TE Vwgh Erkenntnis 2004/11/26 2002/20/0080

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Veröffentlicht am 26.11.2004
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §6 Z3;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
B-VG Art140;
B-VG Art18 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs1;
MRK Art3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des H in L, geboren 1983, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Glawitsch, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 9. November 2001, Zl. 222.363/0-IV/29/01, betreffend § 6 Z 3 und § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der nach seinen Angaben 1983 geborene und Mitte Dezember 1999 aus seinem Heimatland ausgereiste Beschwerdeführer, ein Staatsbürger von Bangladesh, gelangte am 26. März 2000 nach Österreich und stellte am nächsten Tag einen Asylantrag. Bei seinen Vernehmungen vor dem Bundesasylamt am 10. April 2000 und am 2. März 2001 machte der Beschwerdeführer zusammengefasst geltend, im Zusammenhang mit den Aktivitäten seines älteren Bruders als Funktionär der Bangladesh National Party (BNP) seien von politischen Gegnern (Mitgliedern der Awami League) in der Vergangenheit Übergriffe auf ihn und andere Familienangehörige erfolgt und im November 1999 sei gegen den Beschwerdeführer Anzeige wegen eines (von ihm nicht begangenen) Mordes an einem führenden Mitglied der "Awami-Arbeitergewerkschaft" erstattet worden. Im Fall der Rückkehr nach Bangladesh befürchte der Beschwerdeführer vor allem, aufgrund der politisch motivierten Anzeige unschuldig zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt zu werden.

Das Bundesasylamt kam mit näherer Begründung zu dem Ergebnis, das Vorbringen des Beschwerdeführers zur geltend gemachten Bedrohungssituation entspreche offensichtlich nicht den Tatsachen, und wies den Asylantrag demzufolge mit Bescheid vom 18. April 2001 gemäß § 6 Z 3 AsylG (Zitierungen des AsylG beziehen sich auf die vor der AsylG-Novelle 2003 geltende Fassung) als offensichtlich unbegründet ab. Unter einem stellte es gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Bangladesh sei zulässig.

In der dagegen erhobenen Berufung wiederholte der Beschwerdeführer sein Vorbringen zu den Fluchtgründen und verwies zur Untermauerung seiner Glaubwürdigkeit neuerlich auf die im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen betreffend die politischen Verhältnisse in Bangladesh, mit denen sich das Bundesasylamt nicht befasst habe. Der Beschwerdeführer trat der Beweiswürdigung der Erstbehörde im Einzelnen mit konkreten Ausführungen entgegen und verwies in diesem Zusammenhang unter anderem auch auf eine näher bezeichnete Zeitungsnotiz, die auf den dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Mordfall Bezug nehme. Das Bundesasylamt nahm mit Schriftsatz vom 19. Juni 2001 zu den Berufungsausführungen Stellung. Die belangte Behörde führte zunächst am 4. Juli 2001 eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer noch einmal ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. Im Rahmen des weiteren Berufungsverfahrens legte der Beschwerdeführer (auch) eine Kopie der gegen ihn gerichteten Anzeige vor, die von der belangten Behörde einer kriminaltechnischen Untersuchung mit dem Ergebnis unterzogen wurde, zur "Authentizität" könne mangels Vergleichsmaterials keine Aussage getroffen werden. Zur Erörterung dieses Untersuchungsberichtes und der aktuellen Lageentwicklung in Bangladesh führte die belangte Behörde schließlich am 8. November 2001 eine ergänzende mündliche Berufungsverhandlung durch.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 6 Z 3 AsylG ab und stellte neuerlich gemäß "§ 8 AsylG iVm § 57 des Fremdengesetzes" die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Bangladesh fest. Die nach der zusammengefassten Wiedergabe des Verfahrensganges vorgenommene Begründung im Asylteil besteht - abgesehen von der nicht fallbezogenen Darstellung der Rechtslage - im Wesentlichen nur aus der Verweisung auf den Bescheid der Erstbehörde. Wörtlich heißt es:

"Der Fall eines offensichtlich unbegründeten Asylantrages liegt hier vor:

Das Bundesasylamt hat betreffend das Vorbringen des Asylwerbers hinsichtlich seiner Fluchtgründe in der Begründung des Bescheides vom 18.04.2001, Zahl (...), die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst.

Der Unabhängige Bundesasylsenat als Berufungsbehörde schließt sich den diesbezüglichen Ausführungen des Bundesasylamtes im angefochtenen Bescheid an und erhebt diese zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides. Ergänzend ist zu bemerken, dass bezüglich der im Verfahren vorgelegten Dokumente nach kriminaltechnischer Untersuchung keine Aussage über deren Authentizität getroffen werden konnte.

Da sich im gesamten Verfahren auch sonst kein Hinweis auf eine Verfolgungsgefahr ergeben hat, war der vorliegende Asylantrag daher nach der Bestimmung des § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet abzuweisen."

Den - offenbar in Anwendung des § 32 Abs. 2 letzter Satz AsylG - wiederholten Zulässigkeitsausspruch (insbesondere) hinsichtlich der Abschiebung des Beschwerdeführers begründete die belangte Behörde fallbezogen mit dem Hinweis darauf, dass das Vorliegen der Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 FrG bereits oben geprüft und verneint worden sei, und mit der unter dem Gesichtspunkt des § 57 Abs. 1 FrG vorgenommenen Einschätzung, es hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass der Beschwerdeführer "mit einer Verletzung seiner ihm aus Art 3 EMRK zustehenden Rechte in seinem Heimatland zu rechnen hätte, zumal nun die BNP wieder an der Macht ist."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorweg ist zu der zuletzt wiedergegeben, von der belangten Behörde gewählten Formulierung anzumerken, dass für die Frage der Gewährung eines Zurückweisungs-, Zurückschiebungs- oder Abschiebungsschutzes nach § 57 Abs. 1 FrG (unter anderem) maßgeblich ist, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, Österreich würde im Falle der Außerlandesschaffung eines Fremden in einen bestimmten Staat gegen Art. 3 EMRK verstoßen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0443, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 8. Juni 2000, Zl. 99/20/0203).

Die belangte Behörde hat zutreffend erkannt, dass im vorliegenden Fall nicht angenommen werden konnte, der Sachverhalt sei im Sinne des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG "aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt", und sie ist im Einklang mit der zu dieser Bestimmung ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zur hier maßgeblichen Rechtslage vor der Verwaltungsverfahrens-Novelle 2001 die Nachweise in den Erkenntnissen vom 23. Jänner 2003, Zl. 2002/20/0533, und vom 12. Juni 2003, Zl. 2002/20/0336) von der Erforderlichkeit der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung ausgegangen. Trotzdem hat sich die belangte Behörde aber weder mit den in der Berufung vorgetragenen Argumenten noch - abgesehen von einer (zur Begründung der offensichtlichen Tatsachenwidrigkeit der Fluchtgründe nicht geeigneten) Bezugnahme auf die keine eindeutige Aussage zur "Authentizität" zulassende kriminaltechnische Untersuchung - mit den Ergebnissen des Berufungsverfahrens, insbesondere der Aussage des Beschwerdeführers in der Berufungsverhandlung befasst. Da die belangte Behörde jedwede Auseinandersetzung mit diesen Ermittlungsergebnissen unterlassen hat, ist sie ihrer Begründungspflicht nicht ausreichend nachgekommen, was die Beschwerde zu Recht rügt (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation das hg. Erkenntnis vom 4. November 2004, Zl. 2002/20/0188).

Schon deshalb war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Anregung in der Beschwerde, in Ansehung von § 6 Z 3 AsylG ein Gesetzesprüfungsverfahren beim Verfassungsgerichtshof einzuleiten, war nicht zu folgen, weil die vorgetragenen Bedenken in Richtung mangelnder Bestimmtheit vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt werden (vgl. zur Auslegung dieser Bestimmung vor allem das hg. Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214).

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 26. November 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2002200080.X00

Im RIS seit

05.01.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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