TE OGH 1950/6/30 2Ob395/50

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.06.1950
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Revisionsgericht hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Waitusch als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bistritschan und Dr. Elsigan sowie den Rat des Oberlandesgerichtes Dr. Kisser und den Oberlandesgerichtsrat Dr. Lenk als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien Rosa D***** mj. Rosemarie D*****, vertreten durch die Erstgenannte, beide vertreten durch Dr. Alfred Würtemberger, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagten Parteien Josef H*****, und Ambros H*****, beide vertreten durch Dr. Friedrich Rödiger, Rechtsanwalt in Graz, wegen 6.525 S 64 g und Zahlung von Monatsrenten im Betrage von 270 S und 180 S infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 14. März 1950, GZ 1 R 370/49-29, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 10. Mai 1949, GZ 1 Cg 18/48-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben und das vom Berufungsgericht bestätigte Urteil des Erstgerichtes in seinem Punkt I lit. b in folgender Weise geändert:

(Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand bei sonstiger Exekution schuldig, der Erstklägerin Rosa D*****) vom 1. 3. 1948 angefangen bis 28. 2. 1978 oder bis zu ihrer früheren Wiederverheiratung eine monatliche Rente von 270,- S, und zwar die bis zur Rechtskraft dieses Urteils fällig gewordenen Rentenbeträge binnen 14 Tagen, die künftig fällig werdenden Leistungen am Ersten eines jeden Monats im vorhinein (zu bezahlen).

Im übrigen bleiben die Urteile der ersten und zweiten Instanz unberührt.

Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, den beiden Klägerinnen die mit 1.904 S 62 g bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Kläger sind die Witwe und die mj. Tochter des am 9. 2. 1948 durch einen Verkehrsunfall ums Leben gekommenen Otto D*****. Der Unfall ereignete sich an der Kreuzung der Oekonomiestraße und des Lendkais in Graz in der Weise, daß der auf dem Lendkai stadtwärts fahrende Otto D***** mit seinem Kraftfahrrad an den dem Erstbeklagten gehörigen, von dem Zweitbeklagten gelenkten Lastkraftwagen anfuhr, als dieser Lastkraftwagen im Begriffe war, in die Oekonomiestraße einzubiegen. Das Klagebegehren ist auf die Zahlung eines Betrages von 6.525 S 64 g als Ersatz für Operations- und Bestattungskosten, Kosten für Trauerkleider und die Reparatur des zu Schaden gekommenen Kraftfahrrades, außerdem auf Zahlung einer monatlichen Rente von 270,- S an die Erstklägerin und von 180,- S an die Zweitklägerin gerichtet. Die Erstklägerin verlangt die Rente für eine vermutliche Lebensdauer des Verunglückten von weiteren 30 Jahren, die mj. Rosemarie D***** verlangt die Rente bis zu ihrer Großjährigkeit und der dadurch eintretenden Selbsterhaltungsfähigkeit. Das Erstgericht hat dem Klagebegehren im vollen Umfange stattgegeben. Auf die Berufung der beklagten Parteien hat das Berufungsgericht das Ersturteil bestätigt.

Mit dem Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 1. 2. 1949, 6 b E Vr 3410/48-24, wurde der Zweitbeklagte Ambros H***** des Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens nach § 335 StG. schuldig erkannt und zu 4 Monaten strengen Arrest verurteilt, wobei der Vollzug der Freiheitsstrafe für eine Probezeit von 3 Jahren vorläufig aufgeschoben wurde. Mit dem Erkenntnis vom 27. Dezember 1949, 2 Os 449/49-6, hat der Oberste Gerichtshof die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen dieses Urteil verworfen. Bei ihren im Sinne des Klagebegehrens gefällten Urteilen sind beide Vorinstanzen davon ausgegangen, daß der Zweitbeklagte sich gegen die Verkehrsvorschriften dadurch vergangen habe, daß er das nach § 19 Abs. 5 der Straßenpolizeiordnung dem verunglückten Otto D***** zustehende Vorrangsrecht nicht respektierte und in die Oekonomiestraße kurvenschneidend in einer Weise einbog, daß er den Fahrweg des Verunglückten blockierte. Ein Mitverschulden des Verunglückten haben beide Vorinstanzen nicht angenommen, weil sowohl nach dem auf die Länge der Bremsspuren gegründeten Sachverständigengutachten, als auch nach der Aussage der im Verfahren vernommenen Zeugen der Verunglückte nicht übermäßig schnell fuhr und weil er nach den Verkehrsvorschriften auch nicht vor der Ausmündung der Oekonomiestraße sein Tempo zu mäßigen brauchte, da gegenüber der Oekonomiestraße dem Lendkai die Qualität einer Vorrangstraße zukomme. Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobene Revision der beklagten Partei macht die Revisionsgründe des § 503 Z. 2, 3 und 4 ZPO geltend und stellt den Antrag auf Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichtes, allenfalls auch des Urteils der ersten Instanz und zur Verweisung der Rechtssache an die Untergerichte oder auf Abweisung des Klagebegehrens, allenfalls darauf, "unter Anrechnung des Mitverschuldens des Otto D***** die klägerischen Ansprüche nur anteilsmäßig zuzuerkennen".

