TE Vwgh Erkenntnis 2004/9/14 2001/11/0329

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Veröffentlicht am 14.09.2004
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
68/01 Behinderteneinstellung;
82/02 Gesundheitsrecht allgemein;

Norm

AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
BEinstG §23 Abs1;
ImpfSchG §1b Abs1;
ImpfSchG §2 Abs1;
ImpfSchG §6 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §48 Abs1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Pallitsch, Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der Mag. N in W, vertreten durch Dr. Erich Proksch, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Auhofstraße 1, gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen vom 11. September 2001, Zl. 144.039/3-5a/01, betreffend Entschädigung nach dem Impfschadengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Schreiben an das Bundessozialamt Wien Niederösterreich Burgenland vom 15. September 1999 stellte die im Jahr 1973 geborene Beschwerdeführerin einen Antrag auf Entschädigung nach dem Bundesgesetz über die Entschädigung für Impfschäden (Impfschadengesetz). Sie begründete diesen Antrag damit, dass ihr am 6. Mai 1999 eine FSME-Auffrischungsimpfung verabreicht worden sei und in der Folge bei ihr zahlreiche Beschwerden aufgetreten seien, sodass sie sich nach wie vor im Krankenstand befinde.

Das Bundessozialamt Wien Niederösterreich Burgenland holte ein nervenfachärztliches Sachverständigengutachten ein. Der Facharzt für Nervenkrankheiten Dr. H. kam in seinem Gutachten vom 17. November 1999 zu folgendem Ergebnis:

"DIAGNOSE:

1.

Reste einer Recurrensparese rechts

IV/I/450 ........... 10 %

Oberer Rahmensatz, da noch leichte Heiserkeit.

2.

Geringes motor. Defizit nach N.thoracicus longus Parese li (angedeut. Scapula alata)

g.z.IV/i/458 ...... 10 %

Mittlerer Rahmensatz, da bei unauffälliger Motorik noch Scapula alata geringen Grades.

Gesamt-GdB 10 %, Leiden 1., wird durch Leiden 2., nicht weiter erhöht, da Leiden 2. keine Funktionsstörung verursacht.

Es besteht bezüglich dieser Leiden Kausalität. Nach FSME-Impfungen werden periphere Nervenläsionen in seltenen Fällen beobachtet. Es besteht eine gute Rückbildungstendenz und auch eine entsprechend günstige Prognose, daher NU im Jänner 2001 indiziert."

Nachdem die Beschwerdeführerin im Rahmen des Parteiengehörs Einwendungen gegen dieses Gutachten erhoben hatte, wurde es ergänzt. Dr. H. gelangte in seinem Gutachten vom 14. Juni 2000 nunmehr zu folgender Einschätzung:

"Stufenweise Einschätzung:

 

 

1.6.99 bis 20.6.99:

 

 

1. Recurrensparese rechts

IV/i/451 ........ 20 %

 

Gesamt-GdB: 20 %

 

 

Ab 21.6.99 bis 5.7.99:

 

 

1. Recurrensparese rechts

IV/i/450 ........ 10 %

 

Oberer Rahmensatz, da noch leichte Heiserkeit.

 

 

Gesamt-GdB: 10 %

 

 

Ab 6.7.99 bis 15.7.99:

 

 

1. N.thorac.longus-Parese mit Scapula alata und Elevationsschwäche des linken Armes

 

IV/i/459 ......... 30 %

 

2. Recurrensparese rechts

IV/i/450 ......... 10 %

 

Oberer Rahmensatz, da noch leichte Heiserkeit.

 

 

Gesamt-GdB: 30 %, weil Leiden 1 durch Leiden 2 nicht weiter erhöht wird.

Ab 16.7.99 bis 23.7.99

 

 

1. N.thorac.longus-Parese mit Scapula alata und Elevationsschwäche des linken

Armes

IV/i/458 ......... 20 %

 

Oberer Rahmensatz, da noch motorische Schwäche.

2. Recurrensparese rechts

IV/i/450 ......... 10 %

 

Oberer Rahmensatz, da noch leichte Heiserkeit.

 

 

Gesamt-GdB: 20 %, weil Leiden 1 durch Leiden 2 nicht weiter erhöht wird.

Ab 24.7.99:

 

 

1. N.thorac.longus-Teilparese

 

 

 

IV/i/458 ........ 10 %

 

Mittlerer Rahmensatz, da bei unauffälliger Motorik noch geringe Scapula alata.

2. Recurrensparese rechts

IV/i/450 ......... 10 %

 

Oberer Rahmensatz, da noch leichte Heiserkeit.

 

 

Gesamt-GdB: 10 %, weil Leiden 1 durch Leiden 2 nicht weiter erhöht wird."

Das Bundessozialamt Wien Niederösterreich Burgenland erließ

daraufhin einen mit 6. Oktober 2000 datierten Bescheid mit

folgendem Spruch:

"BESCHEID

I.)

Auf Ihren Antrag vom 15. September 1999, eingelangt am 17. September 1999, werden gemäß §§ 1b Abs. 1 und 2, 3 Abs. 2 Impfschadengesetz, BGBl. Nr. 371/1973, in geltender Fassung, in Verbindung mit § 55 Abs. 1 Heeresversorgungsgesetz (HVG), BGBl. Nr. 27/1964, in geltender Fassung, nachstehend angeführte Gesundheitsschädigungen als Folge der am 6. Mai 1999 verabreichten FSME-Auffrischungsimpfung als Impfschädigung anerkannt:

Vom 1.6.1999 bis 5.7.1999:

'Recurrensparese rechts'

Vom 6.7.1999 bis 23.7.1999:

1. 'N.thorac.longus-Parese mit Scapula alata und Elevationsschwäche des linken Armes',

2. 'Recurrensparese rechts'

Ab 24.7.1999:

1.

'N.thorac.longus-Teilparese links'

2.

'Recurrensparese rechts'.

II.)

Der Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung wird gemäß § 2 Abs. 1 Impfschadengesetz, BGBl. Nr. 371/1973, in geltender Fassung, abgelehnt."

In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, aufgrund des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens sei erwiesen, dass die oben unter Punkt I angeführten Gesundheitsschädigungen zur Gänze eine Impfschädigung im Sinne des § 1b des Impfschadengesetzes darstellten. Gemäß § 21 Abs. 1 HVG habe der Beschädigte Anspruch auf Beschädigtenrente, wenn seine Erwerbsfähigkeit infolge der Impfschädigung über drei Monate nach dem Eintritt der Gesundheitsschädigung hinaus um mindestens 25 v.H. vermindert sei; die Beschädigtenrente gebühre für die Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 25 v.H. Laut den eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten vom 17. November 1999 und vom 14. Juni 2000, die als schlüssig befunden und in freier Beweiswürdigung diesem Bescheid zugrunde gelegt würden, habe die Minderung der Erwerbsfähigkeit infolge des schädigenden Ereignisses (Impfung) weniger als 25 v.H. betragen. Somit sei ein Anspruch auf Beschädigtenrente nach dem Impfschadengesetz in Verbindung mit dem Heeresversorgungsgesetz nicht gegeben. Auch ein Anspruch auf Übernahme der Kosten gemäß § 2 Abs. 1 lit. a und b des Impfschadengesetzes bestehe nicht, weil dann, wenn die Schädigung Dauerfolgen nicht bewirkt habe, gemäß § 2a Abs. 1 des Impfschadengesetzes eine Entschädigung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. a und b nur bestehe, wenn durch die Impfung eine schwere Körperverletzung im Sinne des § 84 Abs. 1 StGB bewirkt worden sei. Die genannte Voraussetzung (schwere Körperverletzung) sei im gegenständlichen Fall nicht gegeben.

In ihrer dagegen erhobenen Berufung bekämpfte die Beschwerdeführerin ausdrücklich nur Spruchpunkt II des erstinstanzlichen Bescheides. Sie brachte im Wesentlichen vor, eine Körperverletzung sei gemäß § 84 Abs. 1 StGB insbesondere dann als schwer anzusehen, wenn sie eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit zur Folge gehabt habe. Die Beschwerdeführerin sei wesentlich länger als 24 Tage, nämlich insgesamt 8 Wochen, berufsunfähig gewesen. Der Impfschaden habe zwar keine Dauerfolgen bewirkt, eine schwere Körperverletzung liege jedoch jedenfalls vor.

Der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen holte daraufhin ein weiteres nervenfachärztliches Sachverständigengutachten ein. Die Fachärztin für Nervenkrankheiten Dr. F. gelangte in ihrem Gutachten vom 23. April 2001 zum Ergebnis, dass ein Impfschaden infolge der FSME-Impfung zwar nicht ausgeschlossen werden könne, bei der Beschwerdeführerin aber nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Impfschaden ausgegangen werden könne.

Nachdem die Beschwerdeführerin eine zur hg. Zl. 2001/11/0225 protokollierte Säumnisbeschwerde erhoben hatte, gab der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen mit Bescheid vom 11. September 2001 der Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge und behob den "angefochtenen" (erstinstanzlichen) Bescheid. Gleichzeitig sprach der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen aus, dass die mit Antrag vom 15. September 1999 geltend gemachten Gesundheitsschädigungen gemäß § 1b des Impfschadengesetzes nicht als Impfschaden anerkannt werden. Ein Anspruch auf Entschädigung gemäß den §§ 2, 2a des Impfschadengesetzes bestehe nicht. In der Begründung wurde nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und des Sachverständigengutachtens vom 23. April 2001 sowie der zu diesem Gutachten ergangenen Stellungnahme des ärztlichen Dienstes des Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen vom 18. Juni 2001 ausgeführt, Voraussetzung für eine Entschädigung gemäß den §§ 2, 2a des Impfschadengesetzes sei, dass durch eine verabreichte Impfung (§ 1b leg.cit.) eine Gesundheitsschädigung ausgelöst, d.h. ein Impfschaden bewirkt worden sei. Die im Impfschadengesetz näher genannten Ersatzpflichten träten nur dann ein, wenn ein durch eine Impfung verursachter Schaden vorliege, wobei nicht schon eine bloße Möglichkeit eines Ursachenzusammenhanges mit einer Impfung genüge, sondern ein solcher Zusammenhang festgestellt sein müsse. Es stehe nicht schon dann einer Entschädigung nach dem Impfschadengesetz zu, wenn ein Zusammenhang mit der Impfung nicht ausgeschlossen werden könne, sondern erst dann, wenn ein solcher Zusammenhang habe festgestellt werden können. Im vorliegenden Berufungsfall sei daher zu prüfen, ob die am 6. Mai 1999 verabreichte FSME-Auffrischungsimpfung am Erfolg, d.h. an der eingetretenen Gesundheitsschädigung, wesentlich mitgewirkt habe. Nach der auch in Angelegenheiten des Impfschadengesetzes anzuwendenden Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung sei daher als Ursache einer eingetretenen Wirkung im Rechtssinne nicht jede "conditio sine qua non", sondern die Gesamtheit derjenigen Bedingungen zu werten, die am Erfolg wesentlich mitgewirkt haben; wirken mehrere Bedingungen für einen Erfolg zusammen, so könne nur jene Bedingung als wesentlich gewertet werden, die in ihrer Wirkung den anderen Bedingungen nach Bedeutung und Tragweite annähernd gleichwertig sei. Habe dagegen einer der als Bedingungen in Betracht zu ziehenden Umstände überragend auf den Erfolg hingewirkt und ihn solcherart entscheidend geprägt, so sei er als alleinige Ursache im Rechtssinn zu bewerten. Sei daher zwischen der Erkrankung und der Impfung ein Kausalzusammenhang nachgewiesen und kommen noch andere Bedingungen für die vorliegende Erkrankung in Betracht, bedürfe es entsprechender Beweiserhebungen, welche dieser Bedingungen als wesentlich gewertet werden könne. Das zweitinstanzliche medizinische Beweisverfahren habe eindeutig ergeben, dass ein kausaler Zusammenhang der bestehenden Gesundheitsschädigungen mit der Impfung nicht bestehe. Insbesondere hätten die beigezogenen medizinischen Sachverständigen und der ärztliche Dienst des Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen schlüssig unter Hinweis auf aktuelle medizinisch-wissenschaftliche Literatur hingewiesen, dass nach FSME-Impfungen nur in ganz seltenen Fällen eine Neuritis von unterschiedlichem Schweregrad vorhanden und ein Schmerz in den Halswirbelgelenken den klinischen Symptomen einer Meningitis ähnlich sein könne, der jedoch innerhalb weniger Tage vergehe. Der ursächliche Zusammenhang mit FSME-Impfungen werde aus wissenschaftlicher Sicht als fraglich bzw. unsicher bezeichnet. In der Fachliteratur fänden sich jedenfalls keine Hinweise für das Vorliegen eines Kausalzusammenhanges zwischen FSME-Impfungen und Paresen/peripheren Nervenlähmungen, die mehrere Wochen später (im vorliegenden Fall etwa drei Wochen) auftreten. Zwischen der Erkrankung der Beschwerdeführerin und der Impfung lasse sich somit kein Kausalzusammenhang feststellen. Die Ausführungen der Sachverständigen, dass ein Impfschaden zwar nicht ausgeschlossen werden könne, ermöglichten im Hinblick auf die oben angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keine positive Beurteilung. Die belangte Behörde sei gemäß § 66 Abs. 4 AVG berechtigt gewesen, den angefochtenen Bescheid zu Ungunsten der Beschwerdeführerin abzuändern.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1.1. Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Impfschadengesetzes, BGBl. Nr. 371/1973, in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 16/1999, lauten (auszugsweise):

