TE Vwgh Erkenntnis 2004/11/17 2002/08/0286

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Veröffentlicht am 17.11.2004
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §13 Abs3;
AVG §63 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der I GmbH in Graz, vertreten durch Dr. Bernd Fritsch, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Reitschulgasse 1, gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen vom 6. November 2002, Zl. 120.807/3-6/02, betreffend Versicherungspflicht nach ASVG und AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1. A in H, 2. Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8011 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1,

3. Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 4. Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark, 8020 Graz, Bahnhofgürtel 85, 5. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu bezahlen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse stellte mit Bescheid vom 19. März 1996 fest, dass die Erstmitbeteiligte

"welche von der (Beschwerdeführerin) im Zeitraum 31.12.1990 bis 30.6.1994 zur Pflichtversicherung angemeldet wurde, auf Grund ihrer Tätigkeiten als Angestellte für das vorgenannte Unternehmen auch im Zeitraum vom 1.4.1989 bis 30.12.1990 der Kranken-, Unfall- , Pensions- und Arbeitslosenversicherungspflicht"

unterlegen sei (Spruchpunkt I).

Im Spruchpunkt II dieses Bescheides wurde die beschwerdeführende Gesellschaft verpflichtet, für diese Dienstnehmerin und einen weiteren Dienstnehmer näher bezeichnete Beiträge nachzuentrichten.

Der von der Rechtsvertretung der beschwerdeführenden Partei (einer Wirtschaftstreuhandgesellschaft) erhobene Einspruch vom 29. April 1996 lautet wie folgt:

"Namens und im Auftrag unserer o.a. Mandantschaft erheben wir innerhalb offener Rechtsmittelfrist gegen die Beitragsnachverrechnung infolge der durchgeführten Beitragsprüfung für den Zeitraum 04/89 bis 05/93

EINSPRUCH

gegen den Bescheid vom 19.03.1996, eingegangen am 27.03.1996.

Der Einspruch richtet sich gegen die Rechtswidrigkeit des Bescheides.

Es ist beantragt, den Bescheid entsprechend den im Einspruch

vom 21.03.1995 gesonderten Ausmaß abzuändern.

Gleichzeitig wird der ANTRAG

gestellt, den mit vorliegendem Einspruch behafteten Betrag

... bis zur Erledigung des Einspruches zu stunden.

Begründung:

Eine detaillierte Begründung zum vorliegenden Einspruch wird

umgehend nachgeliefert.

Hochachtungsvoll"

Mit Schriftsatz vom 5. Juni 1996 (bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse eingelangt am 10. Juni 1996) reichte die genannte Treuhandgesellschaft eine neunseitige Begründung nach.

Mit Bescheid vom 4. Februar 1999 gab der Landeshauptmann von Steiermark dem Einspruch der beschwerdeführenden Partei Folge, behob den erstinstanzlichen Bescheid und stellte fest, dass die Erstmitbeteiligte im Zeitraum vom 1. April 1989 bis 30. Dezember 1990 nicht der Kranken-, Unfall-, Pensions- und Arbeitslosenversicherungspflicht unterlegen sei, womit

"auch die Beitragsnachverrechnungsanzeige vom 23.2.1995, die einen integrierenden Bestandteil des bekämpften Bescheides bildet, unwirksam wird."

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid Folge und stellte - in Wiederherstellung des Spruchpunktes I des erstinstanzlichen Bescheides - fest, dass die Erstmitbeteiligte auf Grund ihrer Beschäftigung als Angestellte bei der beschwerdeführenden Partei im Zeitraum vom 1. April 1989 bis 31. Dezember 1990 der Vollversicherung nach § 4 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 ASVG sowie § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterlegen sei.

