Norm
ABGB §692Kopf
SZ 22/7
Spruch
Wenn der Erblasser einem Noterben durch ein Sachvermächtnis mehr als den Pflichtteil zugedacht hat, ist der Noterbe hinsichtlich des den Pflichtteil übersteigenden Wertes Legatar und muß sich allenfalls (bei Unzulänglichkeit des Nachlasses) eine Kürzung seiner Zuwendung zur Befriedigung der Gläubiger und anderer Noterben gefallen lassen.
Entscheidung vom 12. Jänner 1949, 2 Ob 4, 5/49.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Der Erblasser, der sich anläßlich der Scheidung seiner ersten Ehe verpflichtet hatte, eine in seinem Eigentum stehende Liegenschaftshälfte im Falle seines Todes den beiden aus dieser Ehe stammenden Kindern zu überlassen, hat testamentarisch seine Lebensgefährtin zur Alleinerbin eingesetzt und seine inzwischen großjährig gewordenen Kinder aus erster Ehe sowie eine in seiner zweiten Ehe geborene, noch minderjährige Tochter auf den Pflichtteil beschränkt, wobei er jedoch verfügt hat, daß die großjährigen Noterben an Stelle des Pflichtteiles seine Liegenschaftshälfte zu erhalten haben und daß die minderjährige Noterbin ihren Halbgeschwistern wertmäßig gleichzustellen sei. Nach den Ergebnissen des Verlassenschaftsverfahrens beträgt der Wert der Liegenschaftshälfte 5250 S, während der gesamte Reinnachlaß nur einen Wert von 3546.20 S ergeben hat. Die Universalerbin hat bestritten, zur Ausfolgung der erblasserischen Liegenschaftshälfte an die beiden großjährigen Noterben verpflichtet zu sein, und sich lediglich zur Bezahlung des Pflichtteiles in Geld, der für jedes Kind mit 443.28 S errechnet worden ist, bereit erklärt. Die großjährigen Noterben haben mit der mj. Noterbin ein Übereinkommen getroffen, in dem sie sich zur Bezahlung eines Betrages von 1000 S an sie verpflichtet haben.
Das Erstgericht hat in dem Beschluß ONr. 28 unter anderem das Pflichtteilsübereinkommen genehmigt (Punkt 5), der Alleinerbin die Herausgabe der Liegenschaftshälfte an die großjährigen Noterben aufgetragen (Punkt 6) und sie angewiesen, den Pflichtteil der mj. Noterbin durch Einlage in ein Sparbuch zu berichtigen (Punkt 7); schließlich hat das Erstgericht in einem besonderen Beschluß ONr. 29 eine Amtsbestätigung zur Einverleibung des Eigentumsrechtes der großjährigen Noterben an der erblasserischen Liegenschaftshälfte ausgestellt.
Das Rekursgericht hat auf Grund eines Rekurses der Alleinerbin den Beschluß ONr. 28 in den Punkten 6 und 7 sowie den Beschluß ONr. 29 aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen. Das Rekursgericht vertrat die Ansicht, daß über die Frage, welcher Sinn dem Testament beizulegen sei, nur im ordentlichen Rechtsweg entschieden werden könne und daß bis dahin weder eine Berechnung der Pflichtteile noch eine Ausfolgung der Liegenschaftshälfte an die großjährigen Noterben möglich sei; vor der Beschlußfassung über die Verweisung auf den Rechtsweg seien jedoch noch die Erben anzuhören.
Der Oberste Gerichtshof hat dem Revisionsrekurs der beiden großjährigen Noterben, soweit er die vom Rekursgerichte verfügte Aufhebung der erstgerichtlichen Beschlüsse ONr. 28 in Punkt 6 und ONr. 29 bekämpft hat, nicht Folge gegeben.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die vom Revisionsrekurs aufgeworfene Frage der Auslegung der Vorschrift des § 2 Z. 7 AußstrG., die allerdings sehr umstritten ist (vgl. Rintelen, S. 2, Ott, Rechtsfürsorgeverfahren, S. 78, 164, 165, 183 sowie die bei Rintelen auf S. 3 zitierten oberstgerichtlichen Entscheidungen), kann unerörtert bleiben, weil für eine Verweisung auf den Rechtsweg, sei es wegen strittiger Tatfragen oder zweifelhafter Rechtsfragen, in keinem Fall ein Anlaß besteht.