"§ 1b. (1) Der Bund hat ferner für Schäden nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes Entschädigung zu leisten, die durch eine Impfung verursacht worden sind, die nach einer gemäß Abs. 2 erlassenen Verordnung zur Abwehr einer Gefahr für den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung im Interesse der Volksgesundheit empfohlen ist.

...

§ 2. (1) Als Entschädigung sind zu leisten:

a) Übernahme der Kosten für die Behandlung zur Besserung oder Heilung des Impfschadens:

1.

ärztliche Hilfe;

2.

Versorgung mit den notwendigen Arznei-, Verband- und Heilmitteln;

3.

Versorgung mit orthopädischen Behelfen;

4.

Pflege und Behandlung in Krankenanstalten und Kuranstalten in der allgemeinen Pflegegebührenklasse;

              5.              die mit der Behandlung verbundenen unvermeidlichen Reise- und Transportkosten, erforderlichenfalls auch für eine Begleitperson;

              b)              Übernahme der Kosten für Maßnahmen zur Rehabilitation unter sinngemäßer Anwendung der lit. a Z 1 bis 5;

              c)              wiederkehrende Geldleistungen im gleichen Ausmaß wie die entsprechenden Geldleistungen nach dem Heeresversorgungsgesetz (HVG); BGBl. Nr. 27/1964 in der geltenden Fassung:

1.

Beschädigtenrente gemäß §§ 23, 24, 24a, 24b und 25 HVG;

2.

Pflegezulage gemäß § 27 HVG;

...