Rechtliche Beurteilung

Der Revision kann Berechtigung nicht zuerkannt werden. Die Revision stellt an die Spitze ihrer Ausführungen die Behauptung, daß dem Lendkai nicht die Qualität einer Vorrangsstraße zukomme, denn nach § 1 Punkt 12 der Straßenpolizeiordnung seien Vorrangsstraßen nur Straßen, die als Vorrangsstraßen erklärt und als solche in ihrem Verlauf durch Verkehrsschilder gekennzeichnet seien. An diesem zweiten Erfordernis fehle es aber im vorliegenden Falle, weil nach der im Ersturteil festgehaltenen Auskunft der Polizei-Direktion Graz-Verkehrskontrolle der Lendkai zwar zur Vorrangsstraße erklärt sei, jedoch der erforderlichen Kennzeichnung entbehre, da vom Magistrat die entsprechenden Verkehrszeichen noch nicht angebracht wurden. Die Revisionswerber übersehen aber bei ihren Einwendungen gegen die Annahme der Vorrangsqualität des Lendkais, daß sie selbst in der Verhandlung vom 22. 10. 1948 außer Streit gestellt haben, daß der Lendkai Hauptstraße ist. Da es sich bei dieser Außerstreitstellung ja um nichts anderes handeln konnte, als um das Verhältnis des Lendkais zur Oekonomiestraße, so haben die Beklagten selbst im Prozeß die Auffassung vertreten, daß dem Lendkai gegenüber der Oekonomiestraße Vorrangsqualität zukomme. Überdies ergibt sich, wie der im Strafverfahren vernommene Sachverständige C***** angegeben hat, eine Angabe, die das Erstgericht in das Urteil übernommen hat, aus der an der Einmündung der Oekonomiestraße in den Lendkai stehenden Vorrangstafel, daß dem Lendkai der Vorrang zukommt. Es sind darum alle Ausführungen der Revision unstichhaltig die aus dem Mangel der Vorrangsqualität des Landkais ableiten wollen, es hätte D***** sich nur im verlangsamten Tempo der Oekonomiestraße nähern, dürfen und es hätte ihm darum auch keine sogenannte Schrecksekunde zugebilligt werden dürfen.

Mit dem Revisionsgrund des § 503 Z. 2 ZPO wendet sich die Revision hauptsächlichst dagegen, daß das Berufungsgericht offenbar, weil es diese Tatsachen als gerichtsbekannt annahm, verschiedene Feststellungen über die Qualität der Oekonomiestraße als einer Einbahnstraße und über die Abwicklung des Verkehrs von Semriach nach dem Stadtinnern von Graz getroffen hat. Es mag dahingestellt bleiben, ob diese vom Berufungsgericht offenbar als notorisch erachteten Tatumstände überhaupt, wie es die Revision versucht, im Sinne des Erkenntnisses des Obersten Gerichtshofes vom 31. 1. 1922, ZBl. Nr. 217, angefochten werden können. Jedenfalls aber vermöchte eine dem Berufungsgericht in dieser Richtung unterlaufene Überschreitung der ihm gezogenen Feststellungsgrenzen keine Mangelhaftigkeit im Sinne des § 503 Z. 2 ZPO zu begründen. Denn diese Feststellungen betreffen nicht für die Entscheidung erhebliche Tatumstände. Es ergeben sich nämlich schon daraus allein, daß der Lendkai mit Recht vom Erstgericht als eine Vorrangsstraße gewertet wurde, die für die rechtliche Beurteilung im Sinne der Ablehnung eines Mitverschuldens des Verunglückten erforderlichen Unterlagen.