Kann auch die Auslegung eines Testamentes sowohl streitige Tatfragen als auch solche rechtlicher Natur aufwerfen, erstere z. B. wenn die Person des Bedachten oder die Identifizierung des zugewendeten Vermögensbestandteiles, letztere wenn z. B. die vom Erblasser beabsichtigte rechtliche Form der Zuwendung oder die in Aussicht genommene Rechtsfigur zweifelhaft sind, allenfalls gemischte Fragen, wie die nach dem Vorliegen eines Enterbungsgrundes, nach dem Bestehen eines Verwandtschafts- oder Adoptionsverhältnisses, liegt doch im vorliegenden Fall tatsächlich keine dieser Voraussetzungen vor. Der Erblasser hat in seinem Testament vom 24. April 1944 zunächst allen drei Kindern den Pflichtteil ausgeworfen und seine Lebensgefährtin zur Universalerbin eingesetzt. Er hat aber auch zweimal zum Ausdruck gebracht, daß den großjährigen Kindern die zu seinem Nachlaß gehörende Haushälfte zufallen soll und daß diese Haushälftenanteile auf deren Pflichtteile anzurechnen sind. Außerdem hat er angeordnet, daß die mj. Tochter von ihren großjährigen Halbgeschwistern aus erster Ehe einen Unterschiedsbetrag zu erhalten habe, wenn sie nicht soviel erhalte, als je ein Hausviertel wert ist, so daß jedes der drei Kinder wertmäßig den gleichen Anteil erhalten solle. Dem Revisionsrekurs ist darin zuzustimmen, daß in diesen Anordnungen eindeutig die Zuwendung der beiden Hausanteilhälften an die Revisionsrekurswerber zu erblicken ist. Die Ansicht der Testamentserbin, die von ihr auch in ihrem Rekurs festgehalten wurde, die Noterben hätten sich in jedem Fall mit einem ihren Pflichtteil deckenden Geldbetrag zu begnügen, ist offenbar im Widerspruch mit § 774 ABGB. Denn der Erblasser kann den Pflichtteil in jeder ihm passenden Form, also auch in der eines Sachvermächtnisses hinterlassen, selbst wenn diese Form dem Noterben unerwünscht ist und dieser bei der Veräußerung den im Schätzwert gedeckten Betrag des Pflichtteils nicht herausschlagen könnte (Ehrenzweig, II/2, S. 576). Anderseits ist in den Pflichtteil einzurechnen, was der Noterbe aus dem Nachlaß durch Erbseinsetzung, Vermächtnis, Schenkung auf den Todesfall usw. erhält (§ 787 ABGB., Ehrenzweig, II/2, S. 589).
Dies hat denn auch der Erblasser noch ausdrücklich angeordnet.
Ob ihm dabei vorschwebte, daß der Wert seines reinen Nachlasses so groß sein werde, daß der Wert der Hausanteile den Pflichtteil der beiden großjährigen Kinder decken oder sogar hinter diesem zurückbleiben werde, ist für die rechtliche Beurteilung unwesentlich. Das Erstgericht hat nun ohne Anfechtung die Höhe der Pflichtteile gemäß § 786 ABGB., vom reinen Nachlaß ausgehend, richtig berechnet mit 443.28 S. Da der Schätzwert der Liegenschaftsanteile jedoch zusammen 5250 S, also je 2625 S beträgt, ergibt sich, daß der Erblasser die beiden großjährigen Noterben mit mehr als dem Pflichtteil bedacht hat, so daß die Zuwendung aus zwei Teilen besteht: aus der Pflichtteilsdeckung und aus einer freien Zuwendung, hinsichtlich derer sie nur als Vermächtnisnehmer anzusehen sind und darum gemäß § 783 ABGB. sich bei Unzulänglichkeit des Nachlasses zur Befriedigung der Gläubiger und der Noterben Kürzungen ihrer Zuwendungen auf Grund ihrer Beitragspflicht gefallen lassen müssen (Ehrenzweig, II/2, S. 580).
Zwar kann der Noterbe seinen Anspruch nur gegen den Erben richten, dieser aber hat gegenüber den Legataren den Anspruch auf den verhältnismäßigen Beitrag zur Ermöglichung der Berichtigung der Pflichtteile. Denn in der Reihenfolge der Befriedigung gehen die Gläubiger den Noterben und Legataren, die Noterben aber den letzteren vor.
Würde den Legataren, wie es das Erstgericht tut, vorbehaltlos die Liegenschaftshälfte überantwortet, wäre nicht nur der aus dem reinen Nachlaß zu berichtigende Pflichtteil der mj. Tochter verletzt, deren Rechte das Gericht nach §§ 49, 162 AußstrG. von Amts wegen zu wahren hat, es wären auch der Testamentserbin nahezu die gesamten Nachlaßaktiven entzogen, aus denen oder mit deren Wert sie die Nachlaßpassiven zu berichtigen hat. Denn der Wert des Hausanteiles beträgt 5250 S, der reine Nachlaß aber nur 3546.20 S. Gewiß wird gemäß § 811 ABGB. für die Sicherstellung oder Befriedigung der Nachlaßgläubiger vom Abhandlungsgericht nicht von Amts wegen gesorgt, sondern nur, soweit sie selbst es verlangen (Ehrenzweig, II/2, S. 532). Aber die Testamentserbin hat ja im Rekurs ausdrücklich den Antrag auf Sicherstellung gegenüber den großjährigen Noterben gestellt und damit zum Ausdrucke gebracht, daß sie eine Kürzung der Vermächtnisse, soweit sie den Pflichtteil übersteigen, zur Ermöglichung der Berichtigung der Nachlaßpassiven und der Pflichtteile begehrt.
Sie errechnet diese Sicherstellung dadurch, daß sie zunächst die
Differenz zwischen dem reinen Nachlaß per ........ S 3546.20 und dem
Wert der Hausanteile per ................. S 5250.-- ----------
gleich .......... S 1703.80 zugrunde legt und hiezu den aus dem
reinen Nachlaß der mj. Tochter zu bezahlenden Pflichtteil per ... S
443.28 ---------- rechnet.
Sie gelangt so zu einer in den Nachlaß von den großjährigen Noterben
einzuwerfenden oder wenigstens von ihnen vor Ausfolgung der
Vermächtnisse sicherzustellende Summe von ........ S 2147.08.
Ohne diese Sicherstellung wären die großjährigen Noterben ungerechtfertigt auf Kosten der minderjährigen Noterbin und der Testamentserbin bereichert, die mehr als den reinen Nachlaß herausgeben müßte, wiewohl sie sich mit der Wohltat des Inventars erbserklärt hat.
War also die vom Rekursgericht verfügte Verweisung auf den Rechtsweg im Punkt 6 und 7 des Beschlusses ONr. 28 sowie im Beschluß ONr. 29 unbegrundet, konnte doch in Punkt 6 und in ONr. 29 der erstrichterliche Beschluß nicht schlechthin wiederhergestellt werden, wie der Revisionsrekurs begehrt, weil vor Ausfolgung des Vermächtnisses an die großjährigen Legatare und Noterben, bzw. vor Ausstellung der Bestätigung nach § 178 AußstrG. zunächst die Frage der Sicherheitsleistung untersucht werden mußte. Das Erstgericht wird daher diese Frage zunächst zu untersuchen und eine entsprechende Sicherheit in Beachtung der vorstehenden Ausführungen festzusetzen haben.
Anmerkung
Z22007Schlagworte
Legat als Pflichtteilsdeckung, Reduzierung, Nachlaß Unzulänglichkeit, Reduzierung der Legate, Noterbe als Legatar, Reduzierung, Pflichtteil, Deckung durch Legat, Reduzierung, Verlassenschaft Unzulänglichkeit, Reduzierung der Legate, Vermächtnis als Pflichtteilsdeckung, ReduzierungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1949:0020OB00005.49.0112.000Dokumentnummer
JJT_19490112_OGH0002_0020OB00005_4900000_000