TE Vfgh Erkenntnis 2001/2/27 B1239/00 ua

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Veröffentlicht am 27.02.2001
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art5 Abs1
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
FremdenG 1997 §52, §53

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung von Beschwerden indischer Staatsangehöriger gegen ihre Anhaltung im Sondertransitbereich des Flughafens Wien-Schwechat durch den Unabhängigen Verwaltungssenat wegen Unterlassung jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit je S 29.500,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführer, fünf indische Staatsangehörige, versuchten am 23. März 1998 aus Kairo kommend über den Grenzposten Flughafen Wien-Schwechat in das österreichische Bundesgebiet einzureisen. Die Einreise wurde verweigert, da die Beschwerdeführer keine Reisedokumente vorweisen konnten. Sie wurden im Transitraum des Flughafens Wien-Schwechat zwei Tage lang angehalten und am 25. März 1998 in den "Sondertransit" des Flughafens überstellt.

Die Beschwerdeführer zu B1239/00 und zu B1240/00 hielten sich bis 20. April 1998 im Sondertransitbereich auf, jene zu B1241/00 und zu B1245/00 bis 24. April 1998. Der Beschwerdeführer zu B1242/00 hielt sich bis 17. April 1998 im Sondertransitraum auf.

2. Die Beschwerdeführer erhoben beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (im folgenden: UVS) Beschwerden, in denen sie beantragten, die "geschilderte Maßnahme" der Anhaltung im Sondertransitbereich, in eventu die Schubhaft für rechtswidrig zu erklären.

Der UVS wies sämtliche Beschwerden als unzulässig zurück, da mangels Vorliegens einer Schubhaft keine Sachentscheidung gefällt werden könne.

3. Mit Erkenntnis vom 7. Juni 1999, B1989-1993/98, (VfSlg. 15.482/1999) hob der Verfassungsgerichtshof diese Bescheide wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auf, da der UVS jeweils nur über den Eventualantrag (die Schubhaftbeschwerde), nicht aber über den Hauptantrag (die Maßnahmenbeschwerde) entschieden hatte.

4. Mit Bescheiden vom 29. Mai 2000 wies der UVS die Beschwerden ohne weiteres Ermittlungsverfahren erneut als unzulässig zurück, da die beschwerdegegenständlichen Unterbringungen im Sondertransitbereich nicht seitens der Behörde angeordnet oder durch sie veranlaßt worden, sondern aufgrund einer Intervention von Caritas-Mitarbeitern mit Zustimmung der Beschwerdeführer erfolgt seien.

5. Gegen diese Bescheide richten sich die fünf - im wesentlichen gleichlautenden -, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, in denen die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, auf persönliche Freiheit sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der bekämpften Bescheide begehrt wird.

6. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie lediglich auf die zu den Verfahren B1989-1993/98 erstatteten Gegenschriften sowie auf die Begründung der angefochtenen Bescheide verweist.

II. Die zur Beurteilung der vorliegenden Fälle maßgeblichen Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997 - FrG lauten:

"1. Abschnitt

Verfahrensfreie Maßnahmen

Zurückweisung

§52. (1) Fremde sind bei der Grenzkontrolle am Betreten des Bundesgebietes zu hindern (Zurückweisung), wenn Zweifel an ihrer Identität bestehen, wenn sie der Paß- oder Sichtvermerkspflicht nicht genügen oder wenn ihnen die Benützung eines anderen Grenzüberganges vorgeschrieben wurde (§§6 und 42). Eine Zurückweisung hat zu unterbleiben, soweit dies einem Bundesgesetz, zwischenstaatlichen Vereinbarungen oder internationalen Gepflogenheiten entspricht.

