TE Vwgh Erkenntnis 2004/11/17 2001/09/0026

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Veröffentlicht am 17.11.2004
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Index

E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;

Norm

ARB1/80 Art6 Abs1;
AuslBG §4c Abs2 idF 1997/I/078;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Graf und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des C in G, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle Vorarlberg des Arbeitsmarktservice vom 22. Dezember 2000, Zl. LGSV/3/13115/2000, betreffend Befreiungsschein, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Arbeitsmarktservice Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte des vorliegenden Beschwerdefalles wird auf das hg. Erkenntnis vom 19. November 1997, Zl. 97/09/0261, VwSlg. 14.789/A, sowie auf das hg. Erkenntnis vom 28. September 2000, Zl. 98/09/0115, verwiesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der auf die Ausstellung eines Befreiungsscheines gerichtete Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 4c Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) i. V.m. Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz des Beschlusses des nach dem Abkommen vom 12. Dezember 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei eingerichteten Assoziationsrates vom 19. September 1980, Nr. 1/80 (ARB Nr. 1/80), keine Folge gegeben.

In der Begründung führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verfahrensganges und Wiedergabe der Rechtsvorschriften aus, dass der Beschwerdeführer nach einem Auszug des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger vom 13. November 2000 hinsichtlich seiner Person in der Zeit vom 12. Juli 1990 bis zum 19. Juli 2000 bei mehreren namentlich angeführten Unternehmen an genau angeführten Tagen in der Dauer von zusammengerechnet mehr als viereinhalb Jahren beschäftigt gewesen sei. Die belangte Behörde stellte ebenfalls fest, an welchen Tagen vom 23. März 1992 bis zum 30. Juni 2000 der Beschwerdeführer beim Arbeitsmarktservice vorgemerkt gewesen sei und Krankengeld bezogen habe (Zeiten der unverschuldeten Arbeitslosigkeit). Daraus ergebe sich, dass der Beschwerdeführer in der Zeit vom 21. Juli 1990 bis zum 20. August 1990 (31 Tage), vom 7. Dezember 1990 bis zum 18. März 1991 (102 Tage), vom 17. Jänner 1992 bis zum 22. März 1992 (66 Tage), vom 1. Jänner 1993 bis zum 28. Februar 1993 (59 Tage) und vom 1. Dezember 1993 bis zum 29. März 1994 (119 Tage) weder Arbeitslosengeld, Krankengeld bzw. eine sonstige Leistung nach österreichischen Rechtsvorschriften bezogen habe. Der Beschwerdeführer sei in diesen Zeiträumen daher nicht ordnungsgemäß beschäftigt und auch nicht im Sinne des Art. 6 Abs. 2 ARB Nr. 1/80 unverschuldet arbeitslos gewesen; ebenso sei keine Abwesenheit wegen langer Krankheit vorgelegen, auch sei der Beschwerdeführer in den angeführten Zeiten beim Arbeitsmarktservice nicht arbeitssuchend vorgemerkt gewesen. Der Beschwerdeführer habe am 30. November 1995 sein Beschäftigungsverhältnis bei der U in W freiwillig ohne triftigen Grund durch vorzeitigen Austritt beendet. Er habe zu keinem Zeitpunkt die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 erster Unterabsatz ARB Nr. 1/80 erfüllt. Die angeführten Unterbrechungen seiner ordnungsgemäßen Beschäftigung hätten daher zur Vernichtung der jeweils davor liegenden Beschäftigungszeiten geführt, weil diese Unterbrechungen nicht "nur einige Tage" im Sinne des Urteils des EuGH im Fall Ertanir betragen hätten.

Durch die festgestellten, jeweils wochenlangen Unterbrechungen könne der Beschwerdeführer im Zeitraum vom 12. Juli 1990 bis zum 1. Jänner 1995 nicht einmal eine dreijährige Beschäftigung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 zweiter Unterabsatz ARB Nr. 1/80 aufweisen, er könne sich vor dem Wirksamwerden des ARB Nr. 1/80 mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union nicht auf ein aus dem Assoziationsratsbeschluss abgeleitetes Recht auf weitere Zugehörigkeit zum österreichischen Arbeitsmarkt berufen. Aus den anspruchsvernichtenden Unterbrechungen folge, dass der Beschwerdeführer erst ab dem 12. April 1994 Anwartschaftszeiten im Sinne des ARB Nr. 1/80 habe erwerben können. Diese reichten allerdings nur bis zum 30. November 1995; an diesem Tag habe der Beschwerdeführer nämlich sein Beschäftigungsverhältnis mit der U. in W freiwillig ohne triftigen Grund durch vorzeitigen Austritt beendet, wodurch wiederum die bis dahin erworbene Anwartschaft beseitigt worden sei. Nach dieser freiwilligen Unterbrechung seiner Beschäftigung habe der Beschwerdeführer am 23. April 1996 eine weitere Beschäftigung aufgenommen, erst ab diesem Zeitpunkt habe er Anwartschaftszeiten neuerlich erworben.

Da fest stehe, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum vom 22. September 1997 bis zum 30. Juni 1999 (etwa 20 Monate) sowie vom 27. August 1999 bis zum 30. Juni 2000 (etwa zehn Monate), also insgesamt etwa zweieinhalb Jahre beim Arbeitsmarktservice vorgemerkt gewesen sei und diese Vormerkzeiten zufolge Art. 6 Abs. 2 ARB Nr. 1/80 nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt seien, liege - beginnend ab dem 23. April 1996 - keine vierjährige ordnungsgemäße Beschäftigungszeit vor, sodass kein Befreiungsschein gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG habe ausgestellt werden können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und stellte den in einer Gegenschrift begründeten Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB Nr. 1/80) hat folgenden Wortlaut:

"Art. 6

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Art. 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat

-

nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

-

nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedienungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

-

nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die Aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

(3) Die Einzelheiten der Durchführung der Absätze 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt."