Insoweit die Revision die Feststellungen der Untergerichte über das vom Verunglückten eingehaltene Fahrttempo bekämpft, unternimmt sie es, was ihr im Revisionsstadium verwehrt ist, die Beweiswürdigung der Untergerichte anzufechten. Auch die in diesem Zusammenhang vorgebrachte Rüge der Aktenwidrigkeit erweist sich nicht als stichhaltig. Die Revision will eine beiden Vorinstanzen unterlaufene Aktenwidrigkeit darin erblicken, daß, obwohl nach der den Akten beiliegenden Unfallsskizze und der Zeugenaussage des Wachmannes A***** die Brems- und Blockierspur des vom Verunglückten gelenkten Kraftfahrrades insgesamt 13,7 m betrug, der Berechnung der Ausgangsgeschwindigkeit des Verunglückten vor der Benutzung der Bremsanlagen, entsprechend dem Gutachten des Sachverständigen Ing. K*****, nur ein Bremsweg von 12,4 m zugrunde gelegt wurde. Daraus ergebe sich eine unrichtige Berechnung der Ausgangsgeschwindigkeit des Motorrades. Dabei übersieht aber die Revision, daß der Sachverständige zu einem Bremsweg von 12,4 m dadurch gekommen ist, daß er von der Bremsspur den Radstand abgerechnet hat. Ob es richtig ist, bei der Berechnung der Ausgangsgeschwindigkeit von Kraftfahrrädern aus der Bremsspur den Radstand abzuziehen, ist eine im bisherigen Verfahren nicht erörterte, aber auch von den Beklagten nicht aufgeworfene Frage. Nach den Ausführungen in der "Praxis der Straßenverkehrsvorschriften" von Dr. K. Rössler (S. 108) ist der Radstand nur dann von der Länge der Bremsspur abzurechnen, wenn Vorder- und Hinterrad an der Erzeugung der Bremsspuren zugleich mitgewirkt haben. Ob dies bei 250iger Puchkrafträdern zutrifft, mag dahingestellt bleiben. Denn einen bei Beurteilung dieser Frage dem Sachverständigen unterlaufenen Fehlschluß hätte der Revisionswerber mit dem Berufungsgrund der Unrichtigkeit der Beweiswürdigung bekämpfen müßen. Im Revisionsstadium kann die sachliche Richtigkeit des Sachverständigengutachtens und damit die Beweiswürdigung des Erstgerichtes nicht mehr in Zweifel gezogen werden. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt jedenfalls nicht vor, wenn die Unterinstanzen von dem richtig dargestellten Ergebnis des Sachverständigenbeweises ausgegangen sind.

Was sonst die Revision unter dem Gesichtspunkt der Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend macht, betrifft das Verfahren in erster Instanz. Die Mangelhaftigkeit soll darin gelegen sein, daß verschiedene in erster Instanz gestellte Beweisanträge abgelehnt wurden. Im Revisionsverfahren können aber Verfahrensmängel, die vor dem Berufungsgericht geltend gemacht wurden, von diesem aber nicht als solche anerkannt wurden, nicht mehr geltend gemacht werden (vergl. Entsch. d. OGH. v. 20. 7. 1949, 1 Ob 313/49). Auch soweit sie sich gegen die Höhe der zuerkannten Schadenersatzbeträge wendet, kann der Revision nicht beigepflichtet werden. Allerdings scheinen Bestattungskosten in der Höhe von 2.570,- S, gemessen an den Einkommensverhältnissen des Verunglückten, auf den ersten Blick über das dem Stand und dem Vermögen des Verunglückten entsprechende Maß hinauszugehen. Es ist aber nach § 1327 ABGB. im Zusammenhalt mit § 549 ABGB. auch auf den Ortsgebrauch Rücksicht zu nehmen und es ist, worauf schon die Vorinstanzen durchaus zutreffend hingewiesen haben, üblich, bei Unglücksfällen, durch die jemand seiner Familie plötzlich entrissen wird, der Pietät durch ein besonders schönes Begräbnis Genüge zu tun. Die angemessenen Kosten der Trauerkleidung sind nach § 1327 ABGB. ohne Vorteilsausgleichung zu ersetzen (vergl. Wolff in Klangs-Komm. II. Auflage, 6. Band, S. 148).

