TE Vfgh Erkenntnis 2001/2/27 B583/00

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Veröffentlicht am 27.02.2001
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
FremdenG 1997 §69 Abs4

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung einer Beschwerde gegen die weitere Anhaltung eines gambischen Staatsbürgers in Schubhaft durch den UVS wegen Unterlassung jeglicher Ermittlungstätigkeit bezüglich der Gültigkeit und Tauglichkeit des Heimreisezertifikates

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 27.000,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Am 15. September 1999 erließ die Bezirkshauptmannschaft Baden gegen den Staatsangehörigen von Gambia J S gemäß §61 Abs1 Fremdengesetz 1997 (im Folgenden FrG 1997) zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (§36 FrG 1997) und zur Sicherung der Abschiebung (§56 FrG 1997) einen Schubhaftbescheid. Mit Bescheid vom 29. November 1999 hat der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich die gemäß §72 FrG 1997 von

J S am 23. November 1999 eingebrachte Beschwerde, soweit sie die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vom 15. September 1999 bis zum 15. November 1999 betrifft, gemäß §67c Abs4 AVG iVm §73 FrG 1997 abgewiesen, die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vom 16. November 1999 bis zur Erlassung dieses Bescheides als rechtswidrig erklärt und gemäß §73 Abs4 erster Satz FrG 1997 festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich bestätigte mit Bescheid vom 2. Dezember 1999 das gegen J S verhängte, befristete Aufenthaltsverbot. Der weiter in Schubhaft angehaltene Fremde erhob gegen die Schubhaft seit 30. November 1999 gemäß §72 FrG 1997 eine am 20. Jänner 2000 eingelangte Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich, die mit Bescheid vom 26. Jänner 2000 als unzulässig zurückgewiesen wurde.

1.2. Der in Folge weiter in Schubhaft angehaltene Fremde erhob gegen die fortgesetzte Anhaltung seit 16. Jänner 2000 in eventu seit 26. Jänner 2000 gemäß §72 FrG 1997 eine am 31. Jänner 2000 beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich eingelangte Beschwerde, in der die Rechtswidrigkeit der Schubhaft ua. damit begründet wird, dass die gemäß §69 Abs2 iVm Abs4 FrG 1997 höchstzulässige Haftdauer aufgrund des Ablaufs der vierwöchigen Frist ab Einlangen des von der gambischen Vertretungsbehörde am 16. Dezember 1999 ausgestellten Heimreisezertifikats überschritten worden sei.

1.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich wies die Beschwerde vom 31. Jänner 2000 mit Bescheid vom 7. Februar 2000 gemäß §73 FrG 1997 als unbegründet ab, da das von S J nicht unterfertigte und bei der Behörde am 20. Dezember 1999 eingelangte Heimreisezertifikat eine annahmebedürftige Erklärung sei. Es sei zweifelhaft, ob es zur Einreise nach Gambia tauglich sei. Die Aufrechterhaltung der Schubhaft sei in §69 Abs4 FrG 1997 begründet. Auch könne die Abschiebung deshalb nicht durchgeführt werden, da die Entscheidung des Unabhängigen Bundesasylsenates abzuwarten sei. Die Unterschriftsverweigerung zeige, dass S J die Abschiebung im Falle seiner Freilassung aus der Schubhaft vereiteln würde.

2. Gegen den Bescheid vom 7. Februar 2000 richtet sich die vorliegende auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde des S J an den Verfassungsgerichtshof. Darin wird die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten (Art83 Abs2 B-VG, Art5 EMRK, Art1 PersFrBVG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt.

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete eine Gegenschrift, in der er auf die Begründung des bekämpften Bescheides verweist und die Abweisung der Beschwerde sowie die Zuerkennung von Kosten für Vorlage- und Schriftsatzaufwand in Höhe von S 4.565,-

begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Bundesbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Der Verfassungsgerichtshof vertritt in seiner Judikatur (VfSlg. 13.836/1994, 14.369/1995, 14.393/1995) die Meinung, dass ArtI Abs1 des BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot enthält, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden. Diesem Gleichbehandlungsgebot, das dem Fremden durch ArtI Abs1 des genannten BVG BGBl. 390/1973 als subjektives Recht gewährleistet ist, widerstreitet ein Bescheid, bei dessen Erlassung die Behörde Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift und bei seinem Zutreffen verletzt, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10.338/1985, 11.213/1987, 14.728/1997, 14.745/1997, 14.823/1997, 15.451/1999).