§ 2a. (1) Hat die Schädigung Dauerfolgen nicht bewirkt, gebührt eine Entschädigung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. a und b nur, wenn durch die Impfung eine schwere Körperverletzung im Sinne des § 84 Abs. 1 StGB bewirkt worden ist.

...

§ 6.

...

(2) Alle Amtshandlungen, Eingaben, Vollmachten und sonstige Urkunden über Rechtsgeschäfte sowie Zeugnisse in Angelegenheiten der Durchführung der Entschädigung für Impfschäden sind von bundesgesetzlich geregelten Gebühren und Verwaltungsabgaben befreit."

1.2. § 1 der Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales über empfohlene Impfungen, BGBl. II Nr. 242/1997, lautete (auszugsweise):

"§ 1. Impfungen im Sinne des § 1b Abs 2 des Impfschadengesetzes sind:

Impfungen - auch in Kombination - gegen

...

9. Frühsommermeningoencephalitis,

...".

2. Die Beschwerde ist begründet.

2.1. Die Erstbehörde hat im Spruchpunkt I ihres Bescheides die bei der Beschwerdeführerin aufgetretenen Gesundheitsschädigungen als Impfschaden anerkannt. Sie hat damit unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die der Beschwerdeführerin am 6. Mai 1999 verabreichte FSME-Impfung für die im Spruch genannten Gesundheitsschädigungen kausal gewesen sei. Mit Spruchpunkt II wurde der Antrag der Beschwerdeführerin abgewiesen, weil die übrigen im Impfschadengesetz vorgesehenen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Entschädigung dem Grunde nach nicht gegeben seien.

Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Berufung (folgerichtig) ausdrücklich nur Spruchpunkt II des erstinstanzlichen Bescheides bekämpft; die im Spruchpunkt I erfolgte Anerkennung der Gesundheitsschädigungen als Impfschaden hat sie unbekämpft gelassen.

Die belangte Behörde hat dessen ungeachtet den Antrag der Beschwerdeführerin mit der wesentlichen Begründung abgewiesen, dass ein Kausalzusammenhang zwischen der Impfung und den Gesundheitsschädigungen nicht bestehe, ein Impfschaden im Sinne des Impfschadengesetzes somit nicht vorliege.

Nach § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde (sofern nicht die Berufung als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist oder ein Fall des § 66 Abs. 2 leg. cit. vorliegt) immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und dem gemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

"Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der Unterbehörde gebildet hat, im Fall einer eingeschränkten Berufung der vom Rechtsmittel erfasste Teil des Bescheides, wenn dieser vom übrigen Bescheidinhalt trennbar ist (vgl. dazu die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), 1267 f, zu E 131 und 132 wiedergegebene hg. Judikatur).

Das Impfschadengesetz sieht zwar - anders als etwa das Heeresversorgungsgesetz hinsichtlich der Anerkennung einer Dienstbeschädigung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. September 2001, Zl. 99/09/0204) - einen gesonderten Abspruch über das Vorliegen eines Impfschadens nicht ausdrücklich vor. Es kann im Beschwerdefall aber dahingestellt bleiben, ob deshalb ein derartiger (vorgelagerter) Abspruch über die Anerkennung eines Impfschadens unzulässig ist. Aus der allfälligen Unzulässigkeit eines gesonderten Abspruches im Sinne des § 59 Abs. 1 letzter Satz AVG über die Anerkennung eines Impfschadens einerseits und das Bestehen eines Entschädigungsanspruchs andererseits folgte nämlich nicht schon eine solche Untrennbarkeit der beiden Absprüche, die bei eingeschränkter Berufung eine Teilrechtskraft des nicht angefochtenen Abspruches verhinderte. Eine Untrennbarkeit in diesem Sinn setzt vielmehr einen solchen inneren Zusammenhang zwischen dem angefochtenen und dem nicht angefochtenen Abspruch des unterinstanzlichen Bescheides voraus, kraft dessen die Absprüche in Wahrheit nur einen Abspruch mit unselbständigen Teilen darstellen, von denen der Sache nach keiner für sich allein bestehen und daher auch nicht in Teilrechtskraft erwachsen kann (vgl. das zur Frage der Trennbarkeit der Absprüche über die Entziehung der Lenkerberechtigung an sich und über die festzusetzende Zeit ergangene hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 28. November 1983, Zl. 82/11/0270, Slg. Nr. 11237/A).