§ 4c des Ausländerbeschäftigungsgesetzes - AuslBG, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 78/1997, lautet:

Türkische Staatsangehörige

§ 4c. (1) Für türkische Staatsangehörige ist eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 erster und zweiter Unterabsatz oder nach Art. 7 erster Unterabsatz oder nach Art. 7 letzter Satz oder nach Artikel 9 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei - ARB - Nr. 1/1980 erfüllen.

(2) Türkischen Staatsangehörigen ist von Amts wegen ein Befreiungsschein auszustellen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz oder nach Art. 7 zweiter Unterabsatz des ARB Nr. 1/1980 erfüllen.

(3) Die Rechte türkischer Staatsangehöriger auf Grund der sonstigen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes bleiben unberührt. Für die Verfahrenszuständigkeit und die Durchführung der Verfahren gemäß Abs. 1 und 2 gelten, soweit dem nicht Bestimmungen des ARB Nr. 1/1980 entgegenstehen, die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes.''

Im ersten Rechtsgang hatte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19. November 1997, Zl. 97/09/0261, den von der belangten Behörde erlassenen zweitinstanzlichen Bescheid aufgehoben, weil die belangte Behörde im Hinblick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 23. Jänner 1997 in der Rechtssache C-171/95, Recep Tetik, verkannt habe, dass ein türkischer Arbeitnehmer, der bereits über vier Jahre lang im Aufnahmemitgliedstaat eine ordnungsgemäße Beschäftigung ausgeübt hat und seine Arbeit freiwillig aufgibt, um in demselben Mitgliedstaat eine andere Beschäftigung zu suchen, seine Rechte aus Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 durch diese freiwillige Aufgabe seiner Arbeit nicht ohne weiteres verliert, wenn er die im betreffenden Mitgliedstaat geltenden Formalitäten erfüllt, z. B. indem er sich als Arbeitssuchender meldet und der Arbeitsverwaltung dieses Mitgliedstaates während des dort vorgeschriebenen Zeitraumes zur Verfügung steht. Die belangte Behörde habe es unterlassen, relevante Feststellungen dahingehend zu treffen, ob der Beschwerdeführer vor der freiwilligen Aufgabe seiner Arbeit am 30. November 1995 auf einen vierjährigen Zeitraum ordnungsgemäßer Beschäftigung gemäß Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des ARB Nr. 1/80 - allenfalls auf einen dreijährigen Zeitraum ordnungsgemäßer Beschäftigung gemäß Art. 6 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des genannten Assoziationsratsbeschlusses - zurückblicken habe können, was ihn im Lichte des genannten Urteiles des EuGH dazu berechtigt haben könnte, ohne Verlust des Anspruches gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 eine neue Arbeit bei einem anderen Arbeitgeber zu suchen. Hätte der Beschwerdeführer vor der freiwilligen Aufgabe seiner Arbeit am 30. November 1995 die Voraussetzungen gemäß Art. 6 Abs. 1 zweiter oder dritter Gedankenstrich des ARB Nr. 1/80 erfüllt, so hätte dies im Lichte des genannten Urteiles nicht zum Verlust dieser Voraussetzungen geführt.

Ausgehend von diesen gemäß § 63 Abs. 1 VwGG bindenden Ausführungen (sowie der mit dem hg. Erkenntnis vom 28. September 2000, Zl. 98/09/0115, getroffenen Aussage, dass der Antrag des Beschwerdeführers als ein solcher auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG zu qualifizieren ist) hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid im Einzelnen mit den Beschäftigungszeiten sowie den Zeiträumen ohne Beschäftigung, in denen der Beschwerdeführer als arbeitslos oder krank gemeldet war und solchen Zeiten ohne Beschäftigung, während der dies nicht der Fall gewesen ist, befasst. Der belangten Behörde kann im Ergebnis nicht mit Erfolg entgegen getreten werden, wenn sie zur Beurteilung gelangte, dass die in den Wintern 1990/91, 1992, 1993 und 1993/94 gegebenen Unterbrechungen der Beschäftigung des Beschwerdeführers, während welcher er weder als arbeitssuchend gemeldet war noch Arbeitslosengeld, Krankengeld bzw. eine sonstige Leistung nach den österreichischen Rechtsvorschriften bezog, deswegen zum Verlust der jeweils vor diesen Unterbrechungen liegenden Beschäftigungszeiten als Anwartschaftszeiten für eine allfällige - freilich erst ab dem 1. Jänner 1995 eintretende - Berechtigung gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 führte. Der Beschwerdeführer hat auch im Verwaltungsverfahren keinen Hinweis darauf gegeben, dass er den österreichischen Arbeitsmarkt während dieser Unterbrechungen seiner Beschäftigung nicht - jedenfalls temporär - verlassen hätte, er hat auch nicht vorgebracht, er habe sich in diesen Zeiträumen etwa auf Arbeitssuche befunden, ohne arbeitslos gemeldet zu sein. Die angeführten Unterbrechungen führen daher dazu, dass die davor liegenden Beschäftigungszeiten der gesamten Beschäftigungszeit des Beschwerdeführers nicht hinzugerechnet werden können und er - zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - nicht die für die Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz erforderliche Dauer einer ordnungsgemäßen Beschäftigung von insgesamt vier Jahren und auch nicht eine solche von drei Jahren aufwies.

Daher war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 17. November 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001090026.X00

Im RIS seit

24.12.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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