TE Vwgh Erkenntnis 2004/12/20 2001/10/0209

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Veröffentlicht am 20.12.2004
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Index

L50003 Pflichtschule allgemeinbildend Niederösterreich;
L50803 Berufsschule Niederösterreich;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
41/02 Melderecht;

Norm

B-VG Art151 Abs9;
B-VG Art6 Abs3 idF 1994/504;
MeldeG 1991 §1 Abs7;
MeldeG 1991 §1 idF 2001/I/028;
MeldeG 1991 §17 Abs1;
MeldeG 1991 §2 Abs3 Z3 idF 2001/I/028;
MeldeG 1991 §2 idF 2001/I/028;
PSchG NÖ 1973 §53 Abs1;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):2002/10/0131 E 20. Dezember 2004

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde der Stadt W gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 27. August 2001, Zl. K4- A-315/92, betreffend Vorschreibung eines Schulerhaltungsbeitrages, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde G. als Obmann der Volksschulgemeinde G. vom 23. Oktober 2000 wurde der beschwerdeführenden Stadt auf Grund des am 19. Oktober 2000 vom Schulausschuss der Volksschulgemeinde G. genehmigten Voranschlages für das Rechnungsjahr 2001 ein Schulerhaltungsbeitrag von

S 15.750,-- vorgeschrieben. Es wurde dargelegt, der Obmann der Schulgemeinde habe nach Anhörung des Schulausschusses den Voranschlag über den Schulaufwand des folgenden Kalenderjahres zu erstellen, die auf die beteiligten Gemeinden entfallenden Schulerhaltungsbeiträge und Schulumlagen zu ermitteln und den beteiligten Gemeinden mit Bescheid den Voranschlag bekannt zu geben sowie die Schulerhaltungsbeiträge und Schulumlagen vorzuschreiben.

2. Die beschwerdeführende Stadt erhob Berufung. Sie führte aus, der Schüler Dominik K. sei zum Zeitpunkt der Schulaufnahme im sozialpädagogischen Wohnheim S in der Gemeinde G. untergebracht gewesen. Er sei zwar am 25. September 2000 in der beschwerdeführenden Stadt (mit Hauptwohnsitz) gemeldet worden, die Voraussetzungen für einen Hauptwohnsitz gemäß § 1 Abs. 7 Meldegesetz 1991 lägen jedoch nicht vor. Insbesondere begründe die bloße Anmeldung keinen Hauptwohnsitz. Sonstige Erhebungen zum Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen nach dem Meldegesetz hätten jedoch nicht stattgefunden. Träfen die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Hauptwohnsitzes auf mehrere Orte zu, so habe der Betroffene jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem er das überwiegende Naheverhältnis habe. Weiters habe der Schüler zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Schule seinen Hauptwohnsitz in einer burgenländischen Gemeinde gehabt. Für solche Fälle sei weder im Schulorganisationsgesetz noch im Pflichtschulerhaltungs-Grundsatzgesetz noch im Schulunterrichtsgesetz eine klare Regelung getroffen worden.

3. Die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen gab der Berufung nicht Folge. Sie stellte nach Wiedergabe der maßgeblichen Rechtsgrundlagen fest, der Schüler Dominik K. sei über Veranlassung der Jugendwohlfahrtsbehörde dem sozialpädagogischen Wohnheim S in G. zugeteilt worden und besuche seit September 2000 die Volksschule G. Sein Hauptwohnsitz sei jedoch (seit 25. September 2000) nach wie vor in der beschwerdeführenden Stadt. Die Auffassung, dass die bloße Anmeldung keinen Hauptwohnsitz begründe, könne in diesem Fall nicht geteilt werden, da der Schüler durch eine Maßnahme der Jugendwohlfahrt im sozialpädagogischen Wohnheim S untergebracht worden sei und er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen nicht freiwillig wählen habe können.

4. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wiederholte die beschwerdeführende Gemeinde ihr Vorbringen in der Berufung gegen den Bescheid des Bürgermeisters.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Sie vertrat die Auffassung, die Vorschreibung des Schulerhaltungsbeitrages sei gemäß § 53 Abs. 1 NÖ Pflichtschulgesetz zu Recht erfolgt, weil der Schüler seit Beginn des Schuljahres 2000/2001 die Volksschule G. besuche, wo er auf Grund einer Maßnahme der Jugendwohlfahrt wohne. Sein Hauptwohnsitz sei in der beschwerdeführenden Stadt. Diese Meldung sei jedenfalls auch am 1. Jänner 2001 aufrecht gewesen. Bei der Aufteilung des Schulaufwandes gemäß § 46 Abs. 3 des NÖ Pflichtschulgesetzes habe daher der Umstand des Wechsels des Hauptwohnsitzes bereits berücksichtigt werden können. Der Schulerhaltungsbeitrag sei daher gemäß §§ 46 und 53 NÖ Pflichtschulgesetz zu Recht vorgeschrieben worden.