Das Vorliegen eines Impfschadens ist notwendige Voraussetzung für einen Anspruch auf die im Impfschadengesetz näher bezeichneten Entschädigungsleistungen. Die Anerkennung eines Impfschadens steht aber, wie nicht zuletzt das Heeresversorgungsgesetz zeigt, mit den übrigen Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Entschädigung dem Grunde nach sowie mit der Bemessung der Entschädigungsleistungen in keinem untrennbaren rechtlichen Zusammenhang, wird doch durch die Bejahung eines Impfschadens lediglich ein Kausalzusammenhang zwischen Impfung und Gesundheitsschädigung festgestellt. Der Ausspruch der Erstbehörde über das Vorliegen eines Impfschadens konnte daher für sich allein bestehen und in Rechtskraft erwachsen.

2.2. Es kann im Beschwerdefall weiters auch dahingestellt bleiben, ob die belangte Behörde vermeinte, sie könne den erstinstanzlichen Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt I in Anwendung des § 68 Abs. 2 AVG aufheben.

Da nicht angenommen werden könnte, dass der Beschwerdeführerin aus Spruchpunkt I kein Recht erwachsen ist, lägen die Voraussetzungen des § 68 Abs. 2 AVG für eine amtswegige Behebung keinesfalls vor.

2.3. Der belangten Behörde war es nach den bisherigen Ausführungen verwehrt, die Kausalität der Impfung für die Gesundheitsschädigungen neuerlich zu prüfen. Indem die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid das Vorliegen eines Impfschadens verneinte, hat sie die durch die "Sache" des Berufungsverfahrens bestimmten Grenzen ihrer Abänderungsbefugnis als Berufungsbehörde überschritten und den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, sodass dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

2.4. Da die Schädigung bei der Beschwerdeführerin Dauerfolgen unstrittig nicht bewirkt hat, wird die zuständige Berufungsbehörde im fortgesetzten Verfahren hinsichtlich eines allfälligen Anspruches der Beschwerdeführerin auf Entschädigung gemäß § 2 Abs. 1 lit. a und b des Impfschadengesetzes insbesondere die Frage zu klären haben, ob durch die Impfung gemäß § 2a Abs. 1 leg.cit. eine schwere Körperverletzung im Sinne des § 84 Abs. 1 StGB bewirkt worden ist. Der erstinstanzliche Bescheid ist in dieser Hinsicht jedenfalls nicht hinreichend begründet.

2.5. Von der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Beschwerde gemäß § 6 Abs. 2 des Impfschadengesetzes von der Entrichtung der Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG befreit war, weswegen ein Ersatz dieser Gebühr nicht in Betracht kommt (vgl. das zur im Wesentlichen gleich lautenden Bestimmung des § 23 BEinstG ergangene hg. Erkenntnis vom 25. August 1998, Zl. 98/11/0117).

Wien, am 14. September 2004

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Inhalt der Berufungsentscheidung Anspruch auf meritorische Erledigung (siehe auch Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verfahrensrechtliche Entscheidung der Vorinstanz) Inhalt der Berufungsentscheidung Kassation Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Stempelgebühren Kommissionsgebühren Barauslagen des Verwaltungsgerichtshofes Gebührenfreiheit der Beschwerde Ersatz bei Gebührenfreiheit Trennbarkeit gesonderter Abspruch Umfang der Abänderungsbefugnis Allgemein bei Einschränkung der Berufungsgründe beschränkte Parteistellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001110329.X00

Im RIS seit

12.10.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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