(2) Fremde sind bei der Grenzkontrolle zurückzuweisen, wenn

1. gegen sie ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot besteht und ihnen keine Wiedereinreisebewilligung erteilt wurde;

2. ein Vertragsstaat mitgeteilt hat, daß ihr Aufenthalt im Gebiet der Vertragsstaaten die öffentliche Ruhe, Ordnung oder nationale Sicherheit gefährden würde, es sei denn, sie hätten einen Aufenthaltstitel eines Vertragsstaates oder einen von Österreich erteilten Einreisetitel;

3. sie zwar für den von ihnen angegebenen Aufenthaltszweck zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigt sind, aber bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß

a) ihr Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat gefährden würde;

b) sie ohne die hiefür erforderlichen Bewilligungen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet beabsichtigen;

c) sie im Bundesgebiet Schlepperei begehen oder an ihr mitwirken werden;

4. sie keinen Wohnsitz im Inland haben und nicht über die Mittel zur Bestreitung der Kosten ihres Aufenthaltes und ihrer Wiederausreise verfügen;

5. bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, sie wollten den Aufenthalt im Bundesgebiet zur vorsätzlichen Begehung von Finanzvergehen, mit Ausnahme von Finanzordnungswidrigkeiten, oder zu vorsätzlichen Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften benützen.

(3) Über die Zulässigkeit der Einreise ist nach Befragung des Fremden auf Grund des von diesem glaubhaft gemachten oder sonst bekannten Sachverhaltes zu entscheiden. Die Zurückweisung kann im Reisedokument des Fremden ersichtlich gemacht werden.

Sicherung der Zurückweisung

§53. (1) Kann ein Fremder, der zurückzuweisen ist, den Grenzkontrollbereich aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht sofort verlassen, so kann ihm aufgetragen werden, sich für die Zeit dieses Aufenthaltes an einem bestimmten Ort innerhalb dieses Bereiches aufzuhalten.

...

(4) Für Fremde, deren Zurückweisung zu sichern ist, gilt für den Aufenthalt an dem dafür bestimmten Ort der §53c Abs1 bis 5 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG), BGBl. Nr. 52."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die zulässigen, in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm. §35 VerfGG 1953 zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:

1. Der UVS hat die an ihn gerichteten Maßnahmenbeschwerden mit der Begründung erneut zurückgewiesen, daß sich die Beschwerdeführer freiwillig in den Sondertransitraum begeben hätten und somit keine Anhaltung vorliegen könne.

2. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung VfSlg. 15.465/1999 - dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte folgend - ausgesprochen hat, beinhaltet das Festhalten von Fremden in der internationalen Zone eine Freiheitsbeschränkung; diese darf nicht exzessiv verlängert werden, da andernfalls das Risiko bestünde, eine bloße Freiheitsbeschränkung in eine Freiheitsentziehung zu verwandeln. Bei der Beurteilung der Frage, ob jemandem im Sinne des Art5 Abs1 EMRK die Freiheit entzogen wurde, ist auch von der konkreten Situation auszugehen und müssen eine ganze Reihe von Kriterien berücksichtigt werden, wie zB die Art, Dauer, Auswirkungen und die Art der Durchführung der betreffenden Maßnahme. Zu diesen maßgeblichen Fakten zählt etwa auch die Klärung der Fragen, ob der Betroffene auch im Sondertransitraum im Grunde jederzeit die Möglichkeit hatte, den Ort zum Zweck des Abfluges zu verlassen, und ob er die Möglichkeit hatte, seine Ausreise selbst zu organisieren.

3. In den vorliegenden Fällen hat die belangte Behörde - wie aus den dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakten zu ersehen ist - Erhebungen über die genauen Umstände der Verbringung der Beschwerdeführer in den Sondertransitraum und über ihre konkrete Situation im Sondertransitraum nicht durchgeführt. Es geht daher auch der Verweis auf das "durchgeführte Beschwerdeverfahren", aus dem sich - der Begründung des angefochtenen Bescheides zufolge - die Zustimmung der Beschwerdeführer zu ihrer Unterbringung im Sondertransitraum ergeben habe, ins Leere.

4. Die Beschwerdeführer wurden deshalb wegen Unterlassens jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 14.728/1997, 14.745/1997, 14.823/1997) durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

Die bekämpften Bescheide waren daher aufzuheben.

IV. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG; in den zugesprochenen Kosten ist jeweils eine Eingabegebühr gemäß §17a VerfGG in Höhe von S 2.500,-- sowie Umsatzsteuer in Höhe von

S 4.500,-- enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Fremdenrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:B1239.2000

Dokumentnummer

JFT_09989773_00B01239_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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