Zur Frage des Vorliegens eines begründeten Entscheidungsantrages im Einspruch führte die belangte Behörde nach Zitierung des § 412 Abs. 1 ASVG aus, dass diese Bestimmung "zufolge § 357 ASVG in Verbindung mit § 13 Abs. 3 AVG in jener Fassung zu lesen" sei, welche zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung gegolten habe. Danach sei das Fehlen eines begründeten Rechtsmittelantrages als Formgebrechen und damit als nicht verbesserungsfähiger Mangel anzusehen. Eine Prüfung, ob die Einspruchsbehörde den Einspruch gemäß der im Zeitpunkt der Bescheiderlassung geltenden Rechtslage als unzulässig hätte zurückweisen müssen, sei aber nicht mehr klärungsbedürftig: § 13 Abs. 3 AVG sei (gemeint: durch die AVG-Novelle 1998) mittlerweile geändert worden. Nunmehr seien auch inhaltliche Mängel verbesserungsfähig. Somit sei auch das Fehlen der Bezeichnung des angefochtenen Bescheides ebenso wie das Fehlen eines begründeten Rechtsmittelantrages als verbesserungsfähiger Mangel anzusehen. Da das Verfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen sei, müsse einer im "gegenwärtigen Zeitpunkt ergehenden Entscheidung" (gemeint: am 6. November 2002) § 13 Abs. 3 AVG in der derzeit geltenden Fassung zu Grunde gelegt werden. Das Fehlen eines begründeten Entscheidungsantrages im Einspruchsverfahren sei daher auf Grund der derzeit geltenden verfahrensrechtlichen Rechtslage als verbesserungsfähiger Mangel anzusehen. Da dieser Mangel verbessert wurde, noch ehe eine Aufforderung zur Verbesserung ergangen sei, sei er nicht mehr zu beachten. Der Einspruchsbescheid, der eine Entscheidung in der Sache getroffen habe, sei daher nicht (mehr) als fehlerhaft zu betrachten und es sei daher auf Grund der erhobenen Berufung eine Entscheidung in der Sache vorzunehmen. In der Sache vertrat die belangte Behörde - anders als der Landeshauptmann - die Auffassung, dass die Erstmitbeteiligte im strittigen Zeitraum auf Grund ihrer Tätigkeit als (geringfügig beschäftigte) Sekretärin und Vermittlerin von Wohnungen der beschwerdeführenden Gesellschaft insgesamt vollversichert im Sinne des § 4 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 ASVG und arbeitslosenversichert gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG sei. Die belangte Behörde ging dabei - anders als die Einspruchsbehörde - von einem zeitlich nicht nach Tätigkeitsbereichen zu trennenden einheitlichen Beschäftigungsverhältnis aus.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten - mit Ausnahme des Einspruchsaktes, der unauffindbar sei - vorgelegt, erklärt, von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand zu nehmen, und den Antrag gestellt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt hat erklärt, sich der Rechtsauffassung der belangten Behörde anzuschließen, und den Antrag gestellt, die Beschwerde abzuweisen. Die mitbeteiligte Unfallversicherungsanstalt hat erklärt, auf die Erstattung einer Gegenschrift zu verzichten. Die Erstmitbeteiligte und die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse haben sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Rahmen des Beschwerdepunktes hat der Verwaltungsgerichtshof die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides in jeder Hinsicht zu prüfen, insbesondere auch dahin, ob die belangte Behörde überhaupt zu einer Sachentscheidung berechtigt war.

Dies ist aus folgenden Gründen zu verneinen.

Es kann auf sich beruhen, ob der Einspruch der Beschwerdeführerin gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 29. April 1996 tatsächlich - wie die belangte Behörde meint - keine Bezeichnung des angefochtenen Bescheides enthält, zumal im Betreff ausdrücklich die Geschäftszahl des Aktes der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse sowie die Bezeichnung der Einspruchswerberin angeführt ist und das Datum des Bescheides (19. März 1996) ebenso wie sein Zustelldatum genannt ist. Es konnte daher kein Zweifel daran bestehen, gegen welchen Bescheid sich dieser Einspruch richtete. Der Einspruch ist allerdings - wie der oben wiedergegebene Wortlaut zeigt - unbegründet.

Wie die belangte Behörde mit Recht ausführt, hat gemäß § 412 ASVG der Einspruch den Bescheid zu bezeichnen, gegen den er sich richtet und einen begründeten Entscheidungsantrag zu enthalten. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedarf es zwar keiner Begründung, die geeignet ist, dem Einspruch zum Erfolg zu verhelfen. Ein Rechtsmittel ist aber dann nicht formgerecht erstattet, wenn ihm jegliche Begründung fehlt (vgl. zur Rechtslage vor der AVG-Novelle 1998 die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, § 63 AVG, zu E 188ff wiedergegebene ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Ein solcher Mangel liegt hier vor, hat doch der Rechtsvertreter der beschwerdeführenden Partei (eine Wirtschaftstreuhandgesellschaft) dem Einspruch vom 29. April 1996 offenbar bewusst, insoweit aber im Widerspruch zu Gesetz und Rechtsprechung, keine Begründung beigegeben, sondern diese einem späteren Schriftsatz vorbehalten. Dieser spätere, nach Ablauf der Rechtsmittelfrist erstattete Schriftsatz konnte den Mangel aber nicht mehr heilen, da er allenfalls - betrachtet man Rechtsmittelanmeldung und Nachholung der Begründung als eine Einheit - zu einem verspäteten Rechtsmittel führen konnte (vgl. zB das Erkenntnis vom 25. August 1998, Zl. 98/11/0090, uva).

Anders als die belangte Behörde meint, ist insoweit auch durch die Änderung des § 13 Abs. 3 AVG in der Fassung der AVG-Novelle 1998, BGBl. I Nr 158/1998, keine Sanierung eingetreten:

Gemäß § 13 Abs. 3 AVG in dieser Fassung ermächtigen "Mängel" schriftlicher Anbringen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden, angemessenen Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht. § 13 Abs. 3 AVG in der Fassung der Novelle BGBl I Nr 1998/158 stellt somit nicht mehr nur auf Formgebrechen von schriftlichen Anbringen ab, sondern ganz allgemein auf Mängel schriftlicher Anbringen, worunter auch inhaltliche Mängel eines Anbringens zu verstehen sind (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 24. September 2003, Zl. 2003/11/0003). Fehlt ein begründeter Berufungsantrag, ist die Berufung nach § 13 Abs. 3 AVG zur Verbesserung zurückzustellen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. November 2002, Zl. 2002/12/0155, unter Hinweis auf jenes vom 29. August 2000, Zl. 99/05/0041).

Seit dieser Novelle ist daher zwar ein mit dem Mangel des Fehlens einer Begründung behaftetes Rechtsmittel zur Verbesserung zurückzustellen. Dies aber nur dann, wenn die Zulässigkeit der Verbesserung im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG zum Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels, spätestens aber zum Zeitpunkt des Ablaufs der Rechtsmittelfrist vorlag. Dies konnte aber bei einer Zustellung vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 13 AVG in der Fassung der AVG-Novelle 1998 am 1. Jänner 1999 (vgl. § 82 Abs. 6 AVG) überhaupt nur dann in Betracht kommen, wenn die Rechtsmittelfrist nach dem 1. Jänner 1999 endete. Nur das in diesem Sinne "rechtzeitige" Inkrafttreten dieser Novelle hätte allenfalls den vorzeitigen Eintritt der Rechtskraft des Bescheides bei Einbringung eines nicht verbesserbaren, unzulässigen Rechtsmittels hindern können.

Eine endgültige Beantwortung dieser Frage muss hier aber nicht gegeben werden, weil ein solcher Fall gar nicht vorliegt.

Der erstinstanzliche Bescheid ist in Ermangelung eines formgerechten Rechtsmittels schon mit Ablauf des 29. April 1996 in Rechtskraft erwachsen. Diese Rechtskraft wurde - in Ermangelung einer entsprechenden Übergangsbestimmung - durch die AVG-Novelle 1998 nicht rückwirkend beseitigt.

Die belangte Behörde hätte daher richtigerweise in Abänderung des Einspruchsbescheides den Einspruch als unzulässig zurückzuweisen gehabt.

Da die belangte Behörde dies verkannt hat, ist der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet; er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Dies konnte im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Erfordernis eines begründeten Entscheidungsantrages in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erfolgen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das auf die Erstattung der Beschwerdegebühr gerichtete Begehren war wegen der auch vor dem

Verwaltungsgerichtshof geltenden sachlichen Gebührenfreiheit gemäß § 110 ASVG abzuweisen.

Wien, am 17. November 2004

Schlagworte

Verbesserungsauftrag Ausschluß Berufungsverfahren Fehlen des begründeten Rechtsmittelantrages

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2002080286.X00

Im RIS seit

17.01.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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