Was die Kosten der Reparatur des Motorrades betrifft, so ist im bisherigen Verfahren von den Beklagten gar nicht behauptet worden, daß diese Kosten zum Teil für werterhöhende Neueinbauten aufgelaufen seien. Das neue Vorbringen kann daher als gegen das Neuerungsverbot verstoßend nicht beachtet werden. Dasselbe gilt von dem Einwand der Beklagten, daß die Untergerichte auf die aus der gesetzlichen Unfallsversicherung des Verunglückten den Hinterbliebenen zustehenden Ansprüche hätten Rücksicht nehmen sollen. Auch dieses Voringen der Revision verstößt gegen das Neuerungsverbot. Abgesehen davon aber wird nicht einmal in der Revision behauptet, daß - eine Voraussetzung für Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung - dem dem verstorbenen Gatten der Klägerin zugestossenen Unfall die Qualifikation eines Arbeitsunfalles im Sinne der einschlägigen Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung zukomme. Auch die Einwände gegen die Dauer der der Erstklägerin zugesprochenen Hinterbliebenenrente sind nicht stichhaltig. Nach der allgemeinen deutschen Sterbetafel 1924/1926 beträgt die Lebenswahrscheinlichkeit für einen 37 jährigen Mann noch 32.59 Jahre, nach der österreichischen Sterbetafel 1930/1933 31.2 Jahre, nach der Schweizer Volkssterbetafel 1939/1944 endlich 33.06 Jahre. Das Erstgericht ist daher nicht über die nach versicherungsmathematischen Grundsätzen zu beurteilende Lebensdauer des tödlich verunglückten Gatten der Erstklägerin hinausgegangen, wenn es eine Hinterbliebenenrente für 30 Jahre zugesprochen hat.

In diesem Zusammenhang wendet die Revision weiter ein, daß der Verunglückte von seinem 60. Lebensjahr an nur mehr die Altersrente und keinen Arbeitsverdienst mehr gehabt hätte. Diesen Ausführungen ist zunächst zu entgegnen, daß nach den derzeitigen Sozialversicherungsgesetzen Angestellte erst mit dem vollendeten 65. Lebensjahr in den Genuß der Altersrente treten und jeder Anhaltspunkt für den früheren Anfall einer Invaliditätsrente fehlt. Aber auch für die beiden letzten Jahre des Rentenlaufes kann der Revision nicht Folge gegeben werden, weil es ja nach den derzeit geltenden Sozialversicherungsvorschriften keinem Altersrentner untersagt ist, zu der Altersrente noch etwas hinzuzuverdienen und nach allgemeinen Erfahrungssätzen diese Möglichkeit auch vielfach ausgenützt wird. Einen weiteren Angriffspunkt gegen die Höhe der zugesprochenen Renten will die Revision darin finden, daß das Erstgericht den beiden Klägerinnen insgesamt Renten in der Höhe von 3/4-tel des Arbeitsverdienstes des Verunglückten zugesprochen hat. Der Angriff der Revision in dieser Richtung kann aber schon deshalb nicht von Erfolg begleitet sein, weil die Revision damit die Beweiswürdigung des Erstgerichtes bekämpft, diese aber nicht mehr einer Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt.

In einem Punkte kommt allerdings der Revision Berechtigung zu. Gem. § 1327 ABGB. ist die Hinterbliebenenrente der Gattin auf die Dauer ihres Witwenstandes beschränkt. Es war daher schon im Urteilsspruch diese Beschränkung zum Ausdruck zu bringen (vergl. Erkenntnis des OGH. v. 27. 5. 1931, Anwaltszeitung S. 290 und vom 5. 10. 1911, GlUNF. 6.205).

Für die Bestimmung der Kosten bleibt dieser kleine Erfolg aber naturgemäß außer Betracht. Es war daher den Revisionsgegnern die Gesamtheit der Kosten des Revisionsverfahrens zuzusprechen (§§ 41, 50 ZPO).

Anmerkung

E73406 2Ob395.50

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0020OB00395.5.0630.000

Dokumentnummer

JJT_19500630_OGH0002_0020OB00395_5000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten