TE Vfgh Erkenntnis 2001/6/12 B1698/99

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Veröffentlicht am 12.06.2001
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Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art83 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
BundesvergabeG 1997 §113 Abs3
EG Art234
Richtlinie des Rates vom 21.12.89. 89/665/EWG, zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentl Liefer- und Bauaufträge Art2

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Zurückweisung eines Antrags auf Widerruf einer Ausschreibung durch das Bundesvergabeamt; keine Vorlagepflicht der belangten Behörde

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Schreiben vom 28. August 1998 richtete die Wirtschaftskammer Wien, Landesgremium der Versicherungsmakler und Versicherungsagenten, an mehrere Versicherungsunternehmungen die Einladung, sich an der Ausschreibung "Vermögensschadenhaftpflicht der Wiener Versicherungsmakler und Versicherungsagenten" zu beteiligen und bis 10. September 1998 entsprechende Angebote zu übermitteln. Den Ausschreibungsunterlagen war unter anderem zu entnehmen, daß ein Versicherungsschutz für die Tätigkeit der im Landesgremium gemeldeten aktiven Versicherungsmakler und Versicherungsagenten für die Dauer von 3 Jahren anzubieten war. Die vom Auftraggeber unter Einbeziehung der Versicherungssteuern zur Verfügung gestellte Jahresprämie wird im Ausschreibungstext mit maximal ATS 2 Millionen angegeben. In der Folge haben mehrere Versicherungsgesellschaften unter Hinweis auf das Versicherungsrisiko von einer Angebotslegung Abstand genommen, andere - unter ihnen auch die beschwerdeführende Gesellschaft - haben Angebote gelegt.

Mit Schreiben vom 18. Dezember 1998 teilte der Auftraggeber aber in der Folge mit, daß die Ausschreibung gemäß §55 Abs3 Bundesvergabegesetz (BVergG) widerrufen werde, da "nur ein Angebot eingelangt" sei.

Mit Antrag vom 3. Februar 1999 beantragte die beschwerdeführende Gesellschaft beim Bundesvergabeamt (BVA) die Feststellung, daß sie durch den Widerruf der Ausschreibung "keine faire Chance auf Erteilung des Zuschlages" gehabt habe. Sie beantragte weiters, auszusprechen, daß ihr "Recht (...) auf ein faires Verfahren auf Erteilung des Zuschlages durch den Widerruf der Ausschreibung verletzt" worden sei. In eventu begehrte die beschwerdeführende Gesellschaft, "den seitens der Wirtschaftskammer Wien abgegebenen Widerruf aufzuheben und sie durch Erteilung des Zuschlages schad- und klaglos zu halten". Mit infolge eines Verbesserungsauftrages ergangenem Schriftsatz vom 28. Mai 1999 änderte die beschwerdeführende Gesellschaft ihr Begehren dahingehend, daß das BVA feststellen möge, daß sie "keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlages gehabt hat", und zum anderen der Widerruf der Ausschreibung vom 18. Dezember 1998 für nichtig erklärt werden solle.

Mit Bescheid vom 1. September 1999, Z F-5/99-14, wies das BVA den Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Feststellung, daß durch den Widerruf der Ausschreibung die Antragstellerin "keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlages gehabt hat" gemäß §113 Abs3 BVergG als unzulässig zurück (Spruchpunkt 1.). Den Eventualantrag, den Widerruf der Ausschreibung vom 18. Dezember 1998 für nichtig zu erklären, wies das BVA gemäß §55 Abs1 BVergG ab (Spruchpunkt 2.).

Spruchpunkt 2. wird vom BVA wie folgt begründet:

"Gemäß der bereits mehrfach angeführten Bestimmung des §113 Abs3 BVergG ist das Bundesvergabeamt nach Zuschlagserteilung oder nach Abschluß des Vergabeverfahrens lediglich zuständig, festzustellen, ob wegen eines Verstoßes gegen dieses Bundesgesetz oder die hiezu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde. §56 Abs1 BVergG hält fest, daß das Vergabeverfahren mit dem Zustandekommen des Leistungsvertrages oder mit dem Widerruf der Ausschreibung endet. Gemäß Art1 Abs1 litb der Richtlinie 89/665/EWG vom 21. Dezember 1989, ABl. Nr. L 395/33, haben die Mitgliedsstaaten sicherzustellen, daß die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen vorgenommen oder veranlaßt werden kann. Art2 Abs6 der Richtlinie 89/665/EWG sieht vor, daß ein Mitgliedsstaat eine Regelung dahingehend treffen kann, daß nach dem Vertragsabschluß im Anschluß an die Zuschlagserteilung (englische Textfassung: 'after the conclusing of a contract following its award') die Befugnisse der Nachprüfungsinstanz darauf beschränkt werden, einer durch einen Rechtsverstoß geschädigten Person Schadenersatz zuzuerkennen.

Im gegenständlichen Fall beantragte die Antragstellerin, den rechtswidrigen Widerruf der Ausschreibung durch die Wirtschaftskammer Wien, Landesgremium Wien der Versicherungsmakler und Versicherungsagenten, für nichtig zu erklären. Wenngleich §113 Abs3 BVergG dem Bundesvergabeamt nach Abschluß des Vergabeverfahrens - somit auch nach dem Widerruf einer Ausschreibung - eine ausschließliche Feststellungskompetenz einräumt, so legen sowohl die deutsche als auch die englische Textversion der Rechtsmittelrichtlinie den Schluß nahe, daß die Möglichkeit einer Aufhebung eines Widerrufs vorzusehen ist. Von der zwingend vorzusehenden Möglichkeit, einen Widerruf zu bekämpfen, scheint auch der Generalanwalt Antonio Saggio unter Punkt 17 in seinen Schlußanträgen vom 25. März 1999 zum Vorabentscheidungsersuchen C-27/98, Metalmeccanica Fracasso SpA, Leitschutz Handels- und Montage GmbH gegen Amt der Salzburger Landesregierung, auszugehen. Dem Senat erscheint es daher durchaus wahrscheinlich, daß aufgrund von Art1 Abs1 litb iVm Art2 Abs6 der Richtlinie 89/665/EWG der Widerruf einer Ausschreibung einer wirksamen Kontrolle mittels allfälliger Aufhebung zu unterliegen hat. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen ist der Senat jedoch zum Ergebnis gelangt, daß der Frage nach der Möglichkeit einer Aufhebung eines Widerrufs im konkreten Fall ohnedies keine für die Entscheidung erhebliche Bedeutung zukommt, sodaß - in Anbetracht der zu erfolgenden Abweisung des Antrags auf Nichtigerklärung des Widerrufs - von einem Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art234 EGV abgesehen wurde (siehe hiezu EuGH vom 6. Oktober 1982, CILFIT, 283/81, Slg. 1983, 3415, wonach keine Vorlagepflicht besteht, wenn die Anwort auf die von dem nationalen Gericht aufgeworfene Frage keinen Einfluß auf (die) Entscheidung des Rechtsstreits haben kann). Der Senat geht daher - im Einklang mit dem Interesse insbesondere der Antragstellerin an einer raschen Entscheidung in der Sache - davon aus, daß der Antrag, den Widerruf für nichtig zu erklären, im konkreten Fall zulässig ist.

Mit Schreiben vom 18. Dezember 1998 erklärte nun der Auftraggeber unter Berufung auf §55 Abs3 BVergG die Ausschreibung für widerrufen, da nur ein Angebot eingelangt sei. Dem wurde von der Antragstellerin entgegnet, daß mit dem eigenen, der Ausschreibung beigegebenen Konzept und dem Offert der (Mitbewerberin) zumindest zwei Angebote vorgelegen seien. Der Senat konnte jedoch von der Klärung der Frage, inwieweit das seitens der Antragstellerin sowie der (namentlich genannten Versicherung) neuerlich vorgelegte 'Abkommen zur Förderung ausreichenden Versicherungsschutzes' als Angebot zu werten war, absehen. Infolgedessen bedurfte auch die daraus allenfalls resultierende Frage, inwiefern das als Angebot zu wertende Konzept der Antragstellerin ausgeschieden hätte werden müssen und somit ein Widerruf gemäß §55 Abs2 BVergG in Betracht gezogen hätte werden können, keiner Beantwortung. Vielmehr hätte die Ausschreibung bereits aufgrund des §55 Abs1 BVergG wegen Vorliegens eines zwingenden Grundes widerrufen werden müssen.

Im gegebenen Fall hatte es nämlich der Auftraggeber - neben der offensichtlichen Mißachtung der Bekanntmachungsvorschriften und der für den Senat nicht nachvollziehbaren Wahl eines nicht offenen Verfahrens - entgegen §39 Abs4 BVergG unterlassen, in den Ausschreibungsunterlagen Zuschlagskriterien in der Reihenfolge der ihnen zuerkannten Bedeutung anzugeben. Demnach wäre es auf Grundlage der gegenständlichen Ausschreibung unmöglich gewesen, entsprechend §53 BVergG dem wirtschaftlich günstigsten Angebot gemäß den in der Ausschreibung festgelegten Kriterien den Zuschlag zu erteilen. Insofern wäre die Ausschreibung jedenfalls zu widerrufen gewesen. Es war daher der hier iSd Gemeinschaftsrechts vom Senat als zulässig erachtete Eventualantrag, den Widerruf vom 18. Dezember 1998 für nichtig zu erklären, spruchgemäß abzuweisen. (...)"

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

Das BVA hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die beschwerdeführende Gesellschaft erachtet sich in Art6 EMRK dadurch verletzt, daß die Entscheidungen des BVA keiner weiteren inhaltlichen Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof unterliegen. Aus diesen Gründen regt sie auch die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens hinsichtlich der diesbezüglich maßgeblichen Bestimmungen des BVergG an. Im übrigen behauptet die beschwerdeführende Gesellschaft - ohne nähere Substantiierung - die Rechtsunrichtigkeit des angefochtenen Bescheides.

2. a) Zunächst ist festzuhalten, daß gegen §99 Abs2 BVergG, wonach das BVA die ihm aufgrund des BVergG zugewiesene Zuständigkeit in erster und letzter Instanz ausübt, keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Solche hegt der Verfassungsgerichtshof auch hinsichtlich der Tribunalsqualität des BVA im Sinne des Art6 EMRK nicht (vgl. schon VfSlg. 14.390/1995).

b) Dem BVA ist weiters nicht entgegenzutreten, wenn es durch Spruchpunkt 1. den von der beschwerdeführenden Gesellschaft gestellten Antrag, festzustellen, daß sie "keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlages gehabt habe", als unzulässig zurückweist:

Einer solchen Antragstellung durch die beschwerdeführende Gesellschaft liegt ein Mißverständnis des §113 Abs3 zweiter Satz BVergG zugrunde: Denn die genannte Bestimmung normiert in eindeutiger und unbedenklicher Weise, daß das BVA (nur) "auf Antrag des Auftraggebers" zuständig ist, festzustellen, "ob ein übergangener Bewerber oder Bieter auch bei Einhaltung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes und der hiezu ergangenen Verordnungen keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlages gehabt hätte"; die Bestimmung steht in systematischem Zusammenhang mit §122 Abs2 BVergG, wonach sich der Auftraggeber mit einer diesbezüglichen Feststellung einer allfälligen Schadenersatzforderung eines übergangenen Bewerbers oder Bieters entziehen kann.

c) Schließlich begegnet auch Spruchpunkt 2. des bekämpften Bescheides keinen verfassungsrechtlichen Bedenken:

Das BVA hat in Erwägung über die in der Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG statuierten gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an einen effektiven Vergaberechtsschutz seine gesetzlichen Zuständigkeitsbestimmungen insofern gemeinschaftsrechtskonform interpretiert, als es den von der beschwerdeführenden Gesellschaft gestellten Antrag auf Nichtigerklärung des erfolgten Widerrufs des Vergabeverfahrens einer meritorischen Entscheidung zugeführt hat. Schon in seinem Erkenntnis VfSlg. 15.507/1999 hat der Verfassungsgerichtshof die Ansicht vertreten, daß die zitierte Rechtsmittelrichtlinie dahin zu interpretieren sein dürfte, daß der Widerruf eines Vergabeverfahrens als "Entscheidung" im Sinne ihres Art2 Abs1 litb zu qualifizieren ist, die in einem vergabespezifischen Nachprüfungsverfahren einer eventuellen Nichtigerklärung zugänglich sein muß. Selbst wenn das vom Wiener Vergabekontrollsenat mit Beschluß vom 17. Februar 2000 zu C-92/00 gestellte Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH aber zum Ergebnis gelangen sollte, daß diese Auslegung der Rechtsmittelrichtlinie unzutreffend ist, bestünden aus verfassungsrechtlicher Sicht gegen eine nationale Regelung, die eine Anfechtbarkeit des Widerrufs eines Vergabeverfahrens ermöglicht, keine Bedenken.

Dem BVA ist aber nicht nur nicht der Vorwurf zu machen, eine entscheidungserhebliche Frage der Interpretation des Gemeinschaftsrechts dem EuGH nicht vorgelegt zu haben und dadurch die beschwerdeführende Gesellschaft in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt zu haben; auch inhaltlich hat das BVA über den mit Spruchpunkt 2. erledigten Antrag auf Nichtigerklärung des Widerrufs in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise entschieden: Das BVA hat - wie oben unter I.1. im Wortlaut wiedergegeben - seine Entscheidung plausibel, ausführlich und nachvollziehbar begründet. Ob das Verfahren in jeder Hinsicht rechtmäßig geführt wurde und insbesondere die Frage des Vorliegens eines zwingenden Widerrufsgrundes gemäß §55 Abs1 BVergG (wegen fehlender Angabe der Zuschlagskriterien in der Reihenfolge der ihnen zuerkannten Bedeutung in den Ausschreibungsunterlagen) richtig beurteilt wurde, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen; und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen einen Bescheid des BVA - einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG - richtet, der beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. VfSlg. 10.565/1985, 10.659/1985, 12.697/1991).

d) Eine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat durch den angefochtenen Bescheid sohin nicht stattgefunden. Da das Verfahren auch nicht ergeben hat, daß die beschwerdeführende Gesellschaft durch den Bescheid in von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen in ihren Rechten verletzt wurde, war die Beschwerde abzuweisen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

EU-Recht Richtlinie, Vergabewesen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:B1698.1999

Dokumentnummer

JFT_09989388_99B01698_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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