TE Vfgh Erkenntnis 2008/2/28 B914/07

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Veröffentlicht am 28.02.2008
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art30 Abs3
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129a Abs1 Z2
Nö Landtags-GeschäftsO 2001 - LGO 2001 §11 Abs1, §16 Abs1, Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richterdurch die Zurückweisung einer Beschwerde eines ehemaligenLandtagsabgeordneten gegen die Öffnung und Räumung derFraktionsräumlichkeiten des Beschwerdeführers sowie die behaupteteEntwendung von Unterlagen; Vorliegen eines dem Präsidenten desLandtages als oberstem Verwaltungsorgan zurechenbaren Aktesunmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt; Verweigerung derSachentscheidung durch den Unabhängigen Verwaltungssenat daher zuUnrecht

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Niederösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.340,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Abgeordneter der Freiheitlichen

Partei Österreichs im Niederösterreichischen Landtag. Nachdem ein Mitglied der Freiheitlichen Fraktionsgemeinschaft im März 2006 seinen Austritt erklärt hatte, wurde dem Beschwerdeführer von einem Beamten der Niederösterreichischen Landesregierung, Abteilung Gebäudeverwaltung, am 16. Mai 2006 mitgeteilt, dass die Fraktionsräumlichkeiten neu aufgeteilt werden müssten. Die beabsichtigten Änderungen wurden dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht. Der Beschwerdeführer erklärte sich mit diesen Änderungen nicht einverstanden, woraufhin die von ihm versperrt gehaltenen Fraktionsräumlichkeiten am 23. Mai 2006 in seiner Abwesenheit von Mitarbeitern der Abteilung Gebäudeverwaltung des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung (im Beisein von Mitarbeitern eines privaten Sicherheitsunternehmens) geöffnet und geräumt wurden. Laut einem im Verwaltungsakt befindlichen "Sachverhaltsdokument" der Abteilung Gebäudeverwaltung des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung vom 23. Mai 2006 wurde die Änderung der Raumaufteilung "im Einvernehmen mit der Landtagsdirektion" beschlossen und "seitens der Landtagsdirektion mehrmals" bei der Abteilung Gebäudeverwaltung "urgiert", "wann die Umbaumaßnahmen durchgeführt werden".

2. Mit Eingabe vom 3. Juli 2006 brachte der Beschwerdeführer beim Unabhängigen Verwaltungssenat Niederösterreich eine auf Art129a Abs1 Z2 B-VG iVm §67a Abs1 Z2 AVG gestützte Beschwerde gegen die von ihm als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt qualifizierte Öffnung und Räumung der seiner Partei zugeordneten Fraktionsräumlichkeiten sowie die im Zuge dieser Räumung erfolgte Entwendung fraktionsinterner Unterlagen ein. Die Maßnahmenbeschwerde richtete sich, wie nach einem Verbesserungsauftrag vom Beschwerdeführer klargestellt wurde, gegen die Niederösterreichische Landesregierung als belangte Behörde. Im Rahmen der vom Unabhängigen Verwaltungssenat durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde vom Vertreter der Niederösterreichischen Landesregierung vorgebracht, dass der Auftrag zur Räumung seitens des Landtagsdirektors an den Leiter der Gebäudeverwaltung telefonisch erfolgt wäre.

3. Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Niederösterreich, Außenstelle Mistelbach, vom 18. März 2007, Z Senat-MB-06-2002, wurde die Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen. Zunächst wurde ausgeführt, dass die angefochtene Maßnahme der Niederösterreichischen Landesregierung zuzuordnen sei. Spruchpunkt I (Zurückweisung der Beschwerde hinsichtlich der Entfernung von Unterlagen) wurde sodann im Kern damit begründet, dass der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Sachverhalt nicht erwiesen werden konnte. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens hätten sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Entfernung der Unterlagen tatsächlich während der Räumung der Fraktionsräumlichkeiten erfolgt sei. Spruchpunkt II (Zurückweisung der Beschwerde hinsichtlich Öffnung und Räumung der Büroräumlichkeiten) wurde im Ergebnis damit begründet, dass der angefochtene Akt nicht der Hoheits-, sondern der Privatwirtschaftsverwaltung zuzurechnen sei.

4. Gegen diesen - keinem weiteren Rechtszug unterliegenden - Bescheid richtet sich die vorliegende auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG), auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) und auf Unverletzlichkeit des Hausrechtes (Art9 StGG) sowie die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes des gewählten Abgeordneten auf Immunität (§5 Geschäftsordnung des Landtages von Niederösterreich [LGO 2001, LGBl. 0010-0]) behauptet und die (kostenpflichtige) Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

4.1. Der Beschwerdeführer bringt auf das Wesentliche zusammengefasst vor, die Behörde habe durch die "lapidare" Feststellung, es gäbe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Entfernung der Unterlagen tatsächlich während der Räumungsaktion erfolgt sei, gegen das Willkürverbot verstoßen. Sie habe sich insbesondere mit der Aussage des Beschwerdeführers, die keineswegs durch die Aussage der übrigen vernommenen Zeugen und die Einstellung des diesbezüglichen Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft widerlegt, sondern eher bestätigt werde, nicht auseinandergesetzt. Die belangte Behörde habe die Glaubwürdigkeit der bereits über die Anzahl der an der Räumungsaktion beteiligten Personen differierenden Angaben der vernommenen Zeugen und ihre "vage Äußerung", wonach ihnen nicht aufgefallen wäre, dass sich Personen mit Unterlagen entfernt hätten, einer berechtigten Kritik unterziehen müssen. Dass die Äußerung, "es ist mir nicht aufgefallen", keineswegs der Behauptung gleichkommt, dass ein bestimmtes Ereignis nicht stattgefunden hat, sei evident.

4.2. Daneben sei die Räumungsaktion, bei welcher das Büro des Beschwerdeführers, ohne diesen zu verständigen, in seiner Abwesenheit von einer unbestimmten Anzahl unbekannter Personen geräumt worden sei und danach Unterlagen verschwunden waren, "in Wahrheit als Hausdurchsuchung" zu qualifizieren. Im Hinblick auf die dem Beschwerdeführer als Abgeordnetem zum Niederösterreichischen Landtag zukommende Immunität stelle diese Vorgangsweise einen "krassen Verfassungsbruch" dar, zumal sich in den vom Beschwerdeführer vermissten Unterlagen vertrauliche Mitteilungen an ihn selbst sowie Namen von Informanten befunden hätten, sodass er annehmen müsse, dass bei der stattgefundenen Räumung gezielt nach derartigen Informationen gesucht worden ist. Diesbezüglich sei der Beschwerdeführer zudem wie jeder andere Staatsbürger auch in seiner Eigentumsfreiheit und seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Hausrechtes betroffen.

4.3. Schließlich hätte die belangte Behörde dadurch Willkür geübt, dass sie sich der Ansicht der Niederösterreichischen Landesregierung, wonach die Räumung nicht dem öffentlichen Recht, sondern dem Privatrecht zuzuordnen sei, "ohne weitere rechtliche Begründung angeschlossen" habe. Es sei daher Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenates, dass ein mit Hoheitsgewalt ausgestattetes Organ, nämlich der Leiter der hiefür zuständigen Abteilung der Gebäudeverwaltung, seinen Untergebenen die Räumung eines einem frei gewählten Abgeordneten zugewiesenen Dienstraumes ohne Verständigung des Besitzers und durch gewaltsames Eindringen anordnen könne. Eine derartige Anordnung sei zweifellos nur über politischen Auftrag erfolgt. Der Bescheid stehe daher wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage, und zwar hinsichtlich grundlegender verfassungsrechtlicher Bestimmungen, in einem besonderen Maße in Widerspruch mit den Rechtsvorschriften.

5. Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich, Außenstelle Mistelbach, hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die im angefochtenen Bescheid vertretene Rechtsauffassung verteidigt, und die Ablehnung der Beschwerde, in eventu ihre (kostenpflichtige) Abweisung beantragt wird.