6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

7. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 48 Abs. 1 NÖ Pflichtschulgesetz in der hier anzuwendenden Fassung LGBl. 5000-15 hat der Obmann der Schulgemeinde bis 20. Oktober den Voranschlag über den Schulaufwand des folgenden Kalenderjahres zu erstellen, die auf die beteiligten Gemeinden entfallenden Schulerhaltungsbeiträge und Schulumlagen zu ermitteln und bis 1. November den beteiligten Gemeinden mit Bescheid den Voranschlag bekannt zu geben sowie die Schulerhaltungsbeiträge und Schulumlagen vorzuschreiben.

Nach § 46 Abs. 3 leg. cit. ist der in den ordentlichen Voranschlag aufgenommene Schulaufwand, sofern ein Übereinkommen nicht angestrebt wird oder nicht zustande kommt, für das jeweils folgende Kalenderjahr im Verhältnis der Anzahl der zum Schulbeginn eingeschriebenen Schüler zur Anzahl der aus der beteiligten Gemeinde stammenden Schüler vorläufig aufzuteilen. Anlässlich der Erstellung des Rechnungsabschlusses (§ 48 Abs. 3) ist er endgültig nach dem Verhältnis der zum 1. Jänner eingeschriebenen Schüler aufzuteilen.

Nach § 53 Abs. 1 leg. cit. in der Fassung Art. 151 Abs. 9 B-VG hat die Gemeinde des Hauptwohnsitzes für Schüler, die nur zum Zweck des Schulbesuches oder auf Grund einer Maßnahme der Jugendwohlfahrt im Schulsprengel wohnen und deren Hauptwohnsitz außerhalb des Schulsprengels gelegen ist, den Schulerhaltungsbeitrag zu leisten.

Die Beschwerde macht geltend, auf Grund der Unterbringung des Schülers Dominik K im sozialpädagogischen Wohnheim S sei es denkunmöglich, dass er seinen Hauptwohnsitz in der beschwerdeführenden Stadt haben könne. Eine Meldung des Schülers durch seinen Erziehungsberechtigten ohne tatsächliche Hauptwohnsitznahme begründe keinen Hauptwohnsitz. Die belangte Behörde hätte jedenfalls erheben müssen, ob Kriterien für eine tatsächliche Wohnsitznahme vorlägen.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde einen Verfahrensmangel auf, der sie im Ergebnis zum Erfolg führt.

§ 1 Meldegesetz 1991, LGBl. Nr. 9/1992, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 28/2001, lautet auszugsweise:

"Begriffsbestimmungen

§ 1. (1) Unterkünfte sind Räume, die zum Wohnen oder Schlafen benutzt werden.

(2) Unterkunftgeber ist, wer jemandem, aus welchem Grunde immer, Unterkunft gewährt.

(3) Beherbergungsbetriebe sind Unterkunftsstätten, die unter der Leitung oder Aufsicht des Unterkunftgebers oder eines von diesem Beauftragten stehen und zur entgeltlichen oder unentgeltlichen Unterbringung von Gästen zu vorübergehendem Aufenthalt bestimmt sind. Beaufsichtigte Camping- oder Wohnwagenplätze sowie Schutzhütten gelten als Beherbergungsbetriebe.

(4) Wohnungen sind Unterkünfte, soweit es sich nicht um Beherbergungsbetriebe handelt. Fahrzeuge und Zelte gelten dann als Wohnung, wenn sie im Gebiet derselben Gemeinde länger als drei Tage als Unterkunft dienen.

(5) Meldedaten sind ...

...

(6) Ein Wohnsitz eines Menschen ist an einer Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, dort bis auf weiteres einen Anknüpfungspunkt von Lebensbeziehungen zu haben.

(7) Der Hauptwohnsitz eines Menschen ist an jener Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen; trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen eines Menschen auf mehrere Wohnsitze zu, so hat er jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem er das überwiegende Naheverhältnis hat.

(8) Für den Mittelpunkt der Lebensbeziehungen eines Menschen sind insbesondere folgende Kriterien maßgeblich: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.

..."

§ 2 Abs. 3 Meldegesetz 1991 lautet auszugsweise:

"(3) Sofern sie nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes schon anderswo gemeldet sind, sind Menschen nicht zu melden,

1.

...

