TE OGH 1950/10/4 3Ob427/50 (3Ob428/50)

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Veröffentlicht am 04.10.1950
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Norm

ABGB §1295
ABGB §1299

Kopf

SZ 23/282

Spruch

Ein in einer Krankenanstalt angestellter Arzt haftet für Schäden, die einem Patienten infolge mangelhafter Einrichtungen des Krankenhauses zustoßen, dann nicht, wenn er mit Verwaltungsaufgaben hinsichtlich des Krankenhauses nicht betraut war.

Entscheidung vom 4. Oktober 1950, 3 Ob 427, 428/50.

I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage von den beklagten Parteien den Ersatz des Schadens, den sie durch den Unfall vom 1. Oktober 1946 erlitten hat.

Das Prozeßgericht hat mit Zwischenurteil vom 15. Jänner 1950 zu Recht erkannt, daß der Anspruch der Klägerin dem Gründe nach gegenüber den Beklagten nicht zu Recht bestehe.

In tatsächlicher Beziehung hat das Prozeßgericht folgenden Sachverhalt festgestellt: Die Klägerin wurde infolge eines Anfalles einer akuten Geistesstörung am 30. September 1946 in die Krankenanstalt H. B. in Bad I. eingeliefert und in einem Krankenzimmer untergebracht, nachdem sie vorher bei der Untersuchung durch den Anstaltsarzt Dr. B. sich verhältnismäßig ruhig benommen hatte. Auch in der darauffolgenden Nacht verhielt sich die Klägerin vollkommen ruhig. Anläßlich einer Visite der Krankenschwester in der Frühe des 1. Oktober 1946 verhielt sie sich ruhig und normal. Kurze Zeit nach dieser Visite zwängte sich die Klägerin durch das Fenster des Krankenzimmers und sprang in den Hofraum hinab, wobei sie sich durch den Sturz schwere Verletzungen zuzog, die eine Amputierung beider Beine notwendig machten. Das Fenster des Gartenzimmers war in der Weise gegen ein unbefugtes Öffnen gesichert, daß es in drei Längsflügel geteilt war, wobei die beiden äußeren Fensterflügel starr befestigt waren und nur der mittlere Teil um eine vertikale Achse gedreht werden konnte, wodurch eine Drehung um 10 cm ermöglicht wurde. Das Prozeßgericht führt weiter an, daß nach dem Vorbringen des Erstbeklagten eine weitere Drehung dieses mittleren Fensterteiles dadurch erschwert war, daß der Fensterteil bei der Drehung an den Fensterstock anstoßen mußte und der drehbare Fensterrahmen auf einer Eisenplatte auflag und in einen Zapfen eingriff. Ob das Prozeßgericht auch diese weitere Sicherung als erwiesen angenommen hat, kann dem Urteil nicht mit Sicherheit entnommen werden. Der Klägerin gelang es trotz der Sicherungen, sich durch das Fenster hindurchzuzwängen und in den Hofraum hinabzuspringen.

Das Prozeßgericht hat den Schadenersatzanspruch der Klägerin gegenüber dem Erstbeklagten, dem Primararzt des Krankenhauses, und der Zweitbeklagten, einer Anstaltsärztin, dem Gründe nach als nicht zu Recht bestehend erkannt, weil diesen Beklagten eine Einflußnahme und eine Verbindlichkeit hinsichtlich der bereits behördlich genehmigten technischen Einrichtungen des Krankenhauses nicht zukam und weil ein besonderer Anlaß, die bestehenden Sperrvorrichtungen des Krankenzimmers zu überprüfen, nicht vorgelegen war.

Über Berufung der Klägerin bestätigte das Berufungsgericht dieses Urteil hinsichtlich des Erstbeklagten und der Zweitbeklagten.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht ist bei seiner Entscheidung von der Rechtsansicht ausgegangen, daß die Klägerin nicht berechtigt sei, die Haftung des Erstbeklagten und der Zweitbeklagten in Anspruch zu nehmen, da diese nur als Erfüllungsgehilfen der Krankenanstalt anzusehen seien und zur Klägerin in keinem Vertragsverhältnis gestanden waren. Diese Auffassung kann allerdings nicht geteilt werden. Der Umstand, daß der Erstbeklagte und die Zweitbeklagte zur Klägerin in keinem Vertragsverhältnis standen, ist nicht geeignet, ihre Haftung für den Unfall vom 1. Oktober 1946 auszuschließen, denn die Klägerin stützt ihren Anspruch darauf, daß diese Beklagten es verabsäumt haben, für die Anlage einer Klingelleitung und eine entsprechende Sicherung des Fensters im Krankenzimmer, in welchem die Klägerin untergebracht war, gegen Ausbruchsversuche geisteskranker Personen zu sorgen. Damit behauptet die Klägerin ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten im Sinne des § 1295 ABGB., ohne sich auf eine vertragliche Verpflichtung der Beklagten zu stützen. Nach den Feststellungen des Prozeßgerichtes waren die Beklagten nicht mit Verwaltungsaufgaben hinsichtlich des Krankenhauses betraut, sondern bloß als Ärzte angestellt und waren für die in der Krankenanstalt bestandenen technischen Einrichtungen, die behördlich genehmigt worden waren, im allgemeinen nicht verantwortlich, auch bestand für sie im besonderen Falle kein Anlaß, die bestehenden Sperrvorrichtungen am Fenster des Krankenzimmers, in welchem die Klägerin untergebracht war, zu überprüfen. Im Hinblick auf diesen Sachverhalt kann den Beklagten ein Verschulden an dem Unfall der Klägerin vom 1. Oktober 1946 nicht zur Last gelegt werden. Die Vorinstanzen haben daher mit Recht ausgesprochen, daß der Schadenersatzanspruch der Klägerin gegenüber dem Erstbeklagten und der Zweitbeklagten dem Gründe nach nicht zu Recht bestehe. Die Bestimmung des § 1299 ABGB. kann zur Stützung der Ansprüche der Klägerin nicht herangezogen werden, weil den Beklagten nicht ein Fehler bei der Ausübung ihrer ärztlichen Tätigkeit zur Last gelegt wird. Der Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung liegt demnach nicht vor.

Anmerkung

Z23282

Schlagworte

Arzt im Krankenhaus, Haftung, Haftung des Arztes in Krankenhaus, Körperverletzung Haftung des Arztes im Krankenhaus, Krankenhaus, Haftung des angestellten Arztes, Kunstfehler, Haftung des Arztes im Krankenhaus, Schadenersatz Haftung des Arztes im Krankenhaus, Spital, Haftung des angestellten Arztes, Verletzung Haftung des Arztes in Krankenhaus

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0030OB00427.5.1004.000

Dokumentnummer

JJT_19501004_OGH0002_0030OB00427_5000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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