Die belangte Behörde führt im Wesentlichen aus, dass entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers aus einem Abbruch der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft in keiner Weise darauf geschlossen werden könne, dass die Aktenteile tatsächlich im Zuge der Räumung der Büros aus diesen entfernt worden seien. Weder während des durchgeführten Verfahrens noch im Zuge der Beschwerde lasse der Beschwerdeführer erkennen, woraus sich eine Zurechnung des angefochtenen Aktes zur Hoheitsverwaltung und damit eine Beurteilungsmöglichkeit als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ableiten lasse. Es stelle sich im gegenständlichen Verfahren nicht die Frage, ob die Räumung "nur über politischen Auftrag" erfolgt sei.

6. Die Niederösterreichische Landesregierung (Abteilung Gebäudeverwaltung) hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie ebenfalls die im angefochtenen Bescheid vertretene Rechtsauffassung stützt und die Ablehnung der Beschwerde, in eventu deren (kostenpflichtige) Abweisung als unbegründet beantragt.

Sie führt auf das Wesentliche zusammengefasst aus, dass der belangten Behörde keine gegen das Willkürverbot verstoßenden Fehler bei der Durchführung des Ermittlungsverfahrens vorgeworfen werden könnten. Wie die Niederösterreichische Landesregierung bereits in ihrer Gegenschrift im Maßnahmenbeschwerdeverfahren dargetan habe, könne die Entscheidung über die Zuweisung von Räumlichkeiten an Fraktionen des Landtages schon in Ermangelung einer hinreichend determinierten gesetzlichen Grundlage im Sinne des Art18 B-VG nicht als hoheitlicher Akt gedeutet werden. Gleiches gelte wegen der erörterten Konnexität auch für die Überarbeitung der Raumverteilung und deren Durchsetzung durch die faktische Übersiedlung in die dem Beschwerdeführer neu zugewiesenen Räume.

7. Der Beschwerdeführer hat zur Äußerung der Niederösterreichischen Landesregierung eine Replik erstattet und die Beschwerde in vollem Umfang aufrechterhalten.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

Bedenken gegen die Rechtsgrundlagen wurden nicht vorgebracht und es sind solche beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass dieser Beschwerde auch nicht entstanden.

2. Die Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat richtete sich gegen die Öffnung und Räumung der Fraktionsräumlichkeiten des Beschwerdeführers und die nach den Beschwerdebehauptungen dabei erfolgte Entwendung von Unterlagen.

3. In der Begründung zu Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides hat die belangte Behörde ausgeführt, dass eine Voraussetzung für die Annahme eines Aktes unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt sei, dass dieser der Hoheitsverwaltung zuzurechnen ist. Die Öffnungs- und Räumungsaktion sei jedoch als Akt der Privatwirtschaftsverwaltung zu qualifizieren, sodass sich die Beschwerde aus diesem Grund als unzulässig erweise.

3.1. Die belangte Behörde geht bei ihrer Beurteilung zunächst davon aus, dass die in Rede stehenden Akte der Niederösterreichischen Landesregierung zuzurechnen sind. Sie begründet diese Zuordnung im Einzelnen folgendermaßen:

"Dazu ist zunächst zu bemerken, dass dem NÖ Landes- bzw. Landesverfassungsrecht eine diesbezügliche klare Zuordnung, wie sie die parallelen Regeln des Bundes kennen (vgl §14 GOG-NR), fremd ist. Erwogen werden könnte in diesem Zusammenhang allenfalls, ob eine solche Zuordnung aus §16 Abs1 der Geschäftsordnung des NÖ Landtages (LGO 2001, LGBL 0010-0) abgeleitet werden könne, wonach die Verwaltung der dem Landtag zugeordneten sachlichen Einrichtungen durch die Landtagsdirektion erfolgt. Fraglich ist insoweit zum einen, ob auch die vom Landtag bzw. von einzelnen Klubs genutzt Immobilien als 'Einrichtungen' i.S.d. Bestimmung zu verstehen sind, zum anderen, ob alle vom Landtag genutzten Einrichtungen auch hinsichtlich ihrer Verwaltung immer dem Landtag zuzurechnen sein müssen. Hinsichtlich letzterer Frage scheint in einem ersten Schritt bereits aus §16 Abs3 LGO 2001, wonach dem Landtag auch weitere Einrichtungen des Landes NÖ zur Verfügung gestellt werden können, abgeleitet werden zu können, dass nicht sämtliche vom Landtag genutzten Einrichtungen auch von diesem bzw. von der Landtagsdirektion zu verwalten sind. Geht man davon aus, so kann alleine aus der Nutzung von Einrichtungen durch Organe des Landtags bzw. durch Klubs für die Frage der Zuordnung nichts gewonnen werden. Einen möglichen Ansatz für eine Zuordnung könnte allerdings der jeweilige Budgetvoranschlag des Landes NÖ bieten (...). In diesem fällt nun auf, dass der für den Betrieb bzw. die Instandhaltung der vom Landtag genutzten Immobilien erforderliche Finanzaufwand nicht - getrennt von den übrigen des Landes NÖ - gesondert seinen Niederschlag finden, sondern offenbar vom Budgetposten '02001 Amt der Landesregierung, Amtsgebäude' mitumfasst wird. In dieses Bild passt es schlussendlich, dass auch die Verwaltung im gegenständlichen Fall offenkundig nicht durch dem Landtag zugeordnete Bedienstete erfolgte, sondern durch die Abteilung Gebäudeverwaltung des Amtes der NÖ Landesregierung, wobei diesbezüglich eine entsprechende ausdrückliche Regelung betreffend deren Unterordnung unter die Landtagsdirektion nicht ersichtlich ist. Im Hinblick darauf, dass sich für eine Zuordnung der Verwaltung der Klubräumlichkeiten zu den vom Landtag zu verwaltenden sachlichen Einrichtungen aus dem positiven Recht nichts gewinnen lässt und die Verwaltung von Landesimmobilien im Übrigen Sache der NÖ Landesregierung ist (Art29 Abs1 NÖ Landesverfassung 1979), geht die Behörde in weiterer Folge davon aus, dass auch die Räumung nicht dem Landtag, sondern der NÖ Landesregierung zuzurechnen ist."

3.2. In der Folge gelangt die belangte Behörde zu der Auffassung, dass diese Verwaltung von Landesimmobilien keine Sache der Hoheitsverwaltung, sondern der Privatwirtschaftsverwaltung zuzuordnen ist. Sie begründet dies wie folgt:

"Zu prüfen ist (...) die Rechtsnatur der Zuweisung der interessierenden Räumlichkeiten. In diesem Zusammenhang kann zunächst nicht übersehen werden, dass dem NÖ Landesrecht eine ausdrückliche Regelung über einen Anspruch von Abgeordneten (aber auch Klubs) auf Arbeitszimmer bzw. sonstige Räumlichkeiten ebenso fremd ist wie eine Regelung über die Zuordnung derselben. Eine solche (wenigstens im Ansatz) wäre aber jedenfalls erforderlich, um von einem durch Hoheitsakt begründeten Rechtsverhältnis ausgehen zu können.

Mangels solcher Anhaltspunkte, die auch vom Beschwerdeführer trotz entsprechender Möglichkeiten hiezu nicht dargelegt werden konnten, teilt der Unabhängige Verwaltungssenat die Ansicht der belangten Behörde, dass die Zuordnung und die weitere Nutzung der Räumlichkeiten dem Zivilrecht zuzurechnen ist, wobei es im vorliegenden Fall dahingestellt werden kann, ob das fragliche Nutzungsverhältnis als Prekarium zu bewerten ist oder nicht. Daran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass die Anknüpfung für die Gewährung der Nutzung (mithin die hinter der Einräumung stehende Intention) im öffentlichen Recht - nämlich in der Stellung des Beschwerdeführers als Abgeordneter des NÖ Landtages - zu suchen ist."