3.

die als Minderjährige in Kinder-, Schüler-, Studenten-, Jugend- oder Sportheimen untergebracht sind;

..."

§ 53 Abs. 1 NÖ Pflichtschulgesetz (in der Fassung des Art. 151 Abs. 9 B-VG) setzt voraus, dass Schüler, die auf Grund einer Maßnahme der Jugendwohlfahrt im Schulsprengel wohnen, auch einen Hauptwohnsitz außerhalb des Sprengels haben; nur in diesem Fall ist der Schulerhaltungsbeitrag von der Gemeinde des Hauptwohnsitzes zu leisten.

Der Begriff des Hauptwohnsitzes wird in Art. 6 Abs. 3 B-VG in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. Nr. 504/1994 wie folgt definiert:

"(3) Der Hauptwohnsitz einer Person ist dort begründet, wo sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, hier den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu schaffen; trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen einer Person auf mehrere Wohnsitze zu, so hat sie jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem sie das überwiegende Naheverhältnis hat."

Maßgebend ist somit der nach tatsächlichen Anknüpfungspunkten zu ermittelnde Mittelpunkt der Lebensbeziehungen einer Person (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 2002, Zl. 2000/10/0192, zum NÖ Pflichtschulgesetz sowie aus der reichen Rechtsprechung zu § 1 Abs. 7 Meldegesetz 1991 im Zusammenhang mit Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 1 Meldegesetz 1991 beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2002, Zl. 2002/05/1497, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung zu Personen, die in Krankenanstalten oder auch Pflegeheimen oder vergleichbaren Einrichtungen untergebracht sind, dem zu Folge es "ohne Weiteres möglich (ist), dass eine Person den (einzigen) Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen und damit ihren Hauptwohnsitz in einer solchen Rehabilitations-Einrichtung" haben könne). Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem zitierten Erkenntnis vom 16. Dezember 2002 ausgeführt hat, ist die Meldung nach dem Meldegesetz 1991 in der Frage des Hauptwohnsitzes nicht von entscheidender Bedeutung (vgl. hiezu z.B. auch das Erkenntnis vom 25. Juni 2002, Zl. 97/17/0161, mwN). Jedenfalls kann die Annahme, eine Person habe in einem bestimmten Ort ihren Hauptwohnsitz, weder auf den Umstand der Meldung in diesem Ort als Hauptwohnsitz allein gegründet noch durch den Hinweis auf die Meldung in einem anderen Ort allein widerlegt werden. Daran vermag auch die von der belangten Behörde in der Gegenschrift genannte Regelung des § 2 Abs. 3 Z 3 Meldegesetz 1991 nichts zu ändern. Der Umstand, dass Minderjährige in den dort genannten Fällen, so auch bei der Unterbringung in Jugendheimen, nicht zu melden sind, sofern sie schon anderswo gemeldet sind, bedeutet nicht, dass die Bestimmung des Hauptwohnsitzes nach dem Meldegesetz 1991 nach anderen Kriterien als den vorstehend dargelegten vorzunehmen wäre.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem zitierten Erkenntnis vom 16. Dezember 2002 festgestellt hat, bedeutet die Aufnahme eines Jugendlichen in eine nach Jugendwohlfahrtsvorschriften errichtete Einrichtung - selbst zur "vollen Erziehung" - nicht ohne weiteres, dass damit der Hauptwohnsitz des Jugendlichen in der Gemeinde des Standortes begründet würde. Vielmehr werde es in solchen Fällen von Ausmaß und Intensität der sozialen Beziehungen zum "Herkunftsort", wie z.B. Aufenthalt bzw. Wohnsitz des bzw. der Erziehungsberechtigten, aufrechtes Bestehen der Erziehungsberechtigung, Ausmaß der Kontakte zwischen Jugendlichen und Erziehungsberechtigten, abhängen, ob der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen des Jugendlichen am Wohnort des (der) Erziehungsberechtigten verbleibt oder (infolge völligen Wegfalles der sozialen Beziehungen zum Wohnort des (der) Erziehungsberechtigten) an jenem Ort begründet wird, an dem sich der Jugendliche auf Grund einer Maßnahme der Jugendwohlfahrt aufhalte (vgl. dazu auch die oben zitierte Rechtsprechung zu § 1 Abs. 7 Meldegesetz im Zusammenhang mit Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 1 Meldegesetz zur Unterbringung in Heimen und vergleichbaren Einrichtungen). Entsprechende Feststellungen fehlen jedoch im angefochtenen Bescheid zur Gänze; dieser ist daher rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

8. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

9. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 20. Dezember 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001100209.X00

Im RIS seit

31.01.2005

Zuletzt aktualisiert am

11.07.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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