie bei einem namentlich genannten Unternehmen beschäftigt.

Zur Frage der Dauer des ununterbrochenen Hauptwohnsitzes sei festzuhalten, dass sich die Beschwerdeführerin spätestens Ende September 2001 in die Türkei begeben habe, um dort mit ihrem Ehemann zusammenzuleben. Ab diesem Zeitpunkt hätten in der Türkei weit überwiegende gesellschaftliche, insbesondere familiäre (Ehegatte) Lebensbeziehungen der Beschwerdeführerin bestanden. Da sie in der Zeit ihres Türkeiaufenthaltes weder beschäftigt noch in Bezug von Arbeitslosen- bzw. Krankengeld gewesen sei, seien im angesprochenen Zeitraum auch keine beruflichen und wirtschaftlichen Lebensbeziehungen in Österreich erkennbar. Eine Gesamtbetrachtung dieser für die Begründung eines Hauptwohnsitzes ausschlaggebenden Kriterien lasse daher den Schluss zu, dass die Beschwerdeführerin im Zeitraum September 2001 bis Februar 2002 den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen in Österreich aufgegeben habe. Die neuerliche Begründung des Mittelpunktes der Lebensbeziehungen und damit auch die neuerliche Begründung eines Hauptwohnsitzes in Österreich sei erst wieder mit dem 28. Februar 2002 - Rückkehr aus der Türkei - anzunehmen. Der Umstand, dass für den Zeitraum September 2001 bis Februar 2002 keine Abmeldung des Hauptwohnsitzes in Österreich erfolgt sei, vermöge daran nichts zu ändern. Da die Beschwerdeführerin somit erst seit dem 28. Februar 2002 über einen ununterbrochenen Hauptwohnsitz in Österreich verfüge, komme eine Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht in Betracht.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - nach Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde - erwogen:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 StbG kann einem Fremden bei Erfüllung der sonstigen Verleihungsvoraussetzungen die Staatsbürgerschaft verliehen werden, wenn er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat. Liegt ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund vor, so kommt eine Verleihung der Staatsbürgerschaft schon nach vier- bzw. sechsjährigem ununterbrochenen Hauptwohnsitz in Betracht (§ 10 Abs. 4 Z 1 iVm Abs. 5 StbG).

Die belangte Behörde ist erkennbar den Angaben der Beschwerdeführerin bei ihren niederschriftlichen Einvernahmen vom 21. Mai 2002 und vom 12. November 2002 gefolgt. Diese Angaben sind zwar dahingehend deutbar, dass keine völlige Aufgabe ihrer Beziehungen zu Österreich erfolgte (insbesondere wenn - worauf die Beschwerde hinweist - berücksichtigt wird, dass sie im September 2001 "nur ein paar Kleidungsstücke mit in die Türkei genommen" habe, weil das impliziert, es seien ihre sonstigen Habseligkeiten in der bisher von ihr benützten Wohnung ihrer Eltern in Hard zurückgeblieben); es kann der belangten Behörde aber nicht entgegen getreten werden, wenn sie auf Grundlage der persönlichen Darstellung der Beschwerdeführerin zu dem Ergebnis gelangte, diese habe im Zeitraum September 2001 bis Februar 2002 den "Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen" - und damit ihren Hauptwohnsitz (Art. 6 Abs. 3 B-VG; vgl. in diesem Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom 24. Juni 2003, Zl. 2002/01/0081) - nicht in Österreich gehabt: Die Beschwerdebehauptungen, die Reise der Beschwerdeführerin in die Türkei sei lediglich zu Zwecken der Hochzeit durchgeführt worden, bzw. die Beschwerdeführerin sei davon ausgegangen, nach der Hochzeit wiederum nach Österreich zurückzukehren, sie habe sich (lediglich) anfangs auch vorstellen können, zukünftig ihren Wohnsitz in die Türkei zu verlegen, sind mit den eingangs wiedergegebenen Angaben der Beschwerdeführerin nicht in Einklang zu bringen. Es trifft wohl zu, dass ein bestehender Hauptwohnsitz diese Qualifikation nicht bloß auf Grund einer vorübergehenden Abwesenheit verliert, sofern der "Mittelpunktcharakter" des Hauptwohnsitzes erhalten bleibt (siehe abermals das zuvor erwähnte hg. Erkenntnis vom 24. Juni 2003). Im vorliegenden Fall jedoch kann davon bezüglich des seinerzeitigen Hauptwohnsitzes der Beschwerdeführerin in Österreich nicht ausgegangen werden, woran weder die Geburt noch der Schulbesuch im Inland noch der Aufenthalt der Verwandtschaft der Beschwerdeführerin in Österreich etwas zu ändern vermögen. Auch der Umstand, dass die Beschwerdeführerin während des fraglichen Türkeiaufenthaltes weiterhin mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet war, führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar wird im Hinblick auf die durch das Hauptwohnsitzgesetz, BGBl. Nr. 505/1994, geschaffene Rechtslage die Ansicht vertreten, eine aufrechte "Hauptwohnsitzmeldung" entfalte dergestalt "Tatbestandswirkung", dass der von ihr erfasste Ort bis zu einer Änderung der Meldung jedenfalls als Hauptwohnsitz gelte (Thienel, Meldung und Hauptwohnsitz, JRP 1999, 124 ff.). Für das Staatsbürgerschaftsrecht lässt sich eine derartige Wirkung allerdings nicht begründen, was schon daraus erhellt, dass das von Thienel als wesentliche Grundlage für seine These herangezogene Reklamationsverfahren nach § 17 des Meldegesetzes 1991 eine "meldetechnische" Anpassung an die tatsächlichen Verhältnisse nur pro futuro ermöglicht, während es bei den "Wohnsitzfristen" des StbG primär um eine vergangenheitsbezogene Betrachtung - von daher kommt auch die "Korrektivwirkung" des Reklamationsverfahren (siehe dazu auch VfSlg. 16.285/2001) nicht zum Tragen - geht. Insofern schlägt auch die in den ErläutRV zum Hauptwohnsitzgesetz (1334 BlgNR 18. GP 14) - wenngleich es dort heißt, die Äußerung des Bürgers im Meldezettel zur Wohnsitzqualität der angemeldeten Unterkunft wirke konstitutiv - geäußerte Absicht ("Mit dieser Konzeption ist die für das Wahlrecht erforderliche Eindeutigkeit und Präzision erreicht und andererseits dem Umstand Rechnung getragen, dass für die Begründung des Hauptwohnsitzes eine Willensentscheidung notwendig ist, die erst im Laufe der Zeit in die Wirklichkeit umgesetzt werden kann.") nicht durch.

Vor allem aber ist auf § 4 StbG zu verweisen, welcher Bestimmung durch die Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998, BGBl. I Nr. 124, ein zweiter Satz angefügt wurde, der wie folgt lautet:

"Fremde, die einen Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft eingebracht haben, sind jedoch verpflichtet, in diesen Verfahren ihre familiären Verhältnisse, die Mittelpunkte ihrer Lebensinteressen sowie ihre persönlichen Lebensumstände darzulegen."

Die ErläutRV (1283 BlgNR 20. GP 6 f.) führen dazu aus:

"Die Anführung des zweiten Satzes in § 4 soll die Fremden verpflichten, im Verfahren zur Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft der Behörde ihre persönlichen Lebensumstände und familiären Verhältnisse darzulegen. Die Behörde benötigt diese Angaben einerseits zur Feststellung des Mittelpunktes der Lebensinteressen, der sich im Bundesgebiet befinden soll (andernfalls fehlt es an dem Hauptwohnsitz im Bundesgebiet) und andererseits um beurteilen zu können, welche Anforderungen an die Deutschkenntnisse des Fremden (gemäß seinen Lebensumständen) zu stellen sind. Damit wird ungeachtet des Umstandes, dass dem Geschlecht und dem Familienstand eines Fremden im Rahmen des staatsbürgerschaftlichen Verfahrens an sich keine rechtliche Bedeutung zukommt, im Rahmen der Mitwirkungsverpflichtung des Staatsbürgerschaftswerbers die Voraussetzung dafür geschaffen, dass der Hauptwohnsitz eines Fremden verlässlich festgestellt werden kann, und dass die der Behörde in § 11 im Rahmen der Ermessensübung aufgetragene Bedachtnahme auf das Ausmaß der Integration des Fremden möglich ist."

Vor dem Hintergrund dieser nach Inkrafttreten des Hauptwohnsitzgesetzes geäußerten Überlegungen, die eine allfällige konstitutive Wirkung einer "Hauptwohnsitzmeldung" mit keinem Wort ansprechen und nicht erkennen lassen, dass sie sich nur auf den Fall einer (fälschlich) unterbliebenen Meldung beziehen, kommt nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes hinreichend klar zum Ausdruck, dass der Staatsbürgerschaftsbehörde eine autonome Beurteilung der "Hauptwohnsitzfrage" allein an den Kriterien des Art. 6 Abs. 3 B-VG - ohne Bindung an eine "Hauptwohnsitzmeldung" - offen stehen soll, zumal die in § 4 zweiter Satz StbG normierte Verpflichtung der Fremden zur Darlegung (u.a.) der "Mittelpunkte ihrer Lebensinteressen" wenig Sinn ergäbe, wenn es im Rahmen des Staatsbürgerschaftsrechtes nicht auf den materiellen Gehalt des Hauptwohnsitzes iSd Art. 6 Abs. 3 B-VG ankäme.

Im vorliegenden Fall muss die nach dem Gesagten der Staatsbürgerschaftsbehörde obliegende Beurteilung zu dem Ergebnis führen, dass die Beschwerdeführerin zwischen September 2001 und Februar 2002 keinen Hauptwohnsitz in Österreich hatte. Angesichts dessen kommt ungeachtet des Vorliegens des besonders berücksichtigungswürdigen Grundes der Geburt in Österreich (§ 10 Abs. 5 Z 6 StbG) eine Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht in Betracht, weshalb die gegen den Versagungsbescheid der belangten Behörde erhobene Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 29. Juni 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2003010169.X00

Im RIS seit

22.07.2004

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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