3.3. Die Niederösterreichische Landesregierung vertrat dagegen in ihrer Gegenschrift im Verfahren vor der belangten Behörde die Auffassung, dass die Abteilung Gebäudeverwaltung des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung "im Auftrag des Landtages" tätig geworden sei.

4. Vor diesem Hintergrund ist zu prüfen, ob die belangte Behörde in Bezug auf die angefochtene Öffnung und Räumung der Fraktionsräumlichkeiten des Beschwerdeführers das Vorliegen eines Aktes unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu Recht verneint hat.

4.1. Gemäß Art129a Abs1 Z2 B-VG iVm §67a Abs1 Z2 AVG erkennen die Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges (sofern ein solcher in Betracht kommt) über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein (ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes).

4.2. Kennzeichnend für einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ist, dass ein Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung gegenüber einem individuell bestimmten Adressaten physischen Zwang (Gewalt) ausübt oder einen Befehl (mit unverzüglichem Befolgungsanspruch) erteilt (vgl. Köhler, in Korinek/Holoubek (Hrsg.), Bundesverfassungsrecht, 1999, Art129a B-VG, Rz 47; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts10, 2007, Rz 608 ff.).

4.3. Eine Maßnahme stellt also nur dann einen vor den Unabhängigen Verwaltungssenaten bekämpfbaren Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt dar, wenn er von einem Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung gesetzt worden ist. Maßnahmen, die einer anderen Staatsfunktion oder einer nicht staatlichen Tätigkeit zuzuordnen sind, stellen keine Akte unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt dar. Werden Organe einer Staatsfunktion im Auftrag einer anderen tätig, werden sie nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. VfSlg. 10.290/1984; 11.961/1989; 13.670/1994) jener Staatsfunktion zugerechnet, in deren Auftrag sie handeln.

5. Ein wesentlicher Anhaltspunkt für die Zurechnung des in Beschwerde gezogenen Handelns der Organe des Amtes der Landesregierung lässt sich aus dem bundesverfassungsrechtlichen Konzept der Qualifikation entsprechender Zuständigkeiten als Angelegenheiten der Verwaltung ableiten. Dieses Konzept, das sich insbesondere in Art30 Abs3 B-VG manifestiert, ist auch dem Verständnis des niederösterreichischen Landesrechts zugrunde zu legen.

5.1. Nach Art30 Abs3 B-VG ist die dem Präsidenten des Nationalrates unterstehende Parlamentsdirektion zur Unterstützung der parlamentarischen Aufgaben und zur Besorgung der Verwaltungsangelegenheiten im Bereich der Gesetzgebungsorgane des Bundes berufen. Die Verwaltung der Parlamentsgebäude gehört zu den Angelegenheiten, die der Präsident des Nationalrates als oberstes Verwaltungsorgan besorgt (Atzwanger/Zögernitz, Nationalrat-Geschäftsordnung3, 1999, §14 Rz 15). §14 Abs1 GOG-NR legt fest, dass der Präsident des Nationalrates das Hausrecht in den Parlamentsgebäuden ausübt. Nach der ausdrücklichen Regelung in den Punkten 7 und 8 der auf Grundlage dieser Bestimmung erlassenen Hausordnung für die Parlamentsgebäude 2006 bestimmt der Präsident des Nationalrates über die Überlassung von Räumen und deren Nutzungsdauer.

5.2. Anders als im Bundesrecht bestehen auf Ebene des Niederösterreichischen Landesrechts keine ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmungen über die Zuweisung bzw. die Aberkennung des Nutzungsrechtes über Räumlichkeiten an Landtagsabgeordnete bzw. Fraktionen des Landtages.

Gemäß der Verfassungsbestimmung des §11 Abs1 der Geschäftsordnung des Niederösterreichischen Landtages (LGO 2001, LGBl. 0010-0) wacht der Präsident des Landtages darüber, dass die Würde und Rechte des Landtages gewahrt, die dem Landtag obliegenden Aufgaben erfüllt und die Verhandlungen ohne unnötigen Aufschub durchgeführt werden. Auch wenn im niederösterreichischen Landesrecht vergleichbare Regelungen über die Zuweisung und Aberkennung des Nutzungsrechtes an Räumlichkeiten von Abgeordneten zum Landtag fehlen, ist nicht zuletzt unter Berücksichtigung der Rechtslage auf Bundesebene (Art30 Abs3 B-VG) auf Grund von §11 Abs1 LGO davon auszugehen, dass diese Aufgabe nach niederösterreichischem Landesrecht dem Präsidenten des Landtages zukommt.

Dieses Ergebnis wird durch die (im Rang eines einfachen Landesgesetzes stehende) Regelung des §16 Abs1 LGO bestätigt, wonach die Landtagsdirektion die sachlichen Einrichtungen des Landtages zu verwalten hat, zu denen ohne Zweifel auch die Räumlichkeiten des Landtages gehören. Nach der Verfassungsbestimmung des §16 Abs2 LGO geschieht dies unter der Leitung des Präsidenten des Landtages. Der Präsident des Landtages ist demgemäß auch für die Zuweisung und die Aberkennung des Nutzungsrechtes an Fraktionsräumlichkeiten zuständig.

5.3. Im Ergebnis ist daher die Aufgabe der Verwaltung der Landtagsräume bzw. die mit ihr einhergehende Befugnis zur Zuweisung und Entziehung von Räumlichkeiten im Einklang mit der entsprechenden Rechtslage für den Nationalrat als eine Angelegenheit anzusehen, bei der der Präsident des Landtages als oberstes Verwaltungsorgan tätig wird.

5.4. Bei dieser Rechtslage sind die Akte von Bediensteten der Abteilung Gebäudeverwaltung des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung, die nach den Angaben der Niederösterreichischen Landesregierung in ihrer Gegenschrift zur Maßnahmenbeschwerde "im Auftrag des Landtages" tätig wurden, dem Landtagspräsidenten als oberstem Verwaltungsorgan zuzurechnen (§16 Abs1 und 2 LGO). Dies entspricht der Konzeption des Art30 Abs3 B-VG (siehe oben Pkt. 5.1.).

5.5. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde ist die im vorliegenden Fall bekämpfte Maßnahme im Rahmen dieser Verwaltungsaufgabe des Präsidenten des Landtages aber nicht Teil der Privatwirtschaftsverwaltung. Vielmehr wird jedenfalls durch das (gewaltsame) Öffnen und die Räumung von Räumlichkeiten gegen den Willen des bisherigen Nutzers mit Zwang in die Rechtsposition des Beschwerdeführers eingegriffen, die das aus der Zuweisung eines Raumes erwachsende Recht umfasst, diesen grundsätzlich für die Dauer einer Gesetzgebungsperiode ungestört nutzen zu können.

Die in Beschwerde gezogenen Handlungen wurden daher im Rahmen der Hoheitsverwaltung gesetzt und bilden als solche Akte unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt.

6. Bei diesem Ergebnis wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, die Rechtmäßigkeit der aufgrund des Auftrages des Präsidenten des Landtages erfolgten Öffnung und Räumung der Fraktionsräumlichkeiten nachzuprüfen. Dadurch, dass die Behörde ihre Zuständigkeit zu Unrecht verneint hat, hat sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert. Der Beschwerdeführer wurde daher in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

Im Rahmen der gebotenen Nachprüfung wird sich die belangte Behörde auch mit der behaupteten Entwendung von Unterlagen im Zuge der Öffnung und Räumung der Fraktionsräumlichkeiten auseinander zu setzen haben.

7. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 360,-- sowie die (entrichtete) Eingabegebühr in der Höhe von € 180,-- enthalten.

8. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Landtag, Parlament,Hoheitsverwaltung, Privatwirtschaftsverwaltung, Analogie

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2008:B914.2007

Zuletzt aktualisiert am

18.08.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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