2. Zum Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde diente die Schubhaft aufgrund des Vorliegens eines durchsetzbaren Aufenthaltsverbotes gemäß §69 Abs3 FrG 1997 nur mehr dem Verfahren zur Sicherung der Abschiebung (§56 FrG 1997). Gemäß §69 Abs4 FrG 1997 kann die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung über einen Antrag gemäß §75 (Z1), nach Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit (Z2) oder nach Einlangen der Bewilligung eines anderen Staates für die Einreise bei der Behörde (Z3), insgesamt jedoch nicht länger als 6 Monate aufrechterhalten werden.

Die belangte Behörde stellte fest, dass das bereits am 20. Dezember 1999 bei der Behörde eingelangte, von der Vertretungsbehörde von Gambia ausgestellte Heimreisezertifikat der Unterschrift des Schubhäftlings entbehrte. Die mangelnde Unterfertigung der Einreisebewilligung, die eine "annahmebedürftige Erklärung" darstelle, führe dazu, dass das Heimreisezertifikat "keine taugliche Basis für die Durchführung der Abschiebung" bilde. Zumindest sei die Tauglichkeit des Heimreisezertifikats zur Einreise nach Gambia "stark zweifelhaft".

Die belangte Behörde hat das Vorliegen eines gültigen Einreisezertifikats (§69 Abs4 Z3 FrG 1997) verneint. Damit rechtfertigte sie die Aufrechterhaltung der Schubhaft gemäß §69 Abs4 leg. cit. und ging davon aus, dass der Lauf der vierwöchigen Frist des §69 Abs4 leg. cit. erst ab dem Einlangen einer (gültigen) Einreisebewilligung bei der Behörde beginnt. Geht man von der Regelung des §69 Abs4 FrG 1997 aus, hätte die Schubhaft nur bis zum Ablauf der vierten Woche nach Einlangen des Heimreisezertifikats bei der Behörde (am 20. Dezember 1999), demnach bis zum 17. Jänner 2000 aufrecht erhalten werden dürfen. Wenn die belangte Behörde die Gültigkeit und Tauglichkeit des Heimreisezertifikats zumindest "stark bezweifelt" und daran die Aufrechterhaltung der Schubhaft knüpft, hätte sie dieser Entscheidung Erhebungen zugrunde legen müssen. Sie hat es verabsäumt, etwa an die Vertretungsbehörde von Gambia die Anfrage zu richten, welche Folge die mangelnde Unterfertigung des Heimreisezertifikates des Fremden für seine Einreise nach Gambia tatsächlich hat. Nach der Aktenlage sind auch keine Zweifel bezüglich der Gültigkeit des Heimreisezertifikates erkennbar. Ausgehend von der Gültigkeit des Heimreiszertifikates teilte die Bezirkshauptmannschaft Baden in einem Fax vom 22. Dezember 1999 dem Unabhängigen Bundesasylsenat die Ausstellung eines Heimreisezertifikats mit und wies auf die auf einen Zeitraum von vier Wochen ab Einlangen des Heimreisezertifikats bei der Behörde beschränkte Möglichkeit der Aufrechterhaltung der Schubhaft gemäß §69 Abs4 leg. cit. hin.

Die belangte Behörde hat sohin jegliche Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen und damit Willkür geübt.

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG 1953; im zugesprochenen Betrag sind S 4.500,- an Umsatzsteuer enthalten. Kosten an die belangte Behörde als Ersatz des Vorlage- und Schriftsatzaufwands waren nicht zuzusprechen, weil dies im VerfGG 1953 nicht vorgesehen ist und eine sinngemäße Anwendung des §48 Abs2 VwGG im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nicht in Betracht kommt (VfSlg. 10.003/1984).

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

Schlagworte

Fremdenpolizei, Schubhaft, Fremdenrecht, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:B583.2000

Dokumentnummer

JFT_09989773_00